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Die Deutschen tranken auf die Liebe

Ohne bis zum traditionellen dritten Trinkspruch zu warten, galt der erste immer der Liebe. Und in einem solchen Beginn des feierlichen Empfangs anläßlich der Beendigung des Kongresses rußlanddeutscher Begegnungszentren (Moskau, 31. Oktober) lag historische und geistige Wahrheit. In der mehr als tausendjährigen Geschichte der russisch-deutschen Beziehungen, seit den Zeiten der Kiewer Rus, hatten keinerlei politische Kollisionen und selbst die grausamsten Kriege zwischen Rußland und Deutschland, die Fäden zwischen den beiden gutnachbarschaftlichen Völkern und deren herzliche Verbundenheit nicht zerreißen können. Und es war ganz vergeblich, nach „echten Ariern“ unter den Delegierten des Kongresses zu suchen – jeder zweite war, sofern nicht „rußlanddeutsch“, zur Hälfte Ukrainer, Weißrusse oder anderer nationaler Herkunft. Der Liebe sind alle Nationen unterworfen. Die Liebe kennt keine Grenzen …

„Unsere Heimat – Rußland“

Der Kongreß begann mit dem Singen der Nationalhymne der Russischen Föderation, und aufrichtig und mit viel Gefühl sangen sie „Rußland – du geliebtes unser Land“. Die Liebe zur Heimat, in der sich Jahrhunderte zuvor ihre Vorfahren als Bauern-Kolonisten oder „Spezialisten“ (im alten Sprachgebrauch „Handwerksmeister“) und Kaufleute niedergelassen hatten, wurde auch im regionalen Programm unter dem Titel „Nationalität – deutsch, Heimat – Rußland“ verkündet. Und die Losung des dem Kongreß vorangegangenen Forums der Begegnungszentren lautete: „Begegnungszentren – Brücken der Freundschaft und Zusammenarbeit“.

Ähnliche Zentren, und davon gibt es in unserem Lande 300, plus fünf rußland-deutsche Häuser, 21 regionale, nationale, kulturelle Autonomien, mehr als 100 deutsche Kulturzentren, über 60 Jugendklubs, stellten eine große Gruppe aus 180 Delegierten der 59 Regionen Rußlands, von der Kolyma bis Kaliningrad dar. Als Ehrengäste waren Vertreter öffentlicher Organisationen der Deutschen aus Weißrußland, Kasachstan, Moldawien, der Ukraine sowie von Landsmannschaften deutscher Städte. „Wir sind Sowjetmenschen geblieben, und es gibt bei uns allgemeine Adaptationsprobleme, Schwierigkeiten in den gegenseitigen Beziehungen und in puncto Toleranz seitens der anderen“, - erklärten die „Nicht-Russen“ ihre Teilnahme an Forum und Kongreß.

Wenn man die Schlüsselprobleme der „nicht-deutschen“ Deutschen, wie das Thema der Diskussion in diesem Arbeitskreis lautete, erörtert, dann treten heutzutage Fragen der Selbstorganisierung und der partnerschaftlichen Beziehungen zwischen russischen und deutschen Organisationen am schärfsten zutage. Übrigens muß man auch den Arbeitskreis für Geschichte, Heimatkunde und Kultur als äußerst eifrig und aktuell bezeichnen. Man konnte sehrwohl merken, daß nicht nur Wissenschaftler und Leiter der regionalen Diaspora die Wahrung des kultrurellen Erbes sowie der historischen Erfahrungen des Lebens in einem andersnationalen Milieu interessiert. Recht treffend fiel während einer der Diskussionen die Bemerkung: „Einen gestanden Deutschen kann man einschüchtern, ihm vielleicht Angst machen, aber sein Deutschtum – das kann man ihm nicht nehmen“. Aber darüber, wie man dieses Deutschtum in seinen Kindern weiterleben, sie darin erziehen kann – darüber gab es eine Menge Streitpunkte: soll man ihnen denn tatsächlich die Sprache oder die Familientraditionen, das Schicksal der Familie und die Erfahrung des Leidens „aufzwingen“?

