Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

„Müssen vernichtet werden…“

Das Schicksal der Kosakenschaft

Seit jeher gab es im Süden Sibiriens Kosaken-Siedlungen und Vorposten, die zum Minussinsker Kosaken-Bezirk gehörten, und alle Kosaken, die für den Militärdienst tauglich waren, leisteten ihn in der separaten Krasnojarsker Kosaken-Division mit Zentrum in der Stadt Krasnojarsk ab. So verhielt es sich beinahe zwei Jahrhunderte lang, bis es in Russland zum Umsturz des Jahres 1917 kam, der später die Bezeichnung Große Sozialistische Oktober-Revolution bekam.

Vor einiger Zeit erhielt ich die Möglichkeit, mich mit den Materialien einiger Archiv-Strafrechtsakten der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts vertraut zu machen. Ohne auf die Wahrheit in allerletzter Instanz Anspruch zu erheben, halte ich es für notwendig, den Lesern die Wahrheit über die tragische Zeit im Schicksal der Jenisseisker Kosakenschaft zu erzählen. Folgendes konnte ich beim Durchblättern der Archiv-Seiten in Erfahrung bringen.

… Am 27. April 1933 übergab die OGPU das Material ans Gericht. In der Akte stand, dass Dank der Wachsamkeit der Tschekisten im Süden der Region West-Sibirien „eine aufständische, weißgardistische Organisation aufgedeckt“ wurde, zu der Zellen gehörten, die in mehr als zwanzig Ortschaften gelegen waren. Unter die Akte fielen insgesamt 198 Personen, die alle verurteilt wurden. Laut Urteil des Sonder-Kollegiums wurden 42 Menschen zum Tod durch Erschießen verurteilt, 79 Bürger erhielten zwischen 10 und 25 Jahren Erziehungs-/Arbeitslager, die restlichen aus dieser Gruppe wurden zu 3 bis 5 Jahren Besserungsarbeit verurteilt. Man muss zugeben, dass die Anklagen, die gegen diese Personengrupp erhoben wurden, äußerst schwerwiegend waren: bewaffneter Sturz der Sowjetmacht, Aufhebung des Entzugs des Wahlrechts, Aufhebung der Getreide-Zwangsabgabe, Auflösung und Schließung der Kolchosen und andere, nicht weniger schwerwiegende ,Verbrechen.

In dem Aktenmaterial wurde eine kurze historische Auskunft entdeckt, in der es heißt: „In den Jahren des Bürgerkriegs in Sibirien trat die Jenisseisker Ksakenschaft in ihrer überwiegenden Mehrheit für die weiße Bewegung ein und sollte infolgedessen mit der Wurzel ausgerottet und vernichtet werden“. Die vorliegende Instruktion wurde mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ausgeführt, die im Arsenal der OGPU vorhanden waren. So wurden all diese “weißgardistischen Untergrund-Zusammenschlüsse und –Zellen“ aufgrund einer merkwürdigen Übereinstimmung ausgerechnet an den Orten entdeckt, in denen Jenissei-Kosaken lebten.

Die Anschuldigungen, die gegen sie erhoben wurden, waren geschrieben, als ob sie voneinander kopiert worden wären. Gegenüber denen, die hartnäckig blieben und ihre Schuld nicht zugaben, wurde das „Fließband-Verhörsystem“ angewandt“, die Verhafteten krepierten vor Hunger, wurden geprügelt, 12-15 Stunden lang an einen glühend-heißen Herd gestellt und nicht schlafen gelassen. Das Foltersystem war äußerst raffiniert. So zeigte M.F. Baikalow, der die Hölle der Stalinistischen Lager durchlaufen hatte, im Protokoll eines wiederholten Verhörs aus dem Jahr 1956, welche Art der Folter ihm gegenüber angewendet wurde: „Ich kann mich noch gut an die Verhöre des NKWD-Ermittlungsrichters Chochlow erinnern, der einem einen Bindfaden um den Kopf band und dann mit Hilfe eines Stocks das Band stramm drehte. Gefangene gab es ständig. Viele konnten nach dem Verhör nicht mehr selbständig in ihre Zelle zurückgehen, sie wurden dorthin geschleift…“ Es gibt Aussagen eines anderen, unversehrt gebliebenen GULAG-Häftlings – J.N. Baikalow: „Die Untersuchungsrichter Buda und Chochlow prügelten mich, den im klirrenden Dezemberfrost splitternackt Entkleideten jeden Tag; sie ließen mich im eiskalten Keller stehen, schalteten elektrischen Strom ein. Nach vierzehn Tagen hielt ich es nicht mehr aus und unterschrieb, was sie vorbereitet hatten, dabei hatte ich doch gar keine Verbrechen begangen…“

