Über Leute wie K.K. Stol könnte man ohne weiteres ein ganzes Buch schreiben. Es wurde sich als optimistische Tragödie gestalten. Darin käme der ganze Kummer, das ganze Leid eines repressierten Volkes zum Ausdruck, das im eigenen Heimatland verstoßen wurde. So wurde auch der minderjährige Konrad Stol,zusammen mit anderen Wolga-Deutschen, zum Volksfeind erklärt und mit einem Gefangenentransport in den Norden geschickt. Gott sei Dank überlebte er.
Über die Vergangenheit grübeln – das behindert nur den Heilungsprozeß einer noch nicht vernarbten Wunde. Und Stol hegt im übrigen auch keinerlei Groll gegen die Heimat, obwohl er Schlechtes im Übermaß durchmachen mußte und sich viele Male am Rande des Todes bewegte. Aber davon soll hier gar nicht die Rede sein.
Mit Konrad Kondratewitsch waren wir aus einem ganz anderen Grund zusammengekommen. Mit seinen eigenen Händen, auf eigene Kosten konstruierte und baute der alte Meister eine Produktionsmaschine zur Verarbeitung von Holzabfällen. Sie erwies sich als dermaßen erfolgreich, daß er genau das gleiche Exmplar auch für die Stepanowsker Waldwirtschaft anfertigen mußte, die sich im benachbarten Bezirk Irbej befindet.
Verständlich, daß sish die professionellen Holzfäller nicht zufällig dür diese Maschine interessierten; denn man kann mit ihr buchstäblich aus Abfall wunderbare Holzschindeln, Steketenzäune, Untersetzer für Blumentöpfe, Brennholz in beliebiger Größe und sogar Holzbretter produzieren. Außerdem konnte man sowohl allein als auch zu viert an ihr arbeiten.
Aber am bemerkenswerten ist, daß K.K. Stol seine Wunder-Maschine ohne jede Skizze anfertigte. Ehrlich gesagt, technische Zeichnungen anfertigen kann er auch nicht besonders gut; schließlich ist es schon lange-lange her, daß er die fünfte Klasse an der deutschen Schule beendete. Seine weitere Ausbildung übernahm dann die Universität des Lebens. Aber der Altmeister besitzt nicht nur zwei goldene Hände, sondern auch einen klugen Kopf.
Nach seinen Erzählungen zu urteilen, hatte der talentierte Autodidakt nicht wenige schlaflose Nächte. So hat er beispielsweise gerade die Idee, zu der Maschine ein Förderband zu installieren, damit die fertigen Produkte nicht per Hand, sondern mittels einem Mechanismus ins Lager geschafft werden können. Als er unlängst hörte, daß sie am Krasnojarsker Papierkombinat Späne brauchen und gut dafür bezahlen, wandte er sich sogleich an den Direktor der OPCh „Soljanskoje“ mit den Worten: „Die müssen in Lesosibirsk eine Vorrichtung zur Zerkleinerung von Holzspänen kaufen – ich verfüge über einen Rohmaterialvorrat im Wert von 100.000 Rubel“.
Jedenfalls, und davon konnte ich mich noch einmal überzeugen, leben Naturtalente und Erfinder irgendwie nach anderen Gesetzen als die übrigen Menschen. Merkwürdig, aber wozu braucht der Rentner Stol siviele zusätzliche Sorgen und Scherereien? Von Kindesbeinen an fing er im Norden Fisch, danach war er fast vierzig Jahre als Zimmermann in Soljanka tätig. Mit einem Wort: er arbeitete und schuf damit die Grundlage für eine recht gute Rente. Ein anderer würde sich an seiner Stelle mit seiner eigenen kleinen Hofwirtschaft beschäftigen und auf seine Enkel aufpassen. Aber Konrat Kondratewitsch geht zur Arbeit, sortiert tonnenweise Altmetall, um aus all den Metallstückchen und –teilchen irgendetwas Originelles oder Nützliches für den Haushalt herauszusuchen. Man kann auch nicht gerade sagen, daß er mit seiner Sammlerleidenschaft großen Gewinn oder große Ausbeute gemacht hätte. Für sein Förderband, beispielsweise, bekam er ein Kälbchen. Und alles andere geht bei ihm streng nach Bestellung.
Aber es geht um etwas ganz anderes. Konrad Kon dratewitsch kann einfach nicht untätig herumsitzen; entweder ist sein Kopf von Anfang an schon so ausgerichtet oder er hat sich durch das schwierige Schicksal so herausgebildet und geformt, daß er sich nicht einmal in der Nacht richtig ausruht.
Das Arbeiten mit Metall ist für K.K. Stol eher ein Hobby als Arbeit. Eigentlich liegt ihm Holz noch viel mehr. Damals noch im hohen Norden, erlernte er das Zimmermanns- und Tischlerhandwerk. Zum Einsalzen von Fisch fertigte er Fässer an, die zudem noch von ganz unterschiedlicher Größe und verschiedenartigem Aussehen war. In einem Ein-Liter-Fäßchen mit gläsernem Boden, das Konrad Kondratewitsch ebenfalls hergestellt hatte, transportierten sie für die Ausstellung der volkswirtschaftlichen Errungenschaften – Kaviar. Und wenn es erforderlich war, dann fertigte er auch Fässer, in die eine ganze Tonne Fisch hineinpaßte. K.K. Stol befaßt sich auch heute noch mit dem Böttcherhandwerk.. Sein Kopf und seine Hände kennen keine Ruhe.
W. Rescheten,
Freier Korrespondent beim „Krasnojarsker Arbeiter“
Rybinsker Bezirk
„Krasnojarsker Arbeiter“, 21.06.1991