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Ein sibirischer Finne, Künstler und Poet

Am 15. März ist es ein Jahr her, seit der bemerkenswerte sibirische Maler, Volkskünstler Russlands, Mitglied der russischen Schriftsteller-Vereinigung Toiwo Wasiljewitsch Rjannel (1921-2012) aus dem Leben geschieden ist.

Die zahlreichen Schwierigkeiten und Wechselfälle auf dem Lebensweg Toiwo Rjannels nötigen einen ganz unfreiwillig dazu, sich der Gedichtzeilen Andrej Wosnesenskijs zu erinnern: „Das Schicksal fliegt durchs All – einer Rakete gleich….“

Nicht aus freiem Willen gelangte der kleine Toiwo an einen weit vom Land seiner Vorväter entfernt liegenden Ort. Aber immerhin fügte sein Schicksal sich dergestalt, dass Sibirien für ihn nicht nur zur zweiten Heimat, sondern auch zur unerschöpflichen Quelle schöpferischer Inspiration wurde. Egal welche dramatischen Situationen ihm auch auflauerten – er verlor nie seinen Optimismus, verlor nie seine Hoffnung. Es ist wohl kein Zufall, dass der Name „Toiwo“ in der russischen Übersetzung „Hoffnung“ bedeutet. Doch wie leicht wäre es gewesen, so manches Mal in völlige Verzweiflung zu geraten!

Toiwo Rjannel wurde 1921 in dem Dorf Toserowo bei Petrograd in der Familie eines finnischen Bauers geboren. 1931 wurde er zusammen mit seinen Eltern nach Sibirien, in den Bezirk Uderej, Region Krasnojarsk, deportiert. Die Erinnerungen an diese längst vergangene Zeit wurden von ihm später in seinem autobiographischen Buch „Mein schwarzer Engel“ beschrieben. Jeder, der diesen packenden und dramatischen Roman über den Werdegang des Meisters gelesen hat, konnte sich davon überzeugen, dass Rjannel nicht nur ein hervorragender Künstler, sondern auch ein talentierter Schriftsteller war.

„Die Verurteilung des Vaters als Volksfeind sowie unsere plötzliche Ausweisung scheinen mir jetzt schon nicht mehr ganz zufällig gewesen zu sein, - schrieb er in Erinnerung an den Frühling 1931. – Die Aussiedlung der Russland-Finnen aus dem Gebiet Leningrad erfolgte in mehreren Etappen. Zunächst fuhren hermetisch abgeriegelte Züge im Jahre 1930 zur Halbinsel Kola. Unser „goldener Zug“ fuhr 1931 nach Sibirien… Innerhalb von drei, vier Jahren wurde unsere Intelligenz hinter Gitter gebracht und erschossen – Schriftsteller, Lehrer, Angehörige der Geistlichkeit. Der Zerstörung waren nicht nur die Kirchen, sondern auch Friedhöfe ausgesetzt, Lehrbücher wurden verbrannt, der Buchbestand der Bibliotheken ausgedünnt….“.

Natürlich vergisst man so etwas nicht. Aber die Seele des zukünftigen Künstlers verbitterte nicht und hegte keinen Zorn („Ich begegnete hauptsächlich guten Menschen…“) – und er verliebte sich in Sibirien, verliebte sich in die raue Schönheit seiner Natur, und begann sich allmählich selber als echter Sibirier zu fühlen. Wenngleich der demütigende Status eines Sondersiedlers ihn lange daran hinderte, ein gleichberechtigter Staatsbürger zu sein. So gelang es ihm aus diesem Grunde im Jahre 1945 nicht, sich an der Leningrader Akademie der Künste einschreiben zu lassen. „Einzig und allein mein Schaffen rettete mich vor der Verletzung meiner Ehre und all den Erniedrigungen“, - erinnerte Rjannel sich später. Er war der Berufung zum Künstler treu ergeben, die er bereits seit frühesten Jahren in sich empfand.

In seinem Herzen bewahrte er Erinnerungen an die frühesten Eindrücke, die in ihm den künstlerischen Schaffensdrang erweckten: ein frostiger Abend in einem abgelegenen Waldstück am Ufer des Ladoga-Sees … ein Hase, der zum Fenster hereinschaut … und der fünfjährige Toiwo zeichnet in aller Eile diesen Hasen … Später, bereits in der Taiga von Uderej, als er in der Arbeiterbaracke lebt, zeichnete der jugendliche Künstler, um die den Arbeitern eine Freude zu machen, eine ganze Serie mit ihren Porträts und hängte diese Zeichnungen an den Wänden auf. „Das war meine erste Ausstellung, - erinnerte Rjannel sich lächelnd, - und schon damals legte ich mich als demokratisch orientierter Künstler fest“. Nach dieser „Ausstellung“ bemerkte der Junge, dass die Baracken-Nachbarn sein Talent anerkannten und „von da an sogar weniger Flüche ausstießen“.

