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Mein Stern ist schon aufgegangen, um für dich zu leuchten ...

Familienglück – das ist ein einfaches, standhaftes und von Hoffnung getragenes Glück

... Wie ein wildes Tier des Waldes witterte er in seinem Inneren, dass sein Platz dort war, in der einsamen, vereisten Wildnis, und es hatte ihn unaufhaltsam, ohne große Überlegung, dorthin gezogen, wo, wie durch ein Wunder, sein Vater und seine Mutter überlebt hatten, dorthin, wo er selber geboren war – in die weitab gelegenen Gebiete deren Bezeichnung „Arktis“ lautet ...

... Es hatte sie wegen der großen Liebe nach Dickson verschlagen, aber als sie dort ankam, begriff sie, dass die Liebe bereits dahingeschmolzen war – wie gefrorener Staub in einem Sonnenstrahl. Dickson wurde ihr Schicksal; gesunder Menschenverstand und eine entlegene Fischfang-Station mit einem solchen Namen, dass man ihn überhaupt nicht aussprechen kann, wenn man ihn zum ersten Mal hört ...

Es kam die Zeit, in der das Schicksal diese beiden zusammenführte, die einander im großen und ganzen in keiner Weise ähnlich waren. Aber dafür gibt es ja schließlich das Schicksal, welches dann das weitere Menschenleben bestimmt. Also – macht euch bekannt mit den beiden dicksonschen Fischfängern Wladimir und Galina Golubzow.

Ausweglos in Wchodnoj

In heutiger Zeit ist es ziemlich schwierig, Leute ausfindig zu machen, die in der Nähe irgendwelcher fernab gelegenen Fischfang-Siedlungen in der Arktis oder einer Polarstation geboren sind. Wenn dir dann doch urplötzlich ein derartiger Erfolg beschert ist, dann hast du wahrlich Glück gehabt.

Wladimir Golubzow wurde genau an einem solchen Ort geboren – in einer einsamen, entlegenen Fischer-Siedlung, die sich damals am Kap Wchodnoj befand. Während des Krieges wurde die Arktis für viele sowjetische Menschen zum Gefängnis. Hierher wurden diejenigen verbannt, die nach § 58 des Strafgesetzes verurteilt und als Volksfeinde bezeichnet wurden. Wladimirs Mutter war Deutsche, und genau darin bestand ihre „Schuld“ vor der Heimat und vor Stalin. Mit Beginn des Vaterländischen Krieges fuhr ein Dampfer nach dem anderen, beladen mit Männern, Frauen und Kindern, in Richtung Arktis, die der Vater aller Völker aus dem väterlichen Hause weit in den Norden verjagte – in die naßkalten, nördlichen Eisregionen. Manche Wolgadeutschen „hatte Glück“: sie wurden am Ufer des Jenisej abgesetzt, nahe der Siedlungen auf der Halbinsel Tajmyr. Aber einen Großteil der Verbannten trieb man tief in die rauhe Arktis hinein. In eine dieser einsamen, abgelegenen Fischersiedlungen, die noch 400 km von Dickson entfernt am Kap Wchodnoj gelegen war, geriet Wladimirs Mütterchen.

Es kam das Jahr 1942. Das Saratowker Mädchen Lidia wurde mit einem Gefangenentransport im Zug von Krasnojarsk auf die Nördliche Erde gebracht. Später erzählte sie ihrem Sohn, wie eine bereits betagte Alte aus dem Transport die jungen Mädchen zur Vorsicht gemahnt hatte: dass sie nicht mit dem ersten Lastkahn mitfahren sollten, sondern erst auf dem nächsten. Entweder war die alte Frau eine Magierin oder das Schicksal selbst legte ihr diese Prophezeihung in den Mund; aber vielleicht waren es auch Kummer und Leid, die den Spürsinn, das Feingefühl in den Menschen verstärkten oder irgendwer hatte irgenetwas über die künftigen Ereignisse vernommen, aber nicht gewagt, dies laut und deutlich herauszusagen. Wie dem auch sei – die Partie mit Wolgadeutschen, die in Dickson aussteigen mußten, überlebten, aber diejenigen, die auf jenen unglückseligen Lastkahn weiterverfrachtet wurden – gingen alle unter und ertranken. Nieman weiß genau, was dort auf dem Meer geschah, aber das mit all den Menschen beladene Lastschiff ging unter. Manche meinten, dass dies wohl nicht ganz ohne die „Mithilfe“ des deutschen Admirals geschehen war, der Dickson vom Meer aus angegriffen hatte. Allerdings fand Wladimir Golubzow auch viele Jahre später keinerlei bestätigung für diese Theorie. Seine Mutter jedenfalls begab sich an Bord des folgenden Lastkahns und blieb am Leben.

