Deportierte Deutsche im Kusnezker Kohlebecken
Ab Ende 1941 bis 1943 waren in massivem Umfang deutsche Häftlingstransporte in die Bergarbeiterstadt Prokopjewsk im Gange.
Die Stadt war auf die Aufnahme von so vielen Menschen nicht vorbereitet, und um, vor allem im Winter, nicht umzukommen, gruben die Leute sich selbst ihre Erdhütten aus. Die Wände bestanden aus Erde, es gab keine Fenster, keinen Ofen, keine Tür (stattdessen ein Einstiegsloch, das mit Grassoden zugehängt war), und von oben war die Behausung mit Reisig, Stroh und Erde bedeckt. Den Boden legten sie mit Stroh aus. Die Menschen saßen und schliefen nebeneinander, und je dichter sie zusammengedrängt lagen, um so wärmer war es. 25-30 Leute waren hier gleichzeitig untergebracht, und wenn man berücksichtigt, daß sie jeweils 12 Stunden pro Schicht arbeiten mußten, dann kamen auf jede Erdbaracke 50-60 Bewohner und in 24 Stunden jeweils 2 Mann auf einen Schlafplatz. Der Platzmangel führte zu Verlausung, Kälte und Hunger – zu Erschöpfung, Krankheiten, Erkältungen, Ruhr, Diebstahl und Wahnsinn (die Menschen wurden zu Tieren).
Alles, was man nur irgendwie dazu nehmen konnte, tauschten die Zwangsumsiedler bei den Ortsbewohnern in Lebensmittel um. Schon sehr bald besaßen sie nichts mehr, und die noch vorhandene Kleidung wurde immer schäbiger, bis sie zerriß.
Die deportierten Deutschen wurden für schwerste Arbeiten unter und über Tage benutzt.
Das Sicheingewöhnen in die neuen Bedingungen und das Sichaneignen der schweren, unbekannten Berufe endete für viele mit Erkrankungen. Auch wurde das Meistern der Fertigkeiten bei den Schachtarbeiten nicht gerade von der Art der Zusammensetzung der Verbannten begünstigt – die meisten von ihnen waren Frauen, Kolchosarbeiterinnen, von denen die Mehrheit allenfalls 2 bis 4 Klassen zur Schule gegangen war. Unter denen, die in die Arbeitsarmee mobilisiert worden waren, gab es auch Arbeiter, aber nur wenige, und sogar Beamte – Ärzte, Pädagogen, Krankenschwestern, Buchhalter, Rechnungsführer, Vertreter der schöpferischen Intelligenz. In den Schachtanlagen arbeiteten alle zuerst beom Abtragen der Erdschichten, stützten mit Stempeln die Stollen ab oder verrichteten Tätigkeiten ungelernter Arbeiter. Die Menschen wurden in ihrer eigenen Kleidung in den Schacht geschickt. Bald wurde sie schmutzig, und da es nichts zum Wechseln gab, so wurden die Sachen auch nicht gewaschen. Als damit begonnen wurde, zum Arbeiten eine spezielle Berufskleidung auszugeben, war das allein schon eine große Freude, denn sie war heil und man konte endlich seine eigenen Lumpen wegwerfen. Aber auch jetzt mußten die Menschen in dem Zeug, in dem sie unter Tage arbeiteten, auch schlafen, damit es warm genug war und niemand ihnen die Kleidung stehlen konnte. Ganz besonders freuten sich die Menschen über die Fellschuhe – jetzt hatten sie wenigstens etwas an den Füßen. Bis dahin waren viele in durchlöchertem, mit Draht verschnürtem, zerfetztem Schuhwerk herumgelaufen oder hatten sich kleine hölzerne Brettchen oder Gummiplatten an die Schuhsohlen gebunden, ansonsten waren sie gänzlich barfuß. Und so etwas hatten die Menschen bei jedem Wetter an den Füßen!
Im Sommer 1943 hoben die Arbeitsarmisten bereits Gruben aus, bauten Unterstände und riesige Erdhütten – für Männer, für Frauen, für Frauen mit Kindern und sogar (zum Ende des Jahres) für Familien – mit einem langen Korridor, an den Seiten Zwischenwände, längs und quer verlaufend, und anstelle von Türen gab es Vorhänge, kleine Fenster auf Bodenhöhe, im Durchgangsflur standen Öfen - kleine Kanonenöfen. Die Erdhütten lagen dichtgedrängt beieinander; das ganze Gelände war von einer hohen Einzäunung aus Stacheldraht umgeben, und an den Ecken standen hohe Wachtürme. Die Deutschen wurden von NKWD-Soldaten bewacht.
Zur Arbeit und wieder zurück ins Lager gingen die Deutschen in Reih und Glied, begleitet von Wachen, nachdem sie zuvor namentlich aufgerufen worden waren. Die Kolonne durfte so lange nicht wieder ins Lager zurück, bis alle sich vollzählig versammelt hatten – in Frost, Wind, Regen, Hitze standen sie da und warteten auf denjenigen, der sich verspätet hatte. Ihn zu schlagen wagten sie nicht, denn häufig wurden solche Verspätungen absichtlich von den Begleitwachen organisiert, um die Volksfeinde ganz besonders zu demütigen. In der ersten Zeit war das freie Herumlaufen im Lager verboten – nur bis zur Straßentoilette war erlaubt, und in die Kantine, die sich ebenfalls in einer Erdbaracke befanden, mußten sie stets in Aufstellung gehen.
