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Stalin-land

In der Region Krasnojarsk soll für Toruristen ein Zentrum der Erinnerung an den „Führer aller Völker“ geschaffen werden

In Rußland ist ein neues Projekt zur Verewigung der Erinnerung an Josef Stalin bekannt geworden. Falls jedoch alle bisherigen Urheber ähnlicher Ideen – zum Beispiel der Wieder-errichtung von Denkmälern zu Ehren des Führers – sich aus ideologischen Motiven dazuveranlaßt sahen, so haben nun krasnojarsker Geschäftsleute schlicht und ergreifend beschlossen, mit der Erinnerung an Stalin Geld zu verdienen. Wie die Zeitung „Iswestija“ klarstellte, wurde in Krasnojarsk ein Projekt zur Wiedererschaffung eines Pantheons zu Ehren des „Führers aller Völker“ in der Siedlung Kurejka, Turuchansker Bezirk, vorgestellt – an eben jenem Ort, an dem Stalin seinerzeit eine vom Zaren angeordnete Verbannungsstrafe verbüßte. Die Urheber dieser Idee hoffen damit tausende von Touristen in die Region Krasnojarsk zu ziehen, die sich das originelle Stalin-Land ansehen wollen, das Politiker bereits als Lästerung bezeichnen.

Diese Initiative wurde erst unlängst auf der traditionellen Frühjahrstouristenmesse in Krasnojarsk bekannt. Der Geschäftsführer einer der örtlichen Tourismus-Gesellschaften, der sich bereits seit einigen Jahren mit der Organisation von Extremtouren in den Norden der Region Krasnojarsk beschäftigt, verkündete seine Absicht, das Stalin-Pantheon in der Siedlung Kurejka, Bezirk Turuchansk (etwa 1800 km von Krasnojarsk entfernt) wiederzu-errichten.

Das Führer-Pantheon war eines der großen Gedenk-Bauwerke auf dem Territorium unseres Landes. Es nahm eine Fläche von 400 Quadratmetern ein und war 10 Meter hoch. Häftlingsbrigaden und im freien Arbeitsverhältnis stehende Arbeiter begannen Ende der 1940er Jahre mit dem Bau des Pantheons. Das Pantheon war bedeckt mit einem schützenden

Kegel aus Marmor und Granit. Im Inneren befand sich laut Beschreibung von Augenzeugen ein Holzhäuschen, in dem Josef Dschugaschwili während seiner Verbannung im Gebiet Turuchansk von 1913 bis 1916 lebte.

Die Zerstörung des Pantheons begann etwa ein Jahr nach dem Tode des Generalissimus. Zuerst demontierte man Stalins Bronzedenkmal – es wurde im Jenisej ertränkt. Schließlich wurde das Pantheon im Jahre 1961 auf Anordnung des Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU – Nikita Chruschtschow – geschlossen. 1995 wurde der Gedenk-Komplex durch einen Waldbrand erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Die unversehrt gebliebenen Überreste wurden in den Fluß geworfen.

Und nun wird die Möglichkeit einer Wiedererrichtung dieses grandiosen Bauwerks ins Auge gefaßt. Die Bestellung zur Fertigstellung eines drei Meter hohen Denkmals des „Führers aller Völker“ aus zeitgenössischen Materialien (das Original bestand aus Bronze und wog ungefähr 5 Tonnen) wurde bereits veranlaßt. Man hat vor, die Skulptur bereits im August dieses Jahres auf einem 5 Meter hohen Sockel aufzustellen.

Nach und nach beabsichtigen die Geschäftsleute auch den gesamten Komplex wieder aufzubauen – die vier Meter breite, illuminierte Treppe, die direkt vom Ufer des Jenisej zum Pantheon führte, das Holzhäuschen und den monumentalen Schutz-Kegel. Zur Verwendung sollen hauptsächlich Holz und moderne Materialien kommen, die in der Lage sind, Beton, Glas und Metall zu imitieren.

