In den Tagen der Feierlichkeiten zum 67. Jahrestag des Großen Sieges möchte ich vom Schicksal des berühmten sowjetischen Spions Richard Sorge (Untergrundname Ramsay) erzählen, dessen Ehefrau, Jekaterina Maksimowa, in der Ortschaft Bolschaja Murta, in der Region Krasnojarsk, begraben liegt.
Das „Unternehmen Barbarossa“ – das Geheimnis aller Geheimnisse des Dritten Reichs, und das Datum des Kriegsbeginns – noch ein weiteres Gehe4imnis darin. Dieses Geheimnis wurde von Richard Sorge gelüftet und die Informationen dazu ans Moskauer Zentrum weitergegeben.
Richard wurde am 4. Oktober 1895 in der Siedlung Sabuntschi, am Stadtrand von Baku, in die Familie eines deutschen Ingenieurs und Erdölfachmanns hineingeboren. Sein Großvater Friedrich Sorge war Engels Sekretär. Im Jahre 1848 erblickte das Manifest der Kommunistischen Partei das Licht der Welt. Die Revolution in Deutschland wurde unterdrückt. Marx, Engels und Sorge emigrierten. Ersterer ging nach London, wo er auch starb; Engels wanderte nach Paris aus. Als einer der etwas Reicheren zahlte er eine solide Geldstrafe, kehrte nach Deutschland zurück, während der zum Tode verurteilte Friedrich Sorge nach Amerika ausreiste, wo er seine politischen Aktivitäten fortsetzte. Er gründete dort eine Familie; sein Sohn befasste sich allerdings nicht mit politischen Dingen – er wurde Ingenieur im Erdölwesen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erteilte Russland eine Konzession zur Förderung von Erdöl, und Richard Sorge macht sich auf nach Baku. Dort wurde dann auch Richard geboren – als fünftes Kind in der Familie.
Die Jahre gingen dahin. Die Familie zog in ihre ureigene Heimat um – nach Deutschland. 1901 kam Richard in eine Realschule bei Berlin. 1907 starb sein Vater. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs, im Jahre 1914, wird Richard zur Front einberufen. Dreimal wurde er verwundet. Das letzte Mal an der Ostfront, und danach lag er in einem Hospital in Minsk. Dort lernte er eine barmherzige Schwester und deren Vater – einen Arzt, kennen, die ihm von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Lenin erzählten, über die Zimmerwalder Konferenz und die Gründe für den ausgebrochenen Weltkrieg.
„Ich beschloss, diese Antwort nach und nach herauszufinden, während meines Genesungsprozesses. Schon damals wollte ich mich unbedingt dem Dienst an der Mitarbeit für die Revolutionsbewegung widmen. Der Ausbruch der russischen Revolution wies mir den Weg, den ich fortan zu gehen hatte“. Damals war er 23 Jahre alt.
1918 wurde Sorge aus der Armee entlassen und ging an die Kieler Universität. Dort studierte er politische Wissenschaften, schuf eine sozialistische Studentenorganisation und wurde ihr Anführer. Im November 1918 brach in Kiel ein Matrosenaufstand aus. Nach dessen Niederschlagung fuhr Sorge nach Hamburg, wo er Ernst Thälmann kennenlernte. 1919 trat er der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) bei, wurde Mitarbeiter der kommunistischen Zeitung. An der Hamburger Universität wurde ihm der Gelehrtengrad eines Doktors der Wissenschaften verliehen. Im Auftrag der KPD begibt er sich als Dozent der Technischen Hochschule in die Bergmannsstadt Aachen. Illegal leistet er unter den Schachtarbeitern Parteiarbeit.
