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Der Norilsker Aufstand gab den Anstoß für den Zerfall des GULAG – Michail Tkatschuk

Unsere Geschichte

Vor sechzig Jahren, im Mai 1953, begann der Norilsker Aufstand – die erste Massen-Aktion des Ungehorsams von Häftlingen der sowjetischen Lager. Eine entscheidende Rolle bei dem Aufstand, in dessen Folge die Obrigkeit gezwungen war Zugeständnisse zu machen, spielten gefangene Ukrainer.

Über Gründe, Verlauf und Ergebnisse dieses Ereignisses berichtete Michail Tkatschuk, Regisseur und Autor des Dokumentarfilms „Das Rätsel um den Norilsker Aufstand“, in einer Sendung von Radio Swoboda .


Michail Tkatschuk

- Herr Tkatschuk, das Lager-System in der Sowjetunion, der sogenannte GULAG, wurde im Jahre 1929 geschaffen. Und der erste bedeutende Aufstand – kein punktförmige Akt des Widerstands, sondern eine Meuterei gleich in mehreren Lagern – fand in Norilsk statt?

- Bedeutend, ja. 20.000, in 6 Lagern.

- Warum war es nicht vorher schon zu einem Aufstand in diesem schrecklichen Strafsystem gekommen, wo es in unterschiedlichen Jahren unterschiedliche Häftlingszahlen gab, in denen aber dennoch stets mehr als eine Million Menschen einsaßen?

- Im Jahr 2003 hielt ich mich in Moskau auf, und da begingen sie gerade den 50. Jahrestag des Norilsker Aufruhrs. Dort wurde bei „Memorial“ ein Sacharow-Treffen organisiert, und bei der Diskussion stand die Frage im Raum: war es ein Aufstand, der von unten begann – oder wurde er von oben organisiert?

Und wer war dann damals der „Berg“ bei den Gefangenen? „Von oben“ heißt – von wem?

- Die Staatsmacht. Zu der Zeit herrschten sehr schwierige Bedingungen. Nach Stalins Tod begann dort der Zusammenschluss von MWD und Tscheka.

- Das MGB nannte man damals Ministerium der Staatssicherheit – in der russischen Abkürzung MGB. Und die Lager? Gehörten die zum MGB oder zum MWD?

- Zuerst waren sie Bestandteil des MGB –Systems, anschließend übertrug man sie in die Zuständigkeit des MWD. Und hier kam es dann zu dem Elend, dass sie meinten zeigen zu müssen, dass sie auch notwendig waren – nach Stalins Tod, als Beria noch in Freiheit lebte.

- Beria hatte damals ein sehr hohes Amt inne. Er war faktisch, nach der heutigen Nomenklatur, in der Regierung der erste Vize-Premier.

- Ja. Und es ist interessant, dass es hier zu einem Zusammentreffen äußerer Umstände kam, Stalins Tod und dass die Lager-Verwaltung anfing sich Sorgen zu machen. Nach Stalins Ableben wusste sie nämlich überhaupt nicht, wie sie sich verhalten sollte. Und später, nachdem sie bereits begriffen hatten, was für eine Zeit hereingebrochen war, fingen sie an einige Dinge zu provozieren – Menschen töten, und das auch noch mitten in der Lagerzone.
Dort durfte niemals geschossen werden. Und da passierte es, dass auf der einen Seite – die Lagerwache stand, weil alles von der Obrigkeit, der Lagerbehörde. angereizt worden war. Und auf der anderen Seite - zu der Zeit, im September 1952, traf eine riesige Etappe aus Karaganda, Kasachstan, ein – Gefangene. 1200 Mann. Unter ihnen gab es wohl an die 1100 Ukrainer sowie Balten, ein paar Georgier usw. Dabei waren diese Leute aus Kasachstan abtransportiert worden, weil sie dort bereits ihre Köpfe erhoben hatten. Und interessant ist, dass die Umgebung das unterstützte.


