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Kansk wird mit dem Schicksal verflochten

Die Februar-Sitzung des Klubs „Landsleute“ war traditionsgemäß der männlichen Hälfte der Menschheit gewidmet. Von bekannten Leuten unserer Stadt erzählte die Leiterin der heimatkundlichen Abteilung der Zentral-Bibliothek – Fatima Dolgich. Ihr Bericht berührte zahlreiche Namen, angefangen vom ergrauten Alterchen, der Kaufmannsdynastie der Gadalows und dem Stadt-Oberhaupt Schachmatow bis in die Gegenwart.

Im zweiten Teil der Zusammenkunft informierte der Leiter des Klubs „Landsleute“ – Wladimir Kolpakow, über Materialien aus seiner Forschungsarbeit. Viele der Versammelten erfuhren mit großer Verwunderung, dass in unserer Stadt ein derart berühmter Schriftsteller wie Arkadij Strugazkij gelebt hatte.

Geboren wurde Arkadij Natanowitsch am 28. August 1925 in der Stadt Batumi, seine Kindheit verlebte er in Leningrad, und einen großen Teil seines Lebens verbrachte er in Moskau. Doch es gelang ihm auch, eine Zeit lang in dem kleinen sibirischen Kansk zu leben. Im Frühjahr 1943 wurde Arkadij nach Moskau abkommandiert, zum Militärischen Institut für Fremdsprachen, das er 1949 auf dem Spezialgebiet „Übersetzer aus dem Englischen und Japanischen“ beendete. „Was für ein Student ich war? – ruft Arkadij aus und erinnert sich an seine Studienjahre, - Ein ganz unmöglicher! Wir hatten glänzende Lehrer. Beispielsweise den Akademiker Konrad, damals noch ein „Zukünftiger“, und andere großartige Koryphäen. Uns allen fehlte es ganz erheblich an Kultur, obwohl sie aus uns Stabsoffiziere mit Sprachkenntnissen vorbereiteten.“. Es lohnt sich auf jeden Fall, den Akademiker Nikolaj Josefowitsch Konrad (1891-1070) gesondert zu erwähnen. Seine Name hat ebenfalls Bezug zu unserer Stadt: noch im Jahre 1939, als damaliger Mitarbeiter des Instituts für Orientalistik, wurde er als japanischer Spion von einem Sonderkollegium beim NKWD der UdSSR (§58, 1a) verurteilt und verbüßte die Strafe in der 7. Lagerstelle der Kansker Lager. Im Winter 1939-1940 arbeitete er beim Bäume fällen, später zog man ihn zum Reinigen der Eisenbahnweichen heran. Dank der Bemühungen einflussreicher Personen wurde er in die sogenannte „Scharaschka“ geschickt, wo er mit den Sprachen Chinesisch und Japanisch zur tun hatte. Um der Gerechtigkeit willen muss man zugeben, dass Konrad sich über seinen Zwangsaufenthalt in Kansk äußerst wohlwollend äußerte – er war der Ansicht, dass das raue Klima Ost-Sibiriens seine hartnäckigen Krankheiten heilte und seine Gesundheit stärkte.

Die Stadt, in der Traditionen entstehen

Nikolaj Konrads Schüler Arkadij Strugazkij geriet ein Jahrzehnt später nach Kansk, ebenfalls nicht aus freiem Willen, sondern nach dem Verteilungsschlüssel. Aber trotz eines großen Maßes an Freiheit stellte ihn Kansk nicht zufrieden. Arkadij arbeitete von 1949 bis 1952 als Lehrer an der Kansker Schule für Militär-Dolmetscher. Hier in Kansk gingen in Arkadijs Leben bedeutende Ereignisse vor sich, welche Boris Strugazkij in einem Brief an das Kansker Heimatkunde-Museum „tragikomisch“ nannte. In Kansk legte er sich seine zweite Hälfte zu – er heiratete Jelena Woskressenskaja (Oschanina), mit der er viele Jahre glücklich zusammenlebte. Jedes Mal, wenn die Ankunft eines neuen Jahres gefeiert wurde, erinnerten sie sich an Kansk, an die Neujahrsnacht 1951-1952, die den Grundstein für ihre Beziehung legte – das war ihre Familien-Tradition.

