Nicht einmal eine Woche lang stand das Stalin-Denkmal in Sibirien
Kurejka gewährte Stalin kein Quartier.
Foto: Fernsehsender NTW
In der Region Krasnojarsk brodeln wenig erheiternde Schreckensnachrichten um das Stalin-Denkmal. Nachdem es noch nicht einmal eine Woche lang an seinem Platz gestanden hatte, wurde der Gipsgigant mit einem Wert von einer Million Rubel zerstört. So gehen die lokalen Verwaltungsbehörden mit illegalen Bauten um. Klar ist, daß das unglückselige Monument das produkt eines ortsansässigen Unternehmers ist, dessen Absicht es war, damit Touristen in die Region zu locken.
Eine 4-Tage-Reise von Krasnojarsk den Jenisej flußabwärts – und schon befindest du dich im Turuchansker Bezirk. Um dich herum die Taiga und undurchdringliche Sümpfe. Hier im Norden, nahe der Siedlung Kurejka, befand sich der Generalissimus in der Zaren-Verbannung. Später wurde diese Gegend vom System des GULAG beherrscht. Heute erinnern an die Lager nur noch eine Vielzahl halb verfallener Baracken, zerbrochene Kreuze auf den Massengräbern und Haufen verrosteten Metalls – Spuren der damals hier im Bau befindlichen Eisenbahnlinie.
Und da, inmitten dieses unerfreulichen Bildes, tauchte plötzlich unlängst ein nagelneues Stalin-Denkmal auf. Fast fünf Meter hoch, so daß der Diktator schon von weitem zu sehen war. Mit dem Führer wollten die örtlichen Unternehmer Geld verdienen. Aber wie es scheint, ist dieser ganze verschrobene Einfall gründlich mißlungen: aus der für Samstag geplanten Eröffnung von „Stalin-Land“ wurde nämlich nichts.
Dienstag Abend legten vier Unbekannte dicke Seile um das Denkmal und stürzten es anschließend mit Hilfe eines Traktors von seinem Sockel. Später stellte sich heraus, daß die lokale Bezirksverwaltung den Befehl dazu gegeben hatte. Der Privat-Unternehmer Ponomarew hatte die Stalin-Figur eigenmächtig aufgestellt, ohne auf offiziellem Wege die Genehmigung dazu eingeholt zu haben, - erklärte Walentina Gapienko, die Presse-Sekretärin des Turuchansker Kreis-Oberhauptes den „Neuen Nachrichten“. – Obwohl er für sein Vorhaben überhaupt kein entsprechendes Areal zugewiesen bekommen hatte, stellte er das Denkmal trotz der mündlich ausgesprochenen Vorwarnung seitens der Bezirksverwaltung auf.
Zu Fall gebracht wurde nicht nur das Denkmal; auch das dahinterliegende, bereits geräumte Gelände, auf dem das ehemalige Pantheon sowie ein Museum für die Ausstellung von Zeichnungen und Fotografien der 1940er Jahre wiedererrichtet werden sollten, bekam etwas ab. Ausgerechnet damals wurde in der undurchdringlichen Weite Sibiriens von Häftlingen dieser monumentale Bau zu Ehren des schrecklichen Führers errichtet. Aber später wurde dann auf Befehl Nikita Chruschtschows das Pantheon geschlossen, das Gebäude verfiel nach und nach, und die allerletzten Überreste foelen schließlich einem Waldbrand zum Opfer. Die Ortsbewohner legten ebenfalls Hand mit an – alles, was man nur fortschaffen konnte, brachten sie zur Metall-Verschrottung.
Aber die Organisatoren des „Stalin-Land“-Projektes lassen den Mut nicht sinken – sie hoffen, die Situation irgendwie wieder zurechtbiegen zu können. Nicht umsonst haben sie Geld in diese Sache hineingesteckt. Mit dem Projekt befaßt sich der krasnojarsker UnternehmerMichail Ponomarew, der für die Fertigstellung des Führerdenkmals eine Million Rubel abgezweigt hat. Der Bau des Pantheons wird auf weitere sechs Millionen geschätzt. Herr Ponomarew ist der Meinung, daß diese Investitionen sich durch das Anziehen ausländischer Reisender rentieren werden. Gerade sie will er im Rahmen einer Pauschalreise hierher bringen – zu den Objekten des GULAG.