Das Los des Nikolaj Golubzow, eines Zugereisten aus dem Kuban-Gebiet, entschied sich bereits einige Jahre früher. Im traurig-berühmten Jahr 1937 wurde er als Volksfeind verurteilt und in die Arktis, auf eine der entfernten Inseln, abtransportiert, die einsam und verlassen im Eismeer liegen. Vater und Mutter begegneten sich 1942, um sich danach nie wieder zu trennen. In Wchodnoj arbeiteten weibliche und männliche Fischer-Brigaden. Die nach § 58 Verschleppten bewohnten sogar die kleine Insel Konus, die sich unweit von Dickson in einer Bucht befindet – eine vom meer umspülte Siedlung. Vor dem Krieg und auch während der Kriegshandlungen diente dieses Inselchen als Umschlagplatz – hier machten Schiffe fest, um Kohle zuzuladen. Bis heute sind hier noch die halbverfallenen Pfähle erhalten geblieben, an denen damals die Schiffe festmachten. Die Eltern erzählten, dass es den unfreiwilligen Fischern, die dort im Status der nach § 58 Verurteilten leben mußten, nicht einmal erlaubt war, zum Überwintern wenigstens einen kleinen Teil der Fische mitzunehmen. Das Essen von Fisch war ausschließlich in den Arbeitspausen gestattet – und die Aufseher warfen darauf ein äußerst strenges und wachsames Auge. Aber die Verschleppten verstanden es trotzdem, einen Teil der Fische mit nach Hause zu nehmen. Dann wurden die Fenster der armseligen Hütten mit irgendwelchen Lumpen dicht zugehängt und man kochte auf dem Ofen seine Fischsuppe. Wladimir erinnert sich: selbst viele Jahre danach berichteten die Eltern nur äußerst spärlich von der Zeit, die sie durchgemacht hatten. Für immer ist in ihren Seelen die Angst hängengeblieben, dass ein einzuiges überflüssiges Wort verhängnisvolle Folgen haben könnte.

Erinnerung des Herzens, ohne jeden Halt streifst du umher ...

1953 bekamen Wladimirs Eltern eine Wohnung in Norilsk zugewiesen und zogen dorthin um.
Wladimir erinnert sich: damals gab es im Norilsker Industriegebiet nichts weiter als eine Kupferhütte, und dort arbeitete die Mutter als Formgießerin. Später zog die Familie nach Talny um – in den sechziger Jahren wuchsen dort noch Kiefern, die ein Mensch mit seinen Armen umfassen konnte. Damals hatte man mit der industriellen Verarbeitung der Goldvorkommen noch nicht begonnen. Am Fluß Norilka, an dem Fischfang getrieben wurde, streiften schwarzbraune Bären umher. Man erzählt, dass die Bären die gesamten Fischvorräte auffraßen, wenn man sie nicht rechtzeitig genug aus dem Fanggebiet entfernte. Nachdem sie die Aufbereitungsfabriken ziemlich vernachlässigt hatten, blieben von der seinerzeit stürmischen Entwicklung und dem großen Aufschwung keinerlei Spuren zurück. Der Vater trieb sich mit einem Hundegespann auf Expeditionen herum. An diesen Zeitraum kann Wladimir sich sehr gut erinnern – in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurden viele Hälftlinge wieder zu freien Menschen. Manche von ihnen ließen sich unweit der ursprünglichen Haftverbüßungsorte nieder und schafften sich eine Familie an, andere wollten beharrlich die Erlaubnis zur Abreise aus dem Gebiet abwarten. 1961, als als man den nach § 58 Verurteilten endlich das Verlassen ihres Wohnortes gestattete, fuhren die Eltern von der Halbinsel Tajmyr fort.

Seinen Armeedienst leistete Wladimir Golubzow in Krasnojarsk; er hätte danach auch dort bleiben können, aber es zog ihn in die Heimat – zurück in den Hohen Norden. Wladimir erinnerte sich, dass seine Mutter einst in einer der zahlreichen Zweigstellen der Dicksoner Fischfabrik gearbeitet hatte, und nachdem er ein paar Leute aus Dickson befragt hatte, die aus geschäftlicher Notwendigkeit nach Krasnojarsk gekommen waren, stellte sich heraus, dass viele von ihnen seinen Vater und seine Mutter noch in Erinnerung hatten. Aus diesen Mitteilungen wehte ein Lüftchen nach Heimat und Wohlgefühl zu Wladimir herüber, so stark, dass er wie ein wildes Waldtier in seinem tiefsten Inneren spürte, dass sein Platz dort war, in dieser einsamen, verlassenen, mitten im Eis gelegenen weiten Ferneund dass es ihn dorthin zog, wo seine Eltern wie durch ein Wunder überlebt hatten und wo er selber geboren war.

