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Der Block der Kommunisten und Parteilosen

Am 12. Dezember 1937 fanden Wahlen in den Obersten Sowjet der UdSSR statt. Offiziellen Angaben zufolge, nahmen daran 96,8 Wähler teil, von denen 98.6% für den Block der Kommunisten und Parteilosen stimmten.

Seitdem wiederholten sich diese Angaben bei sämtlichen sowjetischen Wahlen, ob wohl niemand daran glaubte.

Massen, seid wachsam!

In Artikel 30 der Verfassung aus dem Jahre 1936 wird das höchste Organ der Staatsmacht der UdSSR Oberster Sowjet genannt. Gemäß Wahlerlass wurden die Deputierten am 12. Dezember 1937 aufgestellt, und die Wahlkampagne begann am 12. Oktober.

Der Informationsdienst des Krasnojarsker Regionsexekutiv-Komitees bereitete beizeiten die Materialien vor, welche die Ziele der Kampagne erläuterten. Die Räte-Führer machten im Voraus darauf aufmerksam, dass die Wahlen nicht glatt verlaufen würden. Antisowjetische Elemente, noch nicht ausgerottete trotzkistisch-bucharinsche Agenten des Faschismus, die sich mit der Fahne der sozialistischen Demokratie bedeckt hatten, versuchen die Machtorgane zu durchdringen und die Wachsamkeit der Volksmassen zu hintergehen. Ebenso sind Aktivitäten von Kirchenleuten verschiedener Schattierungen zu verzeichnen, die damit anfingen, ihre Anhänger aus den Am meisten zurück- gebliebenen Bevölkerungsschichten auf die Wahlen vorzubereiten, in dem sie die Rolle von Aufständischen für die nicht entwaffneten Feinde der Sowjetmacht spielten.

Daher wurde jedem Räte-Führer befohlen, die Arbeit unverzüglich zu verbessern, den Kontakt zu den Massen zu festigen, indem sie ihre eigenen Reihen von verborgenen Volksfeinden säuberten, die bucharinschen und trotzkistischen Halunken entlarvten und die Massen für die Liquidierung der Folgen der Schädlingstätigkeit zu mobilisieren.

Den Taubstummen nahmen sie in die Liste nicht mit auf

Wichtigste Aufgabe der den Wahlen vorausgehenden Kampagne war die Aufstellung der Wählerlisten. Am 13. Oktober 1937 erklärte der Staatsanwalt der UdSSR, Wyschinskiij, dass vorgesehen war, alle Staatsbürger, die das 18. Lebensjahr erreicht hatten, in die Wahllisten aufzunehmen, mit Ausnahme von Geisteskranken, denen per Gerichtsbeschluss die Wahlrechte entzogen worden waren, sowie Personen, die sich in Haft befanden.

Indessen zeigte sich d8ie Wählerstatistik mit einer Menge Verstößen. Am 10. November 1937 teilte der Leiter der Instruktions- und Informationsgruppe des Präsidiums des Allrussisches Zentral-Exekutivkomitee der Räte- und Arbeiter-, Bauern - und Rotarmisten-Deputierten, Saizew, aus Moskau dem Vorsitzenden des Krasnojarsker Regionsexekutiv-Komitees mit, dass in den Listen für den Bezirk Jemeljanowo nicht die Vor-und Vatersnamen der Wähler erwähnt seien. Die Saledejewsker und Bogutschansker Dorfräte hätten in ihren Listen überhaupt keine Wähler älter als 70 Jahre aufgeführt.

Mitarbeiter des Regionsexekutiv-Komitees wurden losgeschickt, um die vor den Wahlen angelaufenen Wahlkampagne in den Städten und Dörfern zu beobachten. Instruktor A.A. Atutow fügte hinzu, dass der Sekretär des Dorfrates Muschitschkin die Erstellung der Wählerliste einem minderjährigen Mädchen anvertraut hatte. Ihre Liste erwies sich als schmutzig, die Familiennamen waren unleserlich geschrieben, und im ersten Revier der Sowchose „Morgenröte“ fehlten 27 Arbeiter.

Der Sekretär des Kutscherowsker Dorfrats im Nischneingaschsker Bezirk stellte4 die Liste anhand des Wirtschaftsbuches auf, wobei er 76 Wähler ausließ, darunter auch den Vorsitzenden des Dorfrats und einen Lehrer. Sekretär Pawlow schrieb die Liste viermal um, aber jedes Mal war sie nicht in der alphabetischen Reihenfolge, und bei manchen Wählern fehlte der Vatersname. Der Sekretär hatte auch den taubstummen Poljakow, den er als geisteskrank einstufte, und den Bürger Padalka, der angeblich begriffsstutzig und taub war, nicht in die Liste aufgenommen.

