Am ersten Sonntag im August begehen die Eisenbahner ihren Berufsfeiertag. Die Norilsker Eisenbahn wurde in diesem Jahr offiziell 76 Jahre alt – als ihr Geburtstag gilt der 12. Februar 1936 – an dem Tag fuhr die erste Schmalspurbahn von Walok bis zum sogenannten Nullpunkt. Aber die Eisenbahner tauchten hier, wie sich herausstellte, bereits viel früher auf, nämlich zu einer Zeit, als es Norilsk noch gar nicht gab.
Die Geschichte der Bahnlinie wird in Norilsk sorgsam vom ältesten Mitarbeiter der Norilsker Bahnlinie zusammengetragen und aufbewahrt, dem Hüter des Museums der Geschichte der Eisenbahn – Nikolaj Jakuschin. Er war es auch, der der Zeitung „Polarkreis-Prawda“ erzählte, dass man Aleksander Sotnikow, wenn auch nicht als Eisenbahner, so doch zumindest als den ersten Bahn-Erkunder bezeichnen kann. Sotnikow – Geologe, der, nachdem er Urwanzew, dem ersten Herrn von Norilsk, von den Norilsker Fundstätten berichtet hatte, setzte Stützpfeiler im Bereich der zukünftigen Stadt, und er war es auch, der die ersten Erkundungen für den Bau der künftigen Eisenbahnlinie durchführte. 1915 erforschte er die Gegend und beschrieb dann die möglichen Verläufe der Bahnstrecke.
Aus einer Broschüre Aleksander Sotnikows mit dem Titel „ Zur Frage der Ausbeutung der Norilsker (Dudinsker) Steinkohle-Vorkommen und Kupfererze in Verbindung mit der praktischen Realisierung und Entwicklung des Nordmeer-Seewegs“ (Tomsk, 1919):
„Das Hauptziel für die Verlegung des Schienenwegs ist die Lieferung von Kohle und anderen Bodenschätzen zum Jenissei… Die Bedeutung dieser Strecke, so muss man annehmen, liegt auch in der Belebung der so gut wie toten Region, welche diese für den nördlichen Bezirk in Bezug auf unseren internationalen Warenhandel mit sich bringen wird“.
Sotnikow sah als allererster, wo genau man diesen Schienenstrang verlegen
musste. Er arbeitete dafür zwei Varianten aus: eine nahegelegene, 80 Werst von
Norilsk entfernt, bis nach Dudinka, und eine, die beinahe 200 Werst entfernt
verlaufen würde, bis zum Ust-Jenisseisker Hafen. Wozu brauchte man eine zweite
Variante? Es ging darum, dass der Jeniseei im Bezirk Dudinka ursprünglich nur
ein kleiner Fluss war, und Seeschiffe konnten bis in die 1930er Jahre nicht an
seinen Ufern festmachen. Später, Ende der 1930er Jahre vertiefte man den
Jenissei; doch 1915, zu der Zeit, als Sotnikow seine Erkundigungen anstellte,
war der Hafen von Ust-Jenisseisk der am besten geeignete Ort für den Abtransport
von Kohle und Erzen. Außerdem hatte Sotnikow bei beiden möglichen
Streckenführungen drei weitere Varianten berücksichtigt: für eine breite, eine
schmale und eine „mittlere“
(1000 mm) Spurbreite.
Aleksander Sotnikow bezeichnet die zukünftige Bahnstrecke mit hellseherischen Fähigkeiten als Zweiglinie der Norilsker Eisenbahnlinie. Und genauso kam es auch, nur ganz zu Beginn der Arbeiten, erhielt sie den Namen Polarbahnlinie. Fast alle örtlichen Streckennetze wurden so verwirklicht, wie Sotnikow es geplant hatte: zum Beispiel der Streckenabschnitt bei Ugolnij Rutschjo, wo Kohle im Tagebau gefördert wurde, oder die Station Norilskaja am Fuße des Schmidticha-Berges – aus ihr wurde tatsächlich der Bahnhof Norilsk-1. Die gebaute Schmalspurlinie wurde fast vollständig dort verlegt, wo Sotnikow es vorgesehen hatte, und die Breitspurlinie zwischen den Stationen Dudinka und Nadjeschda verlaufen jetzt ebenfalls entsprechend seinen Entwürfen.
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Allen ist bekannt, dass 1920 in Norilsk unter der Leitung des Geologen
Nikolaj Urwanzew eine der ersten vollwertigen Expeditionen für das Aufspüren von
Bodenschätzen im Norilsker Bezirk erfolgte.
Aber es wird nur wenig darüber gesagt, dass es
parallel zu der legendären Urwanzew-Expedition
auch noch eine Eisenbahn-Expedition gab.
Auch sie wurde vom Komitee der Nordmeer-
Seewegsorganisation losgeschickt, unter deren
Führung damals alle Arbeiten im Bezirk der Norilsker
Fundstätten standen. Ziel der Expedition waren die
Erkundung der Gleisbau-Möglichkeiten von Norilsk
nach Dudinka und zum Ust-Jenisseisker Hafen.