Acht Jahre lang arbeitete WladimirGolubzow als Fischer an der 180 km von Kap Tscheljuskin entfernten Polarstation von Ust-Tajmyr. Anfangs mit einer Fischerbrigade und anschließend zwei Jahremit seiner jetzigen Lebensgefährtin Galina Prokopjewna. Dann wurde die Fangstation wegen ihrer mangelnden Rentabilität geschlossen, obwohl, wie Wladimir bestätigt, der berühmte Salm, den man in Dickson Saibling nennt, ausschließlich in diesen nördlichen Breiten, an dieser Fischfangstation gefangen wurde. Als aus der Arktis keine roten Fischsorten mehr geliefert wurden, besann man sich in der Fischindustrie plötzlich und eröffnete die Fangstation in Ust-Tajmyr dann doch wieder.

Unvernünftige Liebe führte zur Vernunft

Während der langsamen Unterhaltung, die wir in der Küche der Golubzews bei Buchweizengrütze mit Fleisch und kräftigen Dicksoner Pilzen führten, nickte Galina Prokopewna immer wieder zustimmend, wenn irgendein Ereignis im Leben ihres geliebten Mannes in ihrer Seele ein lebhaftes Echo auslöste. Bisweilen fügte sie dem Dialog auch ein paar eigene Worte hinzu. Als wir unmittelbar auf sie zu sprechen kamen, wurde Galina Prokopewna verlegen wie ein junges Mädchen, und auf die Frage, was sie selbst in den Norden verschlagen hat, antwortete sie lachend: es fehlte mir an Verstand - das ist es, was mich hierher gebracht hat. Das gehört längst der Vergangenheit an, aber man kann wohl, wie es heißt, eine Nadel nicht in einem Sack verstecken. Dickson war eine winzige Siedlung; so sehr du auch versuchen magst dich zurückzuziehen – trotzdem wissen alle über dein Elend und deine Probleme bescheid. Mehrnoch – die Leute wissen sogar all das, was du von dir selbst niemals vermutet hättest. Und Galina Prokopewna war es auch nicht gewohnt, um den heißen Brei zu reden, sondern immer alles gerade heraus zu sagen – so, wie es im Leben tatsächlich war, so sprach sie es auch aus, ohne etwas zu verheimlichen. Wovor sollte sie sich denn schämen? Galina hatte zwei Ehemänner gehabt – Wladimir war der dritte, aber sie hatte kein fremdes Glück gestohlen. Was nicht zustande kam, ist nun vorbei, wie Schall und Rauch verflogen – was geblieben ist – ist jetzt für immer mit ihr.

Irgendwannmachte Galina in einer Nowosibirsker Fachschule eine Ausbildung zur Köchin, sie lief mit den anderen Mädchen ins Theater, ins Kino, in den Zirkus; aber nach Dickson geriet sie wegend er großen Liebe – dorthin folgte sie ihrem Auserwählten. Es kam der November des Jahres 1962. In Dickson hatten zu der Zeit bereits die Polarnächte eingesetzt. Galja kam dort an und wurde von einer großen Verwirrung heimgesucht: egal, wann man auf die Straße hinaustrat – es war stets dunkel, und es kam einem so vor, als ob der Frost einem bis tief ins Herz vordrang. Außer ihrem Mann und dessenVerwandtschaft kannte Galina niemanden in Dickson. Es war mühselig in der Siedlung eine Arbeit zu finden, und in den ersten fünf Monaten ging Galina in den Vorratsraum, um dort Kartoffeln zu sortieren. Als alle Kartoffeln im Speicher verlesen waren, begab sie sich zu den Behörden. Sie hatte Glück: zu jener Zeit hatten sie den ehemaligen Komsomol-Mitarbeiter Wiktor Nikolajewitsch Kotschkarew, der nun nach Dickson gekommen war, zum Vorsitzenden des Exekutiv-Komitees ernannt; er ware ein nachdenklicher, aufrichtiger und all dem Jkummer und Leid der anderen gegenüber äußerst feinfühliger Mensch, und so bot er der schwangeren Galina einen Posten in der Partei-Bibliothek an. Galina erklärte sich damit einverstanden, sie hatte ja keine andere Wahl, sie mußte ja arbeiten, und für den Beruf derKöchin, den sie erlernt hatte, gab es in Dickson keine freie Stelle.

