Geboren 1927 im Raum Poltawa. Der Vater war ein hochqualifizierter Arbeiter; er baute Eisenbahn brücken im ganzen Land zwischen Dnjepropetrowsk und Krasnojarsk. Dort wurde der Vater 1937 inhaftiert und bekam 8 Jahre wegen antisowjetischer Agitation. Die Familie kehrte in die große Ortschaft Weprik– es gab dort 10.000 Häuser – in der Ukraine zurück, wo sie den Krieg erlebte. Als Pionier wurde Wolodja nicht angenommen – er war der Sohn eines Volksfeindes, aber bis zum 22. Juni wartete er mit anderen jungen Burschen die ganze Zeit darauf, dass die Unseren Berlin einnehmen würden. Stattdessen kamen 1941 die Deutschen. Die vordersten Einheiten blieben 24 Stunden im Dorf und zogen dann weiter gen Osten. Es gab keine Befehlsgewalt. Wie sollten sie nun weiter leben? Sie wählten einen Ältesten…
- Die Familie führte ein ärmliches Leben; die Mutter arbeitete als Wäscherin
im Krankenhaus. Uns rettete nur der selbstgebrannte Schnaps. Ich schleppte vom
Feld gefrorene Zuckerrüben heran, daraus braute die Mutter starken Schnaps. Was
bedeutet Selbstgebrannter im Krieg? Es ist die wichtigste Währung überhaupt.
Allerdings geriet ich durch diesen Schnaps auch nach Deutschland. Im Frühjahr
1942 ging ich durch den Wald um Brennholz zu suchen und fand dabei sowjetische
Flugblätter in deutscher Sprache – die Unseren hatten sie aus dem Flugzeug
abgeworfen. Ich habe sie aufgesammelt, schließlich ist das Papier – auch eine
wertvolle Sache während des Krieges. Ich legte es zum Trocknen in die Hütte auf
Omas Truhe. Und da kam die Polizei wegen des selbstgebrannten Schnapses…
Damit sie mich nicht wie einen Partisan an die Wand stellten, erklärte ich mich
„freiwillig“ einverstanden, zum Arbeiten nach Deutschland zu fahren – als
Ostarbeiter, wie das auf Deutsch hieß. Doch das dortige Brot erwies sich als
bitter. Bis endlich gute Menschen mir halfen, bei einem deutschen „Großbauern“ -
einem „Kulaken“ wie wir es nennen – unterzukommen, hatte ich mir bereits zwei
Leistenbrüche beim Entladen von Eisenbahnwaggons in der Nähe von Halle
eingehandelt, außerdem eine Gastritis und ein Lungen-Emphysem beim Ausheben von
Gräben in Hamburg.
Ich kam ins Bundesland Baden-Württemberg, an die Grenze zu Frankreich. Mein Herr,
Anton Starz, war ein guter Mann; wäre er nicht gewesen, wäre ich sicherlich
gestorben. Er nannte mich Woldemar. Ich arbeitete bei ihm auf dem Feld und im
Garten, mitunter jagten sie die Ostarbeiter auch zum Bäume Fällen in den Wald.
Als die Amerikaner Stuttgart bombardiert hatten, räumten wir die Trümmerhaufen
am Bahnhof fort. Die Wache beschimpfte mich: „Russen-Schwein“ und „kleiner
Stalin“. Später erfuhr ich, dass in jener Nacht die Stadt von tausenden schwerer
Jagdbomber heimgesucht worden war. Die Erde wurde nur so von Detonationswellen
erschüttert. Deutschland wurde dermaßen bombardiert, dass es, wie es schien,
tausend Jahre dauern würde, bis man es wieder aufgebaut hätte. Doch die
Deutschen wurden damit ziemlich früh fertig.
Wenn der Herr mit seiner Familie in die Kirche ging, hörte ich über seinen Rundfunkempfänger Radio Moskau. Im Allgemeinen wussten alle Ausländer, die nach Deutschland getrieben worden waren, gut mit der Lage an den Fronten Bescheid. Im Winter 1943 arbeitete ich beim Holzeinschlag mit französischen Kriegsgefangenen zusammen. Nachdem sie von der Kapitulation der Armee Paulus gehört hatten, warfen sie mich, das russische Bürschlein, in die Luft, als ob ich Stalingrad erobert hätte.
Im März 1945 kamen die Kriegshandlungen wieder etwas näher zu mir heran. In der Nähe des Dorfes, in dem ich für Starz arbeitete, bereiteten sich die Deutschen auf die Verteidigung vor, indem sie an mehreren Stellen einen Hinterhalt einrichteten. Einer befand sich dort, wo die Straße (hier war bereits das Alpenvorland) eine Schleife machte. Die Soldatengruben Panzer in den Boden ein, tarnten die Geschützte, um die einfallenden Truppen festzusetzen. Aber es waren Amerikaner, im Kugelhagel der Umzingelung. Sie konnten nirgends abdrehen, auf einer Seite befand sich der Wald, auf der anderen eine Schlucht.
Ich begriff, dass die Amerikaner gewarnt werden mussten. Ich rannte zum ersten Jeep hinüber, ich schreie auf Deutsch (ich hatte es schon in der Schule gelernt, und als ich beim „Großbauern“ arbeitete, erinnerte ich mich wieder an alle Wörter) – doch niemand versteht mich. Aber ich merkte, dass sie eine Ahnung hatten, dass der Bursche ihnen eine wichtige Mitteilung machen wollte. Nach einiger Zeit tauchte ein Amerikaner auf, der Deutsch sprach. Er hieß Eugene, er hatte vor dem Krieg in Bonn studiert. Ich sage ihm, dass sie nicht weiter fahren dürfen – ein Hinterhalt. Er holt eine Karte, bittet mich, die Stelle zu zeigen. Und danach war alles genau so, wie in einem Kinderbuch: „Willst du mit uns kämpfen?“ Welcher Bursch von 17 Jahren träumt nicht davon? Natürlich war ich einverstanden.
Sie hatten Eugenes Schützen getötet, den Fahrer verwundet, und er saß nun ganz allein in seinem Jeep. Nachschub war nicht vorgesehen – die Division (später erfuhr ich, dass es sich um die 4. Infanterie-Division handelte) war auf dem Vormarsch.
Die Amerikaner nannten mich Willi. Ehrlich gesagt wunderte mich die Ordnung in der amerikanischen Armee. Dort ging erstaunlicherweise alles ganz einfach zu. Eugene, zum Beispiel, legalisierte meinen Aufenthalt in der Armee der Vereinigten Staaten auf folgende Weise: er führte mich zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten, einem Korporal, und sagte zu ihm: „Hi, Bill, der Junge hier wird mit mir fahren“. Am zweiten Tag kam ein Kaplan und wollte wissen, welchen Glaubens ich wäre. Um zu erfahren, welchen Kanon sie singen sollten, falls ich sterben würde. Ich gab ihm zur Antwort, ich sei Christ. Und damit waren alle Formalitäten erledigt. So also wurde ich Schütze an einem schweren (Kaliber 12,7 mm, amerikanisch – ein halber Zoll) Geschütz der Marke „Browning“, aufgebaut auf einem Metall-Gestell im Wagenkasten des „Willis“-Jeeps. Außerdem gab es noch 3 „Thompson“-Automatik-Gewehre und ein Maschinengewehr mit Gewehrkaliber.
Die Truppe bestand aus ungefähr 10 Schützenpanzerwagen und Jeeps. Unsere Mannschaft fuhr immer vorneweg, die anderen hinter uns in Kolonne. Unseren „Willis“ deckte der Panzer von Korporal Riska. Unsere Aufgabe bestand darin, die ganze Zeit ganz dicht hinter den zurückweichenden Deutschen zu bleiben und den Kommandostab darüber zu informieren, wo sich derzeit die Frontlinie befand.