Mehr noch, ursprünglich hieß es sogar, daß die Krasnojarsker Territorial-Verwaltung die Pläne unterstützt. Zumindest verkündete der Berater des Regionsgouverneurs, Jewgenij Paschtschenko, daß das Projekt auf einer Sitzung am „runden Tisch“ erörtert wurde, in der es um die Entwicklung des lokalen Tourismus ging, und daß „keinerlei politische Motive dahinterstecken“.

Nichtsdestoweniger konnte das Projekt keine politischen Streitereien hervorrufen. Ein seltener Fall, aber die ewigen, uralten ideologischen Gegner – Kommunisten und Demokraten – waren sich in ihren Kommentaren einig: das ist Lästerung.

- Es ist erforderlich, alle Pläne zur Verewigung des Andenkens an diesen „Henker aller Völker“ auf 50 Jahre auszusetzen“, . meinte Aleksej Babij, Vorsitzender der krasnojarsker Gesellschaft „Memorial“. – „Wartet ab, bis all jene ausgestorben sind, die von den stalinistischen Verfolgungen betroffen waren. Vielleicht werden sich unsere Nachfahren damit etwas leichter tun“.

Die Informationsquelle der „Iswestija“ im Regionskomitee der KPdSU (eine offizielle Position wurde bislang nicht formuliert; daher gestattet es die Parteidisziplin nicht, das, was geschehen ist, offen zu kommentieren) ist überzeugt: „der Versuch, den heiligen Namen des großartigen Führers, der das Land zum Sieg über den Faschismus geführt hat, in schnödes Geld umzumünzen ist einfach – widerwärtig“.

Und den endgültigen Standpunkt der Behörden erläuterte Aleksander Chloponin - Gouverneur der Region.

- Wir haben nicht die Absicht, Denkmäler von Männern des politischen Lebens abzureißen, die noch auf dem Territorium der Region Krasnojarsk erhalten geblieben sind, - teilte er der „Iswestija“ mit. Gegenüber dem Verwaltungsgebäude steht bis heute Wladimir Lenin aus Beton, am anderen Ende des Häuserblocks – eine Büste des Feliks Dserschinskij. Allerdings haben wir auch nicht die Absicht neue zu errichten.

Rußland für Touristen – eine Zone des Extrem-Tourismus

Für aufrichtige Liebhaber scharfer Empfindungen haben russische Tourismus-Beauftragte spezielle Routen ausgearbeitet. Für ausländische Touristen sind die Bezirke des Hohen Nordens äußerst attraktiv. Zur arktischen Zone gehören sieben russische Regionen, aber zu den Gebieten mit den meisten Perspektiven für die Entwicklung von Extrem-Tourismus zählen die Halbinsel Tajmyr und, ganz konkret, die Siedlung Chatanga, von der aus Flüge zum Nordpol realisiert werden, und wo eine, wenn auch nur minimale, Infrastruktur für die mögliche Aufnahme von Touristen vorhanden ist. Es gibt viele Interessenten, die eine Reise in die Arktis unternehmen möchten, aber um dorthin gelangen zu dürfen, muß man ein kompliziertes Genehmigungsverfahren durchlaufen – die Föderale Grenzbehörde, der Föderalen Sicherheitsdienst und das Ministerium für Verteidigung verlangen, daß Anträge dafür nicht später als 180 Tage im voraus eingehen. Eine weitere Extrem-Reise wäre – Kamtschatka. Die zweiwöchige Tour, die eine Floßfahrt auf dem Fluß, den Aufstieg zum Vulkan Awatschinskij und einen Besuch im Tal der Geysire beinhaltet, kostet etwa $ 2.500,-

Es gibt Extra-Ausflüge für Liebhaber des Angelns und der Jagd. Auf Kamtschatka auf Bärenjagd gehen kann man für umgerechnet $ 7.000,-. Wer auf Elchjagd gehen will, muß noch mehr bezahlen - $ 8.500,-. Als Gefälligkeit werden Ausländern die Dienste eines Ausstopfers zur Verfügung gestellt – zur Erinnerung an seine Rußland-Reise kann er das ausgestopfte Exemplar des von ihm getöteten Wildes mit in die Heimat nehmen.