Der Traum ein richtiger Künstler zu werden verfolgte ihn, „er ließ mich nicht schlafen“. Bei einem Schul-Wettbewerb mit Zeichnungen nach Motiven Puschkin‘scher Gedichte erhielt Rjannel den ersten Preis – einen einbändige Ausgabe des großen Poeten. Und bei einer regionalen Ausstellung für Kinderkunst machte er den ersten Platz für sein Bild „Papanins Eisscholle“.

Als er sich in Krasnojarsk aufhielt, schaute Toiwo sich ganz versessen die Bilder Surikows an, welche in den Museen ausgestellt waren. Einen unvergesslichen Eindruck hinterließ bei ihm der Besuch der Tretjakow-Galerie während seiner ersten Fahrt nach Moskau im Jahre 1937. Mit dieser Reise war er für seine hervorragenden Lernerfolge belohnt worden.

Sich an diese Zeit zurückerinnernd, machte Toiwo eine paradoxe Bemerkung: „Ausgerechnet zwischen 1936 und 1938, als die Welle des Terrors über das Land hinwegrollte und mein Bruder Eino und viele uns nahestehende Menschen Opfer von Repressionen wurden, ausgerechnet da erfuhr ich einen Ausbruch von Liebe und Poesie … Ich weiß noch, dass ich mich ständig selber in Form von Versen zum Ausdruck bringen wollte. Ich habe wohl, ohne mir dessen bewusst zu sein, meine Seele mit Hilfe von Gedichten gerettet“.

„Malerei und Poesie sind nebeneinander in mir lebendig, beide haben Vieles gemein“, meinte er später mehrfach. Und damals, im Jahre 1937, schrieb der jugendliche Rjannel über das Schicksal seines Volkes Verse, die er niemandem hätte zeigen und die erst recht nicht hätten gedruckt werden dürfen:

Was für eine teuflische Kraft
Treibt sie in Reih und Glied ins Nirgendwo?
In den Feldern des demütigen Russland
Verschwinden sie für immer …

Und später, als Rjannel an der Omsker Kunst-Fachschule studierte und bereits professioneller Künstler und auch schon in die Künstler-Vereinigung aufgenommen worden war, hatte er nicht nur einmal unter seiner „Mittelmäßigkeit“, seiner „Zweitklassigkeit“ zu leiden. Aber auch wenn die sowjetische Heimat stiefmütterlich behandelte – Toiwo Rjannel blieb trotzdem immer ihr treuer Sohn. Er war ein Sohn seiner Zeit und diente nicht nur ergeben seinem Land, sondern auch dem Staat. Porträts von Bestarbeitern des Wasserkraftwerks, monumentale Darstellungen des „bezwungenen“ Jenisej – all das gab es, und der Künstler sagte sich niemals davon los.

Obwohl er sich mit den Jahren weiterentwickelte und veränderte, blieb Rjannel dem Realismus treu ergeben, welcher heutzutage vielen Menschen veraltet erscheint. Sein beharrliches Verfolgen der Traditionen der russischen realistischen Malerei war stets aufrichtig und organisch. Und selbst als alle Verbote verschwanden und eine Vielzahl von Versuchungen möglich wurde, blieb Rjannel ein überzeugter Realist.

In den 1950er und 1960er Jahren entwickelte sich Toiwo Rjannel zu einem ausgeprägten, originellen Künstler. Während dieser Periode schafft er seine bemerkenswertesten epischen Gemälde: „Die Geburt des Jenisej“, „Der Pfad der Riesen“, „Das Herz des Sajan“, „Bergkiefern“. Sein Ruhm wächst,. weitet sich aus, er wird weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt.