1922 kam in Solingen seine Broschüre über Kapitalanhäufung heraus. Im April 1924 fand in Frankfurt am Main der IX. Parteitag der KPD statt, auf dem auch D. Manuilskij und O. Kuusinen anwesend waren. Ernst Thälmann hatte eine hohe Meinung von Sorge: „Richard verblüffte die Genossen durch seine Gelehrsamkeit, die außergewöhnliche Klarheit seiner Gedanken und die analytischen Fähigkeiten seines Verstandes. Die Leiter der KPD sahen in ihm einen großen Gelehrten mit glänzender Zukunft. Otto Kuusinen schlug ihm vor, in die UdSSR zu kommen, Thälmann unterstützte den Vorschlag. Ende 1924 trifft Richard als Presse-Attaché der deut5schen Botschaft in Moskau ein und wird illegaler Staatsbürger der UdSSR. Im März 1925 tritt er in die WKP (B) ein, und macht die Bekanntschaft von Jan Bersin, dem Leiter unseres militärischen Spionagedienstes.
Und genau zu der Zeit verdichtet sich die schwarze Wolke über dem Fernen Osten immer heftiger. Die japanischen Militärkreise bereiten sich auf einen Angriff vor, die Kuomintang in China verfolgen eine feindselige Politik.
Im Juni 1929 eroberten sie die Ostchinesische Eisenbahnlinie und organisierten eine Reihe von Provokationen an den Grenzabschnitten. Man musste wissen, was im Lande des Feindes vor sich ging. Richard erklärte sich damit einverstanden in China zu arbeiten, und fuhr 1930 über Deutschland nach Schanghai. Um es genau zu sagen, Sorge war Korrespondent bei den größten deutschen, amerikanischen und anderen Zeitungen und Zeitschriften, er war polyglott und studierte die Geschichte der fernöstlichen Staaten.
Drei Jahre in China. Hier formiert sich eine Erkundungsgruppe: Max Klausen, seine Ehefrau Anna, der japanische Journalist Hotsumi Ozaki – sie gaben die notwendigen Informationen und übermittelten sie über Max‘ selbstgebaute Radiostation nach Moskau.
Im Dezember 1932, nachdem die Aufgabe erfüllt ist, kehrt Sorge in die Sowjetunion zurück. Er interessiert sich für die Geschichte und Kultur unseres Landes, besucht Museen, Theater und beginnt sich die russische Sprache anzueignen. In dieser Zeit lernt er auf einem der Konzerte die Schauspielerin Jekaterina Maksimowna kennen, die das Konservatorium absolviert hat und auf Dienstanweisung der Komsomolzen-Organisation in einer der Hauptstadt-Fabriken arbeitet. Einige Zeit später heiratet Sorge die Maksimowa mit J.K. Bersins Fürsprache. Und das alles geschieht in absoluter Heimlichkeit. Richard schreibt einen Bericht an den Minister für auswärtige Angelegenheiten Deutschlands, Ribbentrop, mit der Bitte, sich im Kurort Sotschi ein wenig erholen zu dürfen, da er viele Jahre lang nicht im Urlaub war. Ribbentrop erlaubt es. Sorge trifft in Sotschi im Hotel ein und begegnet dort seiner Ehefrau Katja. Dort verlebten sie auch ihre „Flitterwochen“.
Im September 1933 steht vor Sorge eine neue Aufgabe: er soll eine Spionagegruppe in Japan schaffen. Zu der Gruppe gehörten Branko Bukelic – ein jugoslawischer Journalist, Yogoku Miyagi – ein amerikanischer Künstler japanischer Herkunft.
Um Miyagi zu überreden, sagte Sorge insbesondere: „Der Krieg, den wir führen werden – das ist ein Krieg gegen den Krieg. Hitler will die UdSSR in den Schraubstock zwingen, aber vor allem das japanische Volke wird darunter leiden“. Hotsumi Ozaki gab später zu: „Ich liebe Japan, mein Volk, aber noch vielmehr liebe ich den Frieden auf Erden, und Sie, Richard, sind ein Bote des Friedens“. Er hatte einen Freund fürs Leben gefunden.
