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Neuigkeiten von MEMORIAL

Zuallererst möchte ich unsere Freunde beruhigen, die in dieser Ausgabe von "Meine Stimme" eine Ankündigung über die Schließung von "Memorial" gesehen haben. Wir schließen keineswegs, sondern lassen uns nur umregistrieren. Mit "Memorial" passierte folgender Fall: in der Steuerbehörde verlangt man jetzt einen Registrierungsnachweis, der von der Stadtverwaltung ausgestellt sein muß. Aber die Stadtverwaltung gibt soetwas nicht heraus, weil eine öffentliche Organisation sich nicht mit unternehmerischen Tätigkeiten beschäftigen kann. Vor drei Jahren wurde die Satzung vom Stadtrat amtlich bestätigt, und er erkannte in ihr nichts Gesetzwidriges. Vom Standpunkt der damaligen Gesetzgebung war alles normal, aber die Gesetzte haben sich geändert und, wie immer, erweisen wir uns als Außenstehende. Bei all diesem Idiotismus der Situation sind wir der Macht nicht böse gesonnen: unternehmerische Tätigkeiten betreibt "Memorial" ja auch nicht, Geld hat uns schon seit langem niemand mehr überwiesen und die Übergabe leerer Quartalsabrechnungen (selbst beim 3. Anlauf) an die Finanzinspektion ist auch uns bereits lästig und erst recht der Inspektion. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und ein paar gute Worte über den Inspektor der zentralen Steuerbehörde, O.W. Slawinoj, sagen: man muß, so scheint es, strikt das Gesetz befolgen und dabei nicht auf den Steuerzahler sehen wie auf einen Volksfeind. Wenn der Inspektor wohlwollend mit dir spricht, dann gehst du und machst, was er fordert, anstatt zu streiten. Wenn der Inspektor dich anschreit, dann möchtest du sofort irgendetwas vor dem Staat verheimlichen, schon aus Trotz.

Dank O. Slawinoj wollten wir noch kein einziges Mal etwas vor dem Staat verheimlichen.

In Wirklichkeit gab es auch gar nichts zu verbergen: Gehälter werden bei "Memorial" nicht gezahlt, und auf dem Konto da treiben sich schon seit mehreren Jahren so ungefähr 18.000 herum, die dort "zur Vermehrung" liegen.

Aus diesem Anlaß haben wir folglich keine Ansprüche an die Macht, aber es gibt einen höchst ernsthaften Grund für die Realisierung des Rehabilitationsgesetzes.

Leute, die auf die Rückgabe ihres Besitzes hinarbeiten, gehen zum Gebietskomitee, aber von dort schickt man sie zum Bezirkskomitee. Es ist eigentlich richtig: von Gesetz wegen sollen sich die Bezirkskomitees mit der Entscheidung von Fragen, die im Zusammenhang mit Sonderleistungen für Rehabilitierte und der Rückgabe konfiszierten Eigentums stehen, befassen. Doch die Bezirkskommissionen führen sich auf wie ein UFO: viele reden von ihnen, aber es ist noch niemandem gelungen, einen von ihnen anzutreffen. Ich habe versucht, Koordinaten der Kommissionen in der Gebietsverwaltung zu bekommen, bei W.S. Kima. Eine derartige Information fand sich bei ihm nicht (!), und er schlug mir vor, einfach die stellvertretenden Verwaltungschefs für soziale Fragen anzurufen:

sie sind auch Vorsitzende der Kommissionen. Gerade zu dieser Zeit wandte sich wieder einmal Klawdija Michailowna Karlowa an "Memorial", die bereits seit fünf Jahren ihre Kreise in den Korridoren der Macht zieht, in dem Bemühen, das Haus zurück zu bekommen, das man ihren Eltern in Sykowo fortgenommen hatte. Gerade erst hatte man sie vom Gebiets- ins Bezirkskomitee geschickt. Sie ging durch SÄMTLICHE Amtsstuben der Beresowsker Bezirksverwaltung - von einer Kommission hatte noch niemand etwas gehört.