Ukrainische Polit-Gefangene bei der Arbeit im Steinbruch, 1955
(Foto aus dem Archiv des Forschungszentrums der Befreiungsbewegung)

- Das heißt freie Arbeiter?

- Ja. Oder solche, die man bereits in die Freiheit entlassen hatte. Und wenn die Jungs da irgendeine Meuterei angezettelt hätten, wäre das schreckliche Sabotage gewesen. Und da nimmt man sie und verlegt sie nach Norilsk, in den Schnee, wie es hieß – zum Sterben. Und dann, nachdem man sie hierher gebracht hatte, begannen sie mit ihrer Aktion. Warum ging es los? Weil es hier bereits einige Untergrund-Komitees gab. Aber sie arbeiteten im Geheimen, die Leute unterstützten einander möglicherweise mit erhaltenen Paketen – das kam alles vor. Doch als dann diese Häftlingsetappe auftauchte, die aus Karaganda, kam es dazu, dass diese Leute anfingen die Kette zu sprengen, welche privilegierte Häftlinge und Lagerleitung verband. Die privilegierten…

- Die Kriminellen…

-Die Kriminellen. Sie waren Beauftragte, die alles lenkten und leiteten.
Aber sie waren äußerst boshaft, verstanden es zu prügeln und zu töten. Und sie arbeiteten mit der Lagerleitung zusammen, welche durch sie handelte und funktionierte. Und dann, als diese unsere Jungs auftauchten, 1200 an der Zahl, fanden sie sich zuerst einmal zurecht und begannen dann damit, die Lager-Kapos zu erledigen. Unsere Jungs, so erzählten es mir die Litauer, wurden „Brechstangen“ genannt.

Die privilegierten Gefangenen verschwanden – und damit war diese Verbindung zerrissen, weil sie alles taten, um sich vor den Jungs zu verstecken. Die Ukrainer waren es also, die die Macht an sich nahmen: schon bald waren sie in der Küche zu finden, Ukrainer wurden zur Arbeits-Anweisern ernannt – eben diese Jungs, die mit der Etappe eingetroffen waren. Und dann, als die Lagerleitung wieder einmal versuchte, in der Lagerzone mit Erschießungen zu provozieren, …..

-Was wollten sie provozieren?

- Dass die Menschen sich erhoben – und dann könnten sie auf sie schießen. Sie versuchten sogar ihnen Messer unterzuschieben, doch die Jungs distanzierten sich davon…. Und dann kam es zum Aufstand vom 25. Mai.

- Weil auf dem Lager-Territorium geschossen worden war?

- Ja. Hier in diesem Studio erschien irgendwann schon einmal Jewegenij Grizak, der Anführer des Aufstands im Lager N° 4; er sagte: wissen Sie, um den Aufstand in Gang zu bringen, war leider Blutvergießen nötig. Und als es dann vergossen wurde – da war das Maß voll, alle erhoben sich. Die Kräfte vereinten sich - die Jungs, die mit dem Transport aus Karaganda angekommen waren und diese Untergrund-Komitees.


Foto einer Stickerei, die seit 1999 in den Beständen des Ternopoler
Geschichts- und Gedenkmuseums der politischen Gefangenen aufbewahrt wird.
Angefertigt von Anna Chomjak, geboren 1921 in der Ortschaft Lopuschno,
Lanowjezker Bezirk, Gebiet Ternopol.
Die Stickerei entstand 1948 in Norilsk (Foto aus dem Archiv des Forschungszentrums der Befreiungsbewegung)

- Wir stellen uns einen Aufstand vor, bei dem Barrikaden errichtet werden, bei dem geschossen wird. Aber wie sah dieser Aufstand aus?

- Mit dem Aufstand verhielt es sich so, dass die Obrigkeit begriff, dass die Jungs ihnen nicht verziehen, und sie verließen das Lager-Territorium. Das heißt, sie glaubten, dass die sich schon selber untereinander verzanken würden – die unterschiedlichen Nationalitäten, usw.

