Im Juli 1943 starb in Bolschaja Murta eine junge Frau. Ihr Gesicht war
aufgedunsen, sie atmete schwer, in ihren Augen standen Tränen, und ihre letzten
Worte waren: „Warum?“
Damals wußten nur wenige Leute, daß die verbannte Jekaterina Maksimowa die Frau
des sowjetischen Agenten Richard Sorge war. Sie starb, bevor ihr Mann auf einem
japanischen Schafott ums Leben kam.
Über den legendären sowjetischen Agenten Richard Sorge wurden nicht wenige Bücher geschrieben und Kinofilme gedreht. Er hatte das Land schon vorab über Pläne eines Überfalls durch das faschistische Deutschland gewarnt. Und auch darüber informiert, daß Japan im Jahre 1941 keine Kriegshandlungen gegen die UdSSR ausüben würde, was es dem Lande gestattete, seine Truppen und Kriegstechnik für die Verteidigung Moskaus abzuziehzen und somit die Hauptstadt zu schützen. Im Oktober 1941 wurde Sorge von der japanischen Polizei verhaftet und im November 1944 im Gefängnis „Sugamo“ gehängt. Sein Name wäre dem Vergessen vollkommen anheim gefallen (was im Prinzip bis 1964 auch der Fall war), wenn da nicht eine einfache japanische Frau gewesen wäre – Hanako Issii, welche dem sowjetischen Agenten seinerzeit in grenzenloser Liebe zugetan gewesen war und seine sterblichen Überreste ausfindig machte, kremieren und auf den Friedhof „Tama“ in Tokio umbetten ließ. Außerdem erfuhr die Welt durch den von den Franzosen gedrehten Film „Wer sind Sie, Doktor Sorge?“ von dem vergessenen Spion. Und das Land, welches Sorge zwanzig Jahre lang nicht als seinen Agenten anerkannt hatte, verlieh ihm den Titel eines Helden der Sowjetunion …. Aber man vergaß völlig eine russische Frau, die, ebenso wie die Japanerin, ihren Ehemann einfach nur geliebt und treu darauf gewartet hatte, daß er von seiner langen und geheimen Geschäftsreise zurückkehrte. Aber dann geriet sie unter die Räder von Stalins und Berijas Repressionsmaschinerie.
Katja Maksimowa wurde 1904 in Petrosawodsk geboren. Sie absolvierte die Mittelschule, besuchte anschließend das Institut für Bühnenkunst und ging zur Bühne. Ab 1926 lebte sie in der Schweiz, in Deutschland und Italien, wohin sie ihren Ehemann, den Regisseur J. Jurin zur Kur begleitete. Nach seinem Tod und nachdem sie 1928 in die UdSSR zurückgekehrt war, heiratete sie Ika Sonter (Richard Sorge), der in der Armee-Verwaltung Nr. 5 der Roten Arbeiter- und Bauern-Armee tätig war. Allerdings waren sie während ihrer 11 Ehejahre lediglich wenige Monate zusammen. Ika begibt sich innerhalb der „Ramsay“-Gruppe nach Japan. Ein Jahr nach seinem Tod, am 4. September 1942, wird die Maksimowa wegen Spionageverdacht in Moskau verhaftet.
Als Volksfeindin erhält sie eine fünfjährige Verbannungsstrafe in der Region Krasnojarsk. In Bolschaja Murta (ihrem Verbannungsort) traf sie am 15. Mai 1943 ein. Und am 3. Juli starb die Frau bereits. Nach der offiziellen Version „wurde Maksimowa mit der Diagnose „Hirnblutung“ ins Krankenhaus von Bolschaka Muirta eingeliefert. Über den Begräbnisort gibt es in der Akte keinerlei Angaben“. Eine solche Antwort bekam aus der FSB-Behörde der Region Krasnojarsk Vize-Sprecher Anatolij Romaschow auf seine Anfrage, die er am Vorabend des 65. Jahrestages des Großen Sieges gestellt hatte. Aber auf die Bitte des Deputierten, sich mit den Materialien des Strafverfahrens vertraut machen zu dürfen, die sich im Archiv des FSB Rußlands befinden, erhielt er einen ablehnenen Bescheid mit dem Hinweis auf das Gesetz „Über das Staatsgeheimnis“.
Zeugen versichern, daß die Ehefrau des Helden unter dem Gebäude
der
Bezirksverwaltung von Bolschaja Murta begraben liegt.