Mündliches kann man nicht zu den Akten legen und ich, als offizielle Person (die Entscheidung der Kreisratssitzung über die Einrichtung einer Kreiskommission wurde nicht für ungültig erklärt) schickte einen Einschreibe-Brief an den Stellvertreter der Beresowsker Verwaltung, mit der Mitteilung über die Brief-Übergabebescheinigung (Quittung N 59 w o/s 1). In dem Brief bat ich um Mitteilung der Personalzusammensetzung des Komitees und Angabe der Sprechzeiten - und das war alles. Aber die Kommission, falls sie überhaupt existiert, hatte sich zutiefst verschworen: ich erhielt nicht nur keine Antwort, sondern auch keinerlei Mitteilung, daß der Brief ausgehändigt worden war.

Die dickköpfige Klawdija Michailowna fuhr nach Beresowka und veranlaßte zunächst eine offizielle Antwort auf einem Formular, daß der eingeschriebene Brief überhaupt nicht angekommen war, und dann - eine mündliche, inoffizielle Bestätigung des stellvertretenden Verwaltungschefs, daß der Brief wohl existiert hatte, aber eigentlich nicht registriert worden war, und daß zur Beantwortung keine Zeit gewesen wäre.

Na schön, die Mitteilung über die Briefübergabe liegt auf dem Gewissen des Postministeriums und auf dem Gewissen von Towarischtsch Ananjew seine

schriftliche Antwort an K.M. Karlow, in dem er mitteilt, daß die Rückgabe ihres Hauses in der Kompetenz der Gerichtsorgane liege, die Kommission diese Frage nicht klären könne, weil unbedingt erforderliche Vollmachten fehlen würden. Welche notwendigen Vollmachten denn noch, wenn im Gesetz schwarz auf weiß geschrieben steht, daß sich mit diesen Dingen eben diese Bezirkskommissionen befassen? Die Kommission soll den Beschluß über die Rückgabe fassen, und wenn dann ein Streit entsteht, dann, bitte, wer nicht einverstanden ist soll doch vor Gericht ziehen. Wenn der stellvertretende Bezirksverwaltungschef das nicht begreift, ist dies ein geeigneter Anlaß, ihn über das Thema Dienstmißverhältnisse aufzuklären. Mit diesem Vorschlag wendete sich "Memorial" auch and den Vorsitzenden der Gebietskommission, A. S. Proworow. In diesem Brief schlugen wir vor, eine Sitzung der Gebietskommission einzuberufen, damit diese Kommission dort über ihre geleistete Arbeit

Bericht erstatten konnte. Der Brief wurde wieder per Einschreiben geschickt und mit Übergabequittung. Ich teile Ihnen das auf jeden Fall mit, weil vielleicht die Post sich wieder mal querstellt, und so können wir wenigstens mit Hilfe der Zeitung publik machen, was wir wollen.

Und schließlich das Wichtigste. Es kam die lange erwartete Regierungsvorschrift zur Rückgabe konfiszierten Eigentums rehabilitierter Bürger.Ein bemerkenswertes Dokument, wenn da nicht Punkt 4 gewesen wäre. Darin heißt es, daß das Gesuch nicht später als drei Jahren nach Inkrafttreten des Artikels 16 des Rehabilitationsgesetzes eingereicht werden darf. Sehr bescheiden und geschmackvoll: Das Gesetz ist vom 18.10.91, die Vorschrift erging am 12. August 1994 und ist noch nicht bis zu allen Verwaltungen vorgedrungen, und die Dreijahresfrist läuft in einem Monat ab. Es stimmt, der Artikel 16 trat etwas später in Kraft, aber das ist egal: wer es nicht geschafft hatte, kam zu spät. Während die örtlichen Mächte sich Repressions-opfer gegenseitig wie einen Fußball zuspielen, sind drei Jahre vergangen, und man erteilt dort den Opfern eine Absage, die bereits auf gesetzlichen Grundlagen liegt: warum haben sie nicht früher daran gedacht? Darunter leidet in der Regierung, die vor drei Jahren damit beauftragt war, diese Vorschrift auszuarbeiten, niemand. Darunter leidet auch nicht der stellvertretende Verwaltungschef für soziale Fragen, der noch nicht einaml die Zeit gefunden hat, das Rehabilitationsgesetz zu lesen. Es leiden wieder und zum wievielten Male die Repressionsopfer selbst. Aber, Bürgerkameraden, dann seid auch nicht beleidigt, wenn sie bei den Wahlen für jemand anderen stimmen. Oder, daß sie nicht stützend ihre Schulter unterschieben, falls Ihr Sessel ins Wanken gerät. Wir raten den Repressionsopfern, schnellstens Ihren Antrag zu schreiben und von der Verwaltung eine Registrierungs-bescheinigung für diesen Antrag zu verlangen: wenn der Brief mit der Einschreibe-Übergabe-Quittung wirklich verlorengehen sollte, wer hindert sie auch daran, Ihre Anträge zu verlieren und dann hinterher zu sagen, daß es die überhaupt nicht gegeben hat.

