Sturmgeläut über der Taiga
„ Sieben Jahre habe ich mich nicht von den Waffen getrennt. Drei davon habe ich mich um die Sowjetmacht geschlagen. Der Tod verfolgte mich auf Schritt und Tritt, doch niemals habe ich mich im Kampf hinter meinen Kameraden versteckt. Ich verachtete Leichen und hasste feiges Verhalten. Und von ihnen bekam ich den heimtückischen Schlag ins Kreuz…
Angeschwärzt, verleumdet und als erster der Kommandeure der Partisanenarmee der Tassejewsker Republik kam ich in den verhängnisvollen Dreißigerjahren um…
Vor dieser Zeit brachte das Leben mir Glück: ich liebte und war geliebt, zog Kinder groß… Wenn die riesige, zärtliche Sonne über dem Land, über der Taiga und meinem Dörfchen aufstieg, - dann schien sie auch für ich… Ich liebte das Frühlingsrufen des Kuckucks, der mir viele Jahre abzählte… Ich liebte die Zeit, wenn die Traubenkirsche blühte und sich auf die stillen Wasser des heimatlichen Topoltschik herab neigte.
Diese riesige friedliche Welt brach auseinander und verschwand für mich vor 58 Jahren für immer… Und als neun Jahre später, im Jahre 1941, über unser Vaterland, nach all seinen Tragödien, auch noch das schlimmste Übel hereinbrach, war ich nicht in der Lage, noch einmal eine Waffe in die Hand zu nehmen und euch vor den Faschisten zu verteidigen…
Niemals werde ich euch von mir, von meinen Kriegsfreunden und Kameraden, von unserer sorgenvollen und grausamen Zeit erzählen können. Lediglich die menschliche Erinnerung und Dokumente werden euch darüber berichten…
Geboren wurde er im Dorf Denissowa, Roschdestwensker Amtsbezirk, Landkreis Kansk, in einer großen, fleißigen Bauernfamilie. Vom Vater, Leontij Mokejewitsch Schadrin, erbte er den Beruf des Ackermanns. Schon früh gewöhnte er sich an die harte Arbeit eines Bauers. Schnell, im Selbststudium, lernte er lesen und schreiben.
Mit Beginn des ersten Weltkriegs zog er an die Front. Tapfer und verwegen kämpfte Iwan Schadrin verzweifelt gegen den Feind. Er – ein Georgsritter – wurde mit silbernen Kreuzen ausgezeichnet. Stabsunteroffizier. Dort, an der Front, traf Iwan Schadrin dann auch auf die Revolution…
Erst Anfang 1918 kehrte er nach Denissowa zur Familie zurück, wo seine Frau, ein Sohn und zwei Töchter, die alten Eltern und die Brüder erwarteten. Doch der Urlaub des gerade erst von der Front zurückgekehrten Frontsoldaten währte nur kurze Zeit – bedrohliche Ereignisse überrollten ganz Sibirien… Im Mai erhob sich das tschechoslowakische Korps gegen die Sowjetmacht, Weißgardisten marschierten auf. Und schon bald bildete sich die Diktatur Admiral Koltschaks heraus.
Im Norden des Kansker Landkreises begannen die Bolschewiken mit dem Vorsitzenden des Tassejewsker Amtsbezirksexekutiv-Komitees Wassilij Jakowenko an der Spitze, nachdem sie in den Untergrund gegangen waren, bewaffnete Angriffe der Bauern gegen das Regime der obersten Machthaber vorzubereiten.
Im Dorf Denissowa wurde diese gefährlich-tödliche Arbeit von drei Männern ausgeführt: Iwan Schadrin, - Pjotr Bystroje und Iwan Denissow.
Als in den Siedlungen das Sturmgeläut erscholl, stellte das kleine Dorf – insgesamt 27 Höfe – der Partisanen-Armee eine Truppe guter Kämpfer zur Verfügung, welche später die Bezeichnung „3. Schwadron des 1. Sowjetischen Kaitymsker Kavallerie-Regiments“ erhielt.
Die Denissowker wählten Iwan Schadrin zu ihrem Schwadronskommandeur.
Iwan Schadrins Schwadron, die mit ihren Kameraden die Grenzen der Partisanen-Republik schützte, nimmt an allen großen Kampfhandlungen teil.
