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Hinter Stacheldraht

Die Trudarmee – die für das kommunistische Herz so wertvolle Organisation für unfreiwillige Sklavenarbeit. Nicht einmal ein Jahr verging seit der Machtergreifung der Bolschewiken, da bildeten sich im Jahre 1918 auch schon die ersten Einheiten von Arbeitssoldaten. Dazu holte man Leute mit sozialen „Merkmalen“: Geistliche, Offiziere, Beamte, Händler, Vertreter der Intelligenz sowie deren Familienmitglieder. Sie sollten die schmutzigsten und mühsamsten Arbeiten verrichten. Diese Arbeitsarmeen existierten bis 1922. Mit Einführung der Neuen Ökonomischen Politik wurden sie aufgelöst. Bei all den dringlichen, unaufschiebbaren Angelegenheiten – Vernichtung der Bauernschaft, Kollektivierung, Industrialisierung und totaler Terror gegen das eigene Volk – geriet die Trudarmee irgendwie in Vergessenheit. Aber da brach der Krieg aus. Nachdem man gegen Ende 1941 allein durch Kriegsgefangenschaft 3,9 Millionen Soldaten und Offiziere verloren hatte, begann die Regierung mit einer Massenmobilisierung ungeheuren Ausmaßes. Es gab nicht genügend Arbeitskräfte im Hinterland. Und da erinnerten sie sich plötzlich wieder der Arbeitsarmee.

Am 10. Januar 1942 gibt das Staatliche Komitee für Verteidigung der UdSSR den streng geheimen Befehl N° 1123 „Über den Einsatz deutscher Umsiedler im Einberufungsalter zwischen 17 und 50 Jahren“ heraus. Und schon werden durch das Kriegskommissariat repressierte, verbannte Deutsche in die Trudarmee abberufen und mit Zügen durch das ganze Land transportiert. In den meisten Fällen unterschieden sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Trudarmisten praktisch nicht von den Haftbedingungen von Gefangenen: derselbe Stacheldraht, dieselben Arbeitsnormen, dieselbe vom GULAG festgelegte Essensration, dieselben Begleitsoldaten und auch das Wort „Faschisten“, das sie einem ständig ins Gesicht schrien oder hinterherriefen. Aber eine Nachsicht gab es doch: in den Einheiten und Kolonnen der Trudarmee blieben die Partei- und Komsomolzen-Organisationen erhalten, allerdings durften keine neuen Mitglieder aufgenommen werden. Die durchgeführte Mobilisierung deckte den Bedarf an Arbeitskräften noch nicht, und so gibt das Staatliche Komitee für Verteidigung am 7. Oktober 1942 den ebenfalls streng geheimen Befehl N° 2383 über die zusätzliche Mobilmachung aller Deutschen zwischen 15 und 55 Jahren, zwecks Zusammenfassung in Arbeitskolonnen. Die Arbeitsarmisten arbeiteten in der Holzfällerei, beim Bau von Fabriken oder verlegten Eisenbahnschienen.

Auch in unserer Region Krasnojarsk gab es Trudarmisten-Kolonnen. Eine dieser Kolonnen befand sich an der Bahnstation Sorokino. Sie war dem Metallhüttenwerk (Postfach N° 121) angeschlossen. Die Trudarmisten arbeiteten in der Holzbeschaffung und der dazugehörenden Nebenwirtschaft. Sie lebten in einer Lagerzone, die von Stacheldraht umgeben war. Ihre Wohnbaracken errichteten sie sich selber. Viele Deutsche arbeiteten in den Trudarmisten-Kolonnen des „Kraslag“. Am 1. Januar 1943 zählte das „Kraslag“ 5352 Arbeitsarmisten. Aufgrund der schwierigen Alltags- und Arbeitsbedingungen beschlossen einige zu fliehen. So flüchteten 1942 72 Trudarmisten (aufgegriffen wurden 68). Bei der Festnahme der Geflohenen durch Begleitsoldaten halfen Hilfsgruppen aus der örtlichen Bevölkerung (68 Gruppen mit einer Gesamtzahl von 622 Personen).

Unterdessen wurde in den Einheiten täglich eine anstrengende und viel Geduld erfordernde Agitationsarbeit durchgeführt. 110 Agitatoren aus den Reihen der Arbeitssoldaten erklärten den hinter Stacheldraht lebenden Deutschen in allen Einzelheiten die weise Politik der kommunistischen Partei und ihre väterliche Besorgnis um die Menschen. Die Idylle währte nicht lange. 1944 wurden fast alle Parteiaktivisten und Sekretäre des Parteibüros verhaftet. Die Anklage lautete: Schaffung einer konterrevolutionären faschistischen Organisation. Man verurteilte sie zu Lagerhaftstrafen von 10, 15 und 25 Jahren und brachte sie in anderen Lagern unter – nun bereits als vollwertige Gefangene.

Die Trudarmee wurde 1946 aufgelöst. Die Arbeitsarmisten kehrten nach und nach zu ihren Familien zurück. Aber viele von ihnen kamen nicht zurück. Gedenken Sie ihrer.

Wladimir SIROTININ, Vorsitzender der „Memorial“-Gesellschaft.

Veröffentlicht in: Zusammenarbeit N° 4, 1998


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