Vor fast einem Jahr wurde der Artikel «Ohne Gerichtsverhandlung, ohne Paragraphen haben sie uns ausgesiedelt» veröffentlicht, der den Sonderumsiedlern in Ewenkien gewidmet ist. Das Thema «vertriebene Völker», das mich einst so aufregte, lässt mir immer wieder keine Ruhe. Und als ob es absichtlich geschehen wäre, gerieten die Archiv-Dokumente – diesmal die Erinnerungen von Sonderumsiedlern – ausgerechnet in meine Hände. In diesen einfachen Erzählungen über das Leben der Siedler in Ewenkien ist alles zu finden: Bitterkeit über die erlittenen Verluste, Dankbarkeit und Kränkung, dazwischen Tränen und Lachen. Das, was diese Menschen durchgemacht haben, kann man sich nur schwerlich vorstellen, es ist kaum möglich, das alles zu glauben, aber man darf darüber nicht schweigen. Heute möchte ich mit Ihnen die Erinnerungen an jene fernen Jahre teilen, eine Stückchen Seele von jedem von ihnen – nehmen S8ie Kenntnis, gedenken Sie, bewahren Sie es!
Lydia Genrichowna Sadownikowa (Gebbel):
- Der Krieg begann, alle wurden von der Wolga weggeschickt. Ich lebte im Gebiet Saratow, in der Ortschaft Wariburg (Warenburg), ein sehr großes, schönes Dorf. Sie siedelten mich zusammen mit der Mutter aus, die Familie war groß – fünf Personen: Mutter, Vater, ich und zwei Brüder. Wir kamen mit dem Zug in Sibirien an, man brachte uns in verschiedenen Wohnungen im Beresowkser Bezirk unter, in der Siedlung Skribatschi (Skripatschi ist heute der Scharypowsker Bezirk – Red. D. Webseite). Später, im Winter, holten sie den Vater in die Arbeitsarmee und dann irgendwann auch den ältesten Bruder. Ich blieb mit der Mutter ganz allein zurück.
Der Frühling kam, man schickte uns in den Norden, hierher – nach Ewenkien. Wir kamen dort mit offenen Lastkähnen hin, die mit Kohle beladen waren, und wir saßen oben drauf. In Kotschumdek mussten wir aussteigen, das liegt etwas höher als Noginsk. Dort gab es keine einzige Menschenseele, nur kahles Ufer. Ein paar leere Häuschen standen dort, früher hatten dort Jäger gewohnt. Wir renovierten die Häuser ein wenig, zogen ein und blieben dort nicht lange – bis zum Frühjahr. Dann schickten sie uns zum Fischfang auf dem Flüsschen Tutontschanka. Über 300 km zogen wir das Boot im Schlepptau, ich war damals gerade erst 14 Jahre alt. Ich zog das Schlepptau wie die Erwachsenen, wie ein Treidler an der Wolga. Am Biltschan-See machten wir Halt, fort gab es auch nichts und niemanden, keine Häuser, nichts. Wir bauten Unterstände aus Stangen, so eine Art Tschum, und darin lebten wir dann. Wir fischten, schleppten Fässer; eigentlich haben wir alles Notwendige gemacht, sogar Salz gekocht.
Man verhielt sich uns gegenüber sehr schlecht. Na ja, es herrschte ja Krieg… Die Menschen hatten damals die Vorstellung, dass der Menschen mit Hörnern auf dem Kopf eintrafen, Deutsche, Faschisten! Und so benahmen sie sich. Im Winter brachte man mit Rentieren Lebensmittel, doch es kam auch vor, dass wir monatelang ohne ein Krümelchen Brot oder Mehl dasaßen. Wir trockneten sogar Rentiermoos und aßen es dann. Ein paar Gramm Mehl geben sie uns, und wir geben im Winter Moos dazu (irgendetwas muss man ja essen, um den Bauch zu stopfen). So haben wir gelebt.
Ich lebte dort bis 1945, dann bin ich einfach fortgelaufen. Da waren Flößer, Burschen, die haben ein Floß zusammengebaut; ich floh mit ihnen gemeinsam nach Tutontschany. Wir kamen dort an, und am 25. März gelangte ich nach Tura. Beim Bäume Fällen, bei der Heumahd habe ich gearbeitet. Später, 1945-1947, war ich in der Bäckerei tätig, anschließend in der Kantine – das war dann schon in einem Gebäude und nicht mehr draußen; das war leichter. In den 1950er Jahren heiratete ich, und so verband ich mein Leben mit Ewenkien; wohin sollte man auch? Nirgendwohin. Die Kinder sind hier und haben ebenfalls Familien gegründet. Ich habe drei Töchter. Sie haben ein schönes Leben, erhielten eine Ausbildung. Meinen Mädchen erzähle ich immer von meinem Leben in jenen Jahren, damit sie eine Vorstellung davon bekommen, wie alles gewesen ist.
