Am 4. August kam eine Prüfungskommission aus Igarka nach Jermakowo, bestehend aus Funktionären der Miliz und Mitarbeitern des „Museums des ewigen Frostes“. Ihnen bot sich das Bild eines herrlichen Arbeitsalltags: am Ufer steht die „Angara-88“ mit einem Lastkahn, ein Kran mit Raupenketten ist in vollem Betrieb, ein Bulldozer und ein Traktor für Schwertransporte; eine Brigade aus mehreren Männern versucht, auf Schienen die nächste Lok auf den Schlepper zu ziehen. Sie, die Lok, sieht kläglich aus, irgendwie zerzaust, ohne Schornstein, völlig verschmutzt, kaum zu sehen wegen des beharrlich weiterarbeitenden Bulldozers. Die Lokomotive war zuvor vom ehemaligen Lokomotiven-Depot 5 km weit an den Rand des Ufers gezogen worden. Heute nun wurde sie gesäubert von dem ganzen Gerümpel, das sich während des Eisgangs angesammelt hatte - und sie hielt eine Überraschung bereit: die Wagenschmiere an den Rädern war selbst nach 50 Jahren noch so gut erhalten, daß sie ganz leicht rollten.
Wie die Arbeiter berichteten, sind sie dort auf Anweisung des Geschäftsführers des Kurejsker Wasserkraftwerks tätig, die Arbeiten werden auf Kosten des Joint-Stock-Energieunter-nehmens „Tajmyrenergo“ durchgeführt. Und der Leiter des Wasserkraftwerkes, W. Badjukow, bekam seinerseits den Hinweis vom führenden Kopf des turuchansker Kreises, S.G. Jurtschenko, daß angeblich zwei Lokomotiven laut Absprache im Krasnojarsker Depot für 4 Millionen Rubel repariert und restauriert werden und anschließend an Museen gehen sollen (allerdings an welche genau, das ließen die Leiter nicht verlauten). Ob die erwähnten Anordnungen tatsächlich existieren, wann und auf welcher Grundlage sie herausgegeben wurden, das werden die weiteren Nachforschungen zeigen.
Gerüchten zufolge befaßt sich eben in dieser Siedlung Swetlogorsk, in der sich das Wasserkraftwerk befindet, einer der Unternehmer mit der Abfuhr des „Metallschrotts“ aus Jermakowo, und Auftraggeber für die Lokomotive ist entweder eine nowosibirsker Expeditionsfirma oder eine andere Organisation aus Nowosibirsk. Die erste forttransportierte Lok befindet sich jetzt in Swetlogorsk auf einem Lastkahn.
Anhand der von verschiedenen Zeugen gesammelten Informationen wird deutlich, daß die Arbeiten zur Ausplünderung der historisch-architektonischen Zone in Jermakowo bereits seit langem sorgfältig geplant waren, und das nicht nur von einer Person, sondern von einer ganzen Gruppe, nach dem Motto „wer bekommt – was“. Im August 2004 hielt sich eine Expedition des „Museum des ewigen Frostes“ in Jermakowo auf und führte dort Fotoaufnahmen durch. Alle wichtigen Objekte befanden sich an ihren Plätzen. Aber bereits Ende September tauchte am Ufer eine auf der Seite liegende Lokomotive auf, die 5 km weit bis hierher geschafft worden war. Wenn man danach urteilt, daß es an der Stelle des ehemaligen 50-jährigen Standortes des „Schäfchens“ keine beschädigten Bäume oder Schleifspuren gab, hat man die Lok wohl eher mit Hilfe eines Hubschraubers vom Typ Mi-6 oder Mi-26 umgesetzt (was sehr gut möglich ist bei den Handlungsweisen des Ministeriums für Ausnahmezustände oder des Erdöl- und Erdgas-Unternehmens „Wankorneft“). Das gesamte Territorium dieses Teils der Siedlung ist der Länge nach, aber auch querverlaufend, zuschanden gefahren, und anstelle der einen hier vorhanden gewesenen Straße sieht man jetzt eine ganze Anzahl, die in verschiedene Richtungen verlaufen. Von der großen Anzahl an Metallkonstruktionen, Schienen, technischen Überbleibseln und sogar mehreren Kuttern am Ufer ist nicht eine einzige Spur zurückgeblieben. Die „Schrott“-Sammler haben sich hier schön auf unredliche Art und Weise bereichert.
Wenngleich die restaurierten Loks offensichtlich nicht für die Rückkehr nach Jermakowo oder Igarka bestimmt sind, ist es dennoch angenehm zu wissen, dass das Ziel dieser Untergrundaktion angeblich doch Museen sind. Es verhält sich also so, dass hier keine Diebe am Werk waren, sondern vielmehr „Wohltäter“, die der Anblick der ungepflegten Lokomotiven, Zeugen der Lager-Großbaustelle 503, nicht gleichgültig läßt! Na, das freut einen ja!