Übrigens waren es gerade die Teilnehmer dieser
Eisenbahn-Expedition, die auf Bitten Urwanzews die
Höhe des Meeresspiegels für den Nullpunkt, den Ausgangspunkt
in Norilsk berechneten.
Nach diesen Expeditionen im Jahre 1921 fasste die Bauverwaltung
der Bahnlinien in Sibirien gemeinsam mit dem Komitee des
Nordmeer-Seewegs den Beschluss über die absolute Notwendigkeit, in Norilsk eine
„Dampf-Schmalspurbahnlinie von Norilsk nach Dudinka zu bauen, mit einer
möglichen Verlängerung des Schienenstrangs bis zum Ust-Jenisseisker Hafen“. Mit
dieser Entscheidung wird 1921 noch eine weitere Eisenbahn-Expedition zur
endgültigen Erkundung nach Norilsk geschickt.
Und so stand das Bauvorhaben kurz vor seinem Beginn. Das sibirische Revolutionskomitee ließ dem Komitee der Nordmeer-Seewegsorgansiation dreitausend Baumstämme für die Arbeiten an der Trasse zukommen. Mit Hilfe von Rentieren wurden sie überall in der Tundra verteilt, wurden jedoch für die Errichtung von Baracken und Telegraphenmasten verwendet. Für weiterführende Arbeiten fehlte es einfach an den nötigen Mitteln: für den Bau der Schmalspurbahn Dudinka – Norlisk waren 47 Millionen Rubel erforderlich. Doch so viel Geld besaß die junge Sowjet-Republik für den Bau einer Eisenbahnlinie am Ende der Welt nicht.
Eine Zeit lang blieb die Erschließung der Norilsker Fundstätten gänzlich in Frage gestellt.
Im Jahre 1935 erinnerte man sich dann wieder an die einst geplante Verlegung der „Eisernen“ im Taimyr-Gebiet, als nämlich die Hauptverwaltung des Nordmeerseewegs die Errichtung des Norilsker Nickelkombinats der Leitung des GULAG des NKWD stellte. In der Anordnung des Rates der Volkskommissare vom 23. Juni 1935, mit der das Norilsker Kombinat ins Leben gerufen wurde, gibt es einen Punkt, der besagt:
„… ist die abschließende Erkundung der Trasse für die Schmalspurbahn Dudinka – Norilsk – Pjassino-See (135 km) durchzuführen und ein Projektplan zu erstellen, um ein Ende der Bauarbeiten der Eisenbahnverbindung Norilsk – Pjassino (15 km) und Dudinka – Norilsk (120 km) bis Ende 1936 zu gewährleisten“.
Von Dudinka aus verkehrten damals auf dem Jenissei, über die Bucht von Pjassino und den Fluss Pjassina, Schiffskarawanen mit Frachtgut für das Norilsker Kombinat. Und genau für diese Lieferungen nach Norilsk brauchte man auch die Bahnlinie. Die Leiter des Kombinats kamen darauf, dass es keinen Sinn machte, eine Zweilinie bis zum Pjassino-See zu verlegen, wenn doch die Schiffskarawanen weiter fahren konnten und über Norilsk sogar bis nach Waljok gelangen konnten. Und so entstand in der Geschichte der Norilsker Eisenbahn die erste festgelegte Station – der kleine Bahnhof von Waljok.
1936 nahm die Schmalspurbahn auf dem ersten Streckenabschnitt Waljok – Norilsk ihren Betrieb auf. Anfangs fuhr sie allerdings nicht ganzjährig. Sotnikow war noch während seiner Planungstätigkeit an der Route fest davon überzeugt, dass Bahntransporte im Winter aufgrund der hohen Schneewehen nicht möglich wären. Und genau so dachte später auch Sawenjagin. Schließlich machten sie das alles ja auch zum ersten Mal, und wenn anfangs niemand wusste, wie man in Norilsk eine Bahnlinie verlegt, so wussten sie später nicht – wie man sie befahren und wie man den Schnee am besten forträumen könnte. Insgesamt gesehen ruhte der Betrieb in den ersten Jahren zwischen zwei und vier Monaten. Die ersten Eisenbahner arbeiteten erst im Winter 1940-1941 annähernd kontinuierlich. Die Schneewehen stellten allerdings auch weiterhin ein weitreichendes Problem dar; für die Räumung der Gleise mussten hunderte von Menschen mit Schaufeln aufgebracht werden, und die Arbeit musste fast wöchentlich erledigt werden. Zudem musste man für die Arbeit im Winter jeweils zwei aneinander gekuppelte Spezial-Loks an einem Zug benutzen. Eine einzige Schmalspur-Lokomotive mit ihrer geringen Leistung war nicht in der Lage, die schweren Waggons über die vom Schnee verschütteten Gleise zu ziehen. Und so nahm die nördlichste Norilsker Eisenbahnlinie über einen dornigen Weg ihren Betrieb auf.
Station Norilsk-2, 1945
Swetlana Gunina
Fotos aus dem Archiv der Autorin
„Polar-Wahrheit“, 03,08,2012