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Redakteur von Gottes Gnaden

In der gesamten Geschichte des „Krasnojarsker Arbeiters“ haben im Redakteurssessel nicht nur ein Dutzend Menschen gesessen. Es gab Zeiten, wie zum Beispiel im Jahr 1917, da wechselten die Redakteure drei- oder viermal. Und nur ein einziger, Walentin Fedorowitsch Dubkow, hielt sich vier Jahrzehnte auf diesem Posten! Die ersten Sekretäre des regionalen Parteikomitees – und genau von ihrem Willen, aber gelegentlich auch von ihrer Laune, hing es ab, wer dem wichtigsten Presseorgan der Region voranstehenden sollte – kamen und gingen; nur Dubkow blieb auch weiterhin in seinem Amt.

Wie läßt sich dieses Phänomen enträtseln? Anscheinend war er ein fanatischer Liebhaber des Zeitungswesens; er war, wie man sagt, ein Redakteur von Gottes Gnaden.

W. Dubkow wußte nur zu gut um die Kraft des gedruckten Wortes und verstand es, davon Gebrauch zu machen. Wenn die Zeitung erst einmal ein Echo ausgelöst, eine gewichtige Darstellung von einem Produktionsbestarbeiter abgegeben hatte, dann verbreitete sich der Ruhm dieses Menschen in der gesamten Region; nicht selten wurde er dann für eine Regierungsauszeichnung vorgeschlagen, man wählte ihn als Mitglied ins Präsidium, usw. Und wenn die Zeitung scharfe, kritische Artikel abdruckte, oder gelegentlich auch einmal ein Feuilleton, dann „flog“ der „Held“ dieser Veröffentlichung ziemlich schnell von seinem Posten, die Parteimitglieder erhielten eine gehörige „Standpauke“ als Vermerk in die Kontrollbücher und fühlten sich im allgemeinen nach einem derartigen Vorfall äußerst unwohl in ihrer Haut.

Die Wirksamkeit der Presse in jenen Jahren galt als eines der wichtigsten Kriterien, nach denen die Effektivität der Arbeit von Zeitungsjournalisten insgesamt beurteilt wurde. Jede beliebige Einrichtung oder Organisation war verpflichtet, der Redaktion im Verlauf eines Monats Mitteilung über die nach dem Erscheinen der Zeitung ergriffenen Maßnahmen zu machen. Um diese Seite der redaktionellen Arbeit noch zu verstärken, führte W. Dubkow eine besondere Rubrik unter der Überschrift „Von den Zeitungsseiten zur konkreten Sache“ ein. Mit Hilfe von Materialien dieser Rubrik kämpfte die Redaktion nicht nur gegen verschiedene Unzulänglichkeiten, sondern führte beispielsweise auch „gewaltsam“ fortschrittliche Erfahrungen bei der Arbeit ein.

Sehr schade nur, dass ein solches Verständnis, wie die Wirksamkeit von Pressematerial, mit der Zeit aus dem Alltag verschwunden und fast vollständig verloren gegangen ist...

Die Autorität einer Zeitung hängt in erster Linie von denen ab, die dort arbeiten. Bei der Auswahl der Kader irrte sich Walentin Dubkow nur selten. Manch einen behielt er als fest Angestellten, trotz des nicht gerade geringem Risikos, das er damit für sich selbst einging. Ich nenne Nachnamen wie A.I. Schewelew, M.P. Polsunow, W.W. Kirjanow, K.E. Lorenz ... Es ist noch gar nicht lange her, dass sie als „Volksfeinde“ im Lager einsaßen, eine Verbannungsstrafe verbüßten. Der erste war ein „japanischer Spion“, der zweite ein „polnischer“. Kurt Emiljewitsch Lorenz (dessen Artikel unter dem Pseudonym K. Angarskij) gedruckt wurden) war Deutscher; natürlich war er dann auch ein „deutscher Spion“. Ab 1940 arbeitete W.W. Kirjanow in der Redaktion –ehemaliger Aktivist einer „antisowjetischen Jugend-Organisation“ in Ufa. Weiterhin brachte auch der kürzliche Sonderkorrespondent der Zeitung und heutige Schriftsteller N.S. Ustinowitsch seine Essays und Erzählungen in den „Krasnojarsker Arbeiter“ ein, dem noch bis ins Jahr 1963 der Stempel eines „antisowjetischen Elements“ aufgedrückt war.

