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Aber ohne ihn würde das alles hier nicht bestehen…

Erinnerung

„ist dies Kims Wohnung?“ – „Ja“. – Und, sagen Sie, kennen Sie die berühmten Norilsker – ihre Namensgefährten?“ – „Natürlich, Michail Wassiljewitsch Kim. Auf dem Lenin-Prospekt gibt es eine Gedenktafel mit seinem Namen“. … Auch heute leben in Norilsk nicht wenige Männer und Frauen, die den koreanischen Nachnamen Kim tragen, aber der berühmteste von ihnen war und bleibt für immer der Begründer der Pfahlbauweise Michail Kim.

Vor vierzig Jahren, am 9. September 1970, brachte man die sterbliche Hülle des Preisträgers der Lenin-Prämie, Michail Kim, nach Norilsk; er war während einer Dienstreise in Krasnojarsk verstorben…

Nach der Version der Architektin Larissa Nasarowa geschah das im Amtszimmer des Direktors des Krasnojarsker Industriebaus des Norilsker Forschungsinstitut-Projekts, dem das von Kim geleitete Norilsker Laboratorium für Fundamentlegung unterstellt war. Als der kleine, halbblinde Mann die unhöflich-ungebildeten Bemerkungen des Spezialisten und Leiters aus der Hauptstadt vernahm, stand er von seinem Platz auf, trat an den Tisch des Direktors, stieß vor Empörung mit der Faust in die Luft, fiel um und … war tot.

„Frostig“ – vom Wort „tiefgefrieren“

Das erste Mal brachten sie den Ingenieur für Hydrotechnik Michail Kim zum Bau des Norilsker Kombinats im Jahre 1936. Wenn man den Dkumenten Glauben schenken kann, traf er am 1. August mit einer Gefangenen-Etappe auf der „Spartak“ in Dudinka ein. Seinen 29. Geburtstag konnte er während des Fußmarsches nach Norilsk feiern; das war am 8. August nach der alten Zeitrechnung oder nach der neuen – an der Stelle, an der sich die Lagerabteilung befand.

Zu der Zeit gab es im Norilsker Bauprojekt bei der geologischen Verwaltung bereits das Frost-Laboratorium, welches kurz nach der Ankunft einer Expedition des Leningrader Komitees zur Erforschung des ewigen Frostes bei der Akademie der Wissenschaften der UdSSR im Jahre 1936 geschaffen wurde. Die Vereinbarung mit dem Komitee und dem Moskauer „Fundamentbau“ wurde auf Initiative des Bau-Leiters Wladimir Matwejew unterzeichnet, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, ob man auf ewigem Frostboden überhaupt irgendetwas errichten könne.

Es war wohl so, dass man Kim den ersten Winter unter Bewachung nicht nur in eine Baracke ohne Dach und Fußboden in der Sawodskaja-Straße, der einstigen Frostboden-Station und in direktem Sinne des Wortes „tiefgefroren“ brachte, sondern auch zum Bau der Schmalspurbahn Norilsk – Dudinka. Wie bekannt, war die erste Bahnlinie ebenfalls eine Eisstrecke, das heißt man hatte sie unmittelbar auf Schnee verlegt. Die Eisfachleute hatten vor Beginn der Bauarbeiten Forschungsarbeiten durchgeführt, in dem sie einen fast einen Kilometer langen Damm aus Schnee mit Wasser begossen und darauf anschließend Gleise verlegten… Der Damm hielt stand…

Die Haftstrafe des ehemaligen Aspiranten des Leningrader Wissenschafts- und Forschungsinstituts für Hydrotechnik war nicht hoch. Insgesamt vier Jahre Freiheitsentzug nach § 58 ohne Entzug der Rechte. Sie verhafteten ihn 1935 wegen angeblicher Mitwirkung bei der Organisierung einer konterrevolutionären Gruppe und illegaler Kontakte zu antiparteilichen Gruppen in Korea und der Mandschurei in den Jahren 1924 und 1925… Übrigens, die Verhaftung in dem vergleichsweise vegetarischen Jahr bewahrten den zukünftigen Preisträger möglicherweise vor einem schlimmeren Los. Nachdem Kim im Frühjahr 1939 freigelassen worden war, verließ er Norilsk nicht und leitete ein Jahr später die Dauerfroststation; er blieb 14 Jahre lang ihr Chef.