Maria Jakowlewna Lider (Leneschmidt):
- Wir lebten unweit von Saratow. Der Kanton trug einen deutschen Namen, das Dorf hieß Guck. Ich wohnte mit der Mutter zusammen, der Vater wurde 1937 verhaftet. Sie nahmen ihn fest und das war’s. Kein Brief, man sah und hörte nichts mehr von ihm. Wir wussten überhaupt nicht, wo er abgeblieben war.
Ich war allein mit der Mama; sie verschleppten uns nach Sibirien, in die Region Krasnojarsk, Bogradsker Bezirk, Dorf Tscheremuschki. Man verteilte uns alle auf die einzelnen Häuser. Dort lebten zwei Frauen, deren Brüder an der Front kämpften; bei denen brachte man uns unter. Sie waren nett zu uns und sagten: «Es sind eben Kriegszeiten!» Solche herzlichen Leute… Im Herbst sammelten wir sofort bei der Ernte zurückgebliebene Kartoffeln ein. Man gab uns jeweils 20 kg Weizen, den wir zu Mehl vermahlten. Wir lebten nicht schlecht in Sibirien. Aber wir mussten dort nur einen Winter leben, dann schickten sie uns hierher, in den Norden.
Wir trafen in Bolschoi Porog ein, und dann ging es weiter zum Fischfang nach Onek. Nirgends konnte man dort wohnen, deswegen fanden sich sieben Familien zusammen und errichteten eine Baracke. Man gab uns 600 Gramm Brot und Zucker; Hunger litten wir, das muss ich sagen. Natürlich hatten wir ein sehr schweres leben. Na ja, zu Hause hatten wir nur ein paar Sachen zusammengepackt und mitgenommen; das Vieh und unser Haus – alles ließen wir dort zurück. Aber man hatte uns gesagt, dass wir in Sibirien das erhalten würden, was wir nicht hatten mitnehmen können; sogar ein Schriftstück händigten sie uns aus, auf dem stand, dass man uns alles zurückgeben würde. Aber wie konnten sie das denn? Es herrschte doch Krieg. So lebten wir also.
1946 kam ich bereits nach Tura. Mama starb in Onek, ich blieb allein zurück, man schickte mich als Fischerin an den Kuperim-See. 1953 heiratete ich R.J. Lider. Er stammte aus einem anderen Dorf. Ich bin bemüht, meinen verwandten nichts über mein früheres Leben zu erzählen. Ich war erst 13 Jahre alt, als sie uns verschleppten. An Zuhause denke ich nicht, nein. Wir haben uns hier eingewöhnt. Jetzt ist hier unsere Heimat, überleg doch mal, beinahe… Wenn man so viele Jahre in Ewenkien gelebt hat, ist das natürlich hier zur Heimat geworden.
Alle möglichen Leute gab es. Ich erinnere mich, dass einige uns als Fritze beschimpften. Als wir 1945 ankamen, traten die Leute ans Schiff heran, eine Frau steht da allein und sagt zu den Kindernò: «Bewerft sie mit Steinen, das sind Fritze!» Ich wusste nicht einmal, was ein Fritz überhaupt ist. Ich frage Sona Krause: «Was ist das?» Und sie erwidert: «Sag bloß, du weißt das nicht? Während des Krieges haben sie sich gegenseitig so bezeichnet». Die Mutter sagte den Kindern, sie sollten uns mit Steinen bewerfen, weil wir Faschisten wären, und wir lachten. Wir waren jung, wer von uns sollte denn wohl ein Faschist sein? Wir sind Kinder!