Im allgemeinen eine ganze Schar von „Spionen“ und „antisowjetischen Elementen“! Um sie in einem festen Angestelltenverhältnis zu behalten, brauchte es ein gehöriges Maß an Mut. Denn bis zum 22. Parteitag, der 1956 stattfand und auf dem die völlig unbegründeten politischen Repressionen entschieden verurteilt wurden, bis zum Jahre 1957, als die erste Rehabilitationswelle durchs Land rollte, war es noch ein, ach, so weiter Weg! Aber W.F. Dubkow behielt ganz offen alle genannten Journalistenin seinem Personalbestand und ermutigte sie auch ganz offen zu guter Arbeit. Denn er erriet mit seinem Spürsinn und Einfühlungsvermögen: es gab keine Sünden und Verstöße, die man ihnen hätte anhängen können, sie alle litten vollkommen unschuldig. So wie er selbst in seinen Jugendjahren gelitten hatte, als man auch ihn als Sohn eines Unternehmers, eines „klassenfeindlichen Elements“ aus der Partei hinausgeworfen hatte.

Die Autorität des „Krasnojarsker Arbeiters“ hielt sich auch in bedeutendem Maße wegen seines Autorenaktivs. An die Zeitung schrieben nicht nur gewöhnliche, ordentliche Leser, die sich ihren Kummer und ihre Sorgen von der Seele reden wollten und in der Zeitung einen wahren Schützer ihrer Interesen sahen (und damit lagen sie ziemlich richtig), sondern auch in der Region bekannte Leute – Parteimitarbeiter, Leiter von Unternehmen, Kolchosen und Sowchosen, Gelehrte, Wissenschaftler, Artisten, also alle, die das Bedürfnis hatten sich auszusprechen. W. Dubkow achtete streng darauf, dass es keine formellen, nichtssagen Antwortschreiben an die Leser gab, sondern dass das Autorenaktiv unaufhörlich mit neuen Kräften ans Werk ging. Die Arbeit der Redaktionsabteilungen hing damals unbedingt davon ab, wieviele und welche Autoren sich auf den Zeitungsseiten befanden.

Dubkow ging noch weiter in diese Richtung. Mitte der 1960er Jahre wurde beim „Krasnojarsker Arbeiter“ auf seinen Vorschlag hin eine Journalisten-Universität mit zweijähriger Ausbildung eingerichtet. Es wurde ein Studienprogramm erarbeitet und in den Druck gegeben. Erster Rektor dieser ungewöhnlichen Bildungseinrichtung war B.A. Tolstonogow; sein Nachfolger war der Autor dieser Zeilen. Zur Arbeit an der Universität wurden Lehrer des Krasnojarsker Instituts für Pädagogik herangezogen; sie traten überwiegend mit Lektionen über die russische Sprache, Stilistik usw. auf. Die Mitarbeiter der Zeitung führten praktische Übungen durch und brachten den Autoren bei, wie man Notizen, Artikel und Essays schreibt...

Einige Absolventen dieser Universität arbeiteten später viele Jahre lang mit der Zeitung zusammen.

Neugierige und rührselige Eigenschaften waren dem Charakter Walentin Fedorowitschs zueigen – das Bestreben, anderen unbedingt etwas Interessantes weiterzugeben, das er selber gelesen oder gehört hatte, die Freude über diese Entdeckungn zu teilen. In dieser Hinsicht erinnerte er irgendwie an einen Dorfschullehrer, der seinen Beruf über alles liebt und bemüht ist den kleinen Kindern Wissen und Vernunft beizubringen. Nachdem er er ein Stück Papier mit notierten Zitaten aus der Jackentasche gezogen und seine Brille auf der Nase zurechtgerückt hatte, sagte er beispielsweise folgendes:

„Ich bin da neulich auf einen interessanten Gedanken gestoßen, den Cicero einmal ausgesprochen hat: „Der größte Wert eines Redners ist es nicht nur das zu sagen, was gesagt werden muß, sondern auch das nicht zu sagen, was unnötig ist“. Ein kluger Spruch, nicht wahr? Man könnte meinen, dass er auf uns Journalisten unmittelbat zutrifft. Also, in der gestrigen Ausgabe ...