Ins Kampfgeschehen geriet ich bereits am zweiten Tag. Wir stießen unerwartet auf eine deutsche Nachhut – die Feldgendarmerie. Wir springen aus einer Wegbiegung hervor und sehen: die Deutschen verminen eine Brücke über irgendein kleines Flüsschen, haben sogar die Zündschnur schon in Brand gesteckt. Eugene schreit: „Willi, schieß“! Ich entsichere das Gewehr, drücke auf den Abzug (bei der „Browning“ war er an derselben Stelle wie bei unserem „Maksim“) – und das Ding schießt nicht. Ich hatte den Verschluss nicht ganz gezogen. Die Deutschen bemerkten uns – und rauf aufs Motorrad. Während sie aufsaßen, fand ich mich mit dem Geschütz zurecht und – feuerte eine Salve. Dem, der hinten saß, riss es den Arm mitsamt dem Ärmel des Soldatenmantels weg. Das Motorrad – fiel kopfüber in den Dreck. Eugene rannte los um die Zündschnur zu löschen, und ich lief zum Verwundeten. Er starb. Der Arm war mitsamt dem Schulterblatt herausgerissen, die Lungen waren sichtbar. Sie atmeten noch. Allerdings nicht mehr lange.
Danach nahm ich dem anderen, der am Leben geblieben war eine Pistole der Marke „Walther“ ab. Seitdem spannte ich den Hahn des Gewehrs immer schon vorher, und unter den Abzug schob ich die Patronenhülse, die ich vor dem Schusswechsel herausgenommen hatte.
Man gab mir wunderbare wollene Hosen in Tarnfarben, ein Hemd mit zwei Taschen, ein Jackett aus Tuch, und außerdem gab mir Eugene noch seine Jacke. Bill zwang mich dazu, besonders wenn der Leutnant uns mit seiner Anwesenheit beglückte, einen Helm aufzusetzen. Ich mochte ihn nicht tragen, er war für mich zu schwer, aber in der amerikanischen Armee waren sie mit solchen Dingen sehr streng. Mit dem Essen gab es keine Probleme. In unserem Jeep stand stets eine volle Kiste Konserven. Einmal ging Eugene in eine deutsches Dorf, um einen Kochtopf aufzutreiben, damit man das Essen erwärmen konnte, und ich fand in der Kiste ein Päckchen mit so komischen bunten Dingern, die wie Bohnen aussahen. Ich probierte sie – sie waren süß. Und so habe ich das ganze Päckchen weggefuttert. Als Eugene zurückkam, fragte er, wo ich den Inhalt des kleinen Päckchens gelassen hätte… „Wie – du hast alles aufgegessen?“ Er wollte mich ins Hospital bringen, weil ich Kaugummi gegessen hatte, was man in der UdSSR nicht kannte. Später lachte die ganze Truppe. Für meinen Magen hatte das keine Folgen. Alkohol wurde so gut wie nie getrunken. Das einzige Mal, dass ich in der US-Armee auf Schnaps stieß, war am 12. April, als Roosevelt starb. Na ja, ein bisschen kann ich mich daran erinnern. Der Whiskey, das muss ich hinzusagen, gefiel mir überhaupt nicht. Unser Selbstgebrannter schmeckt besser.
Die Einheit, in die ich geriet, nannte sich Aufklärungstrupp der 4. Infanterie-Division. Die Deutschen weichen zurück – wir rücken vor. Die Deutschen bleiben stehen – wir greifen an. Wir selbst schaffen das nicht – über Funk rufen wir Panzer oder Unterstützung aus der Luft herbei. Am schlimmsten ist es, den Gegner aus den Augen zu verlieren. Dann kannst du dich auf irgendeine Gemeinheit, einen Hinterhalt gefasst machen. Ich dachte mir damals eine militärische Spitzfindigkeit aus. Wenn wir die Deutschen nicht mehr sehen konnten, fuhren wir ins nächstgelegene Dorf und zwangen einend er Ortsbewohner, einen Bekannten aus dem Nachbardorf anzurufen … und in nachbarschaftlicher Art und Weise zu fragen, ob sich im Dorf Truppen aufhielten. Wenn dies der Fall war, sollten sie weiter erfragen, was für Soldaten das waren – Wehrmacht oder SS, und welche Divisionsembleme sie trugen. Wenn keine Soldaten mehr da waren, auf welcher Straße sie abgezogen waren usw. Die Deutschen logen nicht – sie errieten, dass wir ihre Angaben bei ihren Sklavenarbeitern überprüfen konnten – Polen, Weißrussen, Ukrainern, Russen. Ich war es, der mit ihnen sprach; dann übersetzte ich es Eugene ins Deutsche, er gab es auf Englisch an Willi weiter. Als mir irgendwann nach 1944 amerikanische Freunde, denen wir erneut begegneten, sagten: „Willi, du bist der geborene Aufklärer“, fühlte ich mich sehr geschmeichelt.. Übrigens war das aber erst später.
Also, wir klammerten uns immer an das deutsche Schwanzende und gelangten so zuerst nach Stuttgart, anschließend nach Ulm, welches, mit Ausnahme der alten Kirche, durch Bombenangriffe vollständig zerstört worden war. Beim Übersetzen über die Donau, das war bereits im April, erwischte uns in der Stadt Dillingen ein „Tiger“ in direktem Beschuss. Und das kam so: wir schlugen uns zu einer Brücke durch, die eingenommen werden sollte, bevor die Deutschen sie in die Luft sprengen konnten. Bis dorthin vorgedrungen waren wir, aber überall gab es Panzer. Der nächststehende, er war vom Jeep gut 150 Meter entfernt, fing an, unseren Geschützturm aufzureißen. Wir hätten das Fahrzeug zurücklassen und abhauen sollen, aber erstmal schaltete Eugene das hintere Getriebe ein, während ich versuchte den Panzer mit dem Maschinengewehr zu treffen; der Panzer schoss zurück. Ich sah ein Aufblitzen am Knauf der Kanone – und das war’s!
Als ich erwachte, höre ich Eugene und Richard (sie hatten ihn zu uns in die Fahrer-Mannschaft geschickt) schreien: „Willi, Willi“… Ich liege auf der Brustwehr, aus Nase und Ohren fließt Blut. Sieben oder acht Zähne sind ausgeschlagen, ich habe Quetschungen erlitten. Ich stand auf – mich schüttelt es. Ich hatte noch Glück: das Geschoss war in eine Hausecke eingedrungen. Danach stotterte ich noch monatelang, aber ins amerikanische Hospital ging ich nicht – was sollte ich dort ohne Sprachkenntnisse? Und die Brücke wurde von den Deutschen gesprengt.
Diese Burschen – Mannschaftskommandeur Eugene Pat Maily, Jurist aus Pennsylvania, Fahrer Richard Fitzsimmons aus Vermont, Truppen-Kommandeur Korporal William Riska, Farmer aus Connecticut… sie wussten, dass ich in einem deutschen Lager gesessen hatte und mein Vater sich in einem russischen befindet. Als sie von Zuhause Pakete bekamen, waren sie bemüht „unseren Willi“ mit leckeren Sachen durchzufüttern. Sie waren 5 Jahre älter als ich und ich empfand sie wie meine älteren Brüder.