Als sie uns von der Wolga abtransportierten, weinte Mama schrecklich – und ich auch. In den Zeitungen stand lediglich: die Deutschen werden von der Wolga ausgesiedelt. Ich erinnere mich, dass die Mutter abends vom Kolchos-Feld heim kam; als sie sich dem Haus näherte, lachte und scherzte sie mit den anderen Frauen, aber ich wusste bereits, dass die Zeitungen diesen Befehl veröffentlicht hatten. Ich trat ans Fuhrwerk heran und sagte: «Mama, warum lachst du denn so? Und sie meinte: «Wieso?» Ich: «Mama, sie siedeln uns aus». «Was???» «Es steht in den Zeitungen». Sie setzte sich sofort auf die Vortreppe und fing an zu weinen. Natürlich weinten die Leute. Sehr schwer war es zuerst für sie. Und als wir nach Sibirien kamen: oh je, wohin waren wir da geraten! Alles war ungewohnt! Und jetzt liegt alles hinter uns, und wir haben uns an alles gewöhnt.
Margarita Jakowlewna Bissing (Broimon):
- Ich war 14 Jahre alt, als unsere fünfköpfige Familie in den Bogradsker Bezirk ausgesiedelt wurde. Den Vater holten sie in die Arbeitsarmee, und wir haben ihn nie wieder gesehen. Er starb gleich als erster. Am neuen Wohnort wurden wir nicht schlecht aufgenommen, allerdings kam das ganze Dorf herbeigelaufen, um uns anzuschauen, weil man den Leuten erklärt hatte, dass wir Hörner und ein Auge auf der Stirn hätten. Der Vater und der Bruder sprachen sehr gut Russisch, der Bruder sogar einwandfrei. Und als die Leute hörten, dass sie Russisch konnten, fragten sie: «Wie kommt das? Wo habt ihr das gelernt?» So lebten wir also unter Russen. Wir waren vollkommen unschuldig! So war eben die Zeit. Als sie angerannt kamen, sahen sie, dass wir ganz normale Menschen waren; also freundeten sie sich mit uns an, schleppten Lebensmittel für uns heran und meinten: esst, soviel ihre wollt! Wir gerieten in eine reiche Kolchose. Als wir dorthin fuhren, begleitete uns das ganze Dorf, alle weinten, grämten sich darüber, dass sie uns erst als Arbeitskräfte geschickt hätten und uns dann wieder wegnehmen würden. Ihre Männer waren alle im Krieg, und als wir eintrafen, befand sich ihre gesamte Ernte noch auf dem Feld, weil niemand da war, der sie einbringen konnte.
Hierher, nach Ewenkien, nach Bolschoi Porog, kamen wir 1942. Zuerst sapen wir am Ufer im Regen, dann schickten sie uns nach Onek. Später brachten sie uns nach Tura. So lebten wir ein Jahr, dann schickten sie den Bruder als Vorsitzenden in die Kolchose nach Eika, wo wir bis 1956 blieben. Bald darauf wurde Eika mit Kislokan zusammengelegt. Dort lernte ich meinen Mann kennen, heiratete, bekam drei Kinder. Mitunter denke ich an jene Jahre zurück, aber ich versuche es nicht zu tun, denn es war eine sehr schwere Zeit.
Andrej Alexandrowitsch Tempel:
– Wir fielen unter das Dekret und mussten uns fügen. Du kannst nichts machen, du musst fahren. Ende September trafen wir in Sibirien ein. Die Ernte war noch nicht von den Feldern eingebracht. Man gab uns ein Stückchen Ackerland von 5 Hundertstel Größe mit Kartoffeln, die gruben wir aus. Natürlich wirst du sofort mit in die Arbeit einbezogen, schließlich herrscht Krieg. Und im Winter wurde das Korn mit dem Mähdrescher ausgedroschen, dann wurden Pferde angespannt und das Heu zur Farm gebracht. Im Frühjahr wurde geeggt, gepflügt, und dann schickten sie uns in den Pirowsker Bezirk. Als wir dort ankamen, standen Stühle auf der Straße, die Leitung verlangt: «Los, die Ausweise!» Und dann schickten sie uns hierher, in den Norden, zum Fischfang. Ich war gerade erst 16 Jahre alt geworden. Zuhause an der Wolga hatte ich mit ganzer Kraft auf dem Feld gearbeitet, das war nicht so, wie es sich heute mit den verhätschelten Kindern verhält. Seit dem zehnten Lebensjahr auf dem Feld, keinerlei Unterhaltungen. Und als ich älter war – da gaben sie mir noch mehr Arbeit.