- Und worin bestand der Widerstand der Gefangenen?

- Zuerst fingen sie an, sich an die Welt zu wenden; sie fertigten sogar Luftkugeln und –schlangen an, die sie mit Flugblättern aufsteigen ließen, auf denen stand: sie quälen uns hier, es ist für uns wichtig, dass ihr der Welt das zur Kenntnis bringt. Alla Makarowa, Historikerin, die diese Thematik erforscht hat, schrieb, dass die „Stimme Amerikas“ buchstäblich schon nach wenigen Tagen verlauten ließ, dass es im Lager einen Aufstand gäbe. Aber sie schufen eine nie dagewesene, beispiellose Ordnung in den Lagern.

- Das heißt – es war ein gewaltsamer Widerstand oder ein gewaltloser?- Ein gewaltloser. Es war vor allen Dingen ein Aufstand der Seele.

- Wie das? Ich habe gelesen, dass sie sich weigerten zur Arbeit zu gehen. Stimmt das?

- Ist doch klar, dass sie nicht gingen.

- Und welche Formen des Widerstands gab es noch?

- Sie forderten eine Kommission aus Moskau an – das war für sie alles. Weil dieses Motto, das sie vorbrachten, auch von den Frauen unterstützt wurde: Freiheit oder Tod. Und als die Frauen streikten, kam nach 7 Tagen eine Kommission aus Moskau. Das hatte es noch nie gegeben! Früher hatte man mit ihnen überhaupt nicht gesprochen, sie nicht als Menschen angesehen – lediglich als Nummern. Und da kommt nun extra zu ihnen eine Kommission.

- Sogar ganz aus Moskau in den Hohen Norden, ins Taimyr-Gebiet?

- Ja. Zum 69. Breitengrad.

- Und welche Forderungen stellten die Gefangenen vor dieser Kommission?

- Sie verlangten eben solche, die vor ihnen noch niemand gestellt hatte: dass die Arbeitszeit verkürzt würde, und damals arbeiteten sie 12 Stunden, dass man die Nummern abschaffte…

- Sie wollten also einen Arbeitstag von 8 statt 12 Stunden – als gewöhnliche sowjetische Norm, garantiert durch die Staatsmacht?

Ja. Später forderten sie, dass ihre Akten überprüft würden. Das war das Wichtigste. Und was kam dabei heraus? Nach Stalins Tod gab es ein paar Freilassungen, aber man entließ, Sie entschuldigen, lediglich Kriminelle; die Politischen vergaßen sie einfach. Sie hofften, dass auch mit ihnen etwas geschehen würde, aber gar nichts kam danach. Im Gegenteil – es begannen diese Erschießungen in den Lagerzonen. Es war ein sehr großes Paket, was sie da verlangten. Und wie ging es aus? Die Kommission kam ihnen entgegen, die Gitter wurden entfernt, die Häftlingsnummern ebenfalls.


Das ist eine schematische Darstellung des 3. Männerlagers, wie es am
4. August 1953 zur Zeit des Beschusses der Lagerzone aussah.
Der Teilnehmer am Aufstand Aleksander Waljums (Lettland) zeichnete diese
Skizzen und berichtete, während er mit dem Bleistift zeigte, wie Lastwagen mit Soldaten ins Lager eindrangen und an welchen Baracken sie da Feuer eröffneten (das Foto wurde vom Kino-Studio „Saweschtschanie“ („Vermächtnis“; Anm. d. Über.) zur Verfügung gestellt)

- Und die Häftlinge trugen Nummern?

- Drei Nummern: eine – an der Mütze, die zweite – am Bein, die dritte – auf dem Rücken.

- Etwas Ähnliches kennen wir von den Schrecken der nazistischen Konzentrationslager. Gab es hier ein vergleichbares System?