Dann nahmen wir München ein. Nahe Augsburg sahen wir schreckliche Explosionen. Wir dachten, dass die Luftflotte hier Bomben abwarf, doch es stellte sich heraus, dass die Deutschen Fabriken in die Luft jagten, in denen „V2“-Raketen hergestellt wurden. Wir sollten die SS-Truppe abfangen, die auf dem Weg in die Alpen war. Es war Anfang April. Und da beschoss ich aufgrund eines Missverständnisses ein amerikanisches Fahrzeug aus einem anderen Truppenteil. Ich erkannte das nicht: sie fuhren mit hochgezogener Plane, was bei uns niemand tat. Außerdem verfügte ihr Fahrzeug über einen vertikal an die Stoßstange angeschweißten Stahlwinkel. Gegen Ende des Krieges fingen die Deutschen damit an, gegen amerikanische Spähtrupps Stacheldraht in Höhe des Halses der im Jeep sitzenden Soldaten zu spannen. Bei voller Geschwindigkeit, so heißt es, hätte dieser ihnen den Kopf abgetrennt…
Die unter meine Kugel Geratenen schossen nun eine grüne Rakete ab. Eugene ruft mir zu: „Willi, halt. Halt!“ – aber es ist bereits zu spät. Es gab Opfer. Die Amerikaner nennen das Freundschaftsfeuer. Viele Jahre später, als ich zum ersten Mal nach Amerika reiste, fürchtete ich mich anfangs sehr, dass sie mich dafür zur Verantwortung ziehen würden. Aber der tapferer Eugene meinte: „Willi, take it easy. Erstens sind seitdem 40 Jahre vergangenen. Zweitens herrschte damals Krieg“.
Nach diesem Ereignis wollte ich mich eigentlich auf den Heimweg machen. Zudem erhielt die Division den Befehl, in Richtung Italien abzudrehen, während ich in eine ganz andere Richtung musste. Ich verließ die 4. Division (sie gehörte zum 7. Korps der amerikanischen Armee, welche von General Omar Bradley kommandiert wurde) am 1. Mai 1945. Zum Abschied schenkten mir die Amerikaner einen als Trophäe erbeuteten Mercedes in Tarnfarben (sie sagten, dass früher ein General der SS darin gefahren wäre). Eine Kiste mit Lebensmitteln, eine deutsche Maschinenpistole und eine Damen-Browning. Über das Fahrzeug hatten sie eine orangefarbene Zeltplane gespannt, damit die eigenen Vernichter ihn nicht erschossen. Stellen Sie sich vor: ein mächtiges Auto, der 1. Mai, ringsumher die Schönheit der Alpenwiesen – und ich bin 17 Jahre alt!
Eine Woche später traf ich bei der 5. Sowjetischen Luftlandedivision ein, welche von General Pawel Iwanowitsch Afonin kommandiert wurde. Man bringt mich zu ihm:
- Wer ist das?
- Wladimir Kutz.
- Wie hast du bei den Sowjets gekämpft?
- Wie es sich für einen sowjetischen Menschen gehört…
- Schwarjow, - sagt der Divisionskommandeur, - kümmern Sie sich um ihn.
Und Schwarjow – war Hauptmann der SMERSch (Hauptverwaltung für Gegenspionage des Volkskommissariats für Verteidigung der UdSSR; Anm. d. Übers.). Ich dachte schon, das wär’s gewesen, aber ich kam durch. Die Spionageabwehr musste wissen, was diese amerikanische Armee darstellte, und ich war diesbezüglich ein e wertvolle Informationsquelle. So begann mein Schicksal in der Roten Armee, in der ich allerdings ebenfalls nicht als Kämpfer zählte.
Natürlich begann ich schon bald damit, zwischen den Armeen der UdSSR und den USA Vergleiche zu ziehen. In der Sowjetarmee hatte nach dem Muster von 1945, angefangenen beim Kompanie-Kommandeur, jeder ein Frauenzimmer. Um dem Offiziersburschen die Stiefel zu putzen und in der Küche hin und her zu rennen. In der amerikanischen Armee hingegen trugen schon damals, vom Soldaten bis zum General, alle die gleiche Uniform – und sie bekamen auch alle das gleiche Essen. Der Wichtigste bei ihnen in der Armee war der Sergeant, und es kam vor, dass wir die Offiziere tagelang nicht zu sehen bekamen. Nehmen wir mal den General Afonin, der sowohl damals, als auch später viel Gutes für mich getan hat. Doch als ich ihn zum ersten Mal sah, wäre ich beinahe umgefallen: seine Stiefel glänzten dermaßen, dass man sich in ihnen erkennen konnte. Und die Reithose! Und die Brust voller Orden! Daneben – ein amerikanischer Brigadegeneral. Die gleiche Uniform wie ich, nur am Helm ein Sternchen. Es gab auch andere Unterschiedsmerkmale. Eugene brachte mir bei, was einem amerikanischen Soldaten vorgeschrieben ist, wenn ihm in einer ausweglosen Situation die Patronen ausgegangen sind und sich überall in seiner Nähe Feinde aufhalten: er hat sich in Gefangenschaft zu begeben, den sein Land und seine Familie brauchen sein Leben. Und bei uns ist es ja klar, wie es sich mit dieser Sache verhält…
Der Krieg war schon so gut wie beendet, doch der Kampf ging weiter. SS und Wlassow-Leute versuchten in den Westen zu gehen. Unser 1. Bataillon des 16. Regiments erfüllte die Funktion der Grenztruppen. Die Amerikaner kamen ungehindert zu uns gefahren, die unseren zu ihnen – nur lediglich der Kommandostab, aber nicht vollzählig. Vier Monate war ich in dieser Division in amerikanischer Uniform, mit deutschen Waffen und deutschem Auto. Als das Regiment gen Osten abtransportiert wurde, traf mich eines Tages der Divisionskommandeur und fragte:
- Wie geht’s, Amerikaner?
- Pawel Iwanowitsch, ich möchte nach Hause, ich war dort schon vier Jahre nicht mehr!
- Wie – nach Hause, - sagt Afonin, - du hast ja gar nicht in der Armee gedient…
- Zuhause werden sie mich einberufen, - antworte ich, - ich bin ja gerade 18 Jahre alt.
Kurz und gut, der General ließ mich gehen. Und Hauptmann Schwarjow, Mitarbeiter der Sonderabteilung, ein kluger Kopf, sagte mir beim Abschied: „Wolodja, komme nirgends und unter keinen Umständen auf die Idee zu sagen, dass du für die Amerikaner gekämpft hast“. Und so schwieg ich 43 Jahre lang…
Im August 1945 geriet ich in ein sowjetisches Lager für Vertriebene. Im September, nachdem ich eine Überprüfung durchlaufen hatte, kehrte ich nach Hause zurück. Die Hütte war von einer deutschen Mine zerstört worden, es gab kein Brennholz, nichts zu beißen, der Magen arbeitet nicht, ich habe keine Zähne, der Kopf schmerzt nach all den Quetschungen. Was sollte ich tun? Ich fuhr zum Vater (er wurde im Dezember 1945 entlassen) nach Norilsk in die GULAG-Zone.
Glauben Sie, dass zu Stalins Zeiten Ordnung herrschte? Nichts dergleichen, es herrschten Chaos und Gesetzlosigkeit, wie immer in Russland. Durch Moskau und Krasnojarsk fuhr ich ohne Fahrkarten Anschließend schlug ich mich ohne Passierschein auf ein Schiff durch. In Dudinka boxte ich mich zur Schmalspurbahn durch, nachdem ich 3 NKWD-Posten entronnen war und mich als Fußballer aus der GULAG-Mannschaft ausgegeben hatte, die von dem legendären Starostin trainiert wurde. Denn der saß auch im Lager…
Später arbeitete ich lange Zeit in Norilsk im Bereich Elektrik, beendete die Zehnklassen-Schule und das Institut, durchlief die Aspirantur, wurde nach Moskau versetzt, arbeitete als Bevollmächtigter des Ministerrats für Objekte höchster staatlicher Wichtigkeit… Und schwieg!
Ich öffnete mich, so kann man wohl sagen, durch einen Zufall. 1988, nach dem zweiten Infarkt, lag ich in der Kremlowka in einem Krankenzimmer zusammen mit dem stellvertretenden Minister für Schwermaschinenbau. Drei Tage lang erzählte ich ihm meine Geschichte. Ich dachte: ich werde sterben – und dann wissen nicht einmal die Angehörigen, dass ich sehr wohl gekämpft habe. Aber ich starb nicht – ich blieb am Leben. Ich wurde entlassen – ging zum General-Leutnant des KGB, der unsere Hauptverwaltung informierte. Weil der stellvertretende Minister wenigstens ein guter Mensch ist, aber wenn es einer weiß, dann wissen es auch die anderen!
