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In Tuwa wurde ein Denkmal für ein verfolgtes Pferd errichtet

In einem der Dörfer in Tuwa gibt es ein ungewöhnliches Denkmal, zu dem sich jedes Jahr am Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen Menschen mit Blumen begeben. Auf dem Monument ist ein Pferd dargestellt –der schnellste Hengst in der Geschichte der Republik. Esir Kara (Schwarzer Adler) – so nannten sie das Pferd – wurde in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ebenfalls zum Opfer der politischen Repressionen, nachdem sein Besitzer verhaftet worden war.

Wie das Leben des Schwarzen Adlers endete – ist nicht vollständig bekannt. Doch das Schicksal des Hengstes bis zu dem Moment, wo man ihn aus politischen Erwägungen aus dem Wettbewerb entfernte, wurde vom Neffen seines Besitzers beschrieben, einem der bekanntesten Schriftsteller der Republik - Kara-Kuske Tschoodu. Bis auf den heutigen Tag wird die Geschichte um diese Legende von den Ortsbewohnern sorgsam gehütet.

Für seinen Herrn war auch das Pferd verantwortlich

Das Geschlecht der Tschoodus litt schrecklich unter den politischen Verfolgungen. Unter den 17 Verwandten des Schriftstellers, die zu „Volksfeinden“ gezählt wurden, befanden sich sein Vater und Onkel Sojan Sandanmaa zusammen mit seinem Pferd. 1939 wurde das unglückselige Tier ebenfalls unerwartet zum „Konterrevolutionär“.

„Sandanmaa wurde aufgrund einer Denunzierung verhaftet, nach er als Mitglied einer konterrevolutionären Gruppe eine Grenzanlage und deren Grenzposten einnehmen wollte, wozu man aus dem Ausland zehn Fläschchen Gift bestellt hätte, um die Aktivisten eines der Dörfer der Republik zu vergiften“, - sagt Tschoodu. Der Onkel wurde im März 1939 verhaftet und im Sommer erschossen.

Sandanmaa besaß das schnellste Rennpferd in ganz Tuwa; es hieß Esir-Kara (Schwarzer Adler). In den Jahren 1934 bis 1936 wurde es Sieger des republikanischen Pferderennens, wofür es dann auch diesen Namen erhielt. Danach verlor der Hengst noch weitere zwei Jahre gegen kein anderes Pferd. So gute Ergebnisse in der Region kann bis heute kein einziges Pferd vorweisen.

„Wie Augenzeugen sagen, gelangte Esir-Kara aus der Taiga durch den feinen Sand des Tals des Großen Sees und über steinige Bergrücken, einer Strecke von 500 km, zum Ort des Renn-Wettkampfes“, - erzählt der Schriftsteller.

Nach Sandanmaas Erschießung wurde das Pferd an die Volks-Revolutionsarmee der Tuwinischen Volksrepublik übergeben, doch schon bald sollten wieder Pferdewettkämpfe stattfinden, und der alte Kullar Orus brachte das Springpferd herbei.

„Man erzählte, dass Esir-Kara am Tag des Ereignisses begann, sich dort, wo er angebunden war, aufzubäumen. Man versuchte ihn zu beruhigen, aber da gab der Leiter des Armee-Stabs, der das Ganze mit angesehen hatte, sogleich eine Anweisung. Er sagte, dass alle dieses Tier als Pferd des kürzlich erschossenen Sandanmaa kennen würden. Aus politischen Beweggründen würde man es daher auf keinen Fall zu dem Wettbewerb zulassen. Und er befahl das Tier loszubinden und laufen zu lassen.“, sagt Tschoodu.

Nach den Aussagen von Augenzeugen, die der Schriftsteller sammelte, hat damals das ganze Stadion gebrüllt, die Menschen waren empört und verlangten, dass man ihr geliebtes Pferd zurückholen sollte. „Als der Stabsleiter dieses allgemeine Missfallen sah, fing er an, den Leuten mit Gefängnis ohne weitere Untersuchung zu drohen. Und da wurde es still. Kein Mensch wagte zu atmen. Es war eine ganz schreckliche Situation. So also hatte man dem armen Tier für immer verboten, an Turnieren teilzunehmen“, - berichtet der Gesprächspartner.

Das weitere Schicksal des Pferdes ist – ein Geheimnis. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, was mit Esir-Kara anschließend geschah. Die einen erzählen, dass man es zurück in die Rote Armee brachte, um dort seine Dienste zu leisten, andere berichten, dass das Pferd nach Chakassien verkauft wurde, wiederum andere bekräftigen, dass das arme Springpferd unverzüglich erschossen wurde.

„Ein Mann, der das Schicksal und die Geschichte des Schwarzen Adlers gut kannte, erzählte mir, dass man das Pferd bis zur völligen Erschöpfung für Schwerstarbeiten einsetzte und dann im Wald zurückließ. Es war schrecklich mager und stand nur mit Mühe auf seinen Beinen; es war nicht einmal mehr wegen seines Fleisches zu verwenden“, - erzählt der Schriftsteller.

