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Kein Mensch – kein Problem ?

Im Internationalen Ausstellungszentrum wird die Ausstellung „Retuschierte Geschichte“ fortgesetzt, die anhand des Buches von David King ins Leben gerufen wurde. Aber stellt sie keine politische Diversion des Engländers dar?

Bei der „Retuschierten Geschichte“ handelt es sich um eine Fotoausstellung über Dokumente der UdSSR, die von der internationalen Menschenrechtsorganisation „Memorial“, mit Unterstützung des Krasnojarsker Kulturhistorischen Museumskompexes, ermöglicht wurde.

Die Ausstellung basiert auf dem Buch des englischen Künstlers David King mit dem Titel „Wie die Kommissare verschwinden“ (deutscher Titel: „Stalins Retuschen“; Anm. d. Übers.). Der Sammler arbeitete fast ein viertel Jahrhundert daran. Auf den ersten Blick entsteht beim betrachten der gefälschten Fotografien der Eindruck, dass du der Held des Romans „1984“ von George Orwell bist, der mit eigenen Augen den Beweis für die an der Geschichte vorgenommenen Korrekturen sieht.

Eine ebsonders ausdrucksvolle Fotografie innerhalb der Ausstellung ist ein Porträtfoto mit Antipowm Stalin, Kirow und Schwernik, das im Jahre 1926 angefertigt wurde. Seine Einzigartigkeit besteht darin, dass im Laufe der Jahre jeweils eine Person „entfernt“ wurde. So verschwand als erstes Antipow, dann war Schwernik an der Reihe, und schließlich wurde auch Kirows Abwesenheit festgestellt – auf dem Porträt, das 1929 von J. Brodskij gemalt wurde (als dessen Grundlage eben jene Fotografie diente), ist Stalin die einzige Person, die auf dem Bild noch zu sehen ist.

Insgesamt sind auf der Ausstellung 24 gefälschte Fotos zu sehen. Mal war der Zensor um Ruhm bemüht, mal hat er hastig und mit groben Bewegungen des Skalpells einfach das Gesicht einers „unerwünschten Menschen“ aus der Aufnahme herausgeschnitten. Auf einigen Fotografien wurde dieser versuchte Anschlag mit Hilfe von Feder und Tinte durchgeführt. Und das ist kein Wunder, denn viele Sowjetmenschen übermalten und vertuschten aus lauter Furcht und Angst selber die Gesichter von Repressierten.

Nebenbei bemerkt wurden, wie David King belegt, sogar Bilder umgearbeitet. So wurde beispielsweise die Arbeit von Wladimir Serow „Lenin ruft auf der 2. Räteversammlung die Sowjetmacht aus“ im Jahre 1962 auf Befehl Chruschtschows umgemalt. Unter dem Einfluß der Entstalinisierung nahmen revolutionäre Mitarbeiter die Plätze Stalins, Derschinskijs und Swerdlows ein, die auf dem Original hinter Lenin standen.

Alles schön und gut, aber – stellt David Kings Buch „Wie die Kommissare verschwinden“ als solches nicht eine politische Diversion dar? Können wir dem Engländer mit ruhigem Gewissen Glauben schenken? Schließlich ist King selbst doch bis heute nicht sicher, wer eigentlich dieser anonyme Absender war, der ihm mehrere hundert Fotos zuschickte: protokollarische, die in ihrem Originalzustand erhalten waren, ebenso wie Liebhaberstücke, welche die Kreml-Herrschaften im Neglige zeigen ... Vielleicht war es ein Verwandter irgendeines beleidigten, gekränkten Bonzen, vielleicht – ein Opfer jener Epoche, oder aber – ein Zensor, der es mit Fotomaterial zu tun hatte und der an Persönlichkeitsspaltung litt ? ...

- Was hat dieser King eigentlich gemacht? – lachte der Vorsitzende der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft, Aleksej Babij. – Er hat existierende Veröffentlichungen genommen und stellte einen Vergleich an. Hier, so sah die Fotografie in den 1920er Jahren aus, und so – in den 1930ern. Was soll daran denn politische Diversion sein? Die Sache ist die, dass tatsächlich viele von diesen Werken bestätigt worden sind, und einige der Originale habe ich selbst gesehen. Man kann das Buch des Engländers nicht als Abschaum oder Spucke in der sowjetischen Geschichte ansehen, denn wenn man erst einmal anfängt zu spucken, dann wird die Spucke der ganzen Welt dafür nicht ausreichen. Dort ist soviel Unordentliches aufgehäuft, und das, was King anführt – das ist nur der Anfang, das dicke Ende kommt noch.

Hunderttausende erschossene Menschen – ist das auch eine Verleumdung der englischen Spionage? Wissen Sie, dass es bis heute Familien gibt, in denen die Kinder vergeblich versuchen, auf Fotografien ihre erschossenen Verwandten ausfindig zu machen, ganz einfach deshalb, weil es damals gefährlich war sie aufzubewahren? Wenn du so eine Aufnahme in deinem Besitz hast, werden sie dich möglicherweise morgen auch schon verhaften. Deswegen haben die Menschen sie weggeworfen, vernichtet und Aufnahmen retuschiert ....

Denis TSCHIRKOW
Panorama (Selenogorsk), Februar 2008


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