Hier hatten wir eine Brigade, bestehend aus 40 Mann; wir transportierten Fisch und lieferten ihn ab. Es gab eine Annahmestelle am Wiwi. Alexej Krasnoschtanow, ein gutmütiger Alter, war der Brigadeleiter. Wir sperrten die Flüsse Wiwi, Taimura ab, dort gab es damals Fische. Natürlich kochten wir Fischsuppe und schossen Auerhähne. 1943 brachte man uns mit Rentieren nach Tura. Hier geriet ich in duiue Fischfabrik. Da musste ich dann nur noch wenig fischen, hier hatte ich eine andere Arbeit: es wurde eine Baugrube ausgehoben, Gebäude errichtet, Holz beschafft und im Sommer gings zur Heumahd. Es gab keine Traktoren, keine Maschinen – nur Pferde, und das war eine sehr schwere Arbeit. Später wurde es leichter – 1950 kam der erste Traktor und nach und nach weitere. Die Pferde wurden allmählich durch die Technik verdrängt.
Na ja, und hier in Tura habe ich die ganze Zeit draußen gearbeitet: ich war Zimmermann, transportierte Wasser mit Pferden. Âei 60 Grad Frost war ich mit Wasser unterwegs- du spuckst in die Luft, und es fällt ein Eisklumpen herunter. Ich war mit einer kurzen Joppe bekleidet, die man Chruschtschowka nannte. Du bückst dich – und schon sieht man deinen Rücken. Man sagt mir: «Du wirst krank, bekommst eine Nervenwurzelentzündung! Du musst einen Schafpelz überziehen!» Und ich erwidere: «Warum sollte ich krank werden? Wie soll ich denn in den Schaffellmantel kommen?» Und genauso kam es: 16 Tage lag ich im Krankenhaus, so schlimm waren meine Nervenwurzeln entzündet!
Etwas später nahm ich eine Tätigkeit als Kommandant beim Gebietskomitee der
KPdSU auf.
Die Menschen in Sibirien sind gute Menschen, sie begriffen, dass wir keine
Feinde waren, sie halfen uns und hatten Mitleid mit uns. Als wir abreisten,
begleiteten sie uns; eine Frau brachte einen Eimer Milch. Im Großen und Ganzen
bedauerten sie uns.
Hier in Ewenkien begegnete ich vielen Menschen: Ewenken, Russen, Letten, Finnen, Esten. Wir arbeiteten alle zusammen, Unterhaltungen gab es nicht. Ich verrichtete immer schwere Arbeiten – zwei Jahre arbeitete ich beim Holzeinschlag und auf einem Kutter, transportierte Lebensmittel. Bei uns auf der Wolga gab es früher Treidler, dort ist der Fluss ruhig, aber hier gibt es schnelle Strömungen. Wir fuhren mit dem Kutter nach Ilimpia und zweimal nach Kislokan. Die Leute dort besaßen kein Brot, keinen Zucker. Sie nahmen 23 Mann, die Fracht betrug 18 Tonnen, man musste die Menschen doch retten. Und so brauchten wir einen ganzen Monat dorthin – der Fluss strömte schnell dahin, es gab Sandbänke, und weiter ging es mit Pferden. Wir mussten selber mit Gurten wie die Treidler ziehen. Und wenn eine Sandbank im Weg war, trat man auf der Stelle, denn die Last war groß und schwer. Es war nicht so, dass wir alleine schleppten, auch Russen und ein Finne, er hieß Matwej, waren dabei; alle Menschen waren gleich: dort, wo man sie hinstellte, da arbeiteten sie auch.
Mir scheint, dass es nur ungebildete Leute waren, die uns als Faschisten
bezeichneten; wir sind ganz andere Menschen, und wieviel Wasser ist inzwischen
den Bach hinab geflossen.
