In Wolgograd und der Region Krasnojarsk entstehen Stalin-Museen
Gleichzeitig aus mehreren Städten Rußlands erreichten uns Informationen darüber, dass dort Denkmäler Josef Stalins wiedererrichtet und Museumsausstellungen eröffnet werden sollten, die mit seinem Namen in Zusammenhang stehen. Offen gestanden lösen Mitteilungen ähnlicher Art immer eine gewisse Fassungslosigkeit aus: ein Diktator, auf dessen Anordnung Millionen unserer Landsleute repressiert wurden, ist nicht gerade die Figur, um deretwillen man in ein Museum gehen möchte. Auf der anderen Seite – wer hat denn gesagt, dass der Gang ins Museum unbedingt angenehme Emotionen hervorrufen muß? Vielleicht sind wir nur durch das Aufrütteln unseres durch geordnete Verhältnisse bereits altersschwach gewordenen historischen Gedächtnisses in der Lage, eine Wiederholung der blutigen Ereignisse nicht noch einmal zuzulassen.
Wie wir anhand der einzelnen Presemitteilungen feststellen konnten, gibtes in vielen Städten Rußlands heute wiedererrichtete oder sogar ganz neue Museen zu Ehren Josef Stalin. So zum Beispiel in Rschew (Twersker Gebiet), Narym (Region Tomsk) und Solbytschegodsk (Gebiet Archangelsk). Wir merken an dieser Stelloe an, dass Stalin sich in den beiden letztgenannten Städten in der Verbannung befand, und eben dieser Umstand trug mit zur Schaffung des Museums in der am Polarkreis gelegenen Ortschaft Kurejka (Gebiet Krasnojarsk) bei, wo der zukünftige Tyrann ebenfalls zur Zarenzeit als Verbannter lebte.
Gleichzeitig betonen wir, dass die politische Stimmung in der Region Krasnojarsk damit nichts zu tun hat. Die Aufstellung eines Führerdenkmals sowie die Eröffnung einer ihm gewidmeten Ausstellung wurden lediglich aus dem Grunden beschlossen, um Touristen in das Gebiet zu holen. Die seinerzeit schrecklichste Gestalt der Sowjetepoche kann heute in vortrefflicher Weise der Profit-Steigerung dienen. Das jedenfalls ist die Meinung einiger krasnojarsker Geschäftsleute. Erinnern wir uns daran, dass das Pantheon des Generalissimus nicht an einer leeren Stelle entstehen wird: Ende der vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde es von Häftlingen des GULAG erbaut. Bei der Gedenkstätte handelte es sich um einen grandiosen Pavillon aus Lärchenholz, vor dem sich eine zehn Meter hohe Statue des Führers erhob – damals die größte im ganzen Land). 1961 wurde das Museum geschlossen und die Statue von ihrem Sockel gestürzt. Fast 30 Jahre benötigte das Pantheon, bis es endgültig verfallen war: zuerst wurde das Gebäude von ortsansässigen Vandalen zerstört, danach wurde es ein Opfer der Flammen. Seit eben jener Zeit erheben sich in Krasnojarsk immer wieder Stimmen über die Notwenidkeit, das Pantheon wieder aufzubauen. Es gab sogar Vorschläge, es in die Touristen-Tour mit einzubeziehen, die zu den GULAG-Objekten führt, wobei sich dieses Vorhaben allerdings als unwirtschaftlich erwies: die Abgelegenheit von ehemaligen Lager machte eine Fahrt nach Kurejka (1800 Kilometer von Kranojarsk) einfach zu teuer.