Es gehen Gerüchte, dass der Hengst Esir-Kara bis heute im Wald von Meschegej an einem Baum hängt. „es ist ein sehr großer Hengst, der sich schon ganz lange dort befindet… Ich habe nicht nur von einem Menschen gehört, dass es sich dabei tatsächlich um die Überreste des schnellbeinigen Pferdes handeln soll“, merkt Tschoodu an. Schon sein ganzes Leben lang versucht er in Erfahrung zu bringen, was mit dem geächteten Pferd tatsächlich geschah. Und das Schicksal des Schriftstellers selbst war auch kein leichtes.

Das Schicksal des Bewahrers der Geschichte

„1943 ging ich in die erste Klasse. Für mich und noch ein paar andere Kinder fanden sich keine Jurten, und so mussten wir während der Woche neben der Schule unter freiem Himmel leben, und danach holte die Mutter uns nach Hause. Im Jahr darauf wurde ich krank und konnte wieder nicht zur Schule gehen“, - erinnert sich Tschoodu.

Nach seiner Genesung wollte er nicht untätig herumsitzen. „Den ganzen Winter hütete ich Vieh. Und im Frühjahr zeigten sie in meiner Schule den Film "Pugatschow“. Die Neugier trieb mich dorthin. Ich schaute ihn mir an, wollte anschließend nach Hause gehen, wurde jedoch vom Lehrer aufgegriffen und musste einen Monat die Schulbank drücken. Das reichte offenbar aus, um 1945 ein Dokument über den Abschluss der ersten Klasse zu erhalten“, sagt der Schriftsteller.

Danach setzten für den Jungen äußerst schwierige Zeiten ein. Seine Mutter wurde schwerkrank und starb. Und 1949 verhafteten sie seinen Vater wegen „antisowjetischer nationalistischer Aussagen. Der Junge selbst wurde aus der Internatsschule verjagt. Dies erfolgte durch einen KGB-Mitarbeiter: er führte den Jungen einfach an der Hand aus der
Schule und befahl ihm, dort nie wieder zu erscheinen. Und wie sich später herausstellte, hatte es überhaupt keine offiziellen Verfügungen über seinen Ausschluss gegeben.

„Wenige Wochen später fand der Schulleiter mich mit einem Arm voll Brennholz auf der Straße und brachte mich in eines der Häuser. Dort sollte ich von nun an leben. Danach begann der zweite Teil meiner Lehrzeit. 1954 hatte ich die 7. Klasse beendet“, erzählt Tschoodu.

Anschließend ging er ans landwirtschaftliche Technikum, das er ebenfalls mit dem Abschluss beendete. Er arbeitete zunächst als Schäfer, dann als Traktorfahrer und sogar als Oberagronom der Kolchose. Dann wurde er Student am Pädagogischen Institut. Damals schon brachte er in die Lokalzeitungen seine kleinen Notizen und Fotos ein. Das blieb nicht unbemerkt. „Als ich in den zweiten Kurs am Pädagogischen Institut in Kysyl wechseln sollte, schlug man mir eine Stellung bei der Kinderzeitung vor. Ich entschloss mich für ein Fernstudium. Und bereits 1977 schickte mich die Partei los, um eine Bezirkszeitung zu gründen. Über ein halbes Jahr lang baute ich zusammen mit Arbeitern das Redaktionsgebäude und die typographische Anstalt auf“, - erinnert sich Tschoodu.

Im Verlauf von 33 Jahren war er bei verschiedenen Zeitungen tätig, schrieb mehrere Bücher; 1998 ging er in Rente, wurde freier Journalist und setzte seine Schriftsteller-Tätigkeit fort. Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 90. Jahrestag der Volksrepublik Tuwa im Jahre 2011 schrieb Tschoodu das Buch „Das verfolgte Pferd“, welches er nicht nur dem Rennpferd, sondern auch vielen anderen „Volksfeinden“ widmete, unter denen sich sein Vater und Onkel befanden – der Besitzer des Hengstes.

Heute ist der einstige Landstreicher, Sohn eines Volksfeindes – ein in Tuwa bekannter Schriftsteller, Journalist, geehrter Bürger von Kysyl und Preisträger der Staatsprämie für Literatur.

Auf beiden Seiten des Gesetzes

Als Antwort auf die Bitte, ein wenig über seinen Vater zu erzählen, schloss Tschoodu für ein paar Sekunden die Augen, als ob er aus dem großen Strom an Informationen, die wichtigsten und wertvollsten Fakten und Einzelheiten herauswählen wollte.

