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Ein Todeskandidat, dem ein langes Leben beschert war

Konstantin Georgiewitsch Schulmeister berichtete, wie er 1938 verhaftet und nach dem traurig-berühmten § 58 als „Volksfeind“ zur Todesstrafe verurteilt wurde.

Das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR änderte das Urteil in 10 Jahre Haft und 5 Jahre Entzug aller Rechte nach erfolgter Haftverbüßung ab. Im weiteren Verlauf folgten – die Häftlingsetappe nach Wladiwostok, kalte, düstere, übel riechende Frachträume und ein Bergwerk im Gebiet Magadan.

Nach dem erste Jahr in Haft hatte Konstantin Georgiewitsch sich in einen „Krepierenden“ verwandelt, und man schleppte ihn schließlich in eine Baracke für völlig Geschwächte. Dort untersuchte ein Feldscher die auf dem schmutzigen Fußboden liegenden, halbtoten Menschen, und denjenigen, von denen es bereits kein Lebenszeichen mehr gab, schlug der Aufseher mit einem Spezialhammer mit extra langem Griff (damit er sich nicht bücken musste und sich auch nicht mit Blut besudelte) den Schädel ein. Die Leichen wurden auf eine Schubkarre verladen und am Goldbergwerk zur Halde mit totem Gestein abtransportiert.

Trotz seiner Auszehrung gelang es Konstantin Georgiewitsch sich zu erheben. Der Feldscher fragte ihn, wer er sei und woher er kommen, und als er hörte, dass es sich um einen „Professor aus Saratow“ handelte, rettete er ihm das Leben, indem er ihn zum Arbeiten in den Schweinestall schickte, der die Aufseher mit Fleisch versorgte.

Das Schweinefutter unterschied sich praktisch nicht von den üblichen Essensrationen der Menschen, und Schulmeister gelang es, sich langsam wieder aufzupäppeln, indem er immer wieder Bröckchen von seinen Schützlingen für sich abzweigte, bis er schließlich seine Unterernährung bezwungen hatte. Der Frühling kam, und mit ihm wurden auch die Aufseher von der Geißel des Nordens – dem Skorbut – erfasst. Einem von ihnen kam es schließlich in den Sinn, Gemüsegärten mit Zwiebeln, Radieschen, Mohrrüben, Kartoffeln u.a. Pflanzen anzulegen, mit deren Hilfe es gelingen würde, die unter den bisherigen Bedingungen unvermeidliche Avitaminose zu verhindern.

Dorthin schickten sie den einzigen Spezialisten für derartige Arbeiten – Professor Schulmeister. Als er seinerzeit landwirtschaftliche Kulturen gezüchtet hatte, hatte er sich alle Saatzeiten, Sorten, Bedingungen für ihre Akklimatisierung und Temperatur-Voraussetzungen gemerkt; das alles aufzuschreiben wäre zu gefährlich gewesen – man hätte es als Spionage werten können.

1948 ging seine Haftzeit zu Ende, und ihm wurde erklärt, dass er auf Beschluss der Sondersitzung des NKWD außergerichtlich zur ewigen Verbannung im Gebiet Magadan verurteilt worden war. Die Arbeiten bei der Gemüsezucht für die Aufseher dauerten noch bis 1955, als den 0politichen Gefangenen die Freiheit geschenkt wurde. Die Kriminellen wurden am 12. März 1953 entlassen.

Konstantin Georgiewitsch bat die Leitung ihn nicht nach Hause zu schicken, sondern ihm die Möglichkeit zu geben, seine Versuche abzuschließen und die Ergebnisse seiner Forschungen zu Papier zu bringen. Er hielt sich freiwillig im Gebiet Magadan auf, um die wissenschaftlichen und produktionsbezogenen Versuche im Bereich der Bodenbewirtschaftung unter den Bedingungen des Hohen Nordens zu verallgemeinern.

Über seine Arbeitsergebnisse schrieb er ein Buch mit dem Titel „Pflanzenzucht im Nordosten“ (1958), das zum Handbuch für wissenschaftliche Mitarbeiter und Produktionsarbeiter wurde. 1958 wurde K.G. Schulmeister auf Empfehlung des Ministeriums für Landwirtschaft der UdSSR auf den Posten des Leiters des Lehrstuhls für allgemeine Bodenbewirtschaftung am Landwirtschaftlichen Institut in Krasnojarsk gewählt, wo er Vorlesungen über Bodenbewirtschaftung hielt, du später zum Vorsitzenden der methodischen Kommission an der Fakultät für Agrarwissenschaften. In dieser Zeit übernahm er die Leitung für die Vorbereitung von Aspiranten.

Nachdem er dort zwei Jahre gearbeitet hatte, entschloss Konstantin Georgiewitsch sich, wieder in seine agronomische Heimat zurückzukehren – in die Steppenregionen an der Wolga, und 1960 wurde er bei einem Wettbewerb ins Amt des Professors am Lehrstuhl für allgemeine Bodenbewirtschaftung des landwirtschaftlichen Instituts in Wolgograd gewählt. 1993 wurde ihm auf Anordnung des Präsidenten der RF die Ehrenbezeichnung „Verdiente Persönlichkeit der Wissenschaft in der Russischen Föderation“.

Das letzte Mal sah ich Konstantin Georgiewitsch im Fernsehprogramm „Zeit“ im Jahre 1995. Das Thema war dem ganz alten K.G. Schulmeister aus dem Professorenteam des Wolgograder Landwirtschaftlichen Instituts gewidmet: auf dem Bildschirm gab es einen Moment, als man sah, wie er vor den Studenten eine Vorlesung hielt.

Er wurde 101 Jahre alt und starb 1996.

Sergej ORLOWSKIJ, Krasnojarsk

„Krasnojarsker Arbeiter“ 04.04.2012


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