Nach meinen Informationen, die ich als Ergebnis einer Befragung von Alteingesessenen erhielt, wurden allein in der Kosaken-Siedlung Monokskaja (heute die Ortschaft Bolschoi Monok im Bezirk Beisk, Chakassien) mehr als hundert Personen verhaftet. Dabei setzten die Verhaftungen und Erschießungen der Kosaken schon lange vor den traurig-berühmten dreißiger Jahren ein. So wurden bereits im Frühjahr 1920 in der oben genannten Kosaken-Siedlung die sechs geachtetsten Kosaken, die auch über die größte Autorität verfügten, erschossen; sie hatten in verschiedenen Jahren in der Krasnojarsker Kosaken-Division gedient. Mittlerweile hat man ihre Namen ermittelt, und erst vor kurzem hat man aufgrund der Bemühungen und aus Mitteln der Kosaken von Abakan, Krasnojarsk und einer Reihe anderer Unterabteilungen der Jenisseisker Kosakenschsft zum Gedenken an die unschuldig umgekommenen Kasaken aus Monok, ihre Kinder, die ihre Köpfe an den Fronten des Großen Vaterländischen Krieges verloren, auf dem Territorium der Bolchemonoksker Verwaltung ein sieben Meter hohes orthodoxes Gedenk-Kreuz aufgestellt, auf dem die Familiennamen aller Kosakengeschlechter, die hier gelebt haben. Es ist übrigens das erste und einzige Zeichen des Gedenkens auf dem Territorium eines ganzen Bezirks, welches zum Gedenken an die Vernichtung der Jenisseisker Kosakenschaft errichtet wurde.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Staatsmacht in Bezug auf die Jenisseijsker Kosakenschaft eine Politik des Genozids verfolgte. Eine riesige Anzahl Jenisseisker Kosaken-Familien wurde in die Verbannung verschleppt, in entlegene, völlig ungeeignete Orte im Norden der Region Tomsk, wo im ersten Sommer ein Drittel aller Verschleppten an Hunger, Kälte und Krankheiten starb.

Viele der Jenisseisker Kosaken verbüßten ihre Haftstrafen in den Lagern von Kolyma, im DalLag, SewUralLag und an andern schrecklichen Orten. Aber es gelang nicht, sie alle zu zerbrechen. Selbst unter diesen schrecklichen Bedingungen setzen sie den Kampf um ihre Befreiung fort. In dieser Hinsicht ist das Schicksal eines weiteren Kosaken besonders charakteristisch – das Schicksal des Michail Fjodorowitsch Baikalow, Sohn des Stabs-Trompeters des Jenisseisker Kosaken-Regiments F.I. Baikalow. Nach Verbüßung der ersten Strafe am Weißmeerkanal im Herbst 1937 kehrte Michail Baikalow nach Hause zurück, wurde aber bereits am 4. Dezember 1937 aufgrund einer erlogenen Sache „Über die Gründung einer aufständischen Gruppierung, antisowjetischer Agitation usw.“, erneut verhaftet. Das Ermittlungsverfahren wurde von Leutnant Potapow geleitet, der übrigens in den dreißiger Jahren keine schlechte Karriere machte. Zu seinen Interpretationen gehörte es, dass die Menschen, die es verstanden im Lager am Leben zu bleiben, mit ihrer Tätigkeit nicht aufhörten, sondern wieder Formierungen zusammenstellten, deren Ziel nicht mehr und nicht weniger als die „Beseitigung der Sowjetmacht in den einzelnen eingenommenen Bezirken“ war. Zum Anführer dieser „aufständischen“ Gruppe machte er den den Offizier der Zarenarmee Peter Nikolajewitsch Kolossowskij, der in jenen Jahren als Dorfschullehrer tätig war.

Im Aktenmaterial entdeckte man einen Brief, den der verurteilte Baikalow aus seinem Haftverbüßungsort an Stalin und Jeschow schickte. In diesem Brief schrieb er, dass er ungerechtfertigt verurteilt worden sei und seine Schuld nicht hatte bewiesen werden können. Doch der Brief erreichte Stalin nicht, sondern gelangte in die Lagerbehörde des Nord-Ural; seine Akte wurde zur Nachuntersuchung weitergeleitet und geriet erneut in die Hände… des Ermittlungsrichters Potapow. Der „fand“ sehr schnell Zeugen, die bestätigten, dass Baikalow „Agitation gegen die Staatsmacht betrieb“. Heute sind ihre Namen bekannt, aber ich werde sie hier nicht nennen, denn sie haben Kinder und Enkel, die keinerlei Schuld an den an ihren Großvätern begangenen Ungerechtigkeiten tragen. Und der gefangene Baikalow wurde zur Lagerleitung bestellt, wo ihm verkündet wurde, dass „kein Grund zur Überprüfung seines Falles vorliege“. Und so verbrachte er noch weitere lange sieben Jahre in Lagern und kam erst 1947 frei.

Sergej Baikalow, Podesaul (Kosaken-Offiziersrang; Anm. d. Übers.),
Assistent des Atamans des Sajaner Kosaken-Bezirks

„Krasnojarsker Arbeiter. Freitag“, 08.08.2003


Zum Seitenanfang