„Sie verhafteten meinen Vater, Kunseka Tschoodu, im Sommer 1949. Den Anlass dazu gaben angeblich seine Äußerungen, die er bei der Taufe seines Neffen gemacht hatte. Er soll wohl gesagt haben, dass das Volk früher, als sie in Tuwa noch religiöse Bräuche ausgeübt hätten, besser gelebt habe, als unter der Sowjetmacht. Jetzt glauben sie nicht mehr an Gott, und die Churee (buddhistische Klöster) sind alle zerstört“, erzählt der Schriftsteller.

So kam es auch, dass der erste Vorsitzende des Tes-Chemsker Bezirksgerichts der Republik im Nu zum Häftling wurde, verurteilt zu 12 Jahren Lagerhaft. Wie der Gesprächspartner anmerkt, „woraus man schließen kann, dass er sich also während seines Lebens auf beiden Seiten des Gesetzes befand“.

„Vater wurde 1955 nach einer Amnestie entlassen. Er arbeitete als Schafhirte. 19 Jahre später starb er. Die Lageraufenthalte haben seine Gesundheit zerrüttet, denn dort mussten die Häftlinge während der Arbeitszeit sogar unter das Eis der Angara tauchen; im Großen und Ganzen haben die Krankheiten das Ihre gefordert“, - erinnert sich Tschoodu, und seine Augen füllen sich mit Tränen. 20 Jahre nach dem Tod des Vaters wurde er rehabilitiert und als Opfer der politischen Repressionen anerkannt.

Der schwarze Rabe als Symbol

Mehr als 70 Jahre sind seit der Zeit vergangen, als das schnellste Pferd in der Geschichte Tuwas verschwand. Aber trotz dieses langen Zeitraums haben die Bewohner der Republik den Schwarzen Adler nicht vergessen. „In den südlichen Bezirken der Republik begann mit ab 1993 damit, zu Ehren dieses Hengstes einen Feiertag abzuhalten. Es finden sportliche Wettkämpfe und natürlich Springturniere statt“, - erzählt Tschoodu.

Im Dorf Ak-Erik wurde ein Denkmal für das Pferd eingeweiht. In seine Gedenktafel sind die Namen der 23 Verfolgten aus dieser Siedlung eingemeißelt, unter denen sich auch der Vater des Schriftstellers befindet.

„In Tuwa gibt es auch eine Vereinigung von Künstlern unter der Bezeichnung „Esir-Kara“, - teilt Tschoodu mit.

Es wurden auch mehrere Skulpturen geschaffen, die das verfolgte Pferd darstellen. „Eine von ihnen wurde in Swerdlowsk aus Bronze und Eisen gegossen, es gibt auch eine Arbeit aus Marmor. In einer der Städte hat ein Künstler Esir-Kara aus Eis geschaffen“, - sagt der Gesprächspartner von RIA Nachrichten.

Das ist noch nicht alles. Es wurde auch ein Lied für den „Schwarzen Adler“ geschrieben und ein Tanz aufgeführt.

„Aufgeführt werden sie vom berühmten tuwinischen Ensemble „Sajany“. Und das ist viel wert, denn das Kollektiv ist vielfacher Diplomand allsowjetischer, allrussischer und internationaler Wettbewerbe“, - berichtet der Schriftsteller.

Das schnellbeinige Pferd ist sogar auf dem Emblem des Ersinsker Bezirks, Tuwa, dargestellt. Und 2011 wurde eine der Straßen in der Republik-Hauptstadt Kysyl zu Ehren Esir-Karas benannt.

All das wird geschaffen und erfolgt unter unmittelbarer Mitwirkung von Kara-Kuske Tschoodu. Die Geschichte Esir-Karas geht mit ihm durchs ganze Leben. Und er ist stolz darauf…

…Und er bereut nichts in seinem Leben. Der Schriftsteller hatte ein schweres, kompliziertes Leben, aber ein Leben, das er so auch noch einmal leben würde. „Wenn man mir den Vorschlag machte, die Zeit zurückzuholen, zurückzudrehen und gegen das zu ersetzen, was ich mir für mein Schicksal lieber gewünscht hätte, dann würde ich alles so lassen, wie es ist. Das ist mein Leben, und ich habe es genauso gelebt, wie es mir vorherbestimmt war. Was ich nicht bedaure“, - sagt Tschoodu.

Jetzt hat er einen innigen Traum. „Ich möchte, dass man in Kysyl ein Denkmal für Esir-Kara errichtet. Derzeit sammeln wir Gleichgesinnten Geld für seine Aufstellung. Wenn alles gut ausgeht, kann das Denkmal schon im Frühjahr 2013 eingeweiht werden“, - teilte der Schriftsteller seine Pläne mit, wobei er anmerkte, dass dieses Monument immer ans Schicksal des legendären Schwarzen Adlers erinnern würde, der das Verhängnis symbolisiere, welches viele Unschuldige ereilte.

Iwan Afanasjew, RIA Nowosty

Tuwa-Online 30.10.12


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