Und so sah der Tagesablauf in einem der Schachtlager aus:
4.30 h Weckruf
4.45 h politische Schulung
5.25 h Frühstück
6.10 h – 6.50 h Übernahme durch die Begleitwachen, Abmarsch zur Arbeit unter Wachbegleitung, Arbeitszuweisung
7.00 h – 7.30 h Umkleiden und Ausgabe der Grubenlampen
7.30 h – 17.30 h Arbeit im Schacht
17.30 h – 18.00 h Rückgabe der Lampen und Umkleiden
18.00 h Appell zum Sammeln
18.30 h – 19.00 h Rückkehr in die Zone unter Wachbegleitung
19.00 h Ablieferung der Häftlinge in der Zone
19.10 h Essen
19.55 h Abendappell
20.10 h Freizeit
20.30 h Schlafengehen
Für die zweite Schicht verlief der Tagesplan analog. Auf diese Weise standen die Menschen unter einer permanenten Kontrolle. Das alles beeinflußte ihre seelische Verfassung in erheblichem Maße, viele hielten einem derartigen Druck nicht stand.
Die Menschen mußten 12-14 Stunden am Tag arbeiten (mitunter auch mehr), ohne freie Tage, ohne Urlaub. Jeder von ihnen sollte die Norm erfüllen: Männer, Frauen, Halbwüchsige. In den Jahren 1942-1943 wurden die Lagerinsassen gezwungen, ab ihrem 13.-14. Lebensjahr, später ab 18, im Schacht zu arbeiten. In die Schule ließ man die Deutschen-Kinder nicht, denn man war der Meinung, daß die Deutschen ja doch bloß Arbeiter waren, und deswegen wuchs eine ganze Generation Deutscher in der Verbannung mit schlechten Lese- und Rechtschreib-Kenntnissen auf, aber dafür strebten später viele danach, ihren Kindern eine vernünftige Schulbildung zu geben, auch wenn es nur der mittlere, mittlere Fach- oder technische Bildungsweg war.
Lager, die sogenannten „Zonen“, gab es in Jasnaja Poljana, Berjosowaja Roschscha, Tschornaja Gorja, Nismennyj, Tyrgan, Schscherbakow und an andern Orten.
Berjosowaja Roschscha – das war ein ganz besonderes Gelände, wo die Menschen nach einem ganz bestimmten Regime lebten. Die althergebrachten Straßennamen – Straße des NKWD, der Diktatur, des Kommandanten, der Revolution und andere – sprechen für sich.
Die alteingesessenen Siedlungsbewohner (damals war Prokopjewsk noch eine Siedlung) erinnern sich:
In der NKWD-Straße (heute Lenin-Straße) befand sich die Sonder-Kommandantur, wo sich die „Volksfeinde“ zweimal pro Woche melden und registrieren lassen mußten. In dieser Straße wohnten Sowjet-Deutsche, die an irgendwelchen Bauobjekten in der Stadt arbeiteten.
Sie waren in Einzelhäusern untergebracht, sprachen nur gebrochen Russisch und waren sehr reinlich. In jeder Baracke gab es eine Hausfrau, welche die Wäsche wusch, aufwischte und sich allgemein um die Sauberkeit kümmerte. Die Kirow-Straße wurde von Deutschen gebaut.
Es war die Hauptstraße in der Siedlung, gepflastert mit Sandsteinen, die man aus Steinbrüchen geholt und mit Pferden hierhergebracht hatte.
1942-1943 gab es ein Massensterben unter den Deutschen zu verzeichnen, aber der Verlust wurde sogleich wieder mit neuen Häftlingsschüben ausgeglichen. Wenn man sich um die in die Arbeitsarmee mobilisierten Deutschen tatsächlich Sorgen machte, dann nur deshalb, weil sie kostenlose Arbeitskräfte waren. Und so war den meisten Schacht-Leitern das Schicksal der Menschen einfach nur gleichgültig.
Das Arrestanten-Dasein der Deutschen in den Lagern ging so bis 1945-1946, bis man damit anfing, Wlassow-Anhänger, kriegsgefangene Hitlerianer, Japaner, verbannte Ukrainer und Bessaraber nach Prokopjewsk zu bringen.
In der ersten Zeit ihre Verbannung wurden die Deutschen in der Arbeitsarmee schlechter als Tiere verpflegt, aber man konnte sich an dieser Brühe auch auch noch nicht einmal sattessen. Das Massensterben hatte solche Ausmaße, daß in jedem Lager Bestattungskommandos geschaffen wurden, die es bisweilen, besonders im Winter, nicht schafften, alle Verstorbenen zu beerdigen.
