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Aus der Armee – direkt ins Lager

Einen solchen Weg ging Jakob Wasiljewitsch Bekker, Bewohner des Dorfes Nowaja

Und das kam so. Vor langer Zeit, als noch Jekaterina II das Zarenzepter in der Hand hielt, ließen sich seine Vorfahren im Wolgagebiet nieder, wo Jakob geboren wurde, aufwuchs und zu arbeiten begann. Schwer war die Arbeit – er mußte Wasser und Futter für die Viehzucht heranfahren. Aber er scheute all die Arbeit nicht und machte auch keine Anstalten sich vor ihr zu drücken. Während er über sein Leben erzählt, erinnert er sich plötzlich daran, wie er einmal in das Dörfchen Norka, das achtzehn Kilometer von seinem Zuhause im Dorf Denkow (Dönhof), Bezirk Balter (Balzer), Gebiet Saratow, entfernt liegt, mit Hilfe einer Kuh Getreide zum Mahlen in die Mühle brachte. Aber mußten sie ausgerechnet in diesem Getreide Kornwanzen finden!? Sie waren gezwungen, das Getreide lange Zeit vollständig durchtrocknen zu lassen, damit die Schädlinge auf diese Weise vernichtet wurden. Diesen Vorgang mußten sie insgesamt dreimal wiederholen. Bei den Mühlen handelte es sich damals hauptsächlich um Windmühlen, schließlich lebten sie doch an der Wolga ...

Alles ging gut. Er heiratete. Schön war seine Frau und sehr fleißig. Aber im April 1941 wurde er zum Militärdienst in die Rote Armee einberufen. Er diente in der Stadt Tschugujew in der Ukraine, am Nördlichen Donezk, in einer Transport-Einheit. Und dann brach der Krieg aus ...

Sein Truppenteil wurde in die Nähe von Nowosybkowo im Gebiet Brjansk verlegt. Die Stationierungsorte der Truppen werden bombardiert. Am Himmel tauchen Fallschirmspringer auf. Es gab Detonationen, Explosionen. Verdacht auf einen Ablenkungsangriff ... Man beginnt damit, die Soldaten auszusortieren: Ukrainer, Weißrussen, Juden, Deutsche, Finnen – sie müssen sich alle auf einer Seite aufstellen und werden kurz darauf ins Hinterland abtransportiert; Russen und alle anderen – werden an die Front geschickt. Soldat Bekker, dessen Nationalität deutsch ist – gehört ins Hinterland. Unverzüglich erfolgt die Verladung auf Waggons, und damit beginnt eine vierzehntägige Zugfahrt Richtung Norden - ohne Essen, ohne Wasser. Nur ein einziges Mal erhielten sie während der ganzen Zeit Verpflegung – das war im Ort Sysran. Ihre Uniformen trugen sie noch, aber die Waffen hatte man ihnen bereits abgenommen.

Drei Kilometer von Swerdlowsk entfernt hielt der Zug endlich an, und die Waggons wurden abgeladen. Um sie herum nichts als Einöde und Wald. Die Soldaten waren aufgrund der langen Hungerzeit während der Fahrt nicht in der Lage zum Aussteigen aufzustehen; viele mußten hinausgetragen werden. Eine nahegelegene kleine Holzhütte wurde zur stationären Einrichtung für die besonders geschwächten Männer. Allen anderen gewährte man eine dreitägige Erholungszeit und gab ihnen anschließend den Befehl, sich zum Wohnen Erdhütten im Barackenstil zu bauen, und zwar in einer Breite von sechs Metern und einer Länge von fünfzig Metern; darin sollte dann der gesamte Personenbestand untergebracht werden. Bis diese Baracke fertig war, schliefen sie unter freiem Himmel auf Reisig, zugedeckt mit ihren Militärmänteln.

Bestimmte Berufszweige und Spezialisten waren besonders gefragt: sie holten ihn als Traktoristen und Chauffeur an die Ural-Maschinenbaufabrik, wo er auf einem Traktor mit gasangetriebenem Motor („Gasgen“) arbeitete.

Als bei der Ural-Maschinenbaufabrik die Notwendigkeit eines Traktoristen entfiel, schickte man ihn als ungelernten Arbeiter ins Gemüseaufbewahrungslager. Es lag gleich neben dem Flugplatz, deswegen schliefen sie dort in Pilotenzelten. Angenehm war das nicht, aber dafür konnte man sich im Vorratslager alle möglichen Gemüsesortenzunutze machen. So ging das Leben bis Neujahr. Danach erfolgte die Verlegung in das Gebiet und dann in die Stadt Tscheljabinsk – zur Metallhütte.

Viele Wege mußte Jakob gehen, an die er auch jetzt noch mit viel Bitterkeit im Herzen zurückdenkt. So brachte man sie besipeilsweise im Gebiet Tscheljabinsk an der Krasnomylsker Maschinen- und Traktorenstation, Schadrinsker Bezirk, im Kindergarten unter, und sobald man dort erst einmal hingelangt war, bekam man sofort auch nur noch die Kinder-Verpflegungsration. Mag sein, dass diese für Kinder zu Kriegszeiten sogar ausreichend war, aber für ausgewachsene Burschen, von denen der volle körperliche Einsatz zur Erfüllung der Agitations- und Mobilmachungslosung „Alles für die Front, alles für den Sieg!“ gefordert wurde, reichte diese Essensmenge bei weitem nicht aus.

