Im „Krasnojarsker Arbeiter“ vom 5. November las ich einen Artikel von Vitalij Kosatschenko mit dem Titel „Das Bauprojekt N° 503 – die Todesstrecke“.
Der Autor hat nichts darüber berichtet, wie die von den Lastkähnen und Dampfern abgeladenen Menschen von einem Massensterben heimgesucht wurden, wie man sie auf dem Eis des Jenisej aufstapelte und wie im Frühjahr das schmelzende Treibeis die Leichen in den Ozean hinaustrug. Einer der Häftlinge war der Deutsche Iwan Dawydowitsch Gilgenberg. Zu jener Zeit war er ein junger Bursche, der von der Lagerköchin „warmgehalten“ wurde, die ihn – unbemerkt von allen anderen – heimlich mit Essen versorgte. Iwan überlebte. Als Stalin starb wurden alle entlassen. Aber Gilgenberg hatte mit der Köchin bereits ein paar gemeinsame Kinder. Und da ließ Chruschtschow den Kampfesruf ertönen: „Repressierte, tretet in die Partei ein!“ Iwan Dawydowitsch tat es. Für seine gute Arbeit schickten sie ihn auf die Sowjet-Parteischule in Krasnojarsk, wo er den Beruf des Agronomen erlernte.
In Schuschenskoje traf er mit seiner Ehefrau und den Kindern ein. Zwanzig Jahre arbeitete er als Agronom, erhielt den Titel „Verdienter Agronom Rußlands“, wurde Ehrenbürger von Schuschenskoje. Eines seiner Kinder reiste nach Deutschland aus, aber Iwan blieb.
Inzwischen ist Iwan Dawydowitsch 76 Jahre alt. Die schlimmsten Erinnerungen an sein Leben sind das Abladen der Menschen ans eiskalte Ufer und die vielen, vielen Leichen, die in der Nacht darauf, alle ans Tageslicht kamen ...
P. FORIS, Schuschenskoje
„Krasnojarsker Arbeiter“, 10.12.2004