- Ja. Es gab verschiedene Lager. Beispielsweise gab es ein Zwangsarbeiterlager – das dritte Norilsker Lager, wo die Jungs hartnäckig waren. Dort befanden sich aus der Kasachstaner Etappe viele junge Leute. Junge Menschen aus der Ukrainischen Aufständischen Armee, die es noch nicht geschafft hatten, sich einmal im Kampf zu zeigen. In den Jahren 1951-1952, als sie zuerst in den Wald kamen, - da hat man sie geschnappt. Und als sie dann hier eintrafen, mussten sie sich irgendwie zeigen, sich beweisen.

- Ich habe das so verstanden, dass es sich nicht um einen Aufstand handelte sondern vielmehr um einen gewaltlosen Widerstand, als sie Gerechtigkeit forderten, zumindest jedenfalls jene Normen, die ihnen die kommunistische Macht mit Worten versprochen hatte. War das so?

- Der erste, der dies als Aufstand bezeichnete war die Historikerin Alla Makarowa, die am 21. Mai zu uns kommt. Sie nannte ihn einen Aufstand des Geistes. Deswegen heißt bei mir auch der dritte Film dieser Serie „Aufstand des Geistes“.

- Aber von der organisatorischen Form – sollte man ihn da besser als Streik oder als Aufstand bezeichnen?

- Auch darüber wird gestritten. Aber objektiv gesehen ist es wohl eher – ein Streik, vielleicht sogar in der art6 eines italienischen Streiks, wenn die Leute an ihren Werkzeugen und Apparaten sitzen und nicht arbeiten.

- Das heißt – sie gingen sehr wohl zur Arbeit, nahmen ihre Tätigkeit dort aber nicht auf ? Oder blieben sie in der Baracke?

- In den verschiedenen Lagern wurde das unterschiedlich gehandhabt. In einigen gingen sie zur Arbeit, nachdem die Nummern entfernt worden waren. Aber dann fingen sie an die Führer zu verhaften, und das war eine begrenzte Gruppe in jedem Lager – und da ging alles wieder von vorne los. Deswegen kann man nicht sagen, dass in jedem Lager der Aufstand vom 25. Mai bis zum 4. August dauerte. Länger dauerte er gerade im dritten, dem Zwangsarbeiter-Lager, irgendwie vom 5. Juni bis 4. August (fehlerhafte Angabe - er dauerte nicht so lange; Anm. d. Red.).

- In Gang gebracht hatten den Aufstand junge Leute aus der West-Ukraine, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Ukrainischen Aufständischen Armee ins Lager geraten waren.

- Ja, und Litauer.

- Ich erinnerte mich an eine Passage aus dem fundamentalen Werk Aleksander Solschenizyns „Der Archipel GULAG“, wo er sagt: ich weiß nicht, wie es bei den anderen ist, aber in unserem Lager begann der Widerstand nachdem der Gefangenentransort mit den Leuten aus der Organisation Ukrainischer Nationalisten eingetroffen war. Und hier haben wir eine analoge Situation.

- Es ist genau dasselbe! Solschenizyn hat das geschrieben, was mich immer interessierte. Aber über diesen Norilsker Aufruhr gab es nur sehr wenig Material. Das hat mich sehr berührt und gekränkt! Und als ich anfing, mich eingehender mit der Suche nach ehemaligen Teilnehmern zu befassen… Ich hatte ein Treffen in Charkow, da zeigte ich dieses Bild. Und einer stand später auf und sagte: sie haben die Schauspieler sehr gut ausgewählt. Ich erwiderte: entschuldigen Sie, die 150 Personen, die ich hier aufgenommen habe, die hier auf meinem Bildschirm zu sehen sind, haben alle eine Adresse…

- Sind das Teilnehmer an den Ereignissen?

- Ja. Wissen Sie, jeder von denen hat sogar gesagt - es war ein belebendes Ereignis in meinem Leben, dieser Norilsker Aufstand. Diese drei Monate sind für alle Teil ihres Lebens geblieben.

