SEITEN DER GESCHICHTE
Den Einwohnern von Jenisseisk, den Menschen, die der älteren Generation
angehören, ist der Name des bemerkenswerten Chirurgen und sehr freundlichen und
entgegenkommenden Mannes Jakob Josefowitsch Bendig gut bekannt.
Er zeichnete sich durch eine ungeheure Liebe zu den Menschen aus, sonst könnte
nichts anderes eine Erklärung für seine titanische Arbeit und seinen Wunsch
menschliches Leiden zu lindern erklären.
Jakob Josefowitsch hatte ein langes und schweres Leben. Geboren wurde er 1896 in der Ortschaft Petropawlowka im Gouvernement Jekaterinoslawl in einer Bauernfamilie. Sein Großvater siedelte 1820 aus Ostpreußen in den Süden Russlands umgesiedelt und nahm 1824 die russische Staatsbürgerschaft an. Von der ganzen zahlreichen Familie der Bendigs war es lediglich Sohn Jakob, der noch vor der Revolution eine weiterführende Schule besuchte – er absolvierte die Mariupolsker Realschule. 1916 schrieb er sich am Petrograder Institut für Psychoneurologie ein. Doch es herrschte Krieg, und nach ein paar Monaten wurde Jakob zum Militär einberufen. Er diente in der Zarenarmee, in Denikins Armee, und wechselte im August 1919 mit einer Gruppe Kämpfer in die Rote Armee. Zweimal wurde er verwundet.
Nach der Demobilisierung kehrte er ins heimatliche Petropawlowka zurück, arbeitete als Lehrer an der Dorfschule. Er war weder Mitglied der Partei, noch war er an irgendwelchen politischen Strömungen beteiligt; er hatte nur einen einzigen Traum — den Menschen auf dem Gebiet der Medizin nützlich zu sein. Und bereits als dreißigjähriger reifer Mann beginnt Bendig ein Studium am medizinischen Institut in Charkow, das er 1931 erfolgreich beendet. Seit der Zeit widmet er sein Leben seiner Lieblingsbeschäftigung. Die Arbeit wurde zum Hauptbestandteil seines Lebens.
Einen ganzen Becher voll Bitterkeit musste er an unbegründeten Anschuldigungen und feigen Verleumdungen leeren. 1937 wurde J.I. Bendig völlig zu Unrecht nach Artikel 58/12 zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und einem Entzug aller Rechte für die Dauer von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe verbüßte er innerhalb des Systems des Norilsker Erziehungs-/Arbeitslagers des MWD.Mit dem Tag seiner Freilassung im Jahre 1946 wurde er zum Sondersiedler und war bei der Kommandantur der Jenisseisker Bezirksabteilung des MWD gemeldet.
Viele Jahre verbrachte Bendig hinter Stacheldraht und half während der ganzen Zeit mit aller nur möglichen Kraft den durch Schwerstarbeit und Hunger geschwächten Menschen. Er selber sagte, als er sich dieser schrecklichen Zeit erinnerte, dass er nur deswegen überlebte, weil er von Beruf Arzt war. Zwei Jahre leitete Bendig die medizinische Abteilung des Podtessowsker MWD-Baukontors. Hier ein kleiner Auszug aus seinen beruflichen Daten: «Bevor er ans Jenisseisker Krankenhaus kam, arbeitete Bendig als Leiter der Klinik in Podtessowo. Gleichzeitig war er Berater und Chirurg der Notfall-Chirurgie am Jennisseisker Krankenhaus (in Jenisseisk gab es keinen Chirurgen). In allen Fällen erhielt das Bezirksgesundheitsamt nie eine Ablehnung für chirurgische Hilfeleistungen, ungeachtet des Schlammwetters im Herbst und Frühjahr, welches Podtessowo von Jenisseisk trennte».
12 Jahre arbeitete J. I. Bendig im Jenisseisker Bezirkskrankenhaus als Oberarzt, leitender Chirurg, Leiter der chirurgischen Abteilung. Als Naturtalent, der seinen – den humansten Beruf der Welt – über alles liebte, erfüllte Bendig treu und beflissen seine Dienstpflichten. Hier arbeitete auch seine Ehefrau, Vera Fedorowna Tilmatsch, alle Schwierigkeiten und Unbilden mit ihm teilend, als Gynäkologin.
Inna Georgiewna Bendig, Jakob Josefowitschs Enkelin (ebenfalls Ärztin), erinnert sich: «Großvater zog 1947 nach Jenisseisk um, wo er bis 1960 beruflich tätig war. Es waren nach seinen eigenen Worten die besten Jahre seines Lebens. Er widmete sich voll und ganz seiner geliebten Arbeit. Wie viele freundliche Worte sprachen die Einwohner dieser Stadt über ihn aus, in der er leben und arbeiten musste. Er kannte wahrhaftig jeden einzelnen von ihnen und liebte seine Arbeitskollegen. Sogar ich kenne seine OP-Schwestern, Krankenschwestern; und er erinnerte sich buchstäblich an all seine Patienten. Oft wiederholte er, dass er diese Stadt niemals verlassen hätte, wenn nicht das Grab seiner Tochter in Mariupol auf ihn gewartet hätte, die er unter tragischen Umständen verlor».
Es dauerte Jahre, bis endlich die völlig ungerechtfertigte Anklage gegen ihn aufgehoben wurde. Erst 1958 wurde J.I. Bendig auf Anordnung des Präsidiums des Obersten Gerichts der UdSSR vollständig rehabilitiert - «aus Mangel an Tatbeständen».
30 Jahre sind seitdem vergangen, dass Jakob Josefowitsch unsere Stadt verlassen hat, doch auch heute erinnern sich viele Jenisseisker mit großer Dankbarkeit an ihn zurück.
N. TSCHEREPANOWA
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Jenisseisker Heimatkunde-Museums,
„Jenisseiskaja Prawda“, 17.06.1991