Die Sonderumsiedler aus dem Wolgagebiet machten einen großen Teil des
Sonderkontingents aus, das nach Ewenkien geschickt wurde. Doch es gab auch
Vertreter anderer Nationalitäten, deren Schicksal sich auch nicht weniger
tragisch gestaltete. In der nächsten Publikationen machen wir die Leser mit
jenen bekannt, die gezwungen waren, in den Jahren 1941-1942 ihre Heimat Lettland
zu verlassen und den schweren Weg in ein fremdes Land zu gehen, das ihnen heute
so vertraut ist…
(Fortsetzung folgt)
Veronika LITWINOWA
PRÄSIDIUM DES OBERSTEN SOWJETS DER UDSSR
DEKRET
vom 26. November 1948
ÜBER DIE STRAFRECHTLICHE VERANTWORTUNG WEGEN FLUCHT VON IN ENTLEGENE BEZIRKE DER
SOWJETUNION AUSGESIEDELTEN PERSONEN AUS IHREN STÄNDIGEN ZWANGSWOHNORTEN WÄHREND
DES GROSSEN VATERLÄNDISCHEN KRIEGES
Um das System und die Lenkung der Ansiedlung von ausgesiedelten Tschetschenen, Karatschaiern, Inguschen, Balkariern, Kalmücken, Deutschen, Krim-Tataren und anderen durch die Obersten Organe der UdSSR während des großen Vaterländischen Krieges zu festigen, sowie im Zusammenhang damit, dass während ihrer Umsiedlung keine Fristen für ihre Aussiedlung festgesetzt waren, ist hiermit festzulegen, dass die Umsiedlung in entlegene Bezirke der Sowjetunion der weiter oben genannten Personen für immer durchgeführt wird, ohne das Recht auf ihre Rückkehr in die vorherigen Wohnorte.
Für eigenmächtige Abreise (Flucht) der Aussiedler aus den Orten der Pflichtansiedlung unterliegen die Schuldigen der Heranziehung zur strafrechtlichen Verantwortung. Das Strafmaß für dieses Verbrechen ist auf 20 Jahre Zwangsarbeit festzusetzen.
Die Fälle in Bezug auf Flucht von Aussiedlern werden in einer Sondersitzung beim
Innenministerium der UdSSR behandelt. Personen, die sich der Mitwisserei von aus
Zwangswohnorten geflohenen Aussiedlern schuldig gemacht oder ihre Flucht
begünstigt haben, Personen, die den Aussiedlern die Erlaubnis zu ihrer Rückkehr
an ihre vorherigen Wohnorte erteilt und Personen, die ihnen Hilfestellung bei
der Unterbringung in ihren vorherigen Wohnorten geleistet haben, sind zur
strafrechtlichen Verantwortung heranzuziehen. Das Strafmaß für diese Verbrechen
ist auf Freiheitsentzug bis zu 5 Jahren festzusetzen.
Vorsitzender des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
N. SCHWERNIK
Sekretär des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
A. GORKIN
PRÄSIDIUM DES OBERSTEN SOWJETS DER UDSSR
DEKRET
vom 28. August 1941
ÜBER DIE UMSIEDKUNG DER IN DEN WOLGAGEBIETEN LEBENDEN DEUTSCHEN
Nach glaubhaften, von den Militärbehörden erhaltenen Angaben, gibt es innerhalb der in den Wolgagebieten lebenden deutschen Bevölkerung tausende und abertausende Diversanten und Spione, die, auf ein entsprechendes Signal aus Deutschland hin, in den von Wolgadeutschen besiedelten Regionen Sprengstoffanschläge verüben sollen.
Über das Vorhandensein einer derart großen Menge von Diversanten und Spionen unter den Deutschen, die in den Gebieten entlang der Wolga leben, war der Sowjetmacht bislang nichts bekannt. Infolgedessen muss man davon ausgehen, dass die deutsche Bevölkerung an der Wolga in ihrer Mitte Feinde des sowjetischen Volkes und der Sowjetmacht versteckt hält.
Für den Fall, dass es zu Diversionsakten kommt, die aufgrund einer entsprechenden Weisung aus Deutschland von deutschen Umstürzlern und Spionen in der Republik der Wolgadeutschen oder den angrenzenden Regionen durchgeführt werden, wird es ein Blutvergießen geben und die sowjetische Führung nach den für Kriegszeiten geltenden Gesetzen gezwungen sein, Strafmaßnahmen gegen die gesamte deutsche Bevölkerung in den Wolgagebieten einzuleiten.
Zur Vermeidung solcher unerwünschten Entscheidungen und zur Verhinderung großen Blutvergießens hält das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR es für unerlässlich, die gesamte deutsche Bevölkerung aus den Regionen an der Wolga in andere Gebiete umzusiedeln, mit der Maßgabe, dass den Umsiedlern dort Land zugeteilt und ihnen staatliche Hilfe beim Einrichten ihres neuen Lebensraumes gewährt wird.
Für die Neuansiedlung sind die Regionen Nowosibirsk und Omsk, das Altai-Gebiet, Kasachstan und andere benachbarte Örtlichkeiten vorgesehen, wo reiches Ackerland im Überfluss vorhanden ist.