In dieser Hinsicht sind die Beobachtungen von Wissenschaftlern und Soziologen aus Omsk interessant, die herausgefunden haben, wie Russen ihre Zugehörigkeit zur deutschen nationalen Minderheit empfinden (T.B. Smirnowa). Von 100 Personen, die im Sommer 2006 befragt wurden, antworteten 28%, daß sie noch nie darüber nachgedacht hätten und dieser Frage auch keine große Bedeutung beimessen würden. 60% sagten, daß sie das als ganz normal empfänden und sich gleichberechtigt fühlten, 12% - daß sie stolz darauf wären Deutsche zu sein. Daß dies belastet und die Leute sogar negativ Gefühle empfinden, das gab niemand zur Antwort. Diese Angaben beweisen das Zustandekommen einer normalen, positiven, ethnischen Identität bei den Rußland-Deutschen. Von uns wurde auch die Frage nach ethnokonsolidierenden Merkmalen gestellt. Wir wollten wissen, worin die Befragten die Nähe zu Menschen ihrer Nationalität sähen. Bei den Antworten stand die Sprache (56%) an erster Stelle, gefolgt von der gemeinsamen Herkunft (45%), den Sitten und Gebräuchen (18%), der Religion (14%)“.

Aber das war in Omsk, wo sich die größte deutsche Diaspora Rußlands, der Deutsche Nationale Rayon (einen solchen gibt es auch noch im Altai-Gebiet) befindet. Man könnte meinen, daß in unserer Region die Anzahl derjenigen, die „darüber noch nicht nachgedacht haben“, größer wäre –die Zeit und das Leben in dem Vielvölkergemisch erreichte durch Assimilation in den meisten Fällen bis zu 100%. „Das ist doch Hitler, der Feind hat mich gequält mit seinen Kühen“, knurrte Tante Warja, Einwohnerin eines der ilansker Dörfer, herzzerreißend ihren Mann an, der verlangte, daß sie auf ihrem Hof möglichst viel Vieh halten sollten. Ihr Gezänk drehte sich immer wieder um das Thema zweier Kühe und deren kräftezehrende Pflege; aber es gab keinerlei Schimpfworte oder Erwähnungen darüber, daß Tantchen Warja Deutsche und Onkel Jascha Russe war.

Auch in tausenden gemischten krasnojarsker Familien reibt man sich weder Russen- noch Deutschtum gegenseitig unter die Nase. Und es ist allen in der Gegend egal, welcher Nationalität du angehörst, so lange du ein guter Mensch bist. Man erinnert sich daran, wie gut und in echt sibirscher Art der regionale Feiertag der deutschen Kultur in Perwomajsk zuende ging, wie alle einträchtig „Burschen, spannt die Pferde an“ sangen. Gesänge und die ganze Organisation bei Tisch waren hervorragend aufeinander abgestimmt, und so war klar, daß das, was für den Russen gut ist, auch für den Deutschen gilt.

Aber im Großen und Ganzen ist die Frage der Identität, das heißt das Sichverstehen als Deutscher, für jeden einzelnen mit widersprüchlichen Gefühlen gekoppelt ist. Darum bemüht hat sich auch die nicht einfache Geschichte des Aufenthalts dutzender Generationen von Umsiedlern aus Deutschland in Rußland sowie der politischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts. Zwei Kriege zwischen verwandten Ländern, die für das nationale Selbstbewußtsein demütigenden, grausamen Repressionen, haben die Geschichte der Seelen der Rißland-Deutshcern in einem recht beträchtlichen Maße verbogen. Aber zerbrechen oder zerreißen konnten sie sie nicht. Was für das Beispiel wichtig ist und bedingungslosen Respkt hervorruft ist, daß sie es nicht zuließen, daß durch alle die Kränkungen ihre Welt verfinstert und ihre Herzen damit angefüllt wurden. Ich kenne eine Menge deutschstämmiger Krasnojarsker, und größere Patrioten der UdSSR und Rußlands als sie sind mir wohl kaum begegnet. „Hier ist unsere Heimat, alles Vertraute“, sagten mit unüberwindlichem Heimweh jene, die nach Deutschland ausreisten, deren Herzen jedoch in Sibirien blieben, der geliebten Heimat. Und Soziologen und die Gesamtheit der wissensdurstigen Forscher wird sich wohl kaum mit den Gefühlen der russischen Deutschen auskennen …

