Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Vom Leiter des Bauprojekts zum – Häftling

Edmund Adolfowitsch Schreder (Schröder). Wer ist er?

Mit dieser Frage begann ich meine Forschungsarbeit am Material über diesen bemerkenswert aufrichtigen und fleißigen Mann deutscher Nationalität, der aufgrund seines Geburtsortes eigentlich Russe und, bedingt durch seinen letzten Zufluchtsort, ein sibirischer Fischer war...

Man schrieb das schwierige Jahr 1929. Das junge sowjetische Land verabschiedete den schweren Entschluß der Industrialisierung des Landes. Man begann mit dem Bau von Fabriken für Schwerindustrie. Eine dieser Fabriken war das Kramatorsker Maschinenbauwerk, dessen Leiter im ersten Abschnitt des „Montagebauprojekts“ für die Errichtung der Stahlgießerei E.A. Schreder war.

Das Land benötigte dringend Metall. Die Menschen opferten sich auf und machten schwerste Schicksalsprüfungen durch, um überhaupt standzuhalten. Und so ist es gewesen.

Das tägliche Flugblatt „Kramatorsker Wahrheit“ im Kramatorsker Maschinenbauprojekt „UDAR“ vom 6. Mai 1933, 9 Uhr morgens, N° 662.

„Kolonne der Helden des selbstaufopfernden Kampfes“.

„(Befehl für den 2. Montageabschnitt).

Im Rahmen der sozialistischen Arbeit an der mechanischen Maschinenbaufabrik „A“ stürzen sich die besten Rotbanner-Brigaden von Monteuren des Sturmbataillons „Erster Mai“, die Genossen Ostapyschin, Konowenko und Matwienko, in beispielhaftem, selbstaufopfernden Kampf auf die Nachtruhe verzichtend, in die Arbeit, damit pünktlich am 18. Mai die Inbetriebnahme des Werkes stattfinden kann, wobei sie über den allgemeinen 8-Stunden-Tag hinaus jeweils 10-16 Stunden an der Stahlgießerei arbeiten, und zwar ohne Rücksicht auf das feuchte, trübe und kalte Wetter.

In Feststellung dieser heldenhaften Arbeit spreche ich allen Monteuren des Sturmbataillons meine Dankbarkeit aus und beantrage hiermit vor der Dreierkommission des Montagebauprojekts eine entsprechende Eintragung am roten Brett sowie die Prämierung folgender Genossen ...

Leiter des 2. Reviers des Montagebauprojekts
„SCHREDER“.

In einem anderen Flugblatt, unter der Überschrift „Beispiel für selbstaufopfernden Kampf“ heißt es:

„Das Sturmbataillon 1. Mai, zu dem auch die Stoßbrigaden der Genossen Matwienko, Ostapyschin und Konowenko gehören, beendet seine Stoßarbeit im Sektor des 22. Gerüsts der Farm im 4. Revier der mnechanischen Werkstatt „A“, die über die festgelegte Aufgabenstellung bei weitem hinausging.

Diese Brigaden sowie der Kommandeur des Bataillons, Genosse Schreder, sind im wahrsten Sinne des Wortes tage- und nächtelang mit ihrer Arbeit vorangestürmt. So arbeitete beispielsweise die Brigade des Genossen Matwienko vom 4. bis 5. Mai 20 Stunden ohne Unterbrechung und die Brigade von Konowenko 23 Stunden – ebenfalls ohne Pause.

Das Sturmbataillon bekam eine neue, kämpferische Aufgabe zugeteilt – innerhalb von 10 Tagen sollte sie eine 158 Tonnen schwere Konstruktion aufbauen, mit anderen Worten: die Hallen für die beiden geplanten Elektroöfen der Stahlkocherei errichten.

Auf geht’s, Genossen! Wir schaffen das! Erledigen wir diese verantwortungsvolle Aufgabe!

Operative Gruppe der „Kramatorsker Wahrheit“.

Die Menschen stürmten mit ihrer Arbeit voran. Das Bauprojekt ging seinem Ende entgegen. Die Helden werden geehrt.

Es folgt eine Urkunde. „Am 15. Jahrestag der Oktober-Revolution ... erhält der Genosse Edmund Adolfowitsch Schreder für das vierte Jahr des Fünfjahresplans die Ehrenbezeichnung BESTARBEITER verliehen – für seinen herrausragenden Kampf an der Front des Sozialistischen Aufbaus, weil er sich um die Erfüllung des Fünfjahresplans in nur vier Jahren bemüht hat, weil durch ihn die Arbeitsproduktivität erhöht wurde, eine erhebliche Steigerung der Arbeitsdisziplin festgestellt werden konnte und die verwaltungstechnische Leitung bei der Montage der Stahlkocherei des Kramatorsker Maschinenbauprojekts in korrekter Weise durchgeführt wurde“.

N° 91, 7. November 1932.

Urkunde. „Industriebaukonzern „INDUSTROIJ“. Am Tage seines 10-jährigen Bestehens werden Sie, Genosse Edmund Adolfowitsch Schreder, als Kaderarbeiter, der den Interessen des sozialistischen Aufbaus treu ergeben ist, der einen unentwegten Kampf zur Verbesseung des Bauprojekts geführt hat, geehrt und bekommen als Prämie für Ihre Leistungen einen Rundfunkempänger.