Man nannte Rjannel den „Sänger Sibiriens“, „Meister der sibirischen Landschaft“, seine Bilder bezaubern auch heute Betrachter und Kunstwissenschaftler durch ihre Poetik, Schönheit, Monumentalität. Seine romantischen „Kiefern“ wurden zum einzigartigen Symbol der Krasnojarsker Schule der Landschaftsmalerei. Viele seiner Arbeiten verstehen sich als gemalte Poeme, Legenden. Gleichzeitig fehlt ihnen die abstrakte Sichtweise der schematischen Allegorie. Der Künstler blieb er lebendigen Natur immer treu ergeben. Und so beschrieb er die Schaffung seines Bildes „Die Geburt des Jenisej“:

„Über den düsteren Felsen und dem stürmisch-rebellischen Wasser ging die Sonne auf … Die hohen Schaumkronen des Wasserfalls, die dunkelgrünen Tannen, das Aufsteigen der Spritze und des Schaums waren eingefasst von einem goldenen Licht, während alles Übrige im kalten Schatten liegt. Das war dermaßen unerwartet, dass es einfach meine Seele packte …“

Während er seine jahrelange treue Ergebenheit zum Genre der Landschaftsmalerei erklärte, bekräftigte er, dass „man mit Hilfe der Landschaft auch die Risse in der Seele des Menschen, seine Gefühle und seinen Charakter aufzeigen kann“. Und das ist ihm gelungen! Er versetzte uns, die Betrachter, durch seine Verliebtheit in die sibirische Natur in Erstaunen: „Für mich ist die Taiga wie ein Festtag. Ich ziehe den Hut, wenn ich ihr begegne … Die Taiga nimmt einem den Egoismus und Geiz von der Seele, und ich fühle die Notwendigkeit, an der Freude bringenden Last der Schönheit teilzuhaben …“.

„Freude bringende Last der Schönheit“, - nur ein Poet konnte da so ausdrücken! Und man konnte sich einfach nur darüber erfreuen, dass nach Rjannels Abreise nach Finnland auch ausländischen Kennern der Malerei die Schönheit seiner Werke zugänglich wurde. In den letzten Jahren seines Lebens hat nicht nur die russische, sondern auch die europäische Kultur „Sibirien durchwachsen“. Regelmäßig kam er nach Krasnojarsk, veranstaltete hier Ausstellungen, brachte seine Alben, Gedichtbände und Erinnerungen heraus, traf mit seinen Freunden zusammen. Diejenigen, die seine letzten Ausstellungen besuchten, kamen nicht umhin zu bemerken, dass in Rjannel eine zweite Kraft entstanden war – sein Pinselstrich war noch virtuoser und leichter, seine Landschaften noch klarer und impressionistischer geworden, als ob sie vom Sonnenlicht durchflutet würden.

Der Künstler bereiste zahlreiche Länder Europas und schuf überall neue Landschaften. In Finnland, Norwegen und anderen Ländern hatte Rjannel mehrere Ausstellungen, die von großem Erfolg gekrönt waren.

Ich hatte mehrfach die Gelegenheit, diesem wunderbaren Künstler und bemerkenswerten Menschen zu begegnen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sehr Roman Solnzew, ich und andere unserer Literaten uns damals freuten, als Toiwo Wasiljewitsch in die Vereinigung russischer Schriftsteller aufgenommen wurde. Man konnte einfach nur stolz darauf sein, dass es in unseren Reihen einen derart vielseitigen und talentierten Menschen gab.

Rjannel hat Sibirien immer geliebt, aber dennoch nie seine historische Heimat vergessen. Ich weiß noch, wie in seiner Stimme der Unterton nationalen Stolzes mitschwang, als er davon erzählte, was Finnland für ein reiches, sauberes und wohlgeordnetes Land war, wie sie dort für die Ökologie kämpfen, wie behutsam sie dort mit den Ressourcen der Natur umgehen. Auch seinen Genen war dieser liebevolle, sorgsame Umgang mit der Erde, der Natur und allem Lebendigen zu Eigen.

„Ich kann mich im Wald anhand der Geräusche, der Vogelstimmen orientieren, sagte der Künstler. – Bei uns Finnen gibt es eine ganz besondere Wald-Ethik … Gleichzeitig trage ich aber auch viele Eigenschaften eines Sibirers in mir“. Ja, er hat immer dieser rein sibirische Leidenschaft, Zielstrebigkeit und ein höheres Gefühl von Verantwortung in sich getragen. Mit Schmerz und Bitterkeit sprach er von dem trüben Strom vulgärer Moderne, billigem Kitsch und der Amerikanisierung der Weltkultur, welche Finnland und Russland überflutet hätten.

… Ein Jahr ist vergangen, seit Rjannel von uns gegangen ist, aber seine Malerei lebt, ebenso wie seine Poesie. Wir gedenken Ihrer und wir lieben Sie, lieber Toiwo Wasiljewitsch.

Eduard Rusakow.

„Krasnojarsker Arbeiter“, 21.03.13

Auf dem Foto: Toiwo Wasiljewitsch Rjannel in seinem Atelier, 2007; Berg-Kiefern, 1959, Leinwand. Öl


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