Die Zeiten waren damals schon ganz und gar vegetarisch – Kutz wurde nicht bestraft, im Gegenteil, man erkannte ihm den Veteranen-Status zu. Nachdem Wladimir Terentjewitsch in der UdSSR legal geworden war, beschloss er nach Amerika zu gehen. All die Jahre hatte er in seinem Lehrbuch für höhere Mathematik (es hatte sich gezeigt, dass die Tschekisten ein derart langweiliges Buch bei der Durchsuchung allenfalls ganz zum Schluss durchstöberten) die Adresse der Amerikaner aufbewahrt, mit denen er gekämpft hatte. 1988 traf in Moskau eine Delegation amerikanischer Veteranen ein. Ihnen gelang es mit Hilfe seines Sohnes an Kutz eine Nachricht zu übermitteln. Die Genehmigung seitens der sowjetischen Instanzen brauchte ein ganzes Jahr. Die amerikanischen Feldsoldaten, mit denen er im Krieg gewesen war, erinnerten sich an ihren Willi und nahmen ihn 1989 wie einen Angehörigen auf. Im Juli 1989 machte er sich auf in die USA. Er war Gast bei jedem einzelnen von ihnen, nahm später am Veteranentreffen der 4. Division in Philadelphia teil, zu dem er eine Flasche russischen Wodka mitbrachte.
Interview und literarische Bearbeitung: S. Ossipow
HTTPS://iremember.ru/grazhdanskie/blog/stranitsa-2.html
Sohn eines „Volksfeindes“, Ostarbeiter mit dem Schildchen „OST“, Soldat des Grünen Kreuzes, Mitarbeiter der Gegenspionage der 5. Garde- Luftlandedivision, Nomenklaturen-Ass der Staatlichen Versorgung der UdSSR… Das alles ist er – Wladimir Terentjewitsch Kutz. Er ist Waldemar, Willi, der „kleiner Stalin“, Schütze an der großkalibrigen „Browning“. Mit 14 Jahren trieb man ihn nach Deutschland. Beim Entladen von Eisenbahnwaggons in der Nähe von Halle holte er sich zwei Leistenbrüche, beim Ausheben von Schützengräben in Hamburg – eine Gastritis und ein Lungenemphysem. Mit 17 Jahren zog er die Uniform der US-Armee an, nahm mit amerikanischen Truppen die Stadt München ein. Mit sowjetischen Landetruppen kontrollierte er am Fluss Enns die Grenze. Am Vorabend des Siegesfeiertags erzählte der Ehrenveteran zweier Armeen – der amerikanischen und der sowjetischen – der Zeitung „MK“ von seinem nicht einfachen Schicksal.
Auf der rechten Seite von Wladimir Terentjewitschs Uniform befinden sich – amerikanische Auszeichnungen, auf der linken – sowjetische. Und aus den deutschen Lagern – Narben an den Armen. Das Schicksal schrieb für ihn drei Szenarien. In jedem hätte es ein tragisches Ende geben können. Doch es ereignete sich eine ganze Reihe glücklicher Zufälle.
- 1937 verhafteten sie den Vater aufgrund der Anzeige einer Nachbarin, weil er „im Suff“ antisowjetische Scherzlieder gesungen und die Stachanow-Bewegung verleumdet hatte. Später beschuldigte man ihn, die Sprengung einer Brücke über den Jenissei vorbereitet zu haben. Völlig verzweifelt sagte der Vater dem Ermittlungsrichter direkt ins Gesicht: „Gib das Protokoll her, ich werde unterschreiben, dass ich Stalin, Trotzki, Sjama Mirgorodskij umbringen wollte. (Letzterer war der Leiter der Zuckerfabrik, wo der Vater einmal gearbeitet hatte). Die Mutter schrieb dem Vater, als Antwort kam ein Stück Papier: Empfänger unbekannt. Als wir schon eine Kerze für den Toten aufgestellt hatten, erhielten wir einen Brief aus Norilsk. Der Vater schrieb, dass er sich dort befände, an einem Ort, an dem es im Sommer keine Nächte und im Winter keine Sonne gibt. Man hatte ihm 8 Jahre Lagerhaft aufgebrummt.
- Wie haben Sie den 22. Juni 1941 in Erinnerung?
- Molotow berichtete im Radio vom Einmarsch der Deutschen. Meine Mutter, die sich noch gut an den vorherigen Krieg erinnern konnte, brachte aus dem Laden einen Sack mit Salz und ein paar hundert Streichholzschachteln angeschleppt. Schon bald darauf leerten sich die Ladentische in der Dorfkonsumgenossenschaft. Die vorderen Sowjettruppen standen einen Tag und eine Nacht in der Ortschaft Weprek und zogen dann gen Osten. Das ganze Gebiet Poltawa schien besetzt zu sein. Fliehen konnten wir nicht. Im Dorf versahen Polizeiangehörige ihren Dienst. Ich zog mir eine wattierte Damenjacke an und ging in der Nacht los, um aus den Mieten gefrorene Rüben auszugraben, aus denen die Mutter anschließend Selbstgebrannten herstellte. Dieser Schnaps war so viel wert wie goldene Rubel – er stand immer hoch im Kurs.
Foto aus der Lagerakte. Wladimir Kutz – Knecht, Ostarbeiter mit dem
OST-Abzeichen gekennzeichnet.
Deutschland, 1942.
Im Frühling 1942 brachte ich aus dem Wald sowjetische Flugblätter in deutscher Sprache mit aufgedrucktem Stalin-Porträt mit. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie aus einem Flugzeug abgeworfen worden. Ich legte das Papier, das zu Kriegszeiten eine wertvolle Sache war, zum Trocknen auf die Truhe. Und da platzte die Polizei herein und denunzierte mich natürlich. Polizeichef Letyk wollte mich bei der Bezirks-Gestapo abliefern, doch die Mutter warf sich ihm ans Beine. Und so schickten sie mich als Knecht nach Deutschland. Ein Leiterwagen zog mich in einem zerschlissenen Mäntelchen aus dem Dorf, auf den Knien – ein Futtersack mit ein paar Zwiebeln und Eiern, und auf der Anhöhe steht die Mutter – mit ausgestreckten Armen.
- Der Leidensweg begann also mit 14 Jahren?
- Ich war der einzige Minderjährige unter lauter 16-18 jährigen Ostarbeitern. In der Ziegelfabrik rutschte mir die schwer beladene Schubkarre stets aus den Händen und geriet aus der schmalen, hölzernen Spur. Weder die Kraft, noch das Körpergewicht reichten aus. Als „Schwächling“ versetzten sie mich dann in die Brennkammer. Gegen Ende des Tages waren die Lappen, die anstelle von Verbänden um die Hände gewickelt worden waren, von Blut durchweicht. Nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte und ins Lazarett gekommen war, betete ich nur für eine Sache: dass sie mich bloß nicht in den Ofen des Krematoriums steckten.
Aus dem Krankenhaus geriet ich nach Stuttgart zum Abladen von Waggons mit pulverisiertem Kalk. Das Lager lebte nach seinen ungeschriebenen Gesetzen. Diebesgut blieb nicht lange bei den Dieben. Gericht wurde von den Häftlingen selber gehalten. Der Verteidiger leitete nach oben weiter: „Der Vater des Burschen Kutz ist gegen Stalin aufgetreten, er sitzt in einem sowjetischen Konzentrationslager, während sein Sohn in einem deutschen umkommt“. Als eine Anfrage nach Arbeitskräften in eine ländliche Gegend eintraf, kam ich zu der Gruppe, die an einen Großbauern übergeben werden sollte.