1936.

Aber das rasante Bautempo, die tägliche, stundenlange Arbeit mußte sich auf die Qualität des Baus in irgendeiner Form auswirken. Zunächst kam es zu Störungen und Ausfällen. Es folgte die Verhaftung und, wie immer in solchen Fällen, der §58, der die Schuld an den fehlerhaften Arbeiten den Spionageorganisationen der ausländischen Staaten zuschob.

Er ist bereits Gefangener. Wie schwer ist es, das Geschehene später zu begreifen, daß du, ein aufrichtiger Arbeiter, der weder Mühe noch Gesundheit für seine Heimat gescheut hat, nun nicht mehr gebraucht wirst, daß du für sie bereits zum Feind geworden bist, der jetzt die Strafe für seine Taten bekommt. „Aber was habe ich dem Lande denn nur schlechtes angetan? – fragte sich der Verurteilte immer wieder. – Aber leben wollte er, egal wie schwierig es auch sein würde. Denn dich, mein Leben, liebe ich“. Und er arbeitete.

„Verwaltung „4““, Postfach 235.

25. Dezember 1937, registriert als Holzfäller.

26. Dezember 1947. Versetzt auf den Posten des Vorarbeiters des Baureviers. Das alles spielte sich bereits im entlegenen, verschneiten Sibirien ab, an Orten, die zum allgemeinen Bestand des GULAG gehörten.

Er verbüßte seine Haftstrafe in Tugatsch. Sie mußten Bäume fällen, Lagerbaracken errichten; sie bauten die Dörfer Stepanowka, Belousowka und Orja auf. Es gab viele Gefangene. Sie hatten ein furchtbar schweres Leben. Die Häftlinge starben vor Hunger und durch den ständigen Hohn und Spott seitens der Lagerverwaltungen; viele wurden wegen Unfolgsamkeit von Hunden zu Tode gehetzt. Aber Schreder liebte das Leben, er glaubte nicht an sein Schuld und hegte deshalb die ständige Hoffnung, daß die Wahrheit eines Tages triumphieren würde; und dank dieser ihm innewohnenden, unerlöschlichen Hoffnung arbeitete er gewissenhaft immer weiter.

„Befehl der Tugatschinsker Lager-Außenstelle N° 8 des Kraslag des MWD, Siedlung Tugatsch, 11.09.1947, N° 460.

Für ihre aufrichtige, sorgfältige Arbeit an der ihnen anbefohlenen Aufgabe der Errichtung eines Staudamms wird dem Leiter der Baukolonne, dem Häftling GRANKOWSKIJ, dem Leiter für den Erdabtransport, dem Häftling SCHREDER, und dem Ingenieur Schirokow der Dank ausgesprochen. Ihnen sind am Lagerkiosk auf eigene Rechnung jeweils 3 kg Äpfel auszihändigen.

Leiter der Lager-Außenstelle N° 8
Garde-Major (Sawwatejew)

Seine Vorahnung hatte den Gefangenen Schreder nicht getäuscht.

„Bescheinigung. Die Klageschrift in Sachen Edmund Adolfowitsch SCHREDER, geboren 1903, wurde auf Anordnung des Präsidiums des Stalinsker Gebietsgerichts vom 20. Februar 1957 revidiert und dessen Beschluß vom 9. Februar 1938 für ungültig erklärt; das Verfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt.

Der Vorsitzende des Stalinsker Gebietsgerichts Iwanow. 15. März 1957.

Und so geschah es. Aber wie unendlich lange hatte er auf diesen ag warten müssen!

Die letzten Lebensjahre verbrachte Edmund Adolfowitsch in Uspenka, wo er sich mit Tomatenzucht befaßte, gern sein Wissen und seine Erfahrung an die Uspensker Landsleute weitergab und gleichzeitig an einem Buch schrieb.

„7. April 1969.

Lieber Edmund Adolfowitsch! Verzeihen Sie mein langes Schweigen. Jetzt steht Ihr Manuskript kurz vor der Herausgabe; irgendwann Ende Mai – Anfang Juni werde ich versuchen zu Ihnen zu kommen, um endgültig darüber zu entscheiden, wie die künstlerische Gestaltung des Buches aussehen soll. Wir haben nämlich beschlossen, das Buch „Wie man Tomaten züchtet“ in einer großen Auflage (50000 Exemplare) zu drucken, so daß die Aufmachung möglichst originell sein sollte.

Falls Sie Farbillustrationen von Ihren unterschiedlichen Zuchtsorten haben, schicken Sie sie mir bitte zu; unser Künstler wird versuchen, daraus etwas Originelles zu zaubern. Ich wünsche Ihnen Gesundheit.

Hochachtungsvoll
(M. Perewostschikow)“.

Leider war es E.A. Schreder nicht mehr vergönnt, das Erscheinen seines Werkes zu erleben.
Er starb und wurde in Uspenka begraben.

G. Tschuprikow, Ortschaft Rybinskoje
„Stimme der Zeit“, N° 73, 20.06.1995


Zum Seitenanfang