Wenn aus der Überraschung nun schon nichts geworden ist, dann unterstützen wir diese gute Idee – zwei Lokomotiven (vielleicht auch drei) in Krasnojarsk zu restaurieren und eine davon auf einem schönen Postament in Jermakowo und die zweite in Igarka aufzustellen, wo auch die Trasse nach Jermakowo ihren Anfang nahm – und weiter bis nach Salechard. Und auf wessen Konto geht die Restaurierung? Auch auf das Konto jener turuchansker Manager, die die Ausführung dieser Arbeiten geplant haben? Denn von Diebstahl kann hier ja wohl nicht die Rede sein? Übrigens, mit dem bereits abgefahrenen „Metallschrott“ läßt sich scheinbar kein schlechter Verdienst machen. Und der Igarsker Museumskomplex für Heimatkunde wird sehr dankbar für ein solches Geschenk sein (das bereits 2001 von Lebedew und dem Ministerium für Verkehrswege geplant war) und dies auf Messingtafeln lobend erwähnen. Und in der breiten Presse.
Allerdings bleibt noch eine Reihe von Fragen übrig. Zum Beispiel, mit welcher Begründung im September 2004, als gerade eben eine Kampagne zur Durchführung eines Referendums über die Eingliederung Igarkas in den turuchansker Kreis in Gang gesetzt wurde, die Arbeiten für den Abtransport der Lokomotiven aus Jermakowo durch hochrangige Beamte sanktioniert wurden, dem Territorium, das dem Igarsker Stadtsowjet unterstellt war? Und warum hatten von September 2004 bis August 2005 weder die führenden Köpfe von Igarka, noch die igarsker Museumsmitarbeiter die leiseste Ahnung von irgend jemandes Liebe zu den Museumsschätzen und dessen Bestreben, die historischen Exponate zu erhalten?
Die Arbeiter aus Swetlogorsk selbst, die mit dem Abtransport der Lokomotiven befaßt waren, sind schon ganz und gar nicht erfreut darüber, dass ihnen dieses Los zugefallen ist, aber als Menschen aus dem Untergrund sind sie dazu verpflichtet, die Befehle der übergeordneten Leitung auszuführen.
Die erste Lok verließ das jermakowsker Ufer am 15. Juli, aber die Ereignisse entwickeln sich hier wie in einem Thriller. Einer der Arbeiter verstarb ganz plötzlich. Der zweite kam auf ebenem Gelände zu Fall und erlitt einen Schädelbruch – man mußte den Sanitäter holen. Ganz plötzlich sind diese beiden Ballons geplatzt. Einmal, an einem regnerischen und kalten Tag, sammelten sich über der Arbeitsstelle dunkle Wolken; es entlud sich ein nie dagewesenes Gewitter; ein Wolkenbruch ging hernieder, und wie die Arbeiter selbst sagen – „all das war so schrecklich, dass wir dachten, der Weltuntergang sei gekommen“. Und sie fügen noch hinzu: „Wir verstehen schon von allein, dass wir faktisch auf einem Friedhof arbeiten, und von einem Friedhof darf man nichts fortnehmen“. Und da trieb es auch schon die igarsker Miliz heran.
Natürlich gibt es keine Zufälligkeiten und keine Mystik in den Ereignissen, und die emotionale Gespanntheit in der Brigade ist vollkommen einleuchtend. Denn die wenigen Ortsansässigen empfinden hier keinerlei Unbequemlichkeiten, wenngleich die in Gruppen über Jermakowo hinwegfliegenden und schwebenden UFOs keine Seltenheit sind ...
Und den krasnojarsker Firmen, die den Schrott aus dem Norden angenommen haben, würden wir raten, sich gute Dosimeter (Geräte zur Messung der vom Menschen aufgenommenen Menge an radioaktiven Strahlen; Anm. d. Übers.) anzuschaffen und ihren Nachschub, besonders den „linken“ (der aus illegalen Quellen stammt; Anm. d. Übers.) auf ihren radioaktiven Hintergrund zu überprüfen,: das jermakowsker Metall wurde in der Nähe der Stelle eingesammelt, wo fast 30 Jahre zuvor, im Interesse der Volkswirtschaft, eine unterirdische Atom-Sprengung duchgeführt wurde, wovor auch ein hier aufgestelltes Schild warnt. Und Jermakowo sollte nicht nur eine historische-architektonische Zone sein, sondern auch ein Ort regelmäßiger Überwachung der Ökologie durch elektronische Meßgeräte.
Alexander Toschtschew,
„Museum des ewigen Frostes“,
Stadt Igarka.
06.08.05