Ein einzigartiges Zeugnis

Heute verfügen wir über die Erinnerungen an die Schule der Militär-Dolmetscher in Kansk eines der bekanntesten Orientalisten Russlands, des Übersetzers und Erforschers des spirituellen Gesundungssystems, Meisters des Qigong und Feng Shui – Mai Michailowitsch Bogatschichin, der die Dolmetscherschule gerade in den Jahren absolvierte, als Strugazkij dort unterrichtete: „Die Schule der Militär-Dolmetscher, genauer gesagt – die Fachschule für Militär-Dolmetscher, befand sich in Kansk, „wenn man in die Stadt hineinfährt, liegt sie schräg gegenüber“. Das heißt: den Bahnhof voraus, und dann nach links, bis zum Ende des Städtchens. Als wir eintrafen, fragten wir die Ortsbewohner, wo sich der Truppenteil 74393 befände; sie antworteten: „Etwa die Schule für Militär-Dolmetscher?“ Und dann zeigten sie uns, wo si lag. Das war 1949. Kasernen – zweigeschossige Ziegelstein-Blocks, mit Wänden, welche die Stärke von Ziegelsteinen hatten: das ist unheimlich dick! Tschechoslowakische Kriegsgefangene hatten sie erbaut. Beheizt wurden sie mit Hilfe von Holland-Öfen. Die Schulklassen befanden sich in einem separaten, eingeschossigen Gebäude. Außerdem gab es noch eine Kantine und einen Klub. Für die Offiziere – wieder ein anderes Gebäude. Im Großen und Ganzen war alles so, wie in einem gewöhnlichen Militärverband. Die Offiziere konnten die Stadt vollkommen frei verlassen, die Kursteilnehmer dagegen nur an freien Tagen und mit Urlaubsschein. Wie viele waren wir? Im Kurs gab es vielleicht 90 Sinologen. Das war eine Sonderauswahl im Zusammenhang mit der Verschärfung der Lage im Osten (1952, der Krieg in Korea, man musste sich auf den gegenwärtigen Krieg der Chinesen vorbereiten). Die Zahl der koreanischen und japanischen Studenten war geringer. Die Ausbildung dauerte drei Jahre. Die Abgangsjahrgänge vor uns hatten zwei Jahre studiert. Woskressenskij konnte sich mit Strugazkij anfreunden, weil beide am Militär-Institut für Fremdsprachen studierten und es wahrscheinlich gleichzeitig beendeten und dann in Kansk eintrafen. Lena Oschanina, ebenfalls Offizierin, unterrichtete Chinesisch, allerdings nicht in unserer Gruppe. Offenbar hatte sie zur selben Zeit wie sie studiert und gleichzeitig mit ihnen das Studium abgeschlossen. Eine kleine rundliche Frau mit großen Augen. Sie verschwand wohl sofort. Es geschah während der Neujahrsfeierlichkeiten. Über die Parteiarbeit unserer Helden weiß ich nichts. Die Offiziere hatten ihre eigene Partei- und Kommunistische Jugend-Organisation“.

1952 verließ Arkadij Strugazkij Kans; er diente als Divisionsdolmetscher in Fernost. Sich an jene Jahre erinnernd, schreibt er über sich in der dritten Peron: „ … Und das war wohl der eindrucksvollste Zeitraum in seinem Leben. Er erlebte ein mächtiges Erdbeben. Er war Zeuge eines furchtbaren Tsunamis Anfang November 1952. Er war beteiligt an Aktionen gegen Wilddiebe; das ähnelte sehr stark dem, was zu seiner Zeit Jack London in seinen Abenteuern der Fischerei-Patrouille schrieb“. Um der Gerechtigkeit willen muss man zugeben, dass der Ferne Osten ihm viel besser gefiel als Kansk, und es ist kein Zufall, dass die gemeinsam mit seinem Bruder geschriebenen Bücher an die Küsten des Stillen Ozean erinnern. Doch die Stadt am Fluss Kan tauchte trotzdem in den Werken der Strugazkijs „Stadt der Verdammten“, „Der Montag fängt am Samstag an“, „Das lahme Schicksal“ auf.

Sehr geehrte Stadtbewohner!

Die Redaktion der „Heutigen Zeitung“ wendet sich in der Absicht, eine Ausstellung über Arkadij Strugazkij und die Kansker Schule für Militär-Dolmetscher zu organisieren, an die Einwohner der Stadt, die eine Beziehung zum 1. Militär-Städtchen haben und mit ihren Erinnerungen an diesen Kansker Stadtbezirk sowie vielleicht auch Fotografien des Städtchens aus dem vergangenen 20. Jahrhunderts mitzuwirken (die Zeit, in der das Städtchen in Betrieb war, jedoch nicht unbedingt die 1940er und 1950er Jahre). Die Redaktion wendet sich auch an alle, die das Werk der Schriftsteller lieben, mit der Bitte, Bücher der Brüder Strugazkij zur Verfügung zu stellen. Es können alte Ausgaben, aber auch Zeitschriften-Varianten sein. Sie werden die Grundlage für die zukünftige Ausstellung bilden. Kontaktaufnahme: Redaktion „Heutige Zeitung“. Alle zusammen können eine Menge tun.

„Heutige Zeitung“, Kansk, 13.02.2013


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