Es existieren verschiedene Versionen darüber, wie Jekaterina Maksimowa gestorben ist und wo sie begraben wurde. Die Aussagen der wenigen Zeugen sind widersprüchlich. Heute befassen sich Mitarbeiter des örtlichen Museums mit der Suche nach Informationen über die Verbannten.
Lubow Koschemjakina arbeitete in jenen Jahren als Kindermädchen im Krankenhaus. Die Variante, daß Maksimowa an Verbrennungen gestorben sei, dementierte sie sofort.
„Sie hatte keine Brandwunden. Ich brachte ihr Bettzeug in Ordnung, legte ihr den Kopf zurecht. Ich kam morgens zum Dienst; gleich im ersten Krankenzimmer wurde ich auf diese neu eingelieferte, junge, hübsche Frau aufmerksam“, - erinnert sich Ljublow Iwanowna. – „Die Frau zeigte keinerlei Reaktionen. Sie hatte graue, kurzgeschnittene Haare und war aufgedunsen. Als ich zu ihr herantrat, bat sie leise um etwas zu trinken. Ich versuchte ein wenig mit ihr zu sprechen, aber sie gab keine Antwort. Es heißt, man hätte sie in Murta vergiftet. Sie lag da, als wäre sie vollkommen abwesend, aber aus ihren Augen quollen Tränen, und dann fing sie an zu bluten. Am Abend war meine Schicht zuende. Und am nächsten Morgen war das Bett bereits leer. Man erzählte mir, daß andere Verbannte aus Malorossejka sie abgeholt hätten, und dort wurde sie auch begraben“.
Antonina Makejewa bestätigt, daß Maksimowa in Bolschaja Murta gelebt habe und dort begraben liege.
„Ich kann mich noch gut an diese Frau erinnern. Sie tritt aus dem Vorbau – mit ihrer weißen Bluse, dem dunklen Rock – und dem schneeweißen Kopftuch. Unsere Frauen besaßen so etwas nicht. Dann verschwand sie plötzlich. An der Stelle, wo sich heute der Laden befindet, gab es Erdhütten, die wie Hügelgräber aussahen)– dort wohnten verbannte Deutsche. Und dort, wo jetzt das Verwaltungsgebäude steht, lag der Friedhof. Wir trieben dort immer die Ochsen entlang. Von rechts sah ich das Grab, ganz mit Gras bewachsen, und auf dem Kreuz stand die Aufschrift „Maksimowa Jekaterina“.
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Durch Entscheid des Militärtribunals des Moskauer Wehrkreises vom 23. November 1964 wurde das Anklageverfahren gegen Maksimowa aus Mangel an Tatbeständen eingestellt. Und alle Versuche, bis an die volle Wahrheit vorzudringen, stoßen auf den Widerstand der Machtstrukturen, welche sich hinter dem Vorhang der „Geheimhaltung“ verbergen.
P.S. Wir wenden uns an alle Augenzeugen und Zeugen jener Jahre: falls ihnen irgendetwas über das Leben der verbannten Jekaterina Maksimowa bekannt sein sollte, schreiben Sie an die Redaktion.
Anatolij Romaschow, Vize-Sprecher der Gesetzgebenden Versammlung der Region Krasnojarsk:
„Es ist meine tiefe Überzeugung, daß sie in den Organen sehrwohl wissen, was mit ihr geschehen ist, aber sie sagen es nicht. Derart schwerwiegende Strukturen wurden in Kraft gesetzt; deswegen glaube ich nicht, daß die Verbannte gestorben ist, ohne daß irgendwo der Ort ihrer Bestattung festgehalten wurde. Offensichtlich gab es da irgendein Hindernis. Vielleicht gibt es Menschen, die mit Verbannten etwas zu tun hatten und nicht wollen, daß nun ihre Namen ans Licht kommen. Aber das ist nicht das Wesentliche an der Sache. Jetzt ist es wichtig, Auskünfte zu sammeln und eine Gedenkplatte oder einen Gedenkstein zu errichten und darauf zu vermerken, daß auf diesem Territorium die zu unrecht verurteilte Ehefrau des Helden der Sowjetunion – Richard Sorge – begraben liegt. Das wäre eine christliche Vorgehensweise. Und mehr braucht man nicht zu suchen. Warum konnte diese japanische Frau die Erinnerung unsterblich machen - und wir können es nicht?
Olga Lobsina, Krasnojarsk – Bolschaja Murta
Argumente und Fakten am Jenisej, 11.05.11