50 Leute von uns trieben sie in den Hof, wo sich die Besitzer des Güter und ihre Verwalter versammelt hatten. Sie schauten uns in den Mund und trafen ihre Wahl – als ob wir Vieh wären. Schließlich führten sie alle für die abschließenden Formalitäten vom Platz – nur mich nicht. Einen abgemagerten und ständig hustenden Arbeiter konnte kein Mensch gebrauchen. Als ich mit meinem Soldaten-Bewacher bereits wieder den Rückweg ins Lager angetreten hatte, betrat ein Mann von etwas vierzig Jahren den Hof, der sich verspätet hatte. Als er mich sah, blickte er sich um, um zu schauen, ob es nicht einen kräftigeren Mann gäbe; dann winkte er mit der Hand und brachte mich ins Kontor, um die „Papiere fertig zu machen“.
- Mit einem Leiterwagen, vorgespannten Kühen, mit dem Schildchen „OST“ an der Jacke fuhren Sie in ein neues Leben?
- Als ich den Namen des an einen Pfahl geschriebenen Dorfes las – Dewangen – stieß mein Herr Anton Starz vor Verwunderung einen Pfiff aus. Der Bauer aus West-Deutschland war überzeugt, dass Russen nicht lesen und schreiben konnten, und das Bürschchen hier in den Schnürschuhen mit hölzernen Sohlen las fehlerfrei Deutsch. Wir teilten uns ein Einzelzimmer, zum Mittagessen saßen wir an einem gemeinsamen Tisch. Das Essen war einfach, ländlich eben: Gemüsesuppe, Speck, Kartoffeln, Milch, Äpfel. Der Hausherr war erstaunt, dass ich mich nicht gierig auf das Mahl stürzte, wie die anderen Knechte es taten. Aber meine Speiseröhre und mein Magen waren durch das Einatmen des Kalks vergiftet.
Angehörige der Gegen-Abwehr des 16. Regiments. Nikolaj Schwarjow (in der
Mitte)
Sie gaben mir den deutschen Namen Waldemar, aber hinter meinem Rücken tuschelten die Dorfbewohner nicht selten über den „Kleinen Stalin“. Die Knechte aus der West-Ukraine brachten mir bei, wie man, vom Hausherrn unbemerkt, beim Melken der Kühe aus dem Eimer Milch mit Hilfe eines Strohhalms trinken konnte. Ich versuchte es ein einziges Mal und – schämte mich. Meine Ehrlichkeit und mein Fleiß waren mir mehr wert, als jemanden zu betrügen.
- Gelangten die Heeresberichte bis zu Ihnen vor?
- Sobald die Hofbesitzer zur Kirche gingen, fand ich, die Kurbel des Rundfunkempfängers drehend, den Moskauer Sender. Die Wende begann mit der Schlacht um Stalingrad. Französische Gefangene, die beim Holzeinschlag arbeiteten und von der Kapitulation der Paulus-Armee erfahren hatten, schaukelten mich auf ihren Armen hin und her, als ob ich Stalingrad eingenommen hätte.
- Wie gestaltete sich Ihre Begegnung mit den Truppen der Alliierten?
- Als ich mit meinem Herren mit Kohle von der Bahnstation zurückkam, sahen wir, wie die Deutschen an der Stelle, an der die Bergstraße eine Kurve machte, Geschütze mit langen Läufen in den Schützengräben aufstellte und anschließend tarnte. Der Bauer knurrte: „Eine Mausefalle!“ Ich schaute aufmerksam hin und – tatsächlich wäre eine beliebige Kolonne, die um die Kurve gekommen wäre, genau ins Zielfeuer geraten.
Deswegen begann ich, als amerikanische Jeeps mit Großkaliber-Maschinengeschützen durch das Dorf gefahren kamen, an, verzweifelt meine Arme zu schwenken und auf Deutsch zu rufen, doch niemand verstand mich. Und plötzlich kam ein „Willis“ auf mich zugefahren, es fand sich ein Amerikaner, der Deutsch konnte. Er hieß Eugene, bis zum Krieg hatte er an der Bonner Universität studiert. Ich teilte ihm mit, dass sie nicht weiterfahren dürften – da vorn wäre ein Hinterhalt.
Der Soldat holte eine Karte hervor und bat mich, ihm die Stelle zu zeigen. Als er mein „OST“-Abzeichen entdeckte, fragte er: „Bist du Russe?“ Und plötzlich starrte er mich an und meinte: „Willst du nicht zu uns als Soldat in die Armee kommen?“ Es stellte sich heraus, dass Eugene seine Mannschaft verloren hatte; sein Schütze war getötet, sein Fahrer verwundet worden. Nachschub war nicht vorgesehen –die Division ging zum Angriff über. Es bedurfte nur noch der Genehmigung des Kommandeurs. Der Korporal gab, ohne lange zu zögern, sein „OK“. „Hier ist deine Arbeit“, - mit diesen Worten klopfte Eugene auf das Großkaliber-Geschütz der Marke „Browning“. Eine Stunde später zeigte er mir bereits, wie man den Patronengürtel einsetzt, den Hahn spannt und worauf ich drücken musste. Am zweiten Tag kam ein Kaplan, der wissen wollte, welchen Glaubens der neue Soldat war; es stellte sich heraus, dass er erfahren wollte, nach welchen kirchlichen Regeln die Totenmesse stattfinden sollte, falls ich ums Leben käme. Ich war nun also Willi – der MG-Schütze des Aufklärungstrupps der 4. Infanterie-Division im 7. Korps der amerikanischen Armee, welche von General Omar Bradley kommandiert wurde. Die Division landete am 6. Juni 1944 in der Normandie bei der Eröffnung der zweiten Front in Europa.
Willi – Schütze am Großkaliber-Geschütz „Browning“ (Mitte)
- Ist der erste Kampf der schwerste?
- Wir stießen unerwartet auf eine deutsche Nachhut – die Feldgendarmerie. Wir kamen aus einer Kurve – und da sehen wir: die Deutschen verminen eine Brücke und haben sogar die Zündschnüre schon in Brand gesteckt. Eugene schreit: „Willi, schieß!“ Ich ziehe am Gewehrschloss, drücke auf den Abzug – das Gewehr schießt nicht. Später stellte sich heraus, dass ich den Abzug nicht vollständig durchgedrückt hatte. Die Deutschen bemerkten uns – und sprangen auf ihr Motorrad. Während sie aufsaßen, hatte ich mich mit dem Geschütz zurecht gefunden und schoss eine Salve ab. Das Motorrad stürzte in den Straßengraben. Demjenigen, der hinten saß, flog der Ärmel des Soldatenmantels 15 Meter weit davon. Eugene rannte los, um die Zündschnur zu löschen, und ich zum Verwundeten; ich sehe – die Sprengkugel hat ihm den Arm mitsamt Schulterblatt abgerissen, durch den zerfetzten Mantelstoff konnte man die Lunge sehen. Soldaten aus anderen Fahrzeugen liefen auf mich zu, schrien irgendetwas, klopften mir auf die Schulter. In mir stieg Brechreiz auf.
- Sie bildeten die Vorhut – standen immer auf des Messers Schneide?
- Nicht selten kamen wir in Dörfer, welche die Fritze gerade erst eine halbe Stunde zuvor verlassen hatten. Wenn wir den Feind aus den Augen verloren hatten, zwang ich ihm nächsten Dorf einen der Ortsansässigen, einen Bekannten in den umliegenden Dörfern anzurufen und ihn auf nachbarschaftliche Weise zu fragen, ob sich dort bei ihnen die Faschisten aufhielten. Wenn ja, sollte er danach fragen, was das für Truppen waren – Wehrmacht oder SS. Der Korporal sagte zu mir: „Willi, du bist wirklich der geborene Aufklärer!“ Und im April 1945, bei der Überquerung der Donau, wurde unser „Willis“ in direktem Beschuss von einem „Tiger“ getroffen.
- Gab es ernsthafte Verwundungen?
