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„Archipel GULAG“ – gedruckt in der Größe einer Streichholzschachtel

Nur so konnte man damals das verbotene Werk von Paris nach Rußland schaffen.

In Krasnojarsk gibt es noch so ein einzigartiges Bändchen mit Solschenitzyns „Archipel GULAG“ in der Größe einer Streichholzschachtel.

Der Krasnojarsker Wladimir Sirotinin brachte es im Jahre 1973 von Moskau mit nach Sibirien. (Heute ist Wladimir Georgiewitsch Mitglied der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft. Während der Sowjetzeit weigerte er, der der Ingenieur am örtlichen Institut für Wissenschaft und Forschung, sich der Kommunistischen partei beizutreten. Er wurde dem Umfeld der Dissidenten zugeordnet und entging, wie durch ein Wunder, seiner Verhaftung und Unterbringung im Gefängnis).

- Der „Archipel GULAG“ wurde zuerst im Dezember 1973 in Paris veröffentlicht, - erzählte uns Wladimir Georgiewitsch. – Dieses Büchlein, das Sie dort sehen, ist also eine der ersten Ausgaben des „GULAG“, die in Paris gedruckt wurden. Natürlich war die Einfuhr von Büchern mit antisowjetischem Inhalt in die UdSSR nicht leicht. Da hat man eben solche Klein-Ausgaben von der Größe einer Streichholzschachtel gedruckt, in die das gesamte Werk gerade so hineinpaßte, allerdings in winzigen Buchstaben. Es waren unterschiedliche Menschen, die verbotene Literatur aus dem Ausland nach Rußland brachten – Diplomaten, Künstler, Journalisten und so weiter. Für gewöhnlich versteckten sie sie zwischen ihren Sachen. Ich bekam den „Archipel“ von meinen Freunden am Institut in Moskau, nachdem ihn bereits jemand dorthin mitgebracht hatte. Ihn von Moskau nach Krasnojarsk mitzunehmen war nicht sehr kompliziert – am Flughafen gab es keine besondere Durchsuchung. Und hier wurde das Buch dann von Hand zu Hand weitergereicht.

In Krasnojarsk habe ich dann selber den „GULAG“ gedruckt. Man übergab mir Filme und ich machte mit Hilfe eines Vergrößerungsapparates Fotos. Einmal, als ich gerade dabei war die nächste Serie von 200-300 Foto-Seiten trocknen zu lassen, kamen unverhofft Leute, um bei mir eine Haussuchung durchzuführen.

Der „Archipel“ lag an einer sichtbaren Stelle im Zimmer, in seinem schwarzen Umschlag lugte er unter dem Fotopapier hervor. Und da beging meine Frau Sweta eine Heldentat. ALs die Tschekisten sich für einen Moment umwandten, nahm sie das Päckchen mit dem „GULAG“ vom Sofa und versteckte es unter ihrem Hauskittel in der Unterwäsche. Gott sei Dank wurde das von niemandem bemerkt. Wegen des „GULAG“ hätten sie einem auf jeden Fall eine Haftstrafe aufgebrummt ...

Wladimir Sirotinin gesteht ein, daß er lange nicht wieder zu sich kommen konnte, als er vom Tod Alexander Solschenitzyns erfuhr.

- Obwohl es nicht gänzlich unerwartet kam – schließlich hat Alexander Isajewitsch ein beachtliches Alter erreicht. Aber trotzdem – es fällt mir schwer mich damit abzufinden. Es ist Teil einer Epoche, und die ist nun zuende gegangen. Und jene Werke, um deretwillen wir irgendwann einmal unsere Freiheit riskierten, haben viele noch nicht einmal gelesen! Dabei gibt es so grundlegende ... wie biespielsweise „Der kleine Prinz“ von Antoine de de Saint-Exupéry, die man einfach gelesen haben muß – ganz egal, in welcher Zeit man sich befindet.

Maria MISCHKINA
„Komsomolskaja Prawda“ – Krasnojarsk – 06.08.2008
Foto: Aleksander TSCHERNYCH


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