Die Arbeit der Gruppe in Japan dauerte acht Jahre. Ihre Arbeitsweise wird recht gut in dem Kinofilm „Wer sind Sie, Doktor Sorge?“ aufgezeigt. Zu den Aufgaben der Gruppe gehörte: eine mögliche Verhinderung des Krieges zwischen Japan und der UdSSR zu fördern, den Charakter der Beziehungen zwischen Japan und Deutschland herauszufinden.
Als Beispiel führe ich eine Reihe von Meldungen an: „März 1941. Der deutsche
Militärattaché in Tokio verkündete: „Gleich nach dem Ende des Krieges in Europa
beginnt der Krieg gegen die UdSSR“. Mai 1941. „Eine Reihe deutscher Vertreter
kehren nach Berlin zurück; sie glauben, dass der Krieg gegen die UdSSR Ende Mai
beginnen wird“. 19.Mai 1941. „Die 9. Armee, bestehend aus 150 Divisionen, wird
gegen die UdSSR konzentriert.“
15. Juni 1941. „Der Krieg wird am 22. Juni begonnen“.
Übrigens wurde dieses Telegramm von Max mit einem Boot zu dem in Sichtweite befindlichen Regierungsdampfer übermittelt, an dessen Bord sich als Gäste der deutsche Botschafter und Richard Sorge befanden. Peilgeräte markierten sogleich den Ort der Übergabe – den Dampfer, und die Gegenspionage veranstaltete unverzüglich eine Razzia mit Durchsuchung, aber sie fanden nichts. Max fuhr mit seinem Boot wohlbehalten davon, so wie Sorge es sich auch ausgerechnet hatte. Unbeirrt folgte er den Regeln: ein Diplomat ist verpflichtet, ein Mensch mit gutem Geschmack und ausgeprägter Gelehrsamkeit zu sein; er muss mit Schriftstellern und Journalisten bekannt sowie unerschütterlich, gelassen und in der Lage sein, schlechte Nachrichten entgegen zu nehmen, ohne auch nur die Miene zu verziehen. Ein guter Diplomat würde niemals Drohen aussprechen, Druck ausüben oder sich zu Gezänk hinreißen lassen. All diese Eigenschaften beherrschte er in ihrer ganzen Vollendung.
Richard Sorge schätzte die ihn umgebenden Menschen sehr. Da er, so die Legende, wohl lange Zeit in Japan tätig sein sollte, heiratete er ziemlich schnell eine Japanerin und wohnte mit ihr in ihrem Haus unweit der Botschaft. Sogar die eigene Ehefrau wusste und ahnte nichts von der Existenz einer derartigen Spionagegruppe. Er freundete sich sehr eng mit dem Botschafter Otto an, für den er in Berlin die Berichte geschrieben hatte. Der Botschafter gestand: „Ihr Artikel, Richard, hat mich entzückt! Helfen Sie mir dabei, den Bericht zu schreiben! Wenn die Sache klappt, was man mir versprochen hat, werde ich ewig in Ihrer Schuld stehen. Wir sollten zum „Du“ übergehen. Du bist ein guter Junge, Richard. Ich hasse die Japse. Sie tun so, als ob sie Freundschaft verkörpern, aber dahinter verbergen sie ihre ganze Hinterlist. Wozu hat der Führer solche falschen Freunde?“ Theresa, die Ehefrau des Botschafters, meinte: „Wenn der Bericht lohnend ist, dann wird er mit deiner Hilfe Militärattaché werden“. Und so kam es auch.
CIA-Chef Allen Dulles bemerkte: „Die Information, die Stalin Mitte 1941 darüber unterbreitet wurde, dass die Japaner die Sowjetunion überfallen und ihre Kräfte gegen Südost-Asien konzentrieren würden, hatte den gleichen Wert wie eine große Anzahl Divisionen“. Die Nachricht, dass Japan nicht in der UdSSR einfallen würde, bewirkte im Dezember 1941 die Verlegung von 27 fernöstlichen Divisionen in die Nähe von Moskau und trug dazu bei, die Hauptstadt zu verteidigen. Sorge merkte an: „Die Sowjetunion wünscht keine politischen und militärischen Konflikte mit anderen Ländern. Sie hegt keinerlei Absichten irgendwelche Aggressionen gegen Japan zu unternehmen…. Gerade diese ideologische Grundlage unterscheidet uns von denjenigen, die sie als Spione bezeichnen“. Und damals hatte Japan den Plan, die UdSSR zu überfallen – den „Otsu“-Plan.