Vom Staat mit Anerkennung

Über Deutsche und Russen, die enge Einbimdung und gegenseitige Bereicherung unserer Nation wurde bei der Eröffnung des Kongresses sehr pathetisch, aber auch einfach nur so, eine Menge geredet. Zeugnis der Anerkennung und Achtung gegenüber dem deutschen Volk Rußlands waren die Begrüßungsr3eden, mit denen man sich an die Delegierten und teilnehmenden Vertreter der deutschen Bundesregierung, der Staatsduma und der Russischen Föderatuon wandte. Mit Beifall wurde die Botschaft des russischen Präsidente4n Wladimir Putin aufgenommen. Mehrfach klang die hohe Anerkennung des Beitrags des deutschen Volkes zur Entwicklung von Wirtschaft und Kultur des russichen Staates an, sein Beitrag zur Blüte des Landes und seinem wissenschaftlich-technischen Fortschritt.

Die Russen haben jemanden, den sie mit guten Worten bedenken können – unter den herausragenden Akteuren Rußlands befanden sich Katharina II, Admiräle und die berühmten Seefahrer Iwan Krusenstern und Faddej Bellinghausen, der Philologe Alexander Wostokow, der Architekt und Projekturheber für den Bau des Großen Kreml-Palasts sowie der Rüstungskammer im Kreml – Konstantin Ton, der Theoretiker des Staatsdienstes W. Hessen, die Diplomaten N. Küner, F. Martens, K. Weber. A. Speyer, der General-Gouverneur des Amur-Gebeits A. Korf. Als Beispiel deutscher Dienstbarkeit gegenüber der russischen Krone nannten die Zeitgenossen Sergej Witte, den berühmten, sehr gescheiten Reform-Minister. Charakteristisch ist, daß viele der Obengenannten Adelstitel besaßen, welche die Ausländer nur mit tadellosem Dienst gegenüber Zar und Vaterland erhalten konnten.

„Es war eine Tragödie“

Der nicht vergehende, tief sitzende Schmerz aller Sowjet-Deutschen und besonderes derer, die zu Sibirjaken wurden, hat seinen Ursprung in den Deportationen aus dem Wolgagebiet und dem Lenongrader Gebiet im Jahre 1941. Die Qualen, die 70.000 in die Region Krasnojarsk Deportierten zuteil wurden, sind einfach unvorstellbar. In dem 2006 herausgekommenen Buch „Die Deutschen des Tajmyr“ von Leo und Viktoria Petri sind herzzerreißende Zeugnisse von Betroffenen jener Tragödie zusammengetragen worden.

Der 28. August ist für alle Rußland-Deutschen ein Gedenktag, denn genau an diesem Tag wurde der Ukas über die Deportation der Deutschen aus den westlichen Territorien und dem Wolgagebiet verabschiedet. Für diejenigen, die nach den schrecklicken, unglücklichen Jahren noch am Leben waren und sich heute noch an alles erinnern können, ist es ein Tag der Tränen und der Trauer. Maria Schmidt, die Leiterin des Zentrums der deutschen Kultur im Nowosjolowsker Bezirk, berichtete, wie die schon betagten Menschen weinten und wehklagten, als sie die Einladung zum ersten Tag des Gedenkens erhielten: „Warum rühen Sie das alles wieder auf, warum wollen Sie die alten Wunden in unserer Seele wieder aufreißen?!“ Im Nowosjolowsker Bezirk sind alle Deutschen Landsleute, die einander nahestehen; sie wurden alle im Jahre 1941 aus dem Kanton Unterwalden, Gebiet Saratow, verschleppt, und sie alle haben gemeinsame Erinnerungen an alles, was sie durchgemacht haben.

We die Tragödie ihren lauf nahm, erzählte Bruno Diehl aus Kansk vor fünfundfünfzig Jahren mit dem Pinsel eines Künstlers. Dem Bild gab er den jedem Rußland-Deutschen verständlichen, unheilvollen Titel „September 1941“. Noch ohne jegliche Vorstellung darüber, wa für Qualen und Leiden die bevorstehende Deportation ihn bringen wird, steigen die adrett gekleideten menschen in den Waggon. In der langen Menschenkette, die „zur Verladung“ Aufstellung genommen hat, in ihren erregten und erstarrten Gesichtern, nimmt man einstweilen nur den Schock war, den sie über das gewaltsame Fortreißen aus ihren heimatlichen Gefilden empfinden und ein Vorgefühl des Leids, das sie erwartet. In einem solchen Viehwaggon, so berichtet Bruno Genrichowitsch, fuhr auch er als vierzehnjäriger Junge zusammen mit seiner Familie in das damals noch gänzlich gehemnisvolle und unvorstellbare Sibirien.