Als ihre Tochter geboren war, ging Galina erneut mit der Bitte zum Exekutiv-Komitee, ihr bei der Suche nach Arbeit zu helfen, auch wenn es kein Arbeitsplatz war, der ihren beruflichen Fähigkeiten entsprach. Auch diesmal halfen sie Galina – sie nahmen sie als Lehrling in der Konditorei des Handelskontors an. Mit der Zeit lebte Galina sich in Dickson ein, ließ sich bei der örtlichen Bibliothek eintragen und schloß eine feste Freundschaft mit zwei jungen Bibliothekarinnen. Nachdem sie den jungen Ehemann zur Armee geholt hatten, wartete Galina ganze zwei Jahre auf ihn, und dann begriff sie, dass die ursprüngliche Liebe vergangen war, wie der Rauch eines Feuers. Es hatte sie gegeben, aber nun war sie vorbei.

Die einzelnen Abschnitte in Galina Pokrofewnas Arbeitsleben sind einfach; sie arbeitete als Konditorin, später als Köchin. Ähnlich wie es bei vielen Frauen der Fall war, - ein einfacher Beruf, ein ganz gewöhnliches Leben. Und trotzdem gab es da offensichtlich etwas in ihrem Leben, das ihre Landsleute als besonders würdevoll ansahen – am Jubiläumstag, welcher der Entstehung des Ortes Dickson gewidmet war, wurde Galina Prokopewna Golubzowa der Titel einer „Ehrenbürgerin der Stadt Dickson“ verliehen. Am merkwürdigsten war es, dass es in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Dickson so schwierig war, mit dem nicht leichtenBeruf einer Köchin eine Stelle zu finden, aber auch hier hatte Galina Glück. Zunächst arbeitete sie als Heizerin in der Bäckerei, und irgendwann später begann sie selber Brot zu backen. In Nowosibirsk war Galina in einer großen Fabrik tätig, wo der gesamte Brotbackprozeß automatisiert war, während man in Dickson noch alles per Hand gemacht wurde. „Macht nichts, - lacht Galina Prokopewna, - ich war ja noch jung, die Arbeit ging mir gut von den Händen“. In einem seiner Bücher erwähnt der Journalist und Poet Walerik Krawez hinreichend ihre Meisterlichkeit und ihren Fleiß: „Ich erinnere mich an den wunderbaren Geschmack deines Brotes, Galja“. Galina hat sich nie vor Schwierigkeiten gescheut; wahrscheinlich hat sie deswegen auch soviel davon abbekommen. Eine bekannte tajmyrsker Poetin hat in ihren Versen, zwar etwas grob, aber dafür äußerst offen und zutreffend, geschrieben:

„Ich bin sowohl Pferd als auch Ochse,
Ich bin Weib und Mann zugleich“ –
So sagen oft die Russen,
alle – ohne Ausnahme.
Wir ziehen die Fuhre: Kinder und Ehemann,
Zur Schule und Arbeiten in grimmigem Frost,
Und es gibt keinen Lohn dafür,
Wir laufen in gestopfter Kleidung herum,
Der Markt – hol ihn der Teufel,
Die Diplomatie mit den Menschen,
Die Küche, das ewige Wäschewaschen –
Es gibt weder Frisuren noch Gesichter.

Wir können alles, sind für alles verantwortlich.
Manchmal haben wir eure Netze,
Eure Fangeisen und Schlingen.
Die Luft ist für uns zum Atmen, Männer,
Damit sich für einen winzigen Augenblick
Das Pferd in ein Mädchen verwandelt,
Um ein feines Kompliment zu hören,
Zu vergessen, dass man ein Ochse ist ...

Es waren einmal ein Großvater und ein altes Weib...