- Und womit ging der Aufstand zu Ende?

- Er endete damit, dass das Lager N° 5 früher geschlossen wurde, weil dort geschossen wurde – mehrere Jungs fanden den Tod. Anschließend das vierte Lager, welches von Grizak geleitet wurde. Dieser Mann bekannte sich, wie sich später herausstellte, zu den Ideen Gandhis – den gewaltlosen Kampf-Methoden, bekannte. Er setzte sich das Ziel, dass bei ihm niemand sterben sollte. Der Lagerkommandant suchte ihn auf und drohte: wenn ihr nicht innerhalb von 10 Minuten die Lagerzone verlasst, wird das euer Ende sein. Und Grizak sagte zu ihnen: Jungs, gehen wir. Und keiner kam ums Leben, er bewahrte sie alle davor. Im Lager 3, wo mehr Gefangene als anderswo gehalten wurden, verhielt es sich ein wenig anders. Als man sie warnte, glaubten sie nicht, dass sie bis zur letzten Konsequenz gehen und auf sie schießen würden.

- Woher kam dieser Glaube? Wir lässt sich das erklären, wenn ein Häftling Ungehorsam zeigt und überzeugt ist, dass man die Drohung nicht wahr macht?

- Sie wussten bereits, dass die im Lager 4 die Lagerzone verlassen hatten. Sie wussten aber nicht, wessen Initiative das gewesen war, aber sie dachten: seht ihr, in Lager 4 haben sie die Zone verlassen. Und als man sie dort warnte: Jungs, geht hier raus – nein, wie warten erneut auf eine Kommission aus Moskau, eine neue Kommission. Denn in dem Moment hatten sie die Beria-Leute bereits ausgewechselt, es waren neue Zeiten hereingebrochen.

- Das heißt, ein Teil der Parteispitze mit Chruschtschow an der Spitze hatte Beria der Macht und aller Probleme enthoben?

- Ja. Und das war möglicherweise ein weiterer Grund dafür, dass dieser Aufstand so lange dauerte.

- Wussten die Behörden vor Ort nicht, wie sie reagieren sollten, nachdem sie berücksichtigt hatten, dass an der Machtspitze eine derartige Rotation vor sich ging?

- Ja. Und da kam es so, dass bei ihnen etwa 150 Mann starben. Aber ein großer Verdienst des Norilsker Aufstands ist es, dass trotz allem, wenn man es so sagen kann, vergleichsweise wenige ums Leben kamen: 150 von beinahe 20000. Nehmen Sie beispielsweise den Aufstand in Kengir, der im Folgejahr, 1954, stattfand; da strikten 8000 Menschen und – 800 starben. Jeder zehnte ließ sein Leben.

- Wie würden Sie es definieren: war der Norilsker Aufstand erfolgreich, endete er mit einem Sieg der Gefangenen, wenn auch nur moralisch, oder nicht?

- Ich habe folgendes Bild vor Augen: als der Aufstand endete und diese Jungs anschließend erneut verhaftet und in Lager gesteckt wurden…

- Sie bekamen eine neue Haftstrafe.

- Ja. Die Einen brachten sie ins Wladimirsker Zentral-Gefängnis, andere jagten sie nach Sibirien usw. Und der Litauer Bronjus Slatkus erzählt mir – ein bemerkenswerter Mensch -, dass er die Organisation der „Norilsker Helden“ in Litauen leitet. Übrigens begehen sie am 24. Mai den 60. Jahrestag des Norilsker Aufstands im litauischen Seim. Respekt vor jenen Menschen! All diese Teilnehmer haben die höchsten Auszeichnungen Litauens verliehen bekommen.