In jenem Jahr 1941 stand ihnen auch noch die Trennung vom Vater bevor, der in die Arbeitsarmee mobilisiert wurde, die lange Dampferfaqhrt von Karasnojarsk nach Minusinsk und weiter nach Jermakowskoe und schließlich die Verschickung in den Norden, nach Turuchansk, wo sie in der Mönchszelle eines verfallenen Klosters lebten. Bruno blieb in der Familie und arbeitete, genau wie die Erwachsenen, in der Holzfällerei und in einer Fischereibrigade. In Moskau, wo während des Forums eine kreative Präsentation Bruno Diehls stattfand, sagte dieser gegenüber den verwunderten und entzückten Zuhörern nur: „Sibirien ist mein Schmerz und – meine Liebe“. Und genau in dieser herzlichen Vereinigung von Liebe und Schmerz liegt noch ein weiteres Merkmal des Deutschseins – das Sichabfinden mit Schicksalsschlägen, das Üben von Geduld und das fleißige Arbeiten.

Fragen des Tages

Dieser Schmerz läßt auch das Problem der politischen Rehabilitation der Rußland-Deutschen in schmerzlicher Weise aufkeimen, das, wie auf dem Kongreß gesagt wurde, bis heute offen geblieben ist. Aber darüber beklagen unsere Deutschen sich auch nicht; der gesunde Menschenverstand hat gesiegt, und in den Meinungsverschiedenheiten über die Wiederherstellung der Wolgadeutschen Republik wird diese Frage für nicht aktuell erklärt. „Nur wir selber sind es, die uns in den Augen der Völker Rußlands durch unsere Anständigkeit, Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit rehabilitieren können“, - verkündet auf dem Forum Edwin Grib, Veteran der öffentlichen Bewegung der Rußland-Deutschen aus Solikamsk.

Wie bereits zuvor Doktor Christoph Bergner, der Bevollmächtigte für Fragen der Umsiedlung und der nationalen Minderheiten der Regierung der FRG in seiner Rede auf dem Kongreß zum Ausdruck brachte, waren die Rußland-Deutschen im zeitlichen Sinne die Letzten, gegenüber denen Deutschland Bemühungen unternahm, natonale Verantwortung für die Folgen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges zu übernehmen.

Verwirklicht wurden diese Bemühungen durch Hilfestellung gegenüber dern Deutschen in Rußland und den Ländern der GUS sowie einer aktiv geführten Umsiedlungsprolitik. Seit Beginn der 1990er Jahre kamen 2,3 Millionen Rußlnd-Deutsche, sogenannte spätaussiedler, nach Deutschland. Allerdings stieg in den letzten Jahren auch die Anzahl der rechtlichen Barrieren für Umsiedler in die BRD, und es ist schon nicht mehr so leicht, heutzutage ein Visum für die Ausreise nach Deutschland zu bekommen –selbst wenn es sich um Verwandte handelt. Erheblich vermindert wurde auch die finanzielle Unterstützung für die national-kulturellen Autonomien und Begegnungszentren. Nur wenige Zentren erhalten eine Grund-Unterstützung, allen andere4n wird empfohlen, Projekte zu erarbeiten und um Subventionen zu kämpfen. Während der Zeit, in der das Programm am Laufen war, wurden als Hilfsgelder für die Rußland-Deutschen seitens der deutschen Bundesregierung etwa 45 Millionen Euto bereitgestellt. Heute beläuft sich die deutsche Unterstützung auf ungefähr 10 Millionen Euro pro Jahr, und inzwischen redet man auch bereits von einer paritätischen Finanzhilfe beider Seiten – Deutschlands und Rußlands.