Viele Frauen träumen von der Fürsorge des Ehemannes. Und wessen soll man sich schämen, wenn das Los einer Frau in ferner russischer Abgeschiedenheit so schwer ist, dass die sogenannte schwache Hälfte der Menschheit, eingespannt in eine Fülle von Problemen, Sorgen und Aufregungen, ihn durchs Leben führt, dabei vorzeitig altert und mit den Jahren schließlich die Hoffnung verliert, irgendwann einmal neben sich eine Kräftige männliche Schulter zu finden. Galina gab die Hoffnung nicht auf, dass irgendwann auch in ihrem Leben ein solcher Festtag stattfinden würde. Ihren Wladimir lernte sie fast zufällig kennen – auf einem abendlichen Beisammensein bei zwei Bekannten, obwohl es im Leben wahrscheinlich überhaupt keine Zufälle gibt. Anfangs wohnten und arbeiteten Wladimir und Galina auf einer der Fangstationen der Dicksoner Fischfabrik, deren Unterabteilung sich beinahe am gesamten Ufer der Arktis entlang erstreckte. Später, als die Fischfabrik aufgelöst wurde, beschlossen sie für sich selber zu arbeiten, so wie ihre langjährigen Freunde und Wohnungsnachbarn Grigorij und Sinaida Degtjarew es auch taten. Eine Zeit lang hatten die Golubzows und Degtjarews eine gemeinsame Wohnung in Dickson und auch ene Küche, die sie gemeinsam benutzten. Damakls gab es nur wenig Wohnraum in Dickson, und eigentlich war für die Fischer eine separate Behausung auch nicht notwendig: in der Gemeinschaftsküche trafen sie sich nur in den kurzen Zeiträumen vor der Abfahrt in den Urlaub.

Irgendwie hatte sich am Nadudoturka-See, in der benachbarten Fischfang-Genossenschaft, unweit der Stelle, an der die Golubzows fischten, eine besonnene, wenig redselige Frau niedergelassen. Tagsüber ging sie dem Fischfang nach und in den langen Polarnächtern malte sie unter dem Knistern einer Kerosinlampe Bilder – so lebten die Golubzows vier Jahre lang in unmittelbarer Nachbarschaft mit der bekannten Dicksoner Künstlerin Ljudmila Gessler, die sich diese nicht gerade leichte Arbeit nicht schlechter als ein zünftiger Fischer aneignete. Aus jenen Zeiten sind Ljudmila Gessler bemerkenswerte Bilder erhalten geblieben, von denen sie eines den Nachbarn am See schenkte. Und außerdem bemalte sie für Galina und Wladimir Küchen-Brettchen. Ihr Brettchen versteckt Galina Prokopewna in der Vorratskammer, weit weg von unbefugten Blicken. Als Wladimir Nikolajewitsch mir seines zeigt, zieht er es lachend vor den danach greifenden Händen seiner Frau zurück, bereit es wieder an seinen vorherigen Platz zu stellen. Auf diesen Brettchen sind die Eheleute Golubzow in Gestalt eines Großvaters und einer alten Frau dargestellt. „Opa“ Golubzow ist mit seinem Äußeren zufrieden, aber der „alten Frau“ Galina Prokopewna gefällt ihre von der Künstlering gemalte Nase überhaupt nicht: „Sie ist viel zu lang“, - brummt sie, aber dennoch bewahrt sie sehr behutsam alle Gegenstände auf, welche die Hände der Künstlerin gefertigt haben. Die bemalten Tellerchen, Brettchen sowie ein Bild haben in der Wohnung der Golubzows überall ein Plätzchen gefunden. Die Gegenstände erzählen nicht nur von den Leidenschaften und der Art der Beschäftigung der Hausherren – sie erzählen jedem aufmerksamen, nicht gleichgültigen Blick vom einfachen, bescheidenen Familienglück der Golubzows

In der Wohnung der Golubzows wächst ein Limonenbaum; Wladimir hat ihn vor drei Jahren gepflanzt. Es kommt vor, dass die beiden aus ihrem Überwinterungsort in die Wohnung zurückkommen: die Kälte dort ist unerträglich – nur sieben Grad über Null, aber der Limonenbaum trotzt der Kälte und erfriert nicht; es macht ihm einfach nichts aus. Und so ist es auch mit der Familie selbst, einer ziemlich ungewöhnlichen Lebenskonstruktion, die manchmal durch einen leichten Luftzug der Alltagsmißgeschicke zerfällt, aber mitunter können ihr nicht einmal die rauhesten Erschütterungen irgendetwas anhaben – im Gegenteil, die Familien konstruktion wird dadurch nur noch fester. Da wächst in der Wohnung der Golubzows ein die Wärme liebendes exotisches Bäumchen, es wächst, vermutlich deshalb, weil das Famiulienglück sich ebenso gestaltet: einfach, ausdauernd, hoffnungsvoll – wie das Limonenbäumchen im Kübel hinter dem verschneiten Fenster. Und was diesen zärtlichen, südländischen Namen betrifft – das ist ja nur ein Name, eine Bezeichnung.

Irina APLESNEWA
„Tajmyr“, 23.08.2007
(Foto des Autors)
Verwendet wurden Verse von Walentina Sawarsina und Reproduktionen von Bildern der Ljudmila Gessler.


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