Nicht Feind, sondern Freund

Zum Jahr 1954 gab es in Norilsk, das inzwischen bereits eine Stadt war, praktisch keine einzige Industrieanlage, fast kein öffentliches Gebäude oder Wohnhaus, an deren Erforschung und Projektentscheidung im Hinblick auf die Fundament-Konstruktionen Michail Kim nicht beteiligt gewesen wäre. Schon im Jahr 1946 schlug er gemeinsam mit Baufachleuten erarbeitete Pfahlbau-Konstruktionen für die Fundamente vor, welche zum Ende der Epoche des Norillag alle einfachen Arten des Fundamentbaus bei den Bauprojekten in Norilsk und Dudinka verdrängt hatten. Obwohl die Idee des Pfahl-Fundamentbaus verteidigt und über einen Zeitraum von zehn Jahren bewiesen werden musste.

Der endgültige und unumkehrbare Sieg über den ewigen Frost, der sich vom Feind zum Verbündeten verwandelte, fiel für Michail Kim mit seiner vollständigen Rehabilitierung zusammen.

Am 22. September 1956, nach 20 Norilsker Jahren, galt der Wissenschaftler nicht mehr als „Volksfeind“. Zu ihm kommt und geht die Ehefrau mit dem Sohn, und Kim wird weiter arbeiten. Aus der Sawodskaja (Fabrik-; Anm. d. Übers.)-Straße, wo er mit seiner Familie ein Eckzimmer im Haus N° 24 bewohnt, zieht er um in ein Zimmer in der Sewastopoler Straße N° 6, wird sich aber auch weiterhin endlos seiner Arbeit widmen, wobei er häufig bis zum Morgen in seinem Arbeitszimmer verweilt. Der hinterlistige Permafrost verlangte ständige Aufmerksamkeit. Schritt für Schritt löste der Wissenschaftler die vorher scheinbar unlösbaren Probleme, und sie wurden mit der Zeit so klar, dass seine Entscheidungen schon sehr bald in die Normativ-Dokumente aller Ebenen einbezogen wurden.

Gab es Paris?

Nach seinem 50. Lebensjahr schickte man Kim auch eine offizielle Anerkennung seiner Verdienste. Silbermedaillen der Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR – drei insgesamt. 1958 der Lenin-Orden und schließlich, zusammen mit den Kampfgefährten, der Titel eines Preisträgers der Lenin-Prämie. Vier Jahre vor seinem plötzlichen, aber vollkommen vorhersehbarem Tod.

Um die Erfahrungen des Bauens auf ewig gefrorenen Böden zusammenzufassen und zu verbreiten, schrieb der Permafrost-Forscher nicht weniger als fünfzig wissenschaftliche Arbeiten, organisierte alle möglichen wissenschaftliche Seminare und Konferenzen, an denen er auch selber teilnahm. Er reiste überall hin, wo man ihn brauchte: nach Jakutsk, Magadan, Mirnyj, Workuta, Leningrad, Moskau. 1961 wurde Michail Kim, zu dem Zeitpunkt noch kein Laureat, aber bereits Ordensträger, in eine wissenschaftliche Gruppe aufgenommen, um am 5. Kongress zur Mechanik von Böden und Fundament-Konstruktionen in Paris teilnehmen sollte. Eine dokumentarische Bestätigung, dass die Reise nach Frankreich tatsächlich stattfand, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Wahrscheinlicher ist, dass anstelle des kleinen intelligenten Koreaners, wenn auch mit weltweitem Bekanntheitsgrad, irgendein Mensch mit „kühlem Kopf und heißem Herzen“ nach Paris flog…

Kims letzte Reise war die Dienstreise nach Krasnojarsk, wo er noch rechtzeitig mit einem Vortrag auf einer Sitzung zu Fragen des Bauens in Sibirien und Fernost in Erscheinung trat.

… Diesen Sommer , am Vorabend der Jubiläumsfeierlichkeiten, brachte eine Baufirma Michail Kims Grab in Golikowo in Ordnung, und am Tag des Erbauers tauchte auf der reparierten Grabplatte ein Blumenstrauß auf. Aus Dankbarkeit für die Stadt auf ewigem Eis.

Walentina Watschajewa

„Polar-Bote“, 10.09.2010


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