Kraslag-Echos
Wir haben wohl erst im Oktober, als das föderale Gesetz „*Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen“ verabschiedet wurde, begonnen, gedanklich zu den düsteren Seiten der Geschichte unseres Landes zurückzukehren. Manche wollen die unangenehme, erdrückende Vergangenheit nicht wieder aufwühlen. Und die Russen sind versöhnlich, vergessen schnell und verhindern das nicht. So haben sie auch in der Gegenwart nicht die Henker Russlands verurteilt und ließen die „begeisternde und organisierende“ Partei erstarken. Und jetzt ertönt noch eine Stimme mit der Forderung, den guten Namen des “Vaters der Völker” wiederherzustellen und sozusagen die „Komplicen“ seiner Willkürherrschaft zu rehabilitieren – Lawrentij Berija und Nikolaj Jeschow (in der Übersetzung etwa „Igel…“ im Sinne von „stachelig“; Anm. d. Übers.). Ehe du dich also versiehst, tauchen schon bald wieder „stachelige Handschuhe“ auf, und es gibt Leute, die sie anziehen.
Und in Erinnerung all der schrecklichen, düsteren Tage sind die verbliebenen, verlassenen Lager des „GULAG“, umwickelt mit Stacheldraht, erhalten geblieben – und Bündel von Personal-Aktenordnen ehemaliger Häftlinge. Rechtlosigkeit und Willkür herrschten in dem totalitären Staat seit den ersten Tagen der Errichtung der Sowjetmacht. Tausende, Millionen Menschen wurden aus ihren Heimatorten vertrieben und in Gefangenenzügen, auf Lastkähnen in die unbekannte Ferne geschickt zu werden.
Geistliche, Kulaken (Großbauern; ANm. d. Übers.), Angehörige der Intelligenz und schließlich auch ganze Nationen wurden in die entlegenen sibirischen GULAG-Weiten vertrieben. Man hatte Geschmack gefunden an den wilden Gegenden der Krasnojarsker Region, um Menschen dorthin zu verbannen und in Lager einzusperren. Ich sehe den vor mir liegenden, schon ganz zerlesenen Pappordner mit persönlichen Akten ehemaliger Gefangener durch: der bekannte Schauspieler Georgij Schschenow (wir erinnern daran, dass ihm Aleksander Lebed im vergangenen Jahr ein Duplikat dieser Akte schenkte), seine Ehefrau Lidia Woronzowa, die Ehefrau des Spions Richard Sorge – Jekaterina Maksimowa, der bekannte Schriftsteller Robert Stilmark, die Schauspielerin des Kiewer Dramaturgie-Theaters Marietta Kapnist… - wer hat nicht alles in der Zeit der Stalinistischen Repressionen in der Holzfällerei arbeiten müssen.
Ganze Bündel von Schnellheftern liegen in den Archiven der Staatlichen Behörde für innere Angelegenheiten verwahrt. Sie wurden Krasnojarsker Journalisten nach dem Ende der Pressekonferent demonstriert.
- Auf dem Territorium unserer Region befanden sich von 1929 bis 1958 an den Orten des Freiheitsentzugs, der Verbannungen und Sondersiedlungen etwa 545.000 Menschen mit 37 Nationalitäten, - erzählte die kommissarische Leiterin der Sonderfonds des Informationszentrums der regionalen Staatlichen Behörde für innere Angelegenheiten.
- Wer hier nicht alles in jenen Jahren war - sowohl die sogenannten Kulaken, als auch die Deutschen aus den ehemaligen Wolga-Republiken, Polen, Kalmücken, Griechen, Finnen und Wlassow-Anhänger.
- Leider ist es nicht gelungen, alle Archive zu erhalten, -setzte die Leiterin der Abteilung zur Beaufsichtigung der Einhaltung der Gesetze bei der Staatsanwaltschaft, Ljudmila Gurskaja, fort, - viele solcher Akten werden aus dem FSB übergeben. Zehntausende Menschen wurden rehabilitiert, so dass auf diese Weise die historische Gerechtigkeit wiederhergestellt wurde.
Die Menschen haben ihre Rehabilitation erhalten, aber wer ist verantwortlich für ihre ungerechtfertigte Erniedrigung, Unterdrückung, die verlorenen Jahre? Ich hörte, wie neulich jemanden zu Dreharbeiten eines Films über sein Leben in Krasnojarsk eingetroffenen Georgij Stepanowitsch Schschenow missbilligte: er hätte besser schweigen, die Vergangenheit nicht schmähen sollen; er hat alles bekommen, was nötig war. Man hätte diese Leute sehen sollen, wie sie sich aufführten, nachdem sie die Strapazen des Norillag durchgestanden hatten, wo tausende unschuldige Menschen umkamen. Heute muss man ganz Russland rehabilitieren und nicht einzelne Bürger. Säubern muss man es von der schrecklichen Vergangenheit, denn mit so einer Geschichte kann das Land sich nicht schücken.
Konstantin Stepanow
„Heutige Zeitung“, 19.10.2000