Während des Sommer-Einmarsches der Weißgardisten und Tschechen in die Tassejewsker Republik wird Iwan Schadrin in den Stab abberufen. Das Kommando über die Schwadron übergibt er seinem Kriegskameraden Pjotr Bystrow. Und Iwan Schadrin wird eine wichtige Aufgabe anbefohlen – die Evakuierung der Partisanen-Familien, Wertgegenstände, der Büchsenmacherei und anderer Werkstätten in die Taiga. Das waren die allertragischsten Tage im Leben der Partisanen-Republik. Sie wurde von etwa 15000 Soldaten von Vernichtungskommandos fielen in sie ein.
Am 24. Juni 1919 kam es zum schrecklichen Katymsker Gefecht. Der Kampf begann um vier Uhr morgens und dauerte bis zum späten Abend. An der gefährlichsten Feuerlinie standen die Stabsführer Wassilij Jakowenko, der Kommandeur der Partisanen-Armee, Nikolaj Buda, die Schwadrons- und Kompaniekommandeure Iwan Schadrin, Pjotr Bystrow, Nikolaj Malyschew, Pjotr Djukow… Nachdem die Partisanen mehrere Attacken abgewehrt hatten, stürzten sie sich in den Nahkampf und schlugen den Gegner in die Flucht.
Als die Sewerokansker Partisanen sich im Januar 1920 mit der 30. Division zusammenschlossen, die aus Richtung Westen einmarschiert war, trat Iwan Schadrin als Freiwilliger in die Rote Armee ein. Sein Kriegsweg führte ihn über Taischet, Nischneudinsk, Irkutsk an den Baikal-See. Und dann – auf die Krim; man musste Wrangel schlagen. Nach der Niederlage des „schwarzen Barons“ machte sich die 30. Division, in der der Sibirjak kämpfte, daran, auf Väterchen Machno loszugehen…
Erst im September 1921 kehrte der ehemalige Schwadronskommandeur in die heimatlichen Gefilde zurück. Und das war‘s! Er wusste nicht, dass ihm nur noch elf kurze Lebensjahre bleiben sollten..
Der einstige Partisan und Kommandeur macht sich erneut an die bäuerliche Arbeit, ist aktiv in den Roschdestwensker und Denissowsker Parteizellen tätig. Die Landsleute wählten ihn zum Vorsitzenden der Kommune, die an der Stelle des von den Koltschak-Soldaten niedergebrannten Dörfchens entstanden war… Als Stalin und seine Helfershelfer mit der ungeheuerlichen Vernichtung der Bauernschaft durch ihr umfangreichen Getreideplünderungen, durch die „Entkulakisierung“ der Mittelbauern und der verarmten Bauern sowie der gewaltsamen Kollektivierung begannen, trat der Bolschewik Iwan schadrin offen gegen solche Methoden des sozialistischen „Aufbaus“ ein.
Unterstützt wurde der Genosse von dem in der Kommune eingetroffenen Volkskommissar der Landwirtschaft Russlands – Wassilij Gregorjewitsch Jakowenko. Doch schon begann die Hetzjagd gegen den ehemaligen Schwadronskommandeur und Bolschewiken. Sie ging aus von Seiten des Sekretärs der Denissowker Kommunistischen Zelle – Iwan Obuchow: „Schadrin hatte Angst wegen der Entkulakisierung des Dorfes, außerdem glaubt er nicht an die Erfüllung des Fünfjahresplans; er ist der Ansicht, dass die derzeit durchgeführte Kollektivierung, - ohne Leben ist!“
Der Sekretär selbst fürchtete die Enteignung der Großbauern im Dorf nicht; feinfühlig nahm er die Linie im Jahr des „großen Stalinistischen Umbruchs“ wahr“ – beschimpfte die Mitglieder der Zellen, die ihren „Klasseninstinkt verloren hätten“ und „nach rechts getrieben“ würden.
Es kam das Jahr 1929. Es kam die nächste Partei-Säuberung… Eine Kommission zur Überprüfung und Säuberung der Mitglieder und Kandidaten der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) beschuldigte Iwan Schadrin als „Rechtsabweichler“, was er nicht zugab. Am 15. Juni 1929 wurde Iwan Leontjewitsch Schadrin aus der Partei der Bolschewiken ausgeschlossen.