So erzählte Slatkus mir also: sie hatten uns bereits nach Sibirien gebracht und schicken uns mit einem Häftlingstransport los. Wir reden untereinander, und die Begleitwache brüllt: „Hört auf zu quatschen! Sonst schießen wir!“ Und wir gehen ganz ruhig weiter. Sie sagen „hinsetzen!“ – und wir bleiben stehen. Und da fingen sie an, über unsere Köpfe hinweg zu schießen. Und da fuhr so ein „Bobik“ (Geländewagen; Anm. d. Übers.) vorbei; irgendein Vorgesetzter steigt aus, nähert sich uns und fragt: woher stammen die Jungs, aus Norilsk? Sie sperren nicht ein. Sie kannten diesen Geist schon! Und Slatkus sagt: wo wir auftauchten, da kannten uns schon alle Leute, gaben uns sogar Brot. Denn es hatte einen Ruck gegeben.

- Sie haben gesagt, dass die „Stimme Amerikas“ den Aufstand erwähnte. Sie sagen, dass Informationen mit Luftschlangen steigen gelassen wurden, aber wo liegt das Taimyr-Gebiet und wo - Amerika!? Wie konnte eine Luftschlange so weit fliegen?

- Sie lassen diese Luftschlange fliegen, binden eine Postkarte daran, auf der steht: „sie misshandeln uns, prügeln uns bis aufs Blut, helft uns, sagt es der ganzen Welt weiter, sagt ihnen die Wahrheit über uns“. Weit nach oben wurden diese Schlangen fort getragen, bis in Höhen von einem Kilometer. Sie berichten, dass sie aus Draht eine Konstruktion bastelten; sie ließen die Schlangen aufsteigen, und in großer Höhe öffneten sie sich, und danach fielen die Postkarten herunter. Sie flogen bis nach Igarka, und das liegt immerhin 100 km von Norilsk entfernt.


Fragmente des Denkmals für die Häftlinge von Norilsk am Fuße des Schmidticha-Berges (Foto von Nikolaj Chrijenko)

- Und irgendjemand konnte diese Postkarte, diese Information hinter den „eisernen Vorhang“ weiterleiten?

- Ja. Ich glaube, dass dort irgendwelche Jungs gearbeitet haben. Sie leiteten das weiter, und da begann dann alles.

- Ihr Film trägt den Titel „Das Rätsel um den Norilsker Aufstand“. Worum geht es darin?

- Wie ich bereits erzählte: als wir uns auf den 50. Jahrestag vorbereiteten, da war dies das Thema am runden Tisch – ob nämlich der Aufstand von der Macht inspiriert wurde oder die ganze Energie tatsächlich den Aufständischen zuzuordnen war. Und es stellte sich heraus, dass alles zutraf – sowohl das Zusammentreffen von Umständen, als auch das, was an der Machtspitze los war, im Kreml, und die Tatsache, dass im Lager diese Untergrund-Komitees aktiv waren…

Stepan Semenjuk, ein glänzender Mann, sagte es so: wissen Sie, das, was sich in den Lagern abspielte, war die unvermeidliche Fortsetzung unseres nationalen Befreiungskampfes, den wir bereits n Freiheit begonnen hatten. Und das war für alle, sagt er – auch für die Litauer, weil sie für ihre Unabhängigkeit kämpften.

- Es gab also eine ganze Reihe von Kongruenzen: sowohl der Protest gegen die Misshandlungen und gewisse Spielchen des Apparats an der Kreml-Spitze?

- Ja. Sie wissen doch, wie es immer heißt: der Herrgott gibt einem immer eine Chance. Und du, merk dir, dass genau zu dieser Stunde deine Zeit gekommen ist.

- Hielt das Lager-System des GULAG dem Norilsker Aufstand lange stand?

- Nein. Faktisch kam das einem Anstoß für seinen Zerfall gleich. Denn bereits im Jahre 1954 beginnt mit aktiv mit den Freilassungen. Und sehr viele Norilsker wurden bis 1956 in die Freiheit entlassen.

Dmitrij Schurchalo, veröffentlicht auf der Webseite von „Radio Swobodo“
Übersetzung: „Argument“
Argument, 14.05.2013


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