- Ich sah das Panzergeschütz aufblitzen und alles um mich wurde dunkel… An zwei Stellen trug ich Schädelverletzungen davon, der Kiefer war gebrochen, Zähne ausgeschlagen. Sein wollten mich ins Hospital schicken, aber ich flehte… Da renkte Richard mir höchstpersönlich den Kiefer wieder zurecht, zwei Monate lang musste ich danach noch Stottern, aber ich kam zurecht.
- Sind Sie an der Front Ihrer Liebe begegnet?
- So viele Jahre sind inzwischen vergangen, aber die Erinnerung an Jeanette ziehen mir bis heute das Herz zusammen. In jenem Frühjahr war unser Spähtrupp in einer zweigeschossigen Villa einquartiert. Bei uns schauten ein paar französische Mädchen von der benachbarten Farm herein, die bei dem Bauern arbeiteten. Meine Truppenkameraden hatten im Vorratskeller ein ganzes Wein-Arsenal gefunden. Ich war losgegangen, um meine Landsleute zu suchen; und als ich zurückkehrte – herrschte im Haus ein Riesen-Tohuwabohu. Eine elegante Blondine hatte sich auf der Treppe gegen einen ziemlich angetrunkenen Mulatten gewehrt, einen Korporal aus dem zweiten Zug. Nur durch ein Wunder gelang es mir, das Mädchen seinen festgekrallten Händen zu entreißen. Wir stürzten die Treppe hinauf und schlossen uns auf dem Dachboden ein. Im Halbdunkel, mitten auf einem Haufen Bilder und Möbel, erzählte Jeanette, dass ihr Vater Marquis gewesen sei und den Patrioten geholfen hätte. Die ganze Familie sein verhaftet worden. Vater, Mutter und der jüngere Bruder seien im Konzentrationslager Dachau umgekommen. Jeanette war es am Durchgangspunkt wie durch ein Wunder gelungen in ein Arbeitslager zu kommen. Sie arbeitete als Magd und genoss eine gewisse Freiheit. Wir tranken herben Wein aus einem Pokal. Und weiter ging es wie bei Pasternak: „Kreuzen der Hände, Kreuzen der Beine, Kreuzen der Schicksale…“
Veteran zweier Armeen
Am Morgen, als ich meinen Kopf an ihre Schulter lehnte, sprach Jeanette ein Gebet; sie schaute aus, als ob sie alles ihr Leben lang in der Erinnerung behalten wollte. Plötzlich schlugen in der Nähe Schnellfeuerkanonen ein. Ich küsste Jeanette, zog mir im Laufen Jacke und Helm an und rannte zum Fahrzeug, wobei ich ihr noch zurief, dass ich bald wiederkommen würde. Nachdem wir den SS-Truppenteil, der uns beschossen hatte, bis ganz nach Augsburg verfolgt hatten, kehrten wir in dieses Städtchen nicht mehr zurück.
Jeanette war meine erste und wohl beste Liebe.
- Die sowjetischen Truppen befanden sich auf dem Vormarsch nach Berlin. Haben Sie über Ihr weiteres Schicksal nachgedacht?
- Das Schicksal in der amerikanischen Armee war nach ungeschriebenen Gesetzen der Sowjetzeit gleichgestellt mit dem Schicksal der deutschen. Dabei zog es mich heftig zurück in die Heimat, zur Mutter. Unsere 4. Division gehörte nicht zum Personalbestand der Truppenteile, die sich zum Aufeinandertreffen mit der Roten Armee aufmachen sollten. Und so fasste ich den Beschluss, aus eigenem Antrieb den sowjetischen Truppen entgegen zu fahren.
Für unterwegs gab der Korporal mir einen Schutzbrief mit – ein Dokument, in dem vermerkt war, in welcher Einheit ich kämpfte, welche Sprachen ich beherrschte. Das Kommando schenkte mir einen als Trophäe erworbenen „Mercedes“ in Tarnfarben, der ohne Schlüssel gefahren werden musste. Richard und Bob schrieben ihre Adressen auf ein Blatt Papier. Eugene hatte mir schon vorher ein Foto seiner Mutter gegeben, auf dessen Rückseite er seinen Daten hinterlassen hatte.
Am 1. Mai machte ich mich auf den Weg nach Wien. Auf dem Rücksitz lag eine Kiste mit Lebensmitteln, neben meiner Hand eine deutsche Maschinen-Pistole. Über das Auto hatten die Jungs orangefarbenen Zeltstoff gespannt, damit die amerikanischen Jäger nicht versehentlich auf mich schossen. Ich fuhr auf einer vollkommen leeren Straße, zwischen Bergen und blühenden Alpenwiesen. In einem „Mercedes“! Ich war 17 Jahre alt… Meine Euphorie währte nicht lange. Als ich aus der nächsten Kurve herauskam, sah ich, wie ein Panzerfahrzeug von einem Feldweg auf die Chaussee fuhr. Ich sah genau hin, es handelte sich um ein … deutsches Auto. Ich war dermaßen verwirrt und erstarrt, dass ich mit derselben Geschwindigkeit, in der gleichen Richtung weiterfuhr. So fuhren wir einer nach dem anderen an der am Straßenrand fahrenden deutschen Kolonne vorbei. An den Helmen und Kragenspiegeln der Soldaten waren SS-Abzeichen sichtbar. Ich schnitt die Kurven in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit, ohne auch nur irgendetwas um mich herum wahrzunehmen. Als die Kirchenkuppel und die Salzburg sichtbar wurden, trat ich im letzten Augenblick auf die Bremse, konnte jedoch einen Zusammenstoß mit den an der Einfahrt geparkten „Studebakern“ nicht mehr verhindern. Den auf mich zuspringenden riesigen Neger in der Uniform eines Militärpolizisten überfiel ich auf Deutschmit den Worten: „Was wollen Sie?“ Schweigen hing in der Luft…
Dann kam ein Polizei-Jeep, eine zwischen den Schulterblättern aufgesetzte Pistole und die Meldung an den amerikanischen Oberstleutnant: „GI Willi Kutz, ich fahre nach Russland - in meine Heimat“. Meine Dokumente sah der Offizier bei Grabesstille durch; dann meinte er: „Russian“, - und dann umarmte er mich kräftig.
- Wo sind Sie den sowjetischen Truppen begegnet?
- Am 5. Mai befand ich mich mit den vordersten Truppenteilen der amerikanischen Armee Pattons bereits in Linz. Und schon bald darauf kam es am Fluss Enns zu einem Zusammentreffen der alliierten Truppen. Ich trat vor General Pawel Afonin, der die 5. Luftlandedivision befehligte. Nachdem er meine Geschichte und meine Bitte gehört hatte, mich in die Rote Armee aufzunehmen, wandte sich der General an einen der Offiziere: „Schwarjow, nehmen Sie sich des Soldaten an!“ Man weiß nicht, wie mein Schicksal sich gestaltet hätte, wenn ich nicht in die Hände des Spionageabwehr-Mannes der SMERSCH (russ. Abkürzung für „Tod den Spionen“; Anm. d. Übers.), Hauptmann Nikolaj Schwarjow, gefallen wäre. Der Oberbevollmächtigte, der wusste, dass ich Sprachen konnte, holte mich in seinen „Stab“.
Philadelphia, 1989. Erstes Treffen der Soldatenfreunde nach 44 Jahren.
Von links nach rechts: Eugene P. Melly, Richard Fotzsimmons, Robert Nistrom,
Wladimir (Willi) Kutz, Phil Willems.
- Welche Aufgaben hatten Sie innerhalb des 1. Bataillons des 16. Regiment?