Drei Jahre später – entfernte man ihn aus dem Leben…
Er wurde von Organen der OGPU am 7. August 1931 an der Bahnstation Kansk verhaftet, als er aus dem Urlaub in sein heimatliches Dorf zurückkehrte. Er war 39 Jahre alt… Der Leiter der Kansker OGPU-Stadtabteilung Tarassow hatte dem Chef des Krasnojarsker Operativen Sektors, dem Vertretungsbevollmächtigten der OGPU in der Region Ost-Sibirien mitgeteilt: „Streng geheim… Entsprechend Ihrer Aktennotiz wird Iwan Leontjewitsch Schadrin auf direktem Wege enteignet und zu Ihrer Verfügung geschickt. Anlage: persönliche Dokumente I.L. Schadrins“.
… Das Krasnojarsker Isolationsgefängnis zur besonderen Verfügung. Iwan Schadrin – zusammen mit ehemaligen roten Partisanen, die im Juni – Juli 1931 mit Waffen in den Händen in die Dserschinsker, Tassejewsker, Abaner und Kansker Bezirke gegen die gewaltsame Kollektivierung, Entkulakisierung, die Getreideplünderung und „gegen die von der Stalinistischen Diktatur und ihren Machthabern realisierten Politik“ ins Feld gezogen waren.
Über das Schicksal des Partisanen-Kommandeurs entschied Walentin Jegorow, ein dreiundzwanzigjähriger Bevollmächtigter der Sonder-Abteilung des Krasnojarsker Operativen Sektors der OGPU. In der vorgelegten Anklageschrift heißt es: „ … anhand der in der Akte vorhandenen Angaben wird festgestellt, dass I.L. Schadrin zu einer aufständischen, konterrevolutionären Organisation gehörte, einen bewaffneten Aufstand gegen den existierend3en Aufbau vorbereitete und dass diese Tätigkeit unter der Leitung einer weißgardistischen Organisation mit Zentrum in Charbin durchgeführt wurde…“.
Ende August 1931 wurde Schadrin unter Sonder-Bewachung nach Irkutsk geschickt. Im März 1920 war er mit seiner Schwadron durch den „Eis-Bogen“ dorthin gelangt, zusammen mit Truippen der Roten Armee.
In Irkutsk riss 1932 der Lebensfaden des Partisans und Kommandeurs…
Am 27. März 1933 überprüfte eine Kommission zur Säuberung der Rotgardisten und roten Partisanen des Dserschinsker Bezirks unter dem Vorsitz von Aleksander Obuchow (zur Kommission gehörte auch der ehemalige Sekretär der Denissowsker Parteizelle Iwan Obuchow) das vorhandene Material: „Schadrin, Iwan Leontjewitsch; es wird festgestellt, dass der Genosse Schadrin mit Beginn des Aufkeimens der Partisanen-Bewegung und bis zum Ende der Liquidierung der Koltschak-Armee zu den Reihen der roten Partisanen gehörte. Doch Genosse Schadrin wird wegen konterrevolutionären Verhaltens zu 5 Jahren verurteilt, und deswegen sind dem Genossen Schadrin die rechte auf Vergünstigungen zu verweigern…“
Einem (toten!) Partisanen-Kommandeur Vergünstigungen verweigern… Die Mitglieder der Kommission wussten bereits von Tod Iwan Schadrins. Ist das nicht der höchste Beweis an Sittenwidrigkeit und Heuchelei?! Schwierig ist es, und es geht langsam, die Wahrheit über die tragischen 1930er Jahre zu rekonstruieren. Lange wurde er von Domna Dmitrijewna Schadrina, der Ehefrau des Partisanen-Führers gesucht. Sie wendet sich an das Verteidigungsministerium und ausgerechnet an einen der Organisationen der Massen-Repressionen in der Roten Armee – an KI. Woroschilow, den ehemaligen Volkskommissar und Vorsitzenden des Obersten Sowjets der UdSSR.
„Lieber Kliment Jefrimowitsch!