Durch solche Signale beunruhigt, ordneten die Leiter des regionalen Exekutiv-Komitees an, die Wählerlisten zu überprüfen. Bald darauf fügte Instruktor L.I. Pasarin telefonisch aus dem Nowosjolowsker Bezirk hinzu, dass er erneut Listen gesehen hätte, die nicht in alphabetischer Reihenfolge und ohne Vor- und Vatersnamen erstellt worden wären

Schamanen haben in der Kommission keinen Platz

Erheblich sorgfältiger als die Listen wurden die Leute in den Wahlkommissionen überprüft. Im Daurischen Bezirk wurde die Lehrerin Ljamin nicht als Sekretärin der Kommission bestätigt, weil sie einen Mann geheiratet hatte, welcher der Sowjetmacht nicht nahestand. Im Budnikowsker Abschnitt ersetzten sie den Vorsitzenden der Abschnittskommission, A.A. Prudnikow, weil er 1931 am Kulaken-Aufstand teilgenommen hatte.

Die ländlichen Befürworter des Regimes mühten sich nicht großartig mit komplizierten demokratischen Prozessen ab. Instruktor Nesterin teilte mit, dass im Gremutsche-Padinsker Dorfsowjet zwei von sieben Mitgliedern der Komsomolzen-Organisation zur Versammlung gekommen wären. Sie hatten sich selber zu Vorsitzenden und Sekretären der Wahlkommission ernannt. Diese Fälschung wurde erst beim Ilansker Bezirksexekutiv-Komitee enthüllt.

Die Instruktoren A.A. Atutow und M.P. Baryschnikow meldeten, dass das Askyssker Bezirkskomitee der Partei in Chakassienj eine gewisse Kyslasowa als Mitglied für die Gebietskommission empfohlen hätte, welche von Komsomolzen der Stalin-Kolchose als Tochter eines Schamanen enttarnt worden wäre. An ihrer Stelle schlugen die jungen Leute ihren Komsomolzen-Organisator vor – den ehemaligen Landarbeiter Oika Patschakow. Aber am 7. November machten die feindlichen Nationalisten mit dem Aktivisten – mit Hilfe zweier berüchtigter Rowdys - kurzen Prozess. Dabei entließ der stellvertretende Gebietsstaatsanwalt Bjugow die Banditen aus der Haft, weil er ihren Fall als ganz gewöhnliches Randalieren einstufte. Die Instruktoren gaben zu verstehen, dass das Askyssker Bezirkskomitee die Position der Nichteinmischung einnahm, da es von der Schamanin Totorowa gelenkt wurde, obwohl man im Gebietskomitee der kommunistischen Partei Chakassiens von ihrer Bai-Abstammung wusste.

Hat man Stalin in Krasnojarsk nicht genannt?

Instruktor A.A. Atutow teilte der Leitung mit, das die Agitatoren in den meisten Fällen aufgrund ihrer eingenommenen Ämter ernannt würden, das heißt sie meldeten Mitglieder der Abschnittskommissionen, Mitarbeiter der Dorfräte, Kolchosvorstände und Lehrkräfte an. Manche von ihnen kannten nicht einmal die Verfassung und die „Wahlordnung“.

Die Wähler von Ustjug stellten dem Agitator I. Popapow die Frage, wieso lediglich ein Kandidat im Krasnojarsker Wahlbezirk übrig geblieben war. Der Dorflehrer antwortete, dass die Genossen Stalin, Kaganowitsch und Schdanow verzichtet hätten, denn erstens wäre die Region Krasnojarsk von fremden Elementen verseucht, und zweitens würde man sie in Krasnojarsk sowieso nicht kennen. Und so taten sie sich dann an ihren Wohnorten in Moskau und Leningrad hervor. Ein anderer Agitator erschreckte die Wähler ganz einfach damit, dass er ihnen sagte, sie würden mit einer 100-Rubel-Strafe belegt, wenn sie nicht zu den Wahlen kommen würden.

Als der Vorsitzende des Saledejewsker Dorfrats Oparin streng gefragt wurde, weshalb er nicht planmäßig und in disziplinierter Weise das Wahlgesetz mit en Werktätigen durchgenommen hätte, gab er ehrlich zu: „Die Kolchosarbeiter sind froh, wenn wir sie nicht groß in Unruhe versetzen“.

