Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Das Gewissen verlangt danach...

Am vergangenen Sanstag gedachte Norilsk der Opfer politischer Repressionen.

Zwanzig Jahre zuvor, im April 1990, fand in unserer Stadt die erste Woche der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen statt. Durch die selbstlosen Bemühungen ihrer Initiatoren – Mitgliedern der Memorial“-Gesellschaft, aktiven Museumsmitarbeitern sowie ihrer wohlwollenden Helfer, wurde in demselben Jahr auch das erste Büßerkreuz aufgestellt, die sterblichen Überreste ehemaliger Gefangener auf dem Friedhof am Fuße des Schmidt-Berges bestattet sowie ein Glockenturm errichtet.

Seitdem strömen am Denkmal des „Norilsker Golgatha“ Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen. In diesen Jahren ließen Vertreter verschiedener Völker hier Zeichen des Gedenkens - Gedenksteine und Mahnmale (insgesamt acht) aufstellen. Gemeinsam beten sie hier genau am 30. Oktober, dem Tag des Gedenkens an die Opfer politischer Repressionen, und verneigen sich vor den Toten - unabhängig von ihrer Konfession und Nationalität. Und genau dies ist jetzt für viele Norilsker unterschiedlicher Generationen zur aufrichtigen Herzenspflicht geworden.

Die gesellschaftliche Vereinigung zum Schutz der Opfer politischer Repressionen feiert im kommenden Jahr, im Februar, das zwanzigjährige Bestehen seiner Aktivitäten in Norilsk. Heute vereint die Gesellschaft etwa 300 Menschen unter ihrem Dach, unter ihnen auch die Kinder von Verbannten, Sondersiedlern und Häftlingen des NorilLag. In einer ebensolchen Gesellschaft in Dudinka befinden sich 250 Leidtragende der stalinistischen Repressionen. Die Norilsker und Dudinkaner haben feste Freundschaft geschlossen und kommen vor allen Dingen an den trauervollen Gedenktagen zusammen. Die Stadt und das Kombinat unterstützen ihre Vorhaben. Dieses Jahr war für die Mitglieder der Gesellschaft reich an Ereignissen – Fahrten zu den bitteren Stätten der Erinnerung auf den Solowki-Inseln, an den Lama-See. Die Norilsker hießen auch eine lettische Delegation willkommen, die bemüht ist, so oft wie nur irgend möglich in den Hohen Norden zu kommen, in dem ihre Landsleute ein leidvolles Leben führten.

Am Vorabend des Gedenktages wurde im Museum der Geschichte der Erschließung und Entwicklung des Norilsker Industriegebiets eine Ausstellung unter dem Motto „Spuren des GULAG“ eröffnet. Es handelt sich dabei um Fotomaterialien von Aleksander Charitonow, die während einer Expedition ins Tajmyrgebiet entstanden, wo es eine Vielzahl solcher „Spuren“ gibt, sowie Raritäten aus dem Stadtarchiv und dem Museumsfond. Unter den ersten Besuchern und Mitleidenden befanden sich auch Mitwirkende der Gruppe „ManSound“; sie waren aus Kiew zu unserem Festival „Lebendiger Klang“ gekommen. Die Musikanten, die auch dem „Norilsker Golgatha“ einen Besuch abstatteten, waren von dem, was sie dort sahen, dermaßen beeindruckt, daß sie von ganzem Herzen, außerhalb des geplanten Programms, ihr erstes Konzert dem Gedenken an die Ukrainer widmeten, Opfern des NorilLag, und ihnen damit in gesungener Form ein ganz besonderes Denkmal setzten.

Interessant ist, daß die Ukrainer, mit denen die Norilsker diesen Sommer auf den Solowki-Inseln zusammenkamen, wissen wollten, ob es an der Stelle des „Norilsker Golgatha“ auch für die Ukrainer, die unter den Repressionen zu leiden hatten, einen Gedenkstein gibt. So ein Denkmal wird es wohl irgendwann einmal geben. Und sich auch nicht wenige Zeichen des Gedenkens. Das Gewissen verlangt schon danach. Und die Pflicht, denen die schuldlos gelitten haben, ein Andenken zu bewahren. Wenn unsere Erinnerung doch nur von dem Gefühl des Verantwortungsbewußtseins getragen wäre und niemals aufhören würde, seine ehrliche, aufrechte Arbeit zu leisten.

Irina Sereschina
Fotos: Wladimir MAKUSCHKIN

„Wahrheit im Polargebiet“, 02.11.2010


Zum Seitenanfang