Aufgewachsen unter der Sowjetmacht war Walentin Fedorowitsch Dubkow natürlich den kommunistischen Ideen ausgeliefert und war bemüht, diese Ideen im Leben auch zu verwirklichen. Aber das hing in erster Linie von denen ab, die hohe, verantwortliche Ämter innehatten. Nach seinem Verständis bedeutete „Vorgesetzter sein“ – in allem mit gutem Beispiel voranzugehen, sich um die Menschen zu kümmern, sie zu erziehen. Nicht umsonst war unter W.Dubkow etliche Jahre in den Zeitungskolumnen die Rubrik „Chef und Erzieher“ nicht wegzudenken. Die Zeitung berichtete damals detailliert über viele bemerkenswerte Leute, wie zum Beispiel den Leiter der Bauverwaltung des Krasnojarsker Wasserkraftwerks - A.E. Botschkin, die Sowchosen-Direktoren und Kolchos-Vorsitzenden A.F. Weprew, K.D. Schmidt. B.F. Tolasow, W.P. Uss, den angehenden Akademiker L.W. Kirenskij, den Direktor des Kombinats für Eisenbeton- und Metall-Konstruktionen bei der Krasnojarsker Bau-Hauptverwaltung P.I. Rul und viele andere. Es scheint, als ob auch heute noch, nachdem so viele Jahre vergangen sind, niemand von diesen Leuten auch nur ein einziges dummes Wort ausspricht.

Zum Abschluß noch eine Episode die für W.F. Dubkow, sowohl als Mensch, als auch in seiner Eigenschaft als Chef, charakteristisch ist.

Eines Abends, am Vorabend des 7. November-Feiertags, warteten die Arbeiterinnen der Setzerei und der typographischen Anstalt – Linotypistinnen und Layouterinnen – zusammen mit den Journalisten aufden in solchen Fällen üblichen Bericht aus Moskau. Das Warten zog sich hin, und irgendwann schlug jemand vor, gemeinsam ein Fläschchen zu trinken – schließlich stand doch ein Festtag vor der Tür! Sie tranken und wurden lustig. Dann schalteten sie Musik ein und begannen zu tanzen.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Dubkow betrat den Raum. Er warf einen Blick auf die Situation und ging, ohne ein Wort zu sagen, wieder hinaus. Später erfuhren die Mädchen, dass Dubkow, nachdem er in sein Kabinett zurückgekehrt war, den Hörer aufgenommen und den Direktor des Verlages „Roter Arbeiter“, L.W. Askinasi, angerufen hatte.

- Lasar Wladimirowitsch, mit wem soll ich heute meine Zeitung herausgeben, mit einem Gesangs- und Tanzensemble?

Der Ton, in dem das gesagt wurde, verhieß nichts Gutes.

- Was ist denn schon dabei? – versuchte ihn der Verlagsdirektor zu beruhigen. Nachdem er erfahren hatte, was los war, machte er sich sogleich auf den Weg in die Setzerei und erteilte den Nachtschwärmern einen entsprechenden Verweis.

Schließlich kam dann doch noch der Bericht aus Moskau. Er ging in die Setzerei, anschließend zum Layout. Nun können sie alle nach Hause gehen. Aber da klingelt erneut das Telefon. Es ist Dubkow. Er bittet alle Mädchen zu ihm zu kommen – fünf oder sechs Personen, mitsamt der frischgedruckten Zeitung.

Die Mädels bekommen es mit der Angst zu tun. „Jetzt“, - denken sie, - wird er uns mächtig ausschimpfen. Ängstlich betreten sie das Kabinett des Redakteurs. Und was sehen sie da? Auf dem Tisch stehen Champagner, Häppchen und Obst.

- So, nun können wir auch den Festtag feiern! – sagt Walentin Fedorowitsch.- Setzt euch, Mädels!

Sie ließen sich nieder, tranken und lachten über das „Gesangs- und Tanz-Ensemble“....

Komint POPOW
Krasnojarsker Arbeiter, 22.12.2000


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