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«Ich bitte darum, mich auszuzeichnen»...

BITTERE ZEILEN

Ihnen einen Brief zu schreiben zwang mich eine «freudige» Mitteilung unter der Überschrift «Trudarbeiter, sucht eure Dokumente zusammen», in der die Rede war vom Dekret des Präsidenten der UdSSR «Über eine Verleihung der Medaille «Für hervorragende Arbeit während des Großen Vaterländischen Krieges in den Jahren 1941 — 1945» an Staatsbürger der UdSSR, die seinerzeit in sogenannte «Arbeits-kolonnen», aber ehrlich gesagt — in Zwangsarbeits-Konzentrationslager mobilisiert wurden. Es ist unverständlich, welche und in wessen Namen die Trudarmisten Dokumente vorlegen sollen. Und wenn ich es richtig verstanden habe, sollen wir selbst ein Gesuch schreiben, dass wir gern eine Medaille verliehen bekommen möchten.

Der Bezug zu diesem Dekret und das Verfahren zur Vorbereitung der in der Zeitung erwähnten Dokumente ist nicht eindeutig. In diesem Zusammenhang ergeben sich zahlreiche Fragen. Beispielsweise die, woher man nach 50 Jahren noch eine Bescheinigung über seinen Aufenthalt in der Trudarmee bekommen soll. Oder – woher soll man Zeugen nehmen, die den Aufenthalt eines Menschen in der Trudarmee bezeugen können?

Ich glaube, niemand muss noch einmal erklären, wo diese Zeugen geblieben sind. Immerhin ist bekannt, dass jeder zweite aus der Trudarmee nicht zurückgekommen ist.

Es gibt auch andere Probleme. So findet man in den Arbeitsbüchern mancher Leute einen Eintrag darüber, dass sie, als Trudarmisten, in den Jahren des Krieges beim Bau, ñòðîèòåëüñòâå, in der Holzbeschaffung, in Schachtanlagen usw., gearbeitet haben. Doch das Wort «Trudarmee» existiert in diesen Einträgen nicht, was bedeutet, dass eine solche Bemerkung bei der Bearbeitung einer Vorzugsrente einfach nicht berücksichtigt wird.

Eine Gruppe Trudarmisten wandte sich an das Bezirkskriegskommissariat mit der Bitte, Bescheinigungen darüber auszustellen, dass wir am 19 Januar 1942 in die Trudarmee einberufen wurden (was übrigens damals über das Kriegskommissariat erfolgte). Mehr als dreihundert Mann mobilisierten sie damals, und die meisten von ihnen sind natürlich schon nicht mehr am Leben. Aus dem Bezirkskriegskommissariat erhielten wir die Antwort, dass Dokumente über die Einberufung von Deutschen in die Trudarmee nicht erhalten geblieben wären.

Eine negative Antwort auf den Antrag kam auch aus der Bezirksabteilung für innere Angelegenheiten.

Aber hier benötigen wir, die Trudarmisten, eine Bescheinigung darüber, dass Deutsche (beginnend mit dem Alter von 12 Jahren) sich unter Kommandantur des NKWD befanden und sich regelmäßig bei dieser Kommandantur melden mussten.

Es fällt schwer zu glauben, dass es diese Dokumente nicht mehr geben soll. Allen ist nur allzu gut bekannt, dass ähnliche Dokumente nicht der Vernichtung unterliegen. Und lange in den Archiven danach suchen, das möchte wohl niemand.

Alle oben genannten Dokumente benötigen wir nicht nur, um mit einer Medaille ausgezeichnet zu werden. Das ist nicht das Wichtigste. Wichtig ist — dass man endlich in gerechter Weise damit anfängt, uns mit den Kriegsteilnehmern gleichzustellen, und wir besitzen das Recht auf Zuerkennung einer Vorzugsrente.

Das Recht haben wir. Aber über diese Worte hinaus ist die Sache dann auch schon abgetan. Weil die Behörden im Bezirk keinerlei Versuche unternehmen, eine Entscheidung über die Frage der Trudarmisten zu beschleunigen.

Ja, der Präsident hat ein Dekret herausgegeben. Und was hat das Bezirks-Exekutivkomitee, was haben die Dorfräte unternommen? Wir wissen, dass in einigen Bezirken der Region Krasnojarsk ehemalige Trudarmisten bereits Berechtigungsscheine erhalten und Vergünstigungen auf gleichem Niveau wie Kriegsteilnehmer erhalten.

Eine gewisse Befriedigung erfährst du dadurch, dass die Regierung sich nach einem halben Jahrhundert an den Beitrag der Deutschen im Allgemeinen und ihrer Trudarmisten insbesondere zum Sieg, erinnert. Endlich wird das schreckliche Etikett eines «Volksfeindes» heruntergespült, mit dem das deutsche Volk, das seit hunderten von Jahren auf dem Territorium der UdSSR gelebt hat, beinahe ein halbes Jahrhundert lang behaftet war.

Schade nur, dass die meisten diesen Tag nicht mehr erleben. Und wenn die Entscheidung über diese Frage noch weiter auf die lange Bank geschoben und nicht aller erdenkliche Hilfe bei der Ausstellung und dem Erhalt der nötigen Papiere geleistet wird, dann werden die Medaillen bald nicht mehr gebraucht. Diese Hilfe sollen die örtlichen Organe der Sowjetmacht geben.

Ich bin schon recht alt. Mein Leben ist so gut wie gelebt, aber ich kann mich an keinen Fall erinnern, dass irgendjemand geschrieben hat: «Ich bitte darum mich auszuzeichnen...» Und schon gar nicht kann ich mich daran erinnern, dass wir Deutschen fünfzig Jahr danach selbst an irgendjemanden irgendein Gesuch verfasst hätten.

A.FRITZLER
Siedlung Balachta

„Dorf-Nachrichten“ (Balachta), 24. September 1991
Das Material wurde vom Balachtinsker Heimatkunde-Museum zur Verfügung gestellt.


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