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Keine Anklage, keine Haftstrafe, kein Recht auf Leben

Was es mit dem KrasLag auf sich hat

Ihr wurdet aufgrund von Denunzierung verhaftet,
Wegen irgendeiner bloßen Vermutung.
Ohne offizielle Anklageschrift, einfach so.
Und die Gulags, das Siblag, Karlag, Kraslag
Und andere Lager haben euch gierig verschlungen.

Ein Oberleutnant schuf das KrasLag innerhalb eines Monats. Dann fuhr er nach Moskau zur Beförderung. In jenen Jahren entstammten die Wörter „Beförderung“ (povyshenie) und „Höchststrafe“ (vyschka) ein- und derselben Wurzel.

Aus einem Befehl vom 23. Januar 1938: „Die Organisation der Verwaltung des Krasnojarsker Umerziehungs- und Arbeitslagers beim NKWD der UdSSR mit Sitz in Kansk gilt als vollzogen ... Die vorübergehende Erledigung aller Pflichten eines Leiters der KRASLAG-Verwaltung hat gemäß der erteilten Vollmacht der Oberleutnant der Staatssicherheit – A.P. Schischmarew – auf sich genommen“.

Möge die nicht sonderliche hohe Rangbezeichnung Andrej Schischmarews niemanden in Verwirrung bringen. Erstens entsprach ein Oberleutnant bei den Behörden dem Rang eines Majors in der Armee. Zweitens war Schischmarew ein Spezialist mit langjähriger Berufserfahrung. Er hatte an der Verteidigung Zarizyns teilgenommen und gegen Koltschak gekämpft. Nach dem Bürgerkrieg war er Kommissar bei der Tscheka, Assistent des Leiters der Sonderabteilung der Primorje-Armee. Danach wurde er Experte bei der Errichtung und Organisierung von Lagern. Fernost, Mittel-Asien, West-Sibirien ... Und überall war er, Schischmarew, Leiter der Lager-Verwaltung. Das KASLAG schuf der Oberleutnant in weniger als einem Monat, und am 17. Februar reiste er nach Moskau, um seine Beförderung entgegenzunehmen. Da plötzlich verlieren sich seine Spuren, - denn in jenen Jahren entstammten die Wörter „Beförderung“ und „Höchststrafe“ ein- und derselben Wurzel.

Das Kraslag – ein klassisches Holzfäller-Lager – vereinigte in sich die Abteilungen und Lager-Außenstellen in mehrern Bezirken im Süd-Osten der Region. Es waren keine großen Lager (600-800, selten mehr als tausend Häftlinge), aber sie vermehrten sich in rasantem Tempo. Insgesamt waren in jenem Januar 1938 bereits 23 Lageraußenstellen in den Bezirken Ilansk, Atschinsk und Irbej in Betrieb. Im April tauchten weitere fünf Lager auf, die zum bestand der Sajansker Abteilung gehörten.

Die ersten Häftlingsetappen kamen aus den Gefängnissen des Primorje-Gebiets, aus Chabarowsk, Tschita und der Ukraine, und zum April 1938 hatte das Gefangenen- „Kontingent“ bereits eine Anzahl von 9224 Personen erreicht. Zum ersten Januar 1939 waren es bereits 28.000. Und sie holzten 1.312.000 Kubikmeter Wald ab. Mit Hilfe von 2074 Pferden, 84 Traktoren, 50 Kraftfahrzeugen und, um es mit den Worten Solschenizyns auszudrücken – mit jeder Menge Furzqualm.

Danach brachten sie Menschen aus Alma-Ata und Semipalatinsk. Später, in den Jahren 1939 und 1940 Häftlingstransporte aus Leningrad und dem mittleren Rußland. Zum Januar 1941 gab es 17829 „Holzfäller“. Die überwiegende Mehrheit – „Volksfeinde“. Sie fällten Bäume und wurden selbst von Hunger, Pellagra und Ruhr umgehauen. Nach Angaben der Gesellschaft „Memorial“ dürfte die Sterblichkeitsrate in jenen Jahren 7-8% betragen haben. Was auch nicht verwunderlich ist, wenn man die körperliche Schwerstarbeit mit der für einen Gefangenen üblichen, täglichen Verpflegungsnorm in Zusammenhang bringt: 400 Gramm Brot, 70 Gramm Graupen, 90 Gramm Fleisch (achtmal im Monat), 150 Gramm Fisch (an 22 Tagen im Monat), 600 Gramm Gemüse und Kartoffeln. Viele Gefangene verkauften ihre Brot-Ration, besonders in den Kriegsjahren.. Und sie waren es, die dann letzendlich auch starben.

Im Sommer 1941 wurden viele tausend Mann zählende Häftlingsetappen aus Litauen ins KrasLag getrieben, vor allem Leute, die zwischen dem 13. und 19. Juni 1941 verhaftet worden waren. Viele von ihnen starben in den Jahren 1941-1942. Erst Ende 1942 und Anfang 1943 wurden durch eine gerichtliche Sondersitzung ihre Anklageschriften „erstellt“, so daß zahlreiche Litauer erst offiziell verurteilt wurden, nachdem sie bereits verstorben waren. Die Überlebenden bekamen zwischen fünf und zehn Jahren Lagerhaft aufgebrummt, manche wurden im Kansker Gefängnis erschossen.

Im Archiv des Kraslag wurden eine Menge interessanter und schrecklicher Dokumente aus jenen Jahren verwahrt. Die Resolution einer „Trojka“, geschrieben auf einem Fetzen Zeitungspapier: erschießen! Ein Traktorist aus irgendeinem gottverlassenen Provinznest denunzierte einen anderen, indem er ihn angeblicher Kontakte zur englischen Spionageabwehr beschuldigte. So eine Aussage genügte bereits.

Im Januar 1942 trieben sie mehrere tausend Wolga-Deutsche ins KrasLag. Sie hatten weder einen Paragraphen, nach dem sie angeklagt worden waren, noch eine offizielle Haftstrafe, aber sie waren eben Deutsche, und genau das gab den Anlaß. Alle wurden in separaten Lagerzonen untergebracht, aber hinter demselben Stacheldrahtzaun, mit denselben Wachmannschaften, Baracken, Essensrationen und Krankheiten – nur daß das hier alles als „Trzdarmee“ bezeichnet wurde. Äußerst erstaunlich ist der Tatbestand, daß in den „Trudarmee“-Zonen die Partei- und Komsomolzen-Organisationen immer noch funktionierten, obwohl neue Mitglieder darin nicht aufgenommen werden durften. Die Deutschen wurden 1946 aus dem KrasLag entlassen ... in die Verbannung.

In Reschoty (1948 wurde die Verwaltung dorthin verlegt) arbeiteten auch japanische Kriegsgefangene. Vor vier Jahren wurden ihre sterblichen Überreste, ihre Asche, aus sämtlichen Grabstätten feierlich in die Heimat gebracht, ins Land der aufgehenden Sonne.

Bis zum Jahr 1950 hatten mehr als hunderttausend Gefangene das KrasLag durchlaufen. Ungefähr die Hälfte von ihnen war aufgrund politischer Paragraphen verurteilt worden. Dann kam die Rehabilitation der Politischen. Fast alle Häftlinge, die unter Stalin in die Lager geholt worden waren, gingen in die Freiheit, und aus den Gefangenen-Kolonien wurden Kolonien für reine Straftäter.

Wladimir Kowalew
„Der Augenzeuge“ N° 5
4. Februar 2003


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