Es lohnt sich zu erwähnen, daß die russische Regierung als Ergänzung zur politisch-rechtlichen Rehabilitierung der deutschen Bevölkerung des Landes (über 600.000 Personen) seit Anfang der 1990er auch praktische Hilfe in Form von einzelnen Projekt-Durchführugen, sowie von 1997 bis 2006 auch im Rahmen eines föderalen Programms, das den präsidialen Status erhielt, gewährt. Allerdings ist das neue russisch-föderale Programm für die sozio-ökonomische und ethnokulturelle Entwicklung der Rußland-Deutschen, das für den Zeitraum 2008-2012 geplant ist, noch nicht verabschiedet worden. Aber die ausführende Gewalt und der zukünftige Auftraggeber – das Ministerium für regionale Entwicklung – hat bereits die Prioritäten für die Finanzierung definiert. 80% erhalten die deutschnationalen Bezirke in der Region Omsk und im Altai-Gebiet sowie die Begegnungszentren in den Gebieten Uljanowsk und Samara, während für die ethnokulturelle Entwicklung erheblich weniger Mittel bereitgestellt werden - ihre Größenordnung beläuft sich auf 3 Millionen Rubel.

Die Schaffung eines Hauses der Rußland-Deutschen in Krasnojarsk ist in den Finanzierungsplänen nicht enthalten. Die Leitung der Internationalen Vereinigung deutscher Kultur, die sich um organisatorische Fragen der regionalen Zentren und Autonomen kümmert, hat den Krasnojarskern geraten, den Versuch zu unternehmen, von den Regionalbehörden Hilfe zu bekommen und sich in dieser Hinsicht das Gebiet Nowosibirsk zum Beispiel zu nehmen. Man könnte meinen, die Frage sei topaktuell, wenn man die Zahl der Deutschen in der Region (36.850 Personen laut der letzten Volkszählung und damit der viertgrößte Index im Lande) und die engen Kontakte vieler wissenschaftlicher und betrieblicher Organisationen sowie Universitäten zwischen Rußland und Deutschland in Betracht zieht.

In Udmurtien, wo insgesamt 2.000 Angehörige der deutschen Nationalität leben, gibt es die mächtige öffentliche Organisation „Jugendheim“ der russland-deutschen Jugend. Die eifrigen Jungs erzählten, wie viele Maßnahmen bei ihnen durchgeführt werden und welche sozialen Projekte von ihnen erfolgreich in die Wirklichkeit umgesetzt werden. Zu der udmurtischen Delegation gehörten auch einige Russen, die sich sehr für deutsche Sprache und Kultur interessieren.

Übrigens erwartet auch die Gewinner des Fördergeld-Wettbewerbs ein Hindernis – die Nichtauszahlung des Geldes (mit einigen wenigen Ausnahmen), denn die Arbeit steckt noch in ihren gesellschaftlichen Anfängen. Und das könnte die Arbeit in den Sprachkursen liquidieren und, wegen der Mietzahlungen für die Räumlichkeiten sowie der steuerlichen Veranlagung, die Existenz dieser Zentren grundsätzlich gefährden. So wird das Zentrum in Minusinsk bereits durch den Weg ins Nichts bedroht, das 1999 als bestes unter den analogen Zentren Rußlands anerkannt wurde und über 24 Filialen in verschiedenen Städten und Dörfern im Süden der Region verfügt, sowie auch in den Republiken Tywa und Chakassien. Angespannt ist die Situation auch in anderen Regionen.

Nichtsdestoweniger wurde auf dem Kongreß ein Konzept zur Vervollkommnung der Aktivitäten der Begegnungszentren im Hinblick auf die Wahrung und Entwicklung der kulturellen Identität und Gemeinsamkeiten der Rußland-Deutschen verabschiedet. Seit der Anerkennung des Problems wird darin dennoch voller Hoffnung über die Existenz der Zentren gesprochen, und man gibt eine klare schamtische Darstellung ihrer materiellen Sicherstellung und ihrer Aktionspläne. Das Dokument ist wirklich in einer ganz beeindruckenden Weise (bis in alle Einzelheiten) erarbeitet worden! Wi es scheint, hat man an alles gedacht – vom Jugentaustausch bis hin zur Timurowsker Hilfe für alte Menschen. Und zwischen den Zeilen kann man den Stolz für sein Volk und das großartige Rußland lesen – der Deutschen Schmerz und Liebe.

