Das Leben meines Großvaters Josef Filippowitsch Weit ähnelte dem der anderen Deutschen, die 1941 aus dem Gebiet Saratow in das entfernte, kalte Sibirien verschleppt wurden, wie zwei Tropfen Wasser.
Wenn er sich an jene Jahre erinnert, treten ihm die Tränen in die Augen. Ich liebe ihn, er ist mein einziger Großvater. Seine Erzählung habe ich mein Leben lang nicht vergessen.
Ihrem Haus näherte sich ein Auto, die ganze Familie wurde darin verfrachtet und zur Bahnstation gebracht; dort ließ man sie in einen Waggon einsteigen und schickte sie fort ins Unbekannte. Sie nahmen nur ein paar Sachen mit, alles übrige, das sie über die Jahre angeschafft hatten, ging an fremde Leute. Es war schrecklich und demütigend und bitter: weswegen? Sie gerieten in die Region Krasnojarsk, in das Dorf Otschury.
Man brachte sie in einer Wohnung unter, sieben Personen insgesamt – den Hauswirt nicht mitgerechnet. Mein Großvater, damals noch ganz jugendlich, ging zum Arbeiten in die Kolchose, aber im Jahre 1942 holte man ihn in die Arbeitsarmee. Vier Jahre verbrachte er dort. Er mußte viel arbeiten.
Einmal erlaubten sie ihm, für ein paar Tage nach Hause zu fahren. Der Großvater hatte solche Sehnsucht nach Zuhause. Er wollte gern mit den Verwandten noch länger zusammensein und der Mutter helfen. Er wollte nicht zurückkehren an jenen furchtbaren Ort, den man Lager nannte, und dachte überhaupt nicht daran, daß man ihn verurteilen könnte. Aber das Gericht fand statt. Am 13. Mai 1947 schickte man ihn die Angara flußaufwärts ins Lager. Im August 1948, nachdem er freigelassen worden war, kehrte er erneut nach Otschury zurück. In der Maschinen-Traktoren-Station fand er Arbeit. Dort arbeitete er 39 Jahre lang, bis zu seiner Rente, als Traktorist.
Seine zukünftige Ehefrau, Erna Genrichowna, lernte Josef Filippowitsch 1949 in Otschury kennen. Meine Großmutter, ebenfalls eine Deutsche, war ebenfalls der Deportation ausgesetzt. Die beiden heirateten und zogen drei Kinder groß, und bis heute helfen sie sowohl ihren Kindern wie auch den Enkeln. Großmutters und Großvaters Lebensweg war nicht leicht. Ich verneige mich vor diesen Leuten. Sie besitzen so viel Mut, Güte und Liebe. Nicht jedem ist es gegeben, derartige Schwierigkeiten zu meistern und dabei auch noch ein guter Mensch zu bleiben.
Im Dezember 2000 feierten sie ihren 50. Hochzeitstsag. Ein halbes Jahrhundert haben sie zusammengelebt. Ungeachtet aller Schicksalsschläge haben sie soviele Jahre in Liebe und Einvernehmen zusammen verbracht.
Ich versuche nach der Schule durch jene Straße zu gehen, in der meine Großeltern wohnen. Ich find es schön sie zu sehen, wenn sie nebeneinander auf der kleinen Bank sitzen – heiter und lebensfroh.
Olesja DOBYTSCHINA, Dorf Otschury, Region Krasnojarsk.
Sibirische Zeitung plus No. 8 (38) 8/2001 (Zeitung herausgegeben in Nowosibirsk)