Museumsmitarbeiter schlagen vor, die Routine eines Henkers zu erleben
Am 30. Oktober, dem Tag des Gedenkens an die Opfer politischer Repressionen, wurde im Museumszentrum Krasnojarsk die Ausstellung „Nicht-Widersetzung“ eröffnet. Zwischen den für diesen Tag bereits traditionellen Trauer-Aktionen und Gedenk-Veranstaltungen steht sie ein wenig als etwas Besonderes da – dank ihrer Aktualität.
Foto: Krasnojarsker Museumszentrum
14 lebensgroße Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen nackte Menschen mit dem Rücken zu den Besuchern stehen, hinter den Abbildungen liegen Kleidungsstücke auf dem Boden herum – der Sinn dieser Szene wird jedem Betrachter klar, der zumindest schon einmal etwas von Erschießungen gehört hat. „Ihre Zwangsentblößung symbolisiert Erniedrigung, den Verlust von Individualität, Schutz und Willensfreiheit“, - heißt es im Begleittext zur Ausstellung, die auf Leo Tolstois berühmter Auffassung beruht. „Hier wird die Situation modelliert, wenn ein Mensch vor einer Wahl steht: sich dem Bösen ebenfalls durch Gewaltanwendung widersetzen oder seine Aggression bezwingen und seine innere Freiheit wahren, - sagt die Kuratorin des Projekts – Oksana Budulak. – Nicht-Widersetzung bedeutet hier nicht Ergebenheit, auch nicht Kapitulation, sondern – ganz im Gegenteil – einen Willensakt, die höchste Stufe geistiger Entwicklung“.
Einer der Mitautoren dieses Projekts, der Vorsitzende der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation Aleksej Babij, ist der Meinung, dass das Wichtigste bei der „Nicht-Widersetzung“ die humanistische Botschaft, der humanistische Impuls ist. „Wir haben versucht, die Besucher der Ausstellung auf die andere Seite zu stellen, die Seite des Henkers, - sagt Babij. – Hier ist das Wichtigste die Situation selbst, in die der Betrachter hineingerät. Sie wird für ihn ungewohnt sein, und sie wird ihm nicht gefallen“.
Jeder beliebige Betrachter kann sich nicht nur als Henker, sondern auch als eines der Opfer auf den Fotos fühlen: man hat geplant, die allgemeine Zahl der „Erschossenen“ noch auf mindestens hundert zu erhöhen. Je umfangreicher die Fotoserie ist, umso imposanter ist die Wirkung, um so eingängiger die Botschaft. „Bislang wurden fünfzehn Personen fotografiert. Aber das ist erst der Anfang des Projekts; wir haben die Absicht es fortzusetzen, unter anderem auch an anderen Plätzen, in anderen Städten“, - präzisiert die Kuratorin.
In diesem Jahr hat das anfallende Trauer-„Jubiläum“ – 75 Jahre Großer Terror – unheimliche Aktualität gewonnen. Häftlinge von Bolotnaja, die „in Sachen 6. Mai“ verhaftet wurden, die Strafverfolgung von Mitgliedern der Punk-Rock-Gruppe Pussy Riot, sind turnusmäßige Verfahren, die gegen Oppositionelle eingeleitet werden … Von der liberalen Allgemeinheit hört man immer häufiger den Ausspruch „das neue Jahr 37“, und Leute gehen mit Plakaten „Gegen Folter und Repressionen“ auf die Straße. Im Gegenzug rufen Stalinisten dazu auf nicht zu lästern – wie man so schön sagt: „ein kümmerliches, blasses Abbild“, es ist nicht das, was es früher einmal war. „Über das Ausmaß zu sprechen ist einstweilen schwierig, aber der Vektor zeigt eindeutig auf jene Seite, - meint Aleksej Babij, - auch der große Terror hat nicht auf einen Schlag angefangen. Es ist noch nicht aller Tage Abend“.
Material: Stanislaw Etkind
„Moskauer Komsomolze in Krasnojarsk“, 30.10.2012