Aleksander Makarow, Krasnojarsk

Das größte stählerne Nationalprojekt

Anleitungsplan für Besucher des zukünftigen Historienparks

Etwas fröhlicher, Genossen! Die Gespräche über Stalin einstellen: die Figur ist sowieso nicht eindeutig und widersprüchlich. Reihen wir uns also einträchtig in die Menschenschlangen ein, die uns bereits voller Freude am Eingang des Parks erwarten. Keinen Opportunismus, kapitalistischen Individualismus oder Wichtigtuerei – wir gehen in strenger Aufstelling, in zwei Kolonnen, hinein. Die Stalin-Anhänger nach links (Sammelpunkt ist unter dem Transparent „Spartakus – der Champion“), die Stalin-Verängstigten nach rechts (Sammelpunkt unter dem Transparent „Ätsch, angeschmiert“). Im weiteren Verlauf ist auf strikte Einhaltung der Ordnung zu achten und allen Anweisungen Folge zu leisten.

1. Erste Durchsuchung. Am Eingang sind Mobiltelefone, Schnürsenkel, Gürtel, Dokumente und vorhandene Geldmittel abzugeben. Wozu braucht ihr sie hier? Plastikkarten könnt ihr behalten, sie werden bei der Verteilung der Trocken-Rationen von Nutzen sein (s. unten).

2.Die Kolonne der Stalin-Liebhaber erhält am „Schalter Nr. 1“, die Stalin-Verängstigten am „Schalter Nr.2“, eine Spezial-Ausrüstung: erstere – eine „rosarote Brille“, letztere eine „verdreckte Brille“. 1 (ein) Stück pro Person. Die Brillen dürfen nur auf Befehl abgenommen werden. Gegangen wird nur auf den Wegen, auf denen sich damals Stalin bewegt hat (s. Wegweiser)

3.Die Kolonnen begeben sich im Laufschritt zur Körperertüchtigungszone, wo auf die Teilnehmer der Exkursion die ersten spaßigen Übungen warten:

4. Die Mannschaften gehen zur „Ausgabestelle“, um ihre Trockenration (im Reisepreis inbegriffen) entgegenzunehmen. Um die Ecke gibt es einen Wasserhahn; dort kann man die Ration verdünnen, um eine Wassersuppe zu bekommen. Erster und zweiter Gang aus ein und demselben Kochgeschirr – alles für den gleichen Preis!

5. Das Dienstpersonal bringt die Exkursionsteilnehmer mit Hilfe von Tragen in die Vorlesungsbaracke. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die einen Arbeitszeitnachweis in der Zone haben, machen einen mit den letzten Forschungsergebnissen über praktischen Nutzen bekannt.

6.Nach Erledigung der abschließenden sanitären Reinigungsmaßnahmen (Fangen von Läusen), dem Entfernen von spitzen gegenständen, zurückgelegte Lebensmittel und ähnlichem, fassen die Exkursionsteilnehmer sich bei den Händen und begeben sich zum Ausgang, wobei sie gegenüber dem anderen weder Abscheu, noch Ekel oder Verachtung empfinden (es fehlt ihnen sowieso schon die Kraft dazu, und sie brauchen sie auch gar nicht).

Anmerkung: Die Experimente haben gezeigt, daß die Aufgaben, welche sich die Erbauer der Parkanlage selbst gestellt haben, leicht zur beiderseitigen Zufriedenheit gereichen. Bürgerlicher Friede und das Zusammenschweißen gesellschaftlicher Reihen und Glieder, die sich bis zum Ausgang hinzogen, sind garantiert. Und die Organisatoren verdienen auch nicht schlecht. Na, dann macht mal schön!

Verfasser: Igor Nikolajew

„Iswestija“- 20.04.2006
HTTPS://izvestia.ru/russia/article3092206/


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