Der Vorsitzende des regionalen Exekutivkomitees Jegorow überhäufte den Wahlbezirk, der im Gebäude der regionalen Finanzbehörde untergebracht war, mit scharfer Kritik. Instruktor Dombrowskij hatte sich bei ihm darüber beschwert, dass man problemlos in das Wahlbüro gelangen konnte, indem man lediglich sein Dienstmandat vorwies. Man gab ihm einen Passierschein, den sie ihm beim Verlassen wieder abnehmen wollten, aber er bat darum , den Schein behalten zu dürfen, damit er wiederkommen und noch einmal davon Gebrauch machen könne. Jegorow meinte mit viel Pathos: „Und wenn nun ein Mann ohne Mandat kommt, der womöglich auch noch lahmt – schickt man ihn dann nach Hause, um seinen Ausweis zu holen? Da kann man mal sehen, wie weit es in der Regionshauptstadt, in einer der zentralen Abteilungen des regionalen Exekutivkomitees, kommen kann“.

Übrigens gab es bei dem ganzen Durcheinander vor den Wahlen pragmatische Handlungen. Bereits am 4. Oktober traf ein Eilrundschreiben ein, in dem es hieß, dass es am 12. Dezember in den Wahlbezirken zahlreiche benutzte Briefumschläge geben würde. Deswegen erteilte das allrussische Kontor „Sojusutil“ die Anweisung, die Sammlung und Entgegennahme von Altpapier für die Papierindustrie zu organisieren.

Unterdessen fixierten die Instruktoren des Gebietsexekutiv-Komitees sorgfältig Fälle antisowjetischer Agitation. So wanderte beispielsweise in der Karatussker Mittelschule der „Bogorodiziner Brief“ von Hand zu Hand. In der Taiga, 75 km von der Bezirksstadt entfernt lebte ein Mönch, der die Kinder mit Bleikreuzen taufte, für die Verstorbenen Totenmessen las und den Leuten Ratschläge erteilte, wen sie in den Obersten Sowjet wählen sollten. Ein Bewohner des Usinsker Bezirks setzte das Gerücht in Umlauf, dass sich eine bewaffnete Bande dem Dorfe näherte und die Grenzschutztrupps mit ihr nicht zurechtkämen. Im Kyslasowsker Dorfrat versuchte der Lehrer N. Topojew, der sich früher zu der konterrevolutionären Sache hingezogen gefühlt hatte, die Wahlen zu sabotieren, in dem er gegen die staatlichen Kandidaten agitierte.

Es gab niemanden, bei dem man sich hätte beschweren können

Die Kampagne vor den Wahlen deckte die ganze tiefgründige Rechtlosigkeit der Bevölkerung auf. Informator M.P. Baryschnikow teilte mit, dass man im Bezirk Jemeljanowo eine Menge Verstöße gegen die Satzung der landwirtschaftlichen Genossenschaft feststellen könne. Der Vorstand der Kolchose „Hammer und Sichel“ belegte innerhalb von einem Jahr 171 Kolchosarbeiter mit Geldstrafen, Verweisen oder anderen Disziplinarstrafen, was 70% aller Werktätigen ausmachte.

In der Kolchose „Erster Mai“ wurde der Genosse Bitschow zu 5 Tagesarbeitseinheiten und einer Geldstrafe in Höhe von 50 Rubel belegt, weil er zwei Tage der Arbeit fern geblieben war, da er jedoch noch minderjährig war, trieb man den Betrag bei seinem Vater ein. In der Lenin-Kolchose im Saledejewsker Dorfrat wurde durch die Schuld des Brigadeleiters Michaljuk acht Kolchosarbeitern, die auf der Getreidedarre arbeiteten, für einen Zeitraum von zwei Monaten die geleisteten Tagesarbeitseinheiten nicht gutgeschrieben.

Es gab niemanden, bei dem man sich wegen der dörflichen Willkür beschweren konnte. Beim Kansker Bezirksexekutiv-Komitee gerieten die Beschwerdebriefe in die Hände von Beamten, ohne vorher ordentlich registriert worden zu sein, und die trugen sie dann wochenlang in ihren Aktentaschen mit sich herum. Der Dorfratsvorsitzende Michnenko nahm dem Schmied Skatschkij die Kuh weg, als der in eine andere Kolchose umzog. Bei der Enteignung trieb er seinen erbarmungslosen Spott mit dem Schmied und richtete dessen 16-jährige Tochter übel zu. Das Präsidium des Bezirksexekutiv-Komitees zog die Sache sehr in die Länge und entschloss sich schließlich, den Fall wegen Verletzung der Revolutionsgesetzgebung zur Untersuchung an eine Kommission weiterzuleiten. Die Beschwerde blieb jedoch ungeklärt.

