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Ein Götzenbild auf Plastikfüßen

25.04.2006
Jewgenij Ichlow

Die Wiedererrichtung des Stalin-Pantheons wird als ein rein kommerzielles Tourismus-Projekt ausgegeben. Das prunkvolle Pantheon aus Marmor und Bronze befand sich im Turuchansker Gebiet, am Verbannungsort des bolschewistischen Terroristen, der durch seine Überfälle auf Banken in Georgien traurige Berühmtheit erlangte.

Das Pantheon wurde, ebenso wie auch alle anderen Denkmäler zu Ehren des Führers der Völker, nach dem 22. Parteitag der KPdSU (Oktober 1961) zerstört. Danach stieg die Zahl der Ruinen in der Epoche der Reformen. Nun plant man, das Pantheon aus zeitgenössischen Polymerstoffen, Bronze-, Glas- und Beton-Imitaten, wiederzuerrichten.

Diese Idee, die zudem ausgerechnet am Tag des orthodoxen Osterfestes ausposaunt wurde und, was noch viel wichtiger ist, die fehlende Resonanz der Öffentlichkeit, darunter das Fehlen einer deutlichen Reaktion des Patriarchats, sind der beste Beweis für das heidnische Bewußtsein der russischen Gesellschaft. Es geht darum, daß Stalins Verbrechen sowohl auf staatlicher Ebene, als auch im gesellschaftlichen Bewußtsein, zumindest im Verlaufe der vergangenen 19 Jahre, fixiert sind. Ich will hier schon gar nicht von den Beschlüssen des 20. und 22. Parteitages der KPdSU reden. Die grausame und unbarmherzige Schreckensherrschaft Stalins hat sich im Massenbewußtsein festgesetzt. Alle wissen um die Vernichtung der Bauernschaft, der Geistlichkeit, der Intelligenz – demzufolge sich in der Gesellschaft ein dauerhafter Konsens breitgemacht hat, daß sie unschuldige Opfer des Tyrannen sind. Ich will auch gar nicht von den Revolutionären und Kommunisten reden, die durch Stalin und das NKWD vernichtet wurden – eine Sache, die gerade Anlaß zu einer häufig auftretenden, gemeinen Schadenfreude gibt.

Die russische Kirche des Moskauer Patriarchats schweigt in dieser Situation einer schleichenden Rehabilitation, obwohl sie für jene ständig Worte findet, wie z.B. die Mißbilligung des Aufmarsches für die Rechte der sexuellen Minderheiten, Kunstausstellungen, des Programms zur sexuellen Aufklärung von Schülern, usw. Diese Totenstille ist eben deshalb entstanden, weil Geistlichkeit der russischen Kirche eine der Hauptopfer des stalinistischen Terrors war. Denn der wahre antireligiöse Terror (mit Ausnahme des „Dahinplätscherns“ in den Jahren 1921-1922) ging schließlich in der Zeit des führerlosen Fünfjahreszeitraums, der mit dem Jahr 1927 begann, vonstatten – unmittelbar nach dem Triumph Stalins über die linke Opposition (Sinowjew und Trotzkij). Genau in diesem Fünfjahreszeitraum wurden die meisten Gotteshäuser gesprengt. Es ist frappierend, daß die Kirche schweigt.

Was die an die Macht durchgebrochene herrschende Schicht betrifft, so hebt sie sich selbst empor zu imperialistischen Vergangenheit, wobei sie ihre Kraftlosigkeit und Ohnmacht durch ein bronzenes Götzenbild stützt. Das wird wohl, in der Tat, ein spaßiges Touristenobjekt werden, für das sie ein paar Kopeken mehr bekommen, wenngleich es nicht viel Geld sein wird.

Letztendlich wurde der berühmte Gori auf diese Weise auch kein Wallfahrtsort für Menschenmassen, und es hat auch keinen Einfluß auf die Wirtschaft Georgiens genommen.

Ich persönlich sehe hier eine fantastische Lästerung. Ich könnte es noch verstehen, wenn die Fanatiker des Diktators ein Museum in Kunzewo einrichten würden, auf der nahegelegenen Datscha. Aber sie machen es im Turuchansker Gebiet, wo überall die Knochen von Millionen Stalin-Opfern liegen. Das ist nicht amoralisch, das ist vielmehr ein ganz rationales Verhalten in der Gesellschaft, in der die Behörden keine Moral kennen, wo die Behörden prinzipiell unmoralisch sind. Sozusagen gilt es eine technologische Frage zu entscheiden – „wo ist noch etwas mehr Geld herauszoholen“. Ich denke so: daß man mit einer derartigen Logik bei Prochorowka eine Büste für Feldmarschall Manstein aufstellen könnte – dem glanzvollen Heerführer, der übrigens keine Massenverbrechen begangen hat. Von deutschen Touristen wird es ein Meer von Euros geben. Aus ganz Deutschland werden sie angereist kommen. Aber den Deutschen erlaubt man ja nicht einmal die Errichtung von Denkmälern zu Ehren ihrer gefallenen Krieger. Und diese Erscheinung stellt die Kehrseite dar – nämlich eine heidnische Angst vor fremden Toten.

Und gleichzeitig möchten sie doch wenigstens irgendwo ein Stalin-Denkmal errichten. Leider wird dies letzendlich wohl auch in die Tat umgesetzt werden, und es wird Zeugnis geben vom vollständigen Verlust der Selbstachtung des Volkes, das seinem eigenen Henker ehrfürchtig zu Füßen fäällt.

Stiftung „Liberale Mission“


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