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Unsere Lokomotive liegt im Schmutz ...

Eigentlich wollte ich nicht an die Polemik bezüglich der Wiedererrichtung des Stalin-Denkmals in Kurejka anknüpfen, aber als ich sah, wie geachtete Menschen, die nicht richtig mit Informationen umgehen können, andere, ebenso geachtete Menschen kübelweise mit Schmutz überschütten, entschloß ich mich doch im Namen dessen, der an der Entfachung dieser ganzen Sache der Hauptschuldige ist, meine Meinung darüber zu sagen und zu versuchen, die Handlungsweisen, die zu der hier entstandenen Situation führten, zu erklären.

Es fällt mir schwer, es beim Herantreten an die Öffentlichkeit mit den Journalisten des „Krasnojarskij Rabotschij“ („Krasnojarsker Arbeiter“; Anm. d. Übers.) und dem Leiter der Gesellschaft „Memorial“, Herrn Babij, aufzunehmen. Alles, womit sie sich befassen, verdient Hochachtung. Um so weniger verständlich ist da ihr beleidigender Tonfall gegenüber Opponenten sowie ihre Anspielungen auf irgendwelche politischen Aufträge, die jeglicher Logik entbehren. Versteht man denn nicht, dass es keine Rückkehr in die Vergangenheit gibt? Wozu stoßen dann Menschen mit unterschiedlichen Meinungen und Lebensauffassungen mit der Stirn aufeinander? Zweifel an meinen geistigen Fähigkeiten kann ich noch hinnehmen, auch wenn es mir schwer fällt; aber warum beleidigt man das Oberhaupt des Bezirkes Turuchansk und den Berater des Gouverneurs? Und um was für einen politischen Vorteil für die Behörden soll es denn hier gehen? Erklären Sie mir das – mir, einem einfachen Wähler und Bürger meines Landes.

Und da wäre noch eine Frage. Warum schreiben diese Menschenrechtskämpfer, die sich zu einer kurzen Dienstreise in dem Dorf Kurejka aufhielten, von einem zerstörten Pantheon und den moralischen Gesichtspunkten der Aufstellung eines Stalin-Denkmals, verlieren jedoch kein Wort über die Menschen in diesem ausgestorbenen Dorf? Und woher haben diese Professionellen überhaupt ihre Angaben von den Abmessungen des Denkmals, den Kosten für das Projekt, die Vermutungen über Möglichkeiten, das alte Denkmal vom Grund des Jenisej zu heben, sowie die Mutmaßungen über das Ausrauben der Ortschaft Jermakowo durch die Turuchansker Verwaltung?

Und warum schweigen sie sich darüber aus, dass gerade das Oberhaupt des Bezirkes Turuchansk, Simon Jurtschenko, sich gekümmert und noch rechtzeitig Alarm geschlagen hat wegen der anderen historischen Reliquien der Stalin-Epoche – den beiden im Schlamm versackten Lokomotiven der traurig-berühmten GULAG-Bauverwaltung Nr. 503? Wegen der Tatenlosigkeit der Menschen, die eigentlich für die Erhaltung verantwortlich sind, wären die Loks in diesem Frühjahr einfach vom Eisgang zerdrückt worden.

Wer am Jenisej lebt, der weiß, was Eisgang bedeutet. Und kein Mensch hat die historischen Exponate zur Verschrottung gegeben. Den Mitarbeitern des Kurejsker Wasserkraftwerks, welche diese von den technischen Schwierigkeiten her einmalige Aktion leiteten, gelang es, diese echten Raritäten zu retten. Man sollte sich vor ihnen verneigen und ihnen Dank sagen, anstatt Gerichtsverfahren gegen sie anzuregen. Derzeit befinden sich die Lokomotiven an der Anlegestellte Swetlogorsk. Und nun liegt es in der Kompetenz des Kreisoberhauptes zu entscheiden, wo sie dauerhaft als Denkmal aufgestellt werden sollen, und zwar so, dass sie unter gebührender Aufsicht stehen.

Heute ist jedes munizipale Gebilde selbst für seine komplexe soziale und wirtschaftliche Lage, sein Image und die Perspektiven im Hinblick auf seine weitere Entwicklung verantwortlich. Die Leute interessieren sich für das Schicksal ihrer kleinen Heimat, die Entwicklung der lokalen Wirtschaft, der Nutzbarmachung von natürlichen, intellektuellen, verwaltungsmäßigen und anderen Ressourcen. Das gestattet der Bevölkerung selbst, bei der Suche nach finanziellen Mitteln, einschließlich Vedienstmöglichkeiten, zur Lösung sozialer Probleme und der Schaffung einer zeitgemäßen Infrastruktur mitzuwirken. Zu den Plänen für eine strategische Entwicklung des Bezirkes Turuchansk bis 2010 gehört gerade auch die Förderung und Entwicklung des Tourismus.

Ich kann meinen Opponenten mitteilen, dass es sich bei der Idee der Wiedererrichtung des Stalin-Denkmals, des Pantheons und einer der Lagerzonen des GULAG, die Bauverwaltung Nr. 503, um meine ganze persönliche Initiative handelt und keineswegs die Machtorgane dahinterstehen.Die Vorbereitungen für dieses Projekt laufen bereits seit sechs Jahren. Auch Geschäftsleute besitzen ein Gefühl von Patriotismus. Wenn unsere eigenen und ausländische Touristen fragen, warum es keinen historischen Park gibt, in dem die einzigartige Architektur erhalten ist, können wir dazu einfach nichts sagen.