Einzelne Volkswähler gaben seit dem Wahltag im Jahre 1934 nicht ein einziges Mal einen Rechenschaftsbericht ab. Unter ihnen waren auch die Mitglieder des Krasnojarsker Stadtrats Pusakow, Sykow und Schukow. Laut Angaben des regionalen Exekutivkomitees legten lediglich 423 von 843 Dorfräten vor den Wählern Rechenschaft ab.

Niemand wagt die Ergebnisse anzufechten

Am Vorabend der Wahlen verschickte die Zentrale Wahlkommission heimlich ein Telegramm der Serie „G“, welches nicht der Übertragung im Radio oder per Telegraph unterlag; es trug die Unterschrift Georgij Malenkows. Er warnte eindringlich davor, in der Presse irgendwelche zahlenmäßigen Resultate der Abstimmung zu verbreiten. Der Presse dürfe lediglich der Nachname des gewählten Deputierten mitgeteilt werden, und zwar ohne Hinweis auf die Zahl der Stimmen, die er erhalten hatte.

Die Wahlergebnisse wurden im Kurzlehrgang der Geschichte der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) festgehalten. An den Wahlen nahmen mehr als 91 von 94 Millionen Wählern teil oder 96,8%. Davon entschieden sich 98,6% für den Block der Kommunisten und Parteilosen. Lediglich 632.000 Personen oder weniger als 1% erhoben ihre Stimme gegen die Kommunisten.

Alle Kandidaten erwiesen sich als gewählt. Insgesamt wurden 855 Kommunisten und 288 Parteilose Mitglieder des Obersten Sowjets. Die erste Sitzung fand in Moskau vom 12.-19. Januar 1938 statt.

Aber im März 1939 kehrte Josef Stalin auf dem XVIII Parteitag der Kommunistischen Partei zu den Ergebnissen der Wahlen zurück. Er warnte: „Niemand darf es wagen Zweifel darüber zu hegen, dass unsere Konstitution die demokratischste in der ganzen Welt ist, und dass die Ergebnisse der Wahlen in den Obersten Sowjet der UdSSR bezeichnend und eindeutig sind. Insgesamt gesehen ist unsere innere Lage vollkommen stabil, und wir verfügen über eine derartige Festigkeit der Macht im Lande, dass jede andere Regierung der Welt darauf neidisch sein könnte“.

Anschließend fuhr der Führer fort: „Einige Akteure bei der ausländischen Presse reden daher, dass die Säuberung er sowjetischen Organisationen von Spionen, Mördern und Schädlingen, wie Trotzkij, Sinowjew, Kamenjew, Jakir, Tuchaschewskij, Rosengolz, Bucharin und anderen Ungeheuern, den sowjetischen Aufbau ins Schwanken und zum Zerfallen gebracht hätte. Dieses abgeschmackte Geschwätz ist es wert, dass man sich darüber mokiert. Wie konnte den das Säubern sowjetische Organisationen von schädlichen und feindlichen Elementen den sowjetischen Aufbau schwanken und gar zerfallen lassen?

Der trotzkistisch-bucharinsche Haufen von Spionen, Mördern und Schädlingen, der vor dem Ausland herumkriecht, sich wie Sklaven vor jedem ausländischen Bürokraten verneigt und bereit ist, bei ihm in Agentendienste zu treten, - das ist ein Haufen von Menschen, die überhaupt nicht begriffen haben, dass der letzte Sowjetbürger, befreit von der Fessel des Kapitals, einen Kopf höher dasteht, als jeder beliebige ausländische, höhergestellte Beamte, der auf seinen Schu8ltern das Joch der kapitalistischen Sklaverei herumschleppt; wem nützt diese bedauernswerte Bande käuflicher Sklaven, welchen Wert kann sie für das Volk darstellen und wen kann sie zersetzen?“

***

Vor 70 Jahren gelang es der stalinistischen Gruppierung die Opposition niederzuschlagen und äußerst dekorative Wahlen durchzuführen, indem sie für viele Jahrzehnte ein einzigartiges politisches Regime festlegte. Vom Kapital befreite Bürger gerieten in die Sklaverei der Bürokratie.

Zum ersten Mal entstand ein derartiges Regime nach langen und blutigen Fehden in der antiken Römischen Republik. Die Bürger wählten weiterhin Jahr für Jahr zwei Konsuln und andere Magistrate, ohne zu merken, dass sich ihre Republik schon längst in ein Imperium verwandelt hatte. Die erfolgreichen Heerführer wurden zu Imperatoren und ernannten sich ihre eigenen Nachfolger. Später vernichtete sich die Machthaberin der antiken Welt in ständigen Kriegen und zerbrach unter den Hieben asiatischer Barbaren.

Anatolij Ilin, Kandidat der historischen Wissenschaften

„Krasnojarsker Arbeiter“, 10. Januar 2008


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