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Es gibt ein Gesetz, aber keine offizielle Bescheinigung

Da Sie über unterdrückte Menschen schreiben, möchte ich Ihnen mein Herz ausschütten.

Ich war 7 Jahre alt, als sie 1937 meinen Vater Adam Adamowitsch Root verhafteten. Er kehrte nie zurück, so dass ich ab der 1. Klasse und mein ganzes Leben lang am eigenen Leib erfuhr, was es bedeutet, «die Tochter eines Volksfeindes» zu sein. Und dann brach der Krieg aus, ich bin auch so eine Deutsche (Gebiet Saratow). Mich siedelten sie nach Sibirien aus.

Menschen haben ihre Väter, Brüder im Krieg gegen die Deutschen verloren, der ganze Hass, alles Böse wurde auf uns übertragen. Man kann die Leute verstehen, aber auch wir haben unter diesem Krieg gelitten — haben unsere kleine Heimat verloren.

Am Institut durfte ich mich nicht mit meinen Klassenkameradinnen einschreiben: ich hatte kein Recht, meinen Aufenthaltsort zu verlasse, stand unter Meldepflicht bei der Kommandantur... Dank dem Leiter der Bezirksabteilung für Volksbildung wurde ich zum Arbeiten in die Schule geschickt, studierte in Fernkursen, war vier Jahre berufstätig.

1955 zog ich aus familiären Gründen nach Krasnojarsk. An den Schulen war kein Platz für mich. Ich beschloss, einen anderen Beruf zu ergreifen. Ich wandte mich an die Personalabteilung der Fabrik für Fernseher, so hieß sie früher. Der «Genosse Chef», fand, nachdem er in meinem Arbeitsbuch meine Nationalität festgestellt hatte, eine Möglichkeit, mir lediglich eine Arbeit im Kesselhaus an, wo ich die Asche aus den Anlagen schöpfen sollte.

Kann man so etwas jemals vergessen?! Trotzdem lernte ich und arbeitete schließlich 29 Jahre lang in der TV-Montage-Werkstatt, die letzten 18 Jahre davon als Ingenieurin und Technikern.

Dank dem Kollektiv genoss ich Vertrauen und Autorität. Aber in meiner Seele hat es niemals eine Befreiung, das Gefühl, ein freier Mensch zu sein, gegeben.

Und nun gibt es das Gesetz der RSFSR «Über die Rehabilitierung der Opfer der politischen Repressionen». Aber!

Es gibt keine offizielle Bescheinigung, und du kannst dich nicht als Rehabilitierte fühlen. Merkwürdig, in Kansk, Ust-Ilimsk (Gebiet Irkutsk), in der Umgebung von Kamyschin (Gebiet Wolgograd), sind meine Verwandten rehabilitiert, sie haben Bescheinigungen.

Bei uns ist es nicht möglich, eine Bestätigung zu erhalten. Es existiert da so ein schwarzer Gedanke, dass unsere Stadtverwaltung ein Interesse daran hat, dass es keine Bestätigungen gibt, denn sie sind mit gewissen Vergünstigungen verbunden. Aber vielleicht irre ich mich ja auch.

Ich habe mehrmals die unbequeme Fahrt zum Oktjabrsker Bezirksbüro für Sozialfürsorge unternommen und im Amtszimmer № 25 vorgesprochen: «Es gibt keine Bescheinigungen, gehen sie zum Mira-Prospekt 34».

Dort bekomme ich zur Antwort: «Vor einem Jahr (!) haben wir einige Bescheinigungen erhalten und diese an die Bezirke verteilt. Verstehen Sie? Wir selber stellen keine aus!»

Wir sollte das nicht zu verstehen sein?! Es gibt ein Gesetz, aber keine tatsächliche Rehabilitation. Und es gibt viele Menschen wie mich!

An wen soll man sich wenden, wer gibt einem eine würdige Antwort?

F. Wolossenko
Krasnojarsk

„Krasnojarsker Arbeiter“, 29.10.1993


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