Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Русский

Und der Vater hat dort die Sonne gesehen

Zu uns ins Haus kam ein Brief aus Togul von Jelena Johannowna Bersch. Er enthielt einen Gruß aus der Ferne, der uns – die gesamten Generationen der Rußland-Deutschen – in jene schreckliche, sogenannte Zeit der „Arbeitsarmeen“ zurückversetzte. Der Gruß eines Menschen, der seine Familie, sein Leben liebte. Ein Gruß – ein Abschied.

„Nach der Zwangsumsiedlung der Deutschen von der Wolga nach Sibirien im Jahre 1941 geriet unsere Familie nach Togul im Altai-Gebiet. Im Januar 1942 wurde unser Vater, Johannes Schwabauer, zur Arbeitsarmee weggeholt. Im Dezember desselben Jahres wurde auch ich zwangseinberufen. Im Frühjahr 1943 bekam ich vom Vater einen Brief, in dem er sein bitteres Bedauern darüber ausdrückte, daß auch mir jenes Los widerfahren war. Und er schickte mir ein Gedicht. Er konnte lesen und schreiben, war zur höheren Schule gegangen und hatte auch schon früher kleine Erzählungen und Verse verfaßt. Das Gedicht hatte er mir, seiner 18-jährigen Tochter, gewidmet.

„HOFFNUNG“

Goldener Sonnenschein
Strahlt in den Wald hinein
Wirft dunkle Schatten
Auf grüne Matten
Fröhlicher Vogelsang
Heimischer Glockenklang
Leichtern das Herz
Lindern den Schmerz
Hoffnun ergreift mich
Mutig und kräftig
Zieht mich zum Leben
Mit krampfhaftem Streben
Einst über Nacht
Frieden erwacht
Hörets, meine Lieben,
Wir sehen uns wieder.
Nach allen Übel Wehn
Freudiges Wiedersehn,
Frohes Zusammensein
Im stillen Daheim.

In jenem Jahr 1943 starb der Vater. Er verschied im Juni – seinem Geburtsmonat im Alter von 48 Jahren beim Holzfällen in der Region Perm. Ich arbeitete im Kirowsker Gebiet, ebenfalls in der Forstwirtschaft, und habe in jenem Wald nur schreckliche Bäume und schwarze Wolken von Mücken wahrgenommen. Aber der Vater hatte die Sonne und Blumen gesehen und den Gesang der Vögel gehört!“

Sibirische Zeitung plus No. 10 (40), 10/2001 (Zeitung, herausgegeben in Nowosibirsk)


Zum Seitenanfang