Unterdessen verstummen in Krasnojarsk die Streitgespräche um die Rückkehr des Führers zum Volk nicht mehr. In diesem Jahr, übrigens, fällt ein ganz beosnderes Jubiläum an. Vor 50 Jahren wurde Stalin öffentlich wegen seiner Massenverbrechen angeklagt. Derzeit leben in der Region 26.000 Opfer des Stalinismus. Für sie und ihre Kinder bedeutet das Stalin-Denkmal eine schwere persönliche Kränkung. Und es ist auch gar nicht wichtig, wo es steht: im Stadtzentrum oder dort, wo nur die Bären ihm „Gute Nacht“ sagen. Der Leiter der hiesigen „Memorial“-Filiale, Aleksej Babij, ist davon überzeugt, daß alle ähnlichen Projekte von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Deswegen hat er einen solchen Ausgang auch vorausgesehen: „Das ist eine dummerhaftige Idee! Dieses Museum und das Denkmal machen die gesamte Region Krasnojarsk lächerlich“.
In Rußland wird der Name Stalins aktiv in kommerzieller Absicht verwendet. So werden beispielsweise die mit seinem Namen verbunden Objekte (zumeist Ruinen) bei Exkursionen auf der Schwarzmeer-Küstenstraße immer ausdrücklich erwähnt.
Im Jahre 2002 eröffente der Rentner Aleksandr Kusnezow ind er Ortschaft Pestowo, Gebiet Nowgorod, das erste private Josef-Stalin-Museum im Lande. Zum wertvollsten Exponat der Ausstellung wurde ein Ohr von einem in den 1950er Jahren zerstörten Führerdenkmal.
Seit Mai 2004 haben Besucher Zutritt zum „Stalin-Bunker“ in Samara. Dieser Luftschutzkeller wurde nach der Anerkennung Kujbyschews als Ersatz-Hauptstadt gebaut. Allerdings wurde er von Stalin nie benutzt.
Im Dezember 2005 wurde ein Stalin-Museum in Machatschkala eröffnet. Die Ausstellung befindet sich in einem Privathaus in der Mirsojew-Straße. Sie wurde vom dagestaner KPRF-Komitee und der öffentlichen „Stalin-Bewegung“ organisiert. Einige Exponate wurden dem Museum von Ortseinwohnern als Geschenke überlassen.
Im Mai 2006 wurde auf dem Mamajew-Hügel in Wolgograd, auf einem zum Gedenk-Komplex gehörenden Platz, ein Provat-Museum eröffnet, das ebenfalls Stalin gewidmet ist. Die Organisatoren des Museums sehen ihre Aufgabe darin, „keinerlei Bewertung der Stalinschen Persönlichkeit abzugeben“, sondern vielmehr „aufzuzeigen, was er für die Stadt getan hat“.
Man hat offensichtlich auch nichts dagegen, ein solches Markenzeichen außerhalb Rußlands herauszubringen. Ein echter Stalin-Stadtpark tauchte in den postsowjetischen Jahren in der grusinischen (georgischen; Anm. d. Übers.) Bezirksthauptsadt Gori auf, wo der Führer geboren wurde. Unter den „Perlen“ der Ausstellung befinden sich ein Pelzmantel, eine große Ziehharmonika (die jemand dem Führer zum Geschenk gemacht hatte) und ein Eisenbahnwaggon, mit dem Stalin arbeitsbedingte Fahrten unternahm. Das Musuem wird täglich von nicht mehr als 10 Personen besucht.
In dem kleinen litauischen Dörfchen Grutas, in der Nähe des Kurortes Druskininkaj, schuf der ortsansässige Millionär Wiliumas Malinauskas den Park „Stalinworld“, der unter anderem eine Allee mit sowjetischen Skulpturen enthält, die seinerzeit aus den Straßen der litauischen Städte entfernt worden waren. Ausflügler werden überall von kühnen sowjetischen Märschen begleitet, in den Cafés serviert man „Vorspeisen à la Sowjet“ – Wodka mit Sprotte auf einem Soldatenteller. Der Park wird jedes Jahr von einigen 100.000 ausländischen Touristen besucht.
Im Juni 2005 eröffnet der weißrussische Präsident Aleksandr Lukaschenko bei dem Dorf Goroschki, nahe Saslawl, unweit von Minsk, feierlich den historischen Gedenk-Komplex „Stalins Linie».
LARISA MAJSNER, Krasnojarsk
„Neue Nachrichten“, 15.09.06