Und anstelle der einen Deutschen, die Herrn Babij bekannt ist, und die bereit wäre, auf eine Reise entlang des Jenisej zu verzichten, sobald dort ein Stalin-Denkmal steht, wäre ich in der Lage, zehn Japaner zu beschaffen, die das sehr interessant fänden. Wir werden unseren Blick auch weiterhin nach Westen richten, um zu sehen, wie wir uns in Rußland zu benehmen haben, uns aber trotzdem die Freiheit herausnehmen zu sagen: „Kinder, das ist unsere Geschichte! Ja, sie ist in vielem durch ihre Herrscher tragisch verlaufen, aber auch erhaben durch ihre Siege!“ Und niemand, außer uns, den Bürgern dieses Landes, kann die Geschichte für unsere Nachfahren bewahren, wie bitter sie auch gewesen sein mag.

Hochachtungsvoll
„der unbekannte Geschäftsmann aus dem Bezirk Turuchansk“
Direktor der „TET“ GmbH
Michail PONOMAREW
Turuchansk.

KOMMENTARE EINES ZEITUNGSKORRESPONDENTEN

So ein bewegender Brief erreichte die Zeitung „Sewodnjaschaja Gaseta“ („Heutige Zeitung“; Anm. d. Übers.) Wenn ich nicht irre, hatten Opponenten des Urhebers des kurejsker Projektes – und das nicht ohne kränkende Beleidigungen – Michail Ponomarew ihre Meinung auf den Seiten der Zeitung „Krasnojarsker Arbeiter“ kundgetan, und er hat nun seinerseits beschlossen. ihnen auf den Seiten der „Heutigen Zeitung“ zu antworten. Normalerweise begrüßen wir eine derartige Taktik nicht. Aber wenn ein Mensch woanders keine Aussagen machen kann und dabei das Thema interessant ist, warum hätten wir dann diesen Brief nicht veröffentlichen sollen, um so mehr, als er besorgt und offenherzig geschrieben wurde.

Ich erinnerte mich sogleich an die kürzliche TV-Debatte bezüglich der Rotenund Weißen und den flehentlichen Ruf Nikita Michalkows gegen Ende der Sendung: „Kinder, ist es denn wirklich so, dass wir nichts gemeinsam haben?“ Ein ganzes Jahrhundert ist bereits vergangen, und wir schlagen uns immer noch die Köpfe ein, stehen am Abgrund, und offenbar haben wir nichts aus dem gelernt, was die blutbefleckte Geschichte uns gelehrt hat. Und wenn wir nicht mit dieser Dickköpfigkeit aufhören, werden wir alle zusammen diesen Abgrund hinabstürzen. Ist das denn so schwer zu begreifen?

Und nun zum eigentlichen Thema. Ich persönlich bin dagegen, dass man das Stalin-Denkmal wieder aufstellt. Seien Sie mir nicht böse, Michail, aber ein Denkmal ist kein Gotteshaus, dem Ewigkeit gebührt. Jedes beliebige Denkmal hat seine Zeit. Und wenn eine andere Zeit es vernichtet hat, dann ist das halt so. Es wäre auch sehr merkwürdig, in allem die Größe und Erhabenheit eines Herrschers zu sehen, hinter dessen Rücken sich die Tragödie eines ganzen Landes, des gesamten Volkes abgespielt hat, und dabei die Augen vor den Opfern ihrer Herrschaft zu verschließen. Als das Stalin-Pantheon errichtet wurde, hat niemand an die Menschen gedacht, mit deren Knochen Ihr Turuchansker Bezirk bedeckt ist – es war lediglich eine Gefälligkeit für den Führer. Aber ein halbes Jahrhundert später sehen wir alles schon mit ganz anderen Augen. Wir sollen unsere Meinung auch aussprechen, wenn wir dieses Denkmal schaffen wollen. Aber wir brauchen ein neues Denkmal – von uns. So denke ich.

Natürlich ist es schön, dass es unter den Geschäftsleuten Menschen gibt, denen weder die Vergangenheit noch die Gegenwart des Vaterlandes gleichgültig ist. Es ist schön, dass es Menschen gibt, die bereit sind, die finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um eine Gedenkstätte zu schaffen. Aber es lohnt sich allemal darüber nachzudenken, für wen und zu wessen Ehren wir so ein Denkmal aufstellen. Und natürlich müssen wir dabei auch das Andenken an jene Menschen wahren, über die Sie schreiben, Michail, über jene, die jetzt nur sehr knapp mit ihrem Geld auskommen. Alles muß man genau abwägen, Ungeduld führt zu nichts. Ich würde mich freuen, die Meinung unserer Leser zu hören, ob sie mit mir einiggehen oder nicht. Aber wenn sie schreiben, vergessen Sie nicht die Lokomotive, die im Schmutz liegt. Irgendwann hat man schließlich einmal geglaubt, wie die Führer es uns gelehrt haben, dass es nur in der Kommune ein Anhalten gibt.

„Heutige Zeitung“, 06.07.06


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