Sorges letzter Funkspruch blieb ungesendet: „Unsere Mission in Japan ist erfüllt. Es ist gelungen, den Krieg zwischen Japan und der UdSSR zu vermeiden. Holen Sie uns nach Moskau zurück oder schicken Sie uns nach Deutschland“.
Am 18. Oktober 1941 wurde die Ramsay-Gruppe in Japan verhaftet. Unsere „Weisen“ mit L. Berija an der Spitze hielten Sorge für einen Verräter, verurteilten seine Ehefrau J.A. Maksimowna, indem sie sie in die Region Krasnojarsk verschickten, nach Bolschaja Murta, wo sie dann auch am 3. Juli 1943 verhungerte, was in einem Brief an ihre Mutter Bestätigung findet: „Liebes Mamachen! Mein Gott, was habe ich für einen Hunger, bin arm und schmutzig! Mamilein, schreib mir häufiger, um Gottes willen, wenn du nicht willst, dass ich wahnsinnig werde… Ich glaube, dass ich aus der Sache irgendwie rauskommen, wieder auf die Füße kommen werde, dass ich eines Tages doch noch ein gutes Leben führen kann – wenn ich nur jetzt nicht krepiere, sondern ein wenig zu essen bekommen könnte – das ist die Hauptsache“.
Ein Jahr und drei Monate später, am 7. November 1944, wurde Sorge im Gefängnis Sugamo hingerichtet. Seine letzten Worte waren: „Ich bin Staatsbürger der Sowjetunion, wir werden siegen“. Gleichzeitig mit ihm, um 10.20h , wurde auch Ozaki hingerichtet. Miyagi starb beim Verhör am 02.08.1943 an den Folterungen.
Richard Sorges japanische Frau machte viele Jahre später den Ort ausfindig, an dem sich seine sterblichen Überreste befanden und sorgte auf dem Stein für eine Aufschrift: „Hier ruht jemand, der sein Leben für den Kampf um Frieden hergegeben hat!“ Am 5. November 1964 wurde Richard Sorge der Titel eines Helden der Sowjetunion verliehen. Am 20. Mai 1965 wurden Branko Bukelic, Max und Anna Klausen die Orden des Roten Banners und des Roten Sterns verliehen. Des Weiteren erhielten Max und Anne goldene Medaillen der DDR. Branko Bukelic (15.08.1904-13.01.1945) starb an völliger Entkräftung.
Vor ein paar Jahren, zur Zeit der Kirschblüte, legte die demokratische Gesellschaft Japans auf dem Friedhof Tama auf Richard Sorges Grab einen neuen Grabstein nieder – mit goldenem Stern und Lorbeerzweig.
Zum Abschluss möchte ich eine Notiz Lawrentij Berijas an Josef Stalin anführen, die er einen Tag vor Beginn des Großen Vaterländischen Krieges zu Papier brachte: „Der Leiter der Spionageverwaltung, Generalleutnant Golikow, bei der noch kürzlich die Bersin-Bande tätig war, beschwert sich über seinen Oberstleutnant Nowobranjez, der ihm vorlügt, dass Hitler 170 Divisionen gegen uns an der Westgrenze zusammengezogen hat, aber ich und meine Leute, Josef Wissarionowitsch, erinnern uns ganz genau an Ihre weise Vorhersage: Hitler wird uns 1941 nicht überfallen“.
Aleksej AWDEJEW, Krasnojarsk
„Krasnojarsker Arbeiter“, 12.05.2012