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Seit einhundert Jahren werden im Atschinsker Museum die Sachen des ungeliebten Regenten verwahrt

Vor hundert Jahren wurde Josef Stalin in die Krasnojarsker (damals noch Turuchansker) Region, Jenisejsker Gouvernement, verbannt. Hier verbrachte er vier Jahre. Aber nur in Atschinsk, wo es ihm gelang vor der Revolution insgesamt drei Wochen zu leben, werden in den Bestandskammern des örtlichen Heimatkundemuseums bis heute persönliche Sachen des Tyrannen und Führers aller Völker

Das Haus mit den Apfelbäumen

Damals wie heute löst seine Persönlichkeit viele Widersprüche aus – für die Einen ist er der Retter, für die anderen der Henker. Allerdings bestreitet niemand, dass Stalins Politik erheblichen Einfluss auf den Verlauf der russischen Geschichte nahm.

Der Revolutionär Dchugaschwili wurde im März 1913 auf einem Gesellschafsabend, den das Petersburger Komitee der Bolschewiken im Saal der Kalaschnikow-Börse organisiert hatte, verhaftet, ins Gefängnis gesperrt und im Juni mit einer Häftlingsetappe für einen Zeitraum von vier Jahren nach Sibirien verbannt – Krasnojarsk, Turuchansk, Kureika, Monastyrskoje… Letzter Aufenthaltsort des „Verbannten“ war Atschinsk. Hier gelang es dem Bolchewiken separaten Wohnraum zu finden. Hausbesitzerin Tschornich vermietete ein großes Zimmer mit Eisenbett, einem alten Kartenspieltisch, Wiener Stühlen, Waschbecken, Spiegel und Kleiderhaken an ihn. Stalin selbst hatte nur einen Korb mit wenigen Habseligkeiten mitgebracht6, wobei das wertvollste darin das Buch „Das Finanzkapital“ von Rudolf Gilferding war. Nach den Februar-Ereignissen und dem Sturz der Monarchie machte sich Stalin in die russische Revolutionshauptstadt Petrograd auf, und zwar so schnell, dass er gar keine Sachen mitnahm.

Bereits zu Sowjetzeiten wurden die Sachen Stalins, die es gelungen war aufzubewahren, ans Museum übergeben. Man organisierte es genau in dem Haus, in dem er einst ein Zimmer gemietet hatte. Und so hieß das Museum auch – Stalin-Museum, aber von den beiden Stockwerken des Holzhauses mit den Apfelbäumen war nur ein Raum dem Führer gewidmet. Jetzt herrscht an dieser Stelle Leere, alles ist mit Gras überwuchert; aber damals trug sogar die Straße Stalins Namen.

Vernichtung befohlen

Nach dem 20. Parteitag der KPdSU, auf dem Nikita Chruschtschow den Personenkult „zerschlug“, wurde befohlen, das „stalinistische“ Erbe zu vernichten und das Museum zu schließen. „Es kam eine Kommission, ein Pogrom begann, alles wurde von den Wänden herunter gerissen, sogar auf den Ausstellungen, die mit Stalin in keinerlei Beziehung standen, - erinnert sich Ljubow Aleksejewa, Direktorin des ehemaligen Stalin-Museums. – Ich kann mich noch daran erinnern, wie die leidenschaftlichste Aktivistin Dokumente, Wattejacke und Stiefel ergriff und sie in den längst im Stich gelassenen Brunnen im Hof warf“. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Georgij Abramenko gelang es Ljubow Wasiljewna auf eigene Gefahr einige der Sachen zu retten. Sie warf sie aus dem Fenster, und der Mitarbeiter versteckte sie im Keller. Unter den Sachen waren auch der geflochtene Korb, das Waschbecken sowie Kleiderhaken, Aschenbecher, Tinte mit der lateinischen Aufschrift „Königsberg“, eine Lampe mit Fuß in der Gestalt eines Löwen, Löffel, ein Wasserkrug, Federhalter und Schreibfeder. Und eben jenes Buch – übrigens ist es auch dadurch so wertvoll, weil sich darin persönliche Anmerkungen Stalins und ein Stempel der Gefängnis-Bibliothek befinden. Man sagt, dass Josef Stalin es auswendig konnte, und dass er wusste, wie man das Land reich und erfolgreich macht, ganz egal, was man jetzt auch über ihn sagen mag. Wir haben den Krieg gewonnen, haben Fabriken errichtet, kostenlose Bildung und medizinische Hilfe bekommen, umsonst Brot gegessen und brauchten uns um unsere Kinder keine Sorgen machen“, - verteidigt Ljubow Wasiljewna den Führer.

Der Museumsmitarbeiter verkauft nicht

Die ehemalige Direktorin des Stalin-Museums tritt bis heute für Stalins Verteidigung ein. „Ich kannte die Wohnungsbesitzerin, bei der er lebte, sie äußerte sich stets gut über ihn, er half ihr bei allem, war bescheiden und ordentlich. Und vor drei-vier Jahren traf ich auf der Straße eine Frau, die auf der Suche nach dem Stalin-Museum war. Ich habe nie erfahren, wer diese Frau war, aber sie war extra aus dem Norden zu uns in die Stadt gekommen, um sich an den Orten zu verneigen, wo er gewesen war, und sie sagte, dass ihre