Im September 1941 beschloss die Sowjet-Regierung nach den zu Kriegszeiten geltenden Rechten Strafmaßnahmen gegen die gesamte im Wolgagebiet lebende deutsche Bevölkerung einzuleiten, in dem sie alle aus den Ortschaften vertrieb und sie aus ihren Wohnorten, weiter von der Front entfernt, nach Kasachstan, in die Gebiete Omsk und Nowosibirsk, in die Regionen Altai und Krasnojarsk umsiedelte.
Es wurde angenommen, dass die Umsiedler dort Land und staatliche Hilfe beim Aufbau der neuen Bezirke erhalten würden. Doch sie bekamen beides. Die Deutschen wurden auf «Vieh»-Waggons verladen und abtransportiert – wohin, das wusste niemand von ihnen. Viele von ihnen konnten noch nicht einmal einen Satz Wäsche zum Wechseln mitnehmen; sie machten sich in der Kleidung auf den Weg, die sie gerade auf dem Leib trugen.
— Wir waren lange unterwegs — erinnert sich Emilia Iwanowna Schmidt, zu dem Zeitpunkt Heranwachsende, — oft hielten wir auf Abstellgleisen, wo wir mehrere Tage ausharren mussten. Es gab kein Essen und nicht genügend Wasser. Die Waggons waren erfüllt von Stöhnen und Weinen. Es waren hauptsächlich die Frauen und Kinder, die weinten. Die Männer schwiegen, bissen vor Schwäche die Zähne aufeinander. Die Toten wurden während der Fahrt aus dem Zug geworfen...
Die Umsiedler hatten sich am neuen Wohnort noch nicht einmal halbwegs zurechtgefunden, als bereits im Januar-Februar 1942 die Männer aus den Familien isoliert und in die Trudarmee, in Lager, geschickt wurden, die man mit Konzentrationslagern vergleichen kann – mit Wachtürmen, Wachen und Stacheldrahtzäunen. Viele kehrten von dort nicht zurück. Doch das war nur das halbe Elend, denn schon bald darauf wurden auch die Frauen und heranwachsenden Mädchen in die Trudarmee mobilisiert.
Zweihand-Säge, Axt, Kerosin (damit es leichter war, die Säge durch den Kiefer-
oder Fichtenstamm zu ziehen), die Norm — fünf Kubikmeter pro Tag und Person —
und überall nur Wald — das ist es, woran sich die Erinnerungen der damals
15-18-jährigen Mädchen an ihrer Jugendzeit knüpfen.
Manche hatten weniger Glück. Sie wurden in der Ein
de ausgesetzt, an denen wilden Ufern des Jenisseis, auf Inseln (die sogar überflutet wurden). Im hohen Norden mussten die Deutschen buchstäblich von Null anfangen, an einem leeren, Ort, mit bloßen Händen. Sie hausten in Erdhöhlen und Koben, Schuppen und Zelten, ohne warme Kleidung und geeignetes Schuhwerk, ohne Licht, Wärme, medizinische Betreuung, auf Hungerration gesetzt, in vollständiger Isolierung von den Angehörigen, von der ganzen Welt.
Doch die Front verlangte Tag für Tag neue Geschosse und Patronen, Panzer und Flugzeuge. All dies wurde in Rüstungsfabriken bewerkstelligt, die aus dem Frontstreifen ins Hinterland evakuiert worden waren. Und obwohl man die unter freiem Himmel installierten Werkzeugmaschinen nicht als Fabriken bezeichnen konnte, stellte man dort dennoch Produkte her – auf Kosten der ungeheuren Anstrengungen von Frauen und Kindern, die Tag und Nacht, bei jedem Wetter an den Werkbänken standen. Und wenn sie nicht mehr in der Lage waren zu stehen, legten sie sich auf den gefroren, feuchten Boden, wo sie sofort einschliefen, nachdem sie sich einen Arm voll Stroh unter die Seite geschoben hatten. Und erst heute hat man damit begonnen, mit Respekt und Liebe von diesen tapferen Menschen zu sprechen, welche die Hölle durchgemacht haben. Beispiel dafür ist ein feierlicher Abend, der vergangene Woche in der Siedlung Ugolnij stattfand und den Frauen unseres Bezirks gewidmet war, welche die schwere Last der Trudarmee-Lager erlebt, die Schmerz, Gram und Erniedrigung erfahren, deren Herzen und Seelen sich jedoch nicht verhärtet haben, die nicht erbittert sind. Mütter und Großmütter, die ihre Kinder und Enkel zu fleißigen, aufrichtigen, guten und gegenüber den anderen gerechten Menschen erzogen haben. Diese Frauen haben trotz allem an eine wunderbare Zukunft geglaubt und haben diese Zukunft durch ihre Kinder erhalten, welche Maria Andrejewna Karlei, Amalia Friedrichowna Wamboldt, Maria Andrejewna Gofman, Maria Friedrichowna Schmidt, Berta Jakowlewna Schmidke, Jekaterina Adamowna Schnaider, Emilia Iwanowna Schmidt, Emma Jakowlewna Moor lieben und achten.
Ihnen, diesen ewigen, unermüdlichen Arbeitern haben Schüler der Tjulkowsker Mittelschule und Mitglieder des Balachtinsker deutschen Volksensembles für Gesang und Tanz „Wiedergeburt“ ihre Auftritte gewidmet. «Wir verneigen uns tief vor ihnen für ihre große aufopfernde Arbeit, für die Hände, die auf dieser Erde Güte und Gerechtigkeit geschaffen, das Leben ausgeschmückt, es mit Sinn erfüllt und glücklich gemacht haben». Mit diesen Worten beendete die Moderatoren M. Zich und T. Sykowa das abendliche Konzertprogramm. Im weiteren Verlauf gab es Glückwünsche, gute Wünsche, Geschenke und ein festliches Teetrinken zu Ehren der Heldinnen des feierlichen Beisammenseins. Die Frauen zeigten sich sehr bewegt von der Aufmerksamkeit, der Fürsorge und den lieben Worten und brachten ihrerseits ihre Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber den Organisatoren des feierlichen Abends zum Ausdruck.
T. MAKAROWA
„Dorf-Nachrichten“ (Balachta), 23. April 1996
Das Material wurde vom Balachtinsker Heimatkunde-Museum zur Verfügung gestellt.