- Die Agenten der Spionageabwehr mussten wissen, was genau die amerikanische Armee darstellte, und ich war in dieser Hinsicht eine wertvolle Informationsquelle. Die gesamten vier Monate, die ich mich in dieser Division befand, trug ich eine amerikanische Uniform, fuhr in einem amerikanischen Fahrzeug mit deutschen Waffen herum. Ich war noch nicht einmal 18 Jahre alt, als ich General Afonin bat, mich nach Hause zu entlassen. Im Transit geriet ich in ein Lager nahe Melk, wo sowjetische Zivilpersonen, welche man nach Deutschland getrieben hatte, die Überprüfung durchführten. Der Mitarbeiter der Sonder-Abteilung, ein junger Leutnant, nahm meine Dokumente und meinte: „Das heißt also, Wolodja, dass du überhaupt nicht in irgendeiner amerikanischen Armee gedient hast6. Die Uniform hast du gegen einen guten Anzug eingetauscht, den du bei den Deutschen nach der Freilassung aufgetrieben hast. So hat es Hauptmann Schwarjow befohlen“. So ging meine amerikanische Epopöe zu Ende. Vierzig Jahre lang blieb das mein Geheimnis.
„Lebenslang gezeichnet“
- Haben Sie Zuhause Bescheid gesagt, dass Sie zurückkommen?
- Im September 1945 kam ich zu meinem Elternhaus. Die Hütte war von einer deutschen Mine zerstört worden, es gab kein Brennholz, nichts zu beißen. Und dann fing auch noch der Bevollmächtigte der Staatssicherheit im Kriegskommissariat an, mich leidenschaftlich zu quälen: „Na, und du hast also freiwillig Hitler geholfen, gegen uns zu kämpfen?“ Ich begriff, dass ich nun lebenslang „gezeichnet“ war. Als die Verzweiflung grenzenlos wurde, tauchte im Dorf … Schwarjow auf – in einem ledernen, mit einem Gürtel umschlungenen Raglanmantel, mit Kartentasche und Pistole. Wieder einmal kam mir in meinem Leben ein glücklicher Zufall zur Hilfe. Sein Regiment, das im fernen Österreich Quartier bezogen hatte, war ausgerechnet in unsere Bezirkshauptstadt verlegt worden. Mit Nikolaj Iwanowitschs Hilfe erhielt ich einen Jahresausweis und konnte damit ohne weitere Erlaubnis, die Arbeitsfront mit meiner Beschäftigung in der Ziegelfabrik hinter mir lassend, zum Vater nach Norilsk fahren, wo es dicht gedrängte Lagerzonen, Stacheldraht, Baracken und Bretterbuden gab. Im Polargebiet blieb ich lange 27 Jahren hängen. Ich war dort einer der wenigen „Freien“, beendete die Abendschule, absolvierte ein Fernstudium am polytechnischen Institut, durchlief die Aspirantur. Ich ging den Weg vom Diensthabenden für Boiler-Montagen beim Heizkraftwerk bis hin zum stellvertretenden Leiter der Gossnab (staatliches Komitee der UdSSR für materialtechnische Beschaffung (Regierungsorgan; Anm. d. Übers.). Ich wurde nach Moskau versetzt, arbeitete als Bevollmächtigter des Ministerrats für Objekte allerhöchster staatlicher Wichtigkeit.
- Wann haben Sie sich geöffnet“ und von ihrer amerikanischen Militär-Vergangenheit erzählt?
- Das geschah erst 1988, nach meinem zweiten Herzinfarkt. Nikolaj Schwarjow, durch dessen Hilfe ich wie durch ein Wunder dem GULAG entrann, traf ich nicht mehr lebend an. Er starb im April 1986 in Perm. Nach 43 Jahren traf ich meine amerikanischen Freude wieder. Wir kamen im März 1989 zusammen. Der erste, der mir auf dem Bostoner Flughafen die Hand entgegenstreckte, war der Kommandeur des Zuges Bill Riska. Als er mich umarmte, meinte er: „Erinnerst du dich noch – ich hätte dir beinahe die Ohren langegezogen, als du den Helm abgenommen hast“? Bill hatte sein Leben lang unterrichtet und arbeitete zum Zeitpunkt unseres Wiedersehens in der Bürgermeisterei von Winstead. Als ich Richard sah, der in unserer Besatzung den Platz am Lenkrad eingenommen hatte, war ich von meinen Gefühlen dermaßen überwältigt, dass ich beinahe gefallen wäre. Er war es gewesen, der sich beim beschuss bemüht hatte, das Fahrzeug so hinzustellen, dass ich vor dem Kugelhagel geschützt war. Später kehrte er nach Vermont zurück, in der Familie waren sechs Kinder. Freund Eugene hätte ich aus tausenden wiedererkannt. Nach dem Krieg hatte er an Universitäten in der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland studiert. Er war gut gekleidet. Und Bob wollte meine Hände überhaupt nicht wieder loslassen. Zu unserem Treffen hatte er den Helm mitgebracht, mit dem ich gekämpft hatte. Ich war für sie derselbe 17-jährige Willi geblieben. Vier Jahrzehnte – und es war so, als hätte es sie nie gegeben.
Swetlana Samodelowa
„Moskauer Komsomolze“, N° 25636 vom 7. Mai 2011
Geboren wurde ich 1927 in Weprik; in der Region Poltawa gibt es eine Ortschaft mit diesem Namen. Mein Vater, Terentij Mitofanowistch Kutz, arbeitete als Schlosser. Er hatte goldene Hände, baute Brücken über den Dnjepr, arbeitete in Kaschir und Krasnojarsk. Wie die Nomaden reisten wir ihm zusammen mit der Mutter von Ort zu Ort nach.
Als 1937 die „allgemeine Mobilisierung“ für den Aufschwung der Wirtschaft einsetzte und man damit anfing, die Menschen nach und nach ins Lager zu holen, war der Vater bereits als Ober-Mechaniker tätig. Man beschuldigte ihn der Vorbereitung einer Brückensprengung, über die Josef Wissarionowitsch Stalin und Lasar Moissejewitsch Kaganowitsch in den Fernen Osten fahren wollten. Mehrere Monate saß Vater im Gefängnis in Untersuchungshaft. Doch unter den Tschekisten fand sich ein Landsmann, der dabei behilflich war, einen Paragraphen gegen einen anderen auszutauschen. Anstelle eines „Terroristen“ wurde der Vater somit zu einer einfachen Person mit „antisowjetischer Gesinnung“ und fuhr gemäß § 58 ins Lager.
Mama war Analphabetin und zudem – die Frau eines Volksfeindes. Das war auch der Grund, weshalb man sie auf keinem Arbeitsplatz annahm. Si musste in die Ukraine zurückkehren, ins heimatliche Weprik. Aber ein Stück Land gaben sie uns nicht. Um nicht vor lauter Hunger zu sterben, verdiente Mama als Wäscherin etwas hinzu. Bis heute kann ich mich noch genau an den großen Kessel mit ewig kochendem Wasser, die Dampfschwaden und den beißenden Seifengeruch erinnern…
Im Herbst 1941 wurde Weprik von den Deutschen besetzt. Es gab überhaupt keine Arbeit, aber vor dem Hungertod retteten uns Zuckerrüben, die die Kolchose zwar geerntet, aber nicht vom Feld abgefahren hatte. Und so wurden Mama und ich Schwarzbrenner: schließlich musste man ja irgendwie leben. Ich sammelte im Wald Brennholz, Mama führte den Haushalt. Einmal ging ich in den Wald, und da sehe ich auf der Lichtung etwas Weißes. Wie sich herausstellte, handelte es sich um Flugblätter. Unsere, aber in deutscher Sprache. Natürliche sammelte ich sie auf: Papier war eine totale Mangelware. Ich brachte es mit nach Hause und legte es auf die Bank zum Trocknen. Genau in dieser Zeit kam die Polizei. Sie wussten, dass wir Selbstgebrannten herstellten, stürzten ins Haus und brüllten: „Na los, gib schon eine Flache her!“ Ich geriet mit einem von ihnen aneinander, aber meine Kraft reichte nicht: ich war zu der Zeit ja kaum 14 Jahre alt. Der Mann, der mich beleidigt hatte, ließ seine Augen in der Hütte herumwandern und entdeckte schließlich die Flugblätter. Er lächelte süffisant und meint: „Ach so machst du das…“ Dann packte er mich am Schlafittchen und ab ging’s zur Polizei.