Wie die Zeitungen mitteilten, wurde das neue Projekt zur Wiedererrichtung des Pantheons auf der Frühjahrstouristenmesse in Krasnojarsk präsentiert. Als Initiator des Projektes trat ein Mann aus der Touristenbranche in Erscheinung, der sich bereits seit einigen Jahren auf die Organisation von Extremtouren durch den Norden Rußlands spezialisiert hat. Angeregt durch Ausländer, die immer wieder über die rauhe Natur der Region Krasnojarsk sowie das Fahren mit Rentier- und Hundegespannen in Faszination geraten, überlegte der Geschäftsmann, dass die Gestalt des Generalissimus dieser unschuldig-naiven, russischen Zerstreung ein ganz anderes Gewicht verleihen könnte. Als erstes soll dem „Henker der Völker“ ein Denkmal gesetzt werden. Allerdings wird es aus zeitgenössischen Material-Mischungen gefertigt werden, und seine Höhe soll drei Meter betragen. Man hat vor, die Figur auf einem fünf Meter hohen Sockel aufzustellen, und zwar bereits im August dieses Jahres. Im kommenden Sommer soll dann mit dem Wiederaufbau eben jenes Pantheons begonnen werden, das nicht nur ein Museum, sondern auch ein Café für die unerschrockenen Toruisten beherbergen wird, sowie zusätzlich Möglichkeiten für einen Kurzurlaub, bevor man die anstrengende Heimreise antritt.
Es ist interessant, dass die Informationsagenturen anfangs mitteilten, die Verwaltung der Region Krasnojarsk würde die Wiedererrichtung des Pantheons unterstützen. Dann tauchte eine völlig gegensätzliche Mitteilung auf: wie es heißt, ist man mit dem Projekt nicht einverstanden, und die Beamten halten es für eine Lästerung in Bezug auf alle Opfer des Stalinschen Regimes. Der Leiter des krasnojarsker „Memorial“, Alexej Babij, verkündete der Presse sogar, dass jegliche Projekte, die der Verewigung des Führers aller Völker dienen sollten, auf jeden Fall um einen Zeitraum von 50 Jahren verschieben müsse.
Nicht weniger heftige Wortwechsel ruft auch die Idee hervor, in Wolgograd ein Museum des Generalissimus einzurichten. Es wird auf dem berühmten Mamajew-Hügel mit Eigenmitteln errichtet, und die Ausstellung soll aus Spenden der Ortsansässigen zusammengestellt werden. Alte Zeitungen und Zeitschriften, Auszeichnungen, Ehrennadeln und Prägungen, Portraits, Büsten und Stickereien – all das, so scheint es, ist noch in alten Truhen und Koffern auf den verstaubten Zwischenböden der Wolgograder erhalten geblieben. Vor allem gibt es bei den Museumsanhängern noch zahlreiche Fotografien, auf denen bereits aus dem Leben Geschiedene vor dem Hintergrund eines Stalindenkmals fotografiert wurden, - na, und von denen gab es im ehemaligen Stalingrad sehr viele ...
Gegner des neuen Museums legen besonderen Nachdruck darauf, dass das berühmte Panorama der „Schlacht bei Stalingrad“ bereits in hinreichendem Maße die Rolle Stalins, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung des Großen Vaterländischen Krieges, als auch das Leben im Lande allgemein, erstrahlen läßt. Die Museumsliebhaber sind anderer Meinung – viele Fakten aus dem Leben Josef Wissarionowitschs sind bis heute dem breiten Pblikum noch unbekannt. So wird das neue Museum beispielsweise auf jeden Fall Dokumente über das Stalin-Museum für Verteidigung in Zaryzyn zeigen: es wurde am 3. Januar 1937 eröffnet, aber keiner seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter erlebte das Jahr 1938 – sie wurden alle erschossen.
Immer öfter hört man, dass Stalin offenbar wieder „in Mode“ ist. Und wenn man die wolgograder Initiative noch als aufklärerisch bezeichnen kann (wenngleich sich in unmittelbarer Nachbarschaft das Patrioten-Café „Unterstand“ befindet, in dem man Plinsen „à la Front“ und Eiscreme „Februar 1943“ bestellen kann), so ist das krasnojarsker Vorhaben ein 100%iges Beispiel für eine Business-Aktion, wobei man sich in raffinierter Weise die Ereignisse der jüngsten Geschichte zunutze macht. Nicht zufällig erhielt der geplante Komplex bereits jetzt die inoffizielle Bezeichnung „Stalinland“.
Anna Martowizkaja“Kultur“, No. 16
27.04.-03.05.2006