Na ja, und die Tscheljabinsker Metallhütte war so ein Betrieb für die Front; sie war vollständig und in mehreren Reihen von Stacheldraht umgeben, hinter dem Jakob, unter der Aufsicht von Wachposten auf einem Wachturm, leben und arbeiten mußte. Und alles ging von vorne los: das Ausheben von Erdhütten als Behausung; zur Erringung des Sieges – die Verlegung von Schienen für einen Eisenbahnanschluß zum Metallhüttenwerk.

Neun Einheiten waren bei der Arbeit, zu jeder zählten drei- bis viertausend Mann. Sie begannen auch mit dem Bau einer Kokerei, einer Stahlwalzerei sowie einer Gießerei. Als das Metalhüttenwerk fertiggebaut war, wurde Jakob Wasiljewitsch zum Arbeitseinsatz als Schlosser im Waggondepot verlegt. Dort wurden sie untergebracht, in der Kantine mit Hilfe von Lebensmittelmarken verpflegt; zudem bekamen sie 800 Gramm Brot. Aber das Wichtigste war, dass sich die Arbeit im Depot und das Leben überhaupt außerhalb der Einzäunung abspielten, obwohl alle anderen sich immer noch hinter Stacheldraht befanden, wo die Wachposten und Beobachtungstürme erst im Jahre 1946 abgeschafft wurden. Na ja, und die Depot-Arbeiter, die man in den Bereich außerhalb der Lagerzone verlegt hatte, waren in ihrer Bewegungsfreiheit ebenfalls voll eingeschränkt: sie durften nirgends hingehen oder -fahren. Mit der Abschaffung der Wachposten und –türme wurden diese Beschränkungen dann aber weitestgehend aufgehoben; man gewährte ihnen sogar Urlaub.

Während seiner Irrfahrt durch die Lagerzonen verlor Jakob den Briefkontakt mit seiner Ehefrau, so dass er sie mit Hilfe der Kommandantur suchen mußte. Und dann kam der Urlaub, die Reise in die ferne, unbekannte Region Krasnojarsk, in die Siedlung Ural im Rybinsker Bezirk, wo seine Frau Jekaterina Andrejewna bekker lebte und arbeitete, nachdem man sie von der Wolga nach Sibirien zwangsumgesiedelt hatte. Sie war als ungelernte Arbeiterin beschäftigt – transportierte Getreide, bereitete das Korn zur Weiterverarbeitung vor, hütete Kälber. Ihr Lohn war äußerst gering.

- Und dann, - erinnert sich Jakob Wasiljewitsch mit einem Lächeln an den kuriosen Vorfall, - war der Urlaub vorbei, ich mußte zurückfahren, aber ich hatte kein Geld mehr. Wovon sollte ich die Rückreise antreten? Und sie verhafteten mich als Deserteur. Als die Sache dann geklärt war, entließen sie mich wieder.

Und dann begann das friedliche Leben der Eheleute Bekker in Sibirien, dieser rauhen Region, die einem Fehlleistungen bei der Arbeit nicht verzeiht. Und Jakob arbeitet mit voller Hingabe, zunächst als Arbeiter in der Kolchose. 1963 erlernt er den Beruf eines Traktoristen, und in diesem Beruf arbeitete er dann auch von 1964 bis 1980. Nach seinem Eintritt ins Rentenalter arbeitete er in der Schmiede der Nowinsker Sowchose und ist dort auch heute noch mit voller Hingabe und ganzem Einsatz seiner Kräfte tätig.

Nachdem er alle Widrigkeiten und unglücklichen Umstände des zweiten Weltkrieges erlebt hat, ist Jakob Wasiljewitsch gegen jegliche Entscheidungen von Konflikten mit Waffengewalt. Und was die Rückkehr in die Heimat seiner Vorfahren, ins Wolgagebiet, betrifft, hat Jakob Wasiljewitsch gesagt, dass die Ernten an der Wolga immer so ungleichmäßig ausfallen und dass es schwer ist, dort zu leben, und dass es dort auch schwierig sein würde sich zu akklimatisieren. Und wohin sollen sie fahren, wenn doch hier ihre Kinder geboren und aufgewachsen sind, deren Heimat sich hier befindet. Und im Hinblick auf den Großen Vaterländischen Krieg meint er, dass man gegen die braune Pest des Faschismus kämpfen mußte, und wem ein solches Schicksal zugefallen ist, der weiß, dass es der Wille Gottes war. Natürlich ist es sehr kränkend, dass ein Soldat für seine Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Arbeit im befristeten Armeedienst den langen Lebensweg durch russisches Hinterland gehen mußte.

Die Unterhaltung mit Jakob Wasiljewitsch und Jekaterina Andrejewna Bekker sowie die Vorbereitungen dazu wurden von den Schülern der Rybinsker Mittelschule – Schenja Malow, Maksim Ladysew, Mischa Filin, Sascha Filin, Igor Sokolow, Mischa Sokolow und dem Leiter des Heimatkunde-Kursus durchgeführt.

G.J. Tschuprikow
„Stimme der Zeit“, N° 41 (9481), 06.04.95


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