Mein Ehemann, Iwan Leontjewitsch Schadrin, wurde 1931 verhaftet und starb am 22. August im Gefängnis… Ich wandte mich an das Verteigungsministerium der Sowjetunion mit der Bitte um Überprüfung der Akte Schadrin. Mein Brief wurde an die Staatsanwaltschaft der Föderation geschickt, und von dort kam die Antwort, dass es rechtens war, Iwan Leontjewitsch Schadrin zu verhaften…
Die Antwort der Staatsanwaltschaft der Föderation ist zumindest merkwürdig. Denn schließlich kann nur ein Gericht feststellen, ob die Heranziehung zur strafrechtlichen Verfolgung rechtens war, wobei es sämtliche Umstände des Falls zu berücksichtigen hat!
Da eine gerichtliche Feststellung der Wahrheit nicht möglich ist (der Fall wurde aufgrund des Todes des Beschuldigten eingestellt und die Akte geschlossen), bitte ich Sie, lieber Kliment Jefremowitsch, Iwan Leontjewitsch Schadrin posthum zu begnadigen und für mich, eine alte Frau, meine Kinder normale Lebensbedingungen zu schaffen…“.
Zum ersten Mal wurde die gefälschte, zusammengeschusterte Akte zur Anklageschrift von I.L. Schadrin professionell vom Senior-Assistenten des Staatsanwalts der Region Krasnojarsk und Berater der Justiz Andronow, dem stellvertretenden Staatsanwalt der Region Botschillo und dem Regionsstaatsanwalt Borowkow.
…“Geheim.
An das Präsidium des Krasnojarsker Regionalgerichts
WIDERSPRUCH (in Form einer Überprüfung) in Sachen Iwan Leontjewitsch Schadrin…
… Aus den in der Akte vorliegenden Materialien kann eine praktische Aktivität Schadrins nicht bestätigt werden. Aus dem Aktenmaterial lässt sich nicht feststellen, wer, wann, unter welchen Umständen Schadrin in die Organisation angeworben hat, welche Aufgaben er dort erfüllte und worin sich seine konterrevolutionäre Aktivität äußerte.
Im Gegenteil, aus dem Aktenmaterial wird ersichtlich, dass Schadrin in den Jahren des Bürgerkriegs aktiv im Kampf für die Errichtung der Sowjetmacht teilnahm, und dass er, Schadrin, wie der Zeuge Tschernow aussagte, ihn vor einem bewaffneten Kampf gegen die Sowjetmacht gewarnt hatte.
^Bei einer solchen Lage der Dinge darf die Einstellung des Falls in Bezug auf Schadrin wegen des Todes des Angeklagten nicht als richtig anerkannt werden.
Unter Berufung auf § 25 der Vorschriften über staatsanwaltschaftliche Überprüfungen in der UdSSR ersuche ich darum:
die Anordnung der Sondersitzung der OGPU der UdSSR vom 22. August 1932 in Bezug auf Iwan Leontjewitsch Schadrin abzuändern und die Aktenführung wegen Unbeweisbarkeit der Anklage einzustellen“.
Aus der Bescheinigung des Krasnojarsker Regionalgerichts:
„Der Fall bezüglich der Anklage gegen Iwan Leontjewitsch Schadrin wurde am
30. Dezember 1960 vom Präsidium des Krasnojarsker Regionalgerichts überprüft.
Die Anordnung der Sondersatzung der OGPU der UdSSR vom 22. August 1932 in Sachen
I.L. Schadrin wurde aufgehoben und der Fall aufgrund fehlender Tatbestände
eingestellt.
I.L. Schadrin ist rehabilitiert.
Stellvertretender Vorsitzender des Regionalgerichts M. Matwejew“.
60 Jahre mussten vergehen, bevor der Partei der ehrbare Name ihres ordentlichen Bolschewiken-Kämpfers Iwan Schadrin zurückgegeben wurde. Auf Beschluss des Büros des Regionskomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom 23. Februar 1989 wurde I.L. Schadrin als Kommunist (posthum) rehabilitiert. Bereits früher, im Jahre 1983, wurde nach ihm eine der zentralen Straßen der Ortschaft Denissowa benannt. In dem Haus, in dem der Partisanen-Kommandeur wohnte, wurde ein Gedenk-Draggen-Anker aufgebaut, auf dem, wie Blut, ein rotes Banner leuchtet.
Wenjamin Borowez
Auf dem Foto: Iwan Schadrin
„Krasnojarsker Arbeiter“, 16.11.1990