1944 verbesserte sich das Leben der Arbeitsarmisten ein wenig. Sie bekamen jetzt Pakete mit Kleidung und Lebensmitteln von ihren Verwandten. Bis dahin war der Erhalt von Briefen und Paketen verboten gewesen.Die Zwangsumsiedler bauten sich Baracken und begannen die Lagerzonen zu verlassen. Allerdings wurden solche Rechte nicht allen gewährt, sondern nur jenen, die zum Gruppenleiter ernannt worden waren, also zum Ältesten der Erdhütte, der Bridade, des Kommandos, die sich von den anderen durch gleichmäßige Bestarbeit unterschieden hatten.
Solche Leute bekamen besseres Essen und bessere Kleidung, aber am Wichtigsten und Wertvollsten war für alle zu jener Zeit die Entlassung aus dem Lager, die Befreiung von der ständigen Wachbegleitung. Die Menschen gewannen ein gewisses Vertrauen in die Behörden.
1944 wurde einzelnen Verbannten erlaubt, die Wiedervereinigung mit ihren Familien durchzuführen, und auf ihre Einladung hin kamen die Familienmitglieder nach Prokopjewsk, wo sie sich für gewöhnlich zunächst ohne den Verbannten niederließen – sie oder er lebten vorerst noch weiter in der Lagerzone. In der zweiten Hälfte des Jahres 1944 wurden Baracken gebaut, und dorthin wurden dann aus den Lagern die Familienmitglieder und Eltern mit Kindern umgesiedelt.
In den ersten Nachkriegsmonaten verbesserte sich die Lage der Arbeiter deutscher Nationalität. Im November 1945 wurden die Instruktionen des Volkskommissariats für Kohle-Industrie und des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten der UdSSR vom 13. November 1943 vollständig aufgehoben, überall in den Trusts wurden die Sondertrupps und Sonderkolonnen als strukturelle Einheiten liquidiert, in denen die mobilisierten Deutschen vereint gewesen waren.
Es entstanden neue deutsche Straßen und Siedlungen, welche die Bezeichnungen der Kolonien bekamen: Nischnjaja, Werchnjaja, Nemezkaja, Sachalin, Wantschewa, Gornaja und andere. Im Juni 1947 erhielten die Kader-Abteilungen der Kohle-Unternehmen den Befehl, mit den mobilisierten Deutschen eine dreijährige Vereinbarung zu treffen, die deren Personalbestand an Arbeitern, gleichberechtigt mit anderen mobilisierten Personen, sicherstellen sollte. Zu dieser Zeit arbeiteten in der Kohle-Inustrie des Kusbas (Kusnezker Kohlebecken; Anm. d. Übers.) 7577 Arbeiter deutscher Nationalität. Auf Beschluß des Ministerrates der UdSSR vom 4. Dezember 1948 legte man für sie, ebenso wie für andere Kategorien von Umsiedlern, die ebenfalls zum Kohlenbergbau im Kusbas-Gebiet mobilisiert worden waren, die lebenslange Zwangsansiedlung am Ort ihrer Verbannung fest. Am 1. Januar 1953 befanden sich im Gebiet Kemerowo 121 598 Personen deutscher Nationalität im Zustand der Sonderansiedlung, einschließlich jener, die in den Schachtanlagen der Region arbeiteten.
Das Zentral-Komitee der Allrussischen Kommunistischen Partei der Bolschewiken beschloß, die Deutschen nicht wieder zurückgehen zu lassen, sondern dieses Arbeitskräfte-Potential an den entsprechenden Orten zu behalten. 1946 wurden überall Sonder-Kommandanturen geschaffen, in der jeder über 16 sich regelmäßig registrieren lassen mußte, damit niemand die Flucht ergriff. Anfangs einmal pro Woche, dann alle 10, alle 15 Tage und schließlich nur noch einmal im Monat. Jeder Person wurde ein möglicher Aufenthaltsort zugewiesen. Falls jemand außerhalb des genau bestimmten Bezirks gesehen und gefaßt wurde, so wurde dieser Tatbestand mit Fluchtversuch gleichgesetzt und mit 20 Jahren Zwangsarbeit bestraft.
Ab 1954 begann überall der Prozeß der Freilassung von Deutschen aus der Sonderansiedlung. Entsprechend dem Beschluß des Ministerrates der UdSSR vom 3. Juli 1954 wurden nun einige Beschränkungen der gesellschaftlichen Rechte nun von den auf dem Territorium der Region Kemerowo lebenden Siedlern, darunter auch den deutschen, zurückgenommem. In Übereinstimmung mit der Verordnung des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 13. Dezember 1956 wurden mehr als 41000 Menschen aus den Melderegistern ausgetragen.
Im August 1954 wurden alle verbliebenen Sonderansiedler aus den Melelisten entfernt, aber für die Deutschen zog sich diese Prozedur faktisch bis Mitte 1956 hin.
Das hier vorliegende Material wurde vom Prokopjewsker Zentrum für deutsche Kultur, Gebiet Kemerowa, zusammengestellt.
Sibirische Zeitung plus No.8 (38) 8/2001
(Zeitung, herausgegeben in Nowosibirsk).