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Mit goldenen Buchstaben wurden in die krasnojarsker Geschichte die Namen der Forscher Daniel Messerschmidt, Gerhard Miller, Johann Gmelin, Peter Pallas, Ernest Hofmann, Johann Fischer und vieler anderer hineingeschrieben. Zwei Gouvernatoren des Jenisejsker Gouvernements stammten “aus den Reihen“ der Deutschen. Und zu Sowjetzeiten war eine beträüchtliche Anzahl von Kolchos- und Sowchosenleitern deutscher Nationalität. „Arbeit ist das Salz des Lebens“ besagt ein deutsches Volkssprichwort, daß wohl am kürzesten und knappsten das „Deutschsein“ mit seinem ausnahmslosen Bewußtsein für Fleiß, Anstand und Ordnung zum Ausdruck bringt. Es ist bezeichnend, daß im Jahre 1972 ganze 15% aller mit Orden und Medaillen geehrten Krasnojarsker der Nationalität nach Deutsche waren.

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Als wir in Chantajka unsere Ausweglosigkeit und, aufgrund unseres Hungers und der furchtbaren Kälte, schon das Ende vor uns sahen, machten wir uns im November heimlich auf den Weg nach Igarka, um dort Geld zu verdienen und davon Kleidung und Lebensmittel zu kaufen. Der Weg führte uns über das Eis, am rechten Ufer des Jenisej entlang. An der kleinen Siedlung Agapitowo (45 km) sahen wir ein Zeltstädtchen; in den für 30 Personen gedachten Zelten befanden sich, angefroren an Zeltstangen und Untergrund Menschen, vor allem Frauen und Kinder – und zahlenmäßig etwas weniger alte Leute. In den Zelten gab es keine Eisenöfen, man sah nirgends Brennholz und es gab keinerlei Anzeichen für irgendeine Form menjschlichen Lebens. Es war schrecklich, um die Zelte herumzugehen – überall lagen Leichen. Und trotzdem fanden wir doch noch ein „lebendiges Skelett“ und erfuhren von ihm, daß hier, unmittelbar vor dem vollständigen Zufrieren des Jenisej, mit einem Dampfer etwa 500 Menschen ausgesetzt worden waren, haußtsächlich Deutsche aus dem Wolgagebiet und dem Baltikum. Man hatte den Leuten lediglich Zelte zur Verfügung gestellt – keine Öfen, keine Ofenrohre, keine Äxte und Sägen, mit denen sie sich hätten Brennholz beschaffen können, und was das Schlimmste war – man hatte sie ohne jegliche Lebensmittel ausgesetzt. Im Grunde genommen hatte man die Menschen von vornherein schon abgeschrieben (wie es Ruta Jankowitsch am 27. Februar 1943 mit den Worten der Finnen schrieb).

„In Potapowo erwartete uns ein Leben im Rentierstall, der Bau von Erdhütten und während des gesamten Winters das tägliche Abladen von Bauholz von einem im Eis eingefrorenen Floß. Von den gebauten 22 Erdhütten war unsere die neunzehnte. Unsere Familie traf ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Völlig unzureichendes Essen, Skorbut und ständige Kälte riefen Magen- und Darmerkrankungen hervor. Dadurch starben innerhalb von nur sieben Monaten weitere fünf meiner Verwandten. Von insgesamt neun Personen blieben schließlich nur wie beide – meine Schwester Dorothea und ich- übrig. Es war eine einzige Tragödie“ (Alexander Gorr).

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„Auf ihr Schicksal, das Schicksal jener, die nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion zu unschuldigen Opfern des Stalinschen Rachefeldzugs wurden, wirkten sich die Folgen davon viel länger und wahrscheinlich auch in einem viel größeren Maßstab aus, als auf die anderen Deutschen, die im Ausland lebten. Deswegen verkündete der deutsche Staat auch sofort nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seine Solidarität mit den Rußland-Deutschen und war bemüht, diese Solidarität im realen Leben zu verwirklichen“.

(Aus der Rede von Doktor Christoph Bergner auf dem 29. föderalen Treffen der deutschen Landsmannschaft aus Rußland).

Tatjana Aleksejewitsch. Krasnojarsk – Moskau – Krasnojarsk.

Auf dem Foto: September 1941. Der Künstler Bruno Diehl.

„Krasnojarsker Arbeiter“, 15.11.2007

 


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