Und dann musste auch noch sowas passieren: zu meinem Unglück befand sich im Amtszimmer des Polizeichefs ein Deutscher, der aus der Bezirkshauptstadt gekommen war. Als er erfuhr, um was es ging, fing er sofort an zu schreien: „Zur Gestapo mit ihm!“ Aber bis zum Abend ließen sie mich im Kittchen. Danach brachten sie mich wieder zum Polizeichef; ich sehe, dass er etwas unter dem Tisch versteckt, und in der Ecke steht Mutter und sieht völlig verweint aus. Ich weiß nicht, was sie ihm gebracht hat, aber er hatte zumindest angefangen darüber nachzudenken, wie er mir aus der Patsche helfen könnte. Schließlich fasste er den Beschluss, mich so schnell wie möglich zum Arbeiten nach Deutschland zu schicken.
Einmal rannte ich aus dem Zug fort. Sie fingen mich wieder ein. Brachten mich in ein Lager nahe Berlin. Dreistöckige Pritschen und ein Laib Ölkuchenbrot für 5 Mann pro Tag. Anschließend – ein Lager in der Nähe von Hamburg, von wo aus man mich dann nach Stuttgart schickte, zum Abladen von Waggons mit Kalk. Nachdem ich dort einige Wochen gearbeitet hatte, war mir mein Geruchs- und Tastsinn verloren gegangen. Und ich wäre gestorben, wenn gute Menschen mich nicht auf dem Hof eines Bauern untergebracht hätten. So blieb ich am Leben.
Im März 1945 kamen die Amerikaner. Am Vorabend fuhr ich mit dem Hausherrn in die Stadt, um Kohle zu besorgen, und da sehe ich plötzlich, wie SS-Leute Kanonen in den Boden eingraben. Der Herr sitzt zufrieden daneben: „Das ist eine schöne Mausefalle für die Amerikaner“. Am nächsten Tag, als ich in der Ortschaft „Jeeps“ bemerkte, lief ich zum Dorfrand, zur Dorfausfahrt. „Nicht weiterfahren, - schreie ich, - dort ist ein Hinterhalt!“ Die Fahrzeuge hielten an, aber die Soldaten verstehen nicht, was ich sage. Nur gut, dass Sergeant Eugene sich näherte. Er konnte ganz gut Deutsch, deshalb konnte ich ihm alles erklären und sogar auf der Karte zeigen. Und als Antwort darauf schlug er mir vor, gemeinsam mit ihnen gegen die Deutschen zu kämpfen. Und so wurde ich MG-Schütze in der Mannschaft des Späh-Fahrzeugs. Über einen Monat kämpften wir zusammen. Gemeinsam setzten wir über die Donau, nahmen Augsburg ein, kämpften in der Nähe von München. Und am 1. Mai 1945 gaben mir die Amerikaner ein Dokument und schenkten mir einen als Trophäe erworbenen „Mercedes-Benz“ für meine aktive Teilnahme an den Gefechten; und damit fuhr ich dann zu den Unseren. Der Frühling, die Alpen, die Sonne scheint, das Auto schnurrt mit seinen Reifen über die Straßen… Begeisterung! Und dabei bemerkte ich nicht, dass ich schon viel zu lange in meiner stolzen Einsamkeit dahinfuhr. Ich dachte erst darüber nach, als unmittelbar vor meiner Nase aus dem Wald ein deutscher Panzerwagen hervorrollt. Ich war so verwirrt, dass ich ganz dicht hinter ihm her fuhr. Ich sehe hinter der nächsten Kurve – „Tiger“ am Straßenrand, überdachte Lastwagen mit SS-Leuten. Und ich in der Uniform eines amerikanischen Soldaten. Vor lauter Angst verschlug es mir den Atem; gut, dass ich zumindest begriff, dass meine einzige Rettung der Panzerwagen war: ich musste dicht hinter ihm bleiben und nicht den Anschluss verlieren, sollten die Deutschen doch denken, das das so sein sollte. Und da plötzlich wendet der Panzerwagen, und ich - ihm direkt gegenüber! Voraus steht eine Kolonne – ellenlang. Ich vermag nicht zu sagen, wieso mein Mut ausreichte, um das Gaspedal herunterzudrücken. Ich hielt erst am Rande irgendeiner Stadt wieder an, weil ich um ein Haar einen Schwarzen von der amerikanischen Militärpolizei umgefahren hätte. Und am nächsten Morgen fuhr ich mit diesen Truppen weiter gen Osten – den sowjetischen Truppen entgegen.
Auf diese Begegnung musste ich nicht lange warten: schon am 8. Mai kamen der Kommandeur der 5. Garde-Luftlande-Division, General Afonin, und seine Offiziere bei den Amerikanern angefahren. Die Amerikaner erzählten ihm meine Geschichte, und der General befahl Hauptmann Schwarjow mich als Fahrer in der Sonderabteilung einzustellen.
Und im Herbst wollte ich nach Hause – wenigstens mit den Wölfen heulen. Ich begab mich zu General Afonin: „Lassen Sie mich fahren, - bitte ich ihn, - schließlich habe ich doch keinen Eid geleistet“. Der Divisionskommandeur erteilte den Befehl mich nach Hause zu schicken. Schwarjow meinte beim Abschied: „Merke dir eines gut, Wladimir Terentjewitsch Kutz: sowjetische Truppen haben dich befreit; du bist sofort heim gefahren und hast dich unterwegs nur ein wenig verirrt“. Dank dieser Legende habe ich überlebt.
Im Oktober 1945 kehrte ich nach Weprik zurück. Die Mutter sah mich und – verlor vor lauter Glück das Bewusstsein. Unser Leben verlief wieder wie früher. Ich wartete, dass sie mich jeden Augenblick in die Armee einberufen würden, stattdessen… Eines Tages kommt Mutter angelaufen: „Sie kommen dich holen, Söhnchen“. Ihre Lippen zittern. Ich trete hinaus. Am Zaun steht ein Reiter im kurzen Ledermantel. Ich schaute etwas genauer hin – es ist Schwarjow! Es stellte sich heraus, dass mein ehemaliges Regiment in unsere Gegend verlegt worden war.
Schwarjow half mir einen Jahresausweis zu bekommen – in der Ortschaft lebten damals Menschen ohne Papiere, wie richtige Leibeigene. Und dann fuhr ich zum Vater nach Norilsk. In jenen Jahren hatte man ihn bereits in die Freiheit, aber noch nicht aus dem GULAG-System entlassen. Ich fand Arbeit in der Boiler-Werkstatt des Wärmekraftwerks, später war ich als Fernmeldetechniker tätig, und es gab eine Zeit, dass ich die Leitung über das gesamte Telefonnetz der Norilsker Lager leitete. Wieso die Organe mich nicht bemerkt haben – das weiß Gott allein.
Mein halbes Leben habe ich in Norilsk gearbeitet. Ich absolvierte das Institut, trat der Partei bei. Später zog ich nach Moskau. Mein letzter Posten war der des stellvertretenden Leiters der Hauptverwaltung der Staatlichen Versorgung der UdSSR. Vor der Pensionierung im Jahre 1988 lag ich mit einem stellvertretenden Minister in der „Kremlowka“. Irgendwie war ich sentimental und erzählte ihm meine Kriegsepopöe. Er riet mir zum Unionskomitee der Kriegsveteranen zu gehen. Aber es wäre besser gewesen, wenn ich nicht hingegangen wäre: keine Papiere, und somit würde es auch kein Gespräch geben. Ich begab mich zum KGB. Dort fragte ich einen der Generäle: nach wie langer Zeit darf man die Wahrheit über sich sagen und sich auf die Suche nach seinen Kameraden von der Front machen? Jetzt, sagt er, kann man das…
Monolog aufgezeichnet von Aleksandr Aleksandrow
Aus der Zeitung „Sohn des Vaterlands“
In verkürzter Version gedruckt.