In Zusammenhang mit dieser Verordnung ist dem Staatlichen Komitee für
Verteidigung der Befehl erteilt worden, die Umsiedlung aller Wolga-Deutschen
unverzüglich durchzuführen, den wolgadeutschen Umsiedlern ein Stück Land sowie
nutzbaren Ackerboden in den neuen Gebieten zuzuweisen.
Vorsitzender des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
M.KALININ
Sekretär des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
A. GORKIN
PRÄSIDIUM DES OBERSTEN SOWJETS DER UDSSR
DEKRETÇ
vom 29. August 1964
ÜBER DAS EINBRINGEN VON ÄNDERUNGWN IN DAS DEKRET DES PRÄSIDIUMS DES OBERSTEN
SOWJETS DER UDSSR VOM 28. August 1941 «ÜBER DIE UMSIEDLUNG DER IN DERN
WOLGABEZIRKEN LEBENDEN DEUTSCHEN»
Im Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 „Über die Umsiedlung der in den Wolgabezirken lebenden Deutschen» wurde über eine große Gruppe deutscher Sowjetbürger die Anklage einer aktiven Hilfe und Begünstigung der deutsch-faschistischen Angreifer verhängt.
Das Leben hat gezeigt, dass diese nicht stichhaltigen Beschuldigungen unbegründet und eine Erscheinung der Willkür unter den Bedingungen des stalinistischen Personenkults waren. In Wirklichkeit verhalf die überwiegende Mehrheit der deutschen Bevölkerung gemeinsam mit dem gesamten sowjetischen Volk im Großen Vaterländischen Krieg durch ihre Arbeit der Sowjetunion zum Sieg über das faschistische Deutschland, und nimmt in den Nachkriegsjahren aktiv am kommunistischen Aufbau teil.
Durch die große Hilfe der kommunistischen Partei und des sowjetischen Staates hat sich die deutsche Bevölkerung mit den Jahren fest in den neuen Wohnorten verwurzelt und genießt sämtlich Rechte von Staatsbürgern der UdSSR. Die Sowjetbürger deutscher Nationalität arbeiten gewissenhaft in Unternehmen, Sowchosen, Kolchosen und Behörden, nehmen aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teil. Viele von ihnen sind Deputierte der Obersten und Örtlichen Räte der Werktätigen der RSFSR, der Ukrainischen, Kasachischen, Usbekischen, Kirgisischen und anderer Unionsrepubliken, befinden sich auf leitenden Posten in Industrie und Landwirtschaft, im Sowjet- und Parteiapparat. Tausende deutscher Sowjetbürger erhielten für ihre Arbeitserfolge Orden und Medaillen der UdSSR, besitzen Ehrentitel der Unionsrepubliken. In den Bezirken einer Reihe von Gebieten und Regionen mit deutscher Bevölkerung gibt es Mittel- und Grundschulen, in denen der Unterricht in deutscher Sprache erfolgt oder das Erlernen der deutschen Sprache für Kinder im Schulalter organisiert ist, es werden regelmäßig Radiosendungen abgehalten und Zeitungen in Deutsch herausgegeben sowie andere kulturelle Maßnahmen für die deutsche Bevölkerung durchgeführt.
Das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR ordnet an:
1. Das Dekret des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 «Über die Umsiedlung der in den Wolga-Bezirken lebenden Deutschen» (Protokoll der Sitzung des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, 1941, N 9, Abs. 256) ist in den Teilen, welche ungerechtfertigte Beschuldigungen in Bezug auf die deutsche, in den Wolgagebieten lebende, Bevölkerung, enthalten, aufzuheben.
2. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die deutsche Bevölkerung inzwischen am neuen Wohnort auf dem Territorium einer Reihe von Republiken, Regionen und Gebiete des Landes fest verwurzelt ist, und die Gegenden ihres vorherigen Wohnortes bewohnt sind, wird den Ministerräten der Unionsrepubliken für die weitere Entwicklung der Bezirke mit deutscher Bevölkerung der Befehl erteilt, der deutschen Bevölkerung auf dem Territorium der Republik beim wirtschaftlichen und kulturellen Aufbau auch weiterhin Hilfe und Beistand zu leisten, wobei ihre nationalen Besonderheiten und Interessen zu berücksichtigen sind.
Vorsitzender des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
N. SCHWERNIK
Sekretär des Präsidiums
des Obersten Sowjets der UdSSR
A. GORKIN
„Ewenkisches Leben“, ¹ 17, 9. Mai 2013, 13