Und ich erinnere daran, daß die Einreichungsfrist jeden Augenblick abläuft!

Anläßlich der Reaktion der Bevölkerung zu der erlassenen Vorschrift kann ich mich nicht einer Erwiderung an die Adresse der Sinaida Winschtok enthalten, die im "Abendblatt" Zweifel an der Gerechtigkeit von Kompensationen wie diesen hegte: vielleicht gerät alles durcheinander, in den Adern von jedem von uns fließt Blut von Opfern und Henkern jener Zeiten, und wir werden selber dafür zahlen.

Bei aller Hochachtung vor Sina Winschtok - einer ausgezeichneten Programmiereren, Publizistin und sympathischen Frau - gestatte ich mir, ihr nicht zuzustimmen. Wir lassen auch so schon die Erschießer und Denunzianten bis zu ihrem schönen, ruhigen Rentenalter leben (sogar die Veröffentlichung ihrer Familiennamen ist schwierig: vielleicht haben sie Enkel!), und vor nicht zu langer Zeit, in den siebziger Jahren, arbeiteten die Henker weiter dort, wo sie früher gearbeitet hatten.

Ehemalige Repressionsopfer erhielten armselige Sonderleistungen und Kompensationen, die man zudem aus dem Staat herausklopfen mußte.

Ist das Ihrer Meinung nach richtig? Und was die Mittel betrifft - es ist unsere Angelegenheit, die Sache von "Memorial" - zu verfolgen, ob die staatlichen Gelder nicht in zinslose Kredite an rätselhafte Firmen und nicht in die Datschen der Generalität wandern, sondern verwendet werden für Verlust-Entschädigungen von Menschen, Geschädigten, und wir merken an, daß diese vom Staat kommen.

Aber darum geht es nicht einmal. Vom rein juristischen Standpunkt gesehen müßte das unrechtmäßig Beschlagnahmte zurückgegeben werden. Solange dies nicht getan ist, kann von einem Rechtsstaat keine Rede sein. Sonst wird die jetzige Regierung auch alles wegnehmen, was ihr gefällt und von wem auch immer: und wenn es den anderen gelungen ist, warum dann nicht auch uns? Übrigens, die haben damit auch schon angefangen. Es ist nicht meine Sache zu beurteilen, ob die bei der MMM AG Gauner sind oder nicht, ob sie eine Pyramide haben oder nicht. Aber eher sind sie Gauner. Aber irgendiwe ist jene Tatsache unbemerkt geblieben, daß die Staatsorgane in einem Skandalprozeß bei der MMM AG lediglich einige Milliarden Rubel in bar beschlagnahmt haben. Natürlich wollen sie das nicht zurückgeben, weder der MMM AG noch deren Kunden, um die sie sich, ach so große,

Sorgen gemacht haben. Vielleicht ist auch deswegen der ganze Streit zustande gekommen? Selbst wenn sie es zurückgeben - dann ohne Berücksichtigung der Inflation und daß sie ganz schön Geld damit gemacht haben. Kann man da ein gutes Gewissen haben?

Selbstverständlich vergleiche ich nicht die Entkulakisierten mit den quatschenden Aktionären der MMM. Mich beunruhigt etwas Anderes: der Staat verfährt mit seinen Bürgern nach wie vor in einer rücksichtslosen Art und Weise.

Veröffentlicht in: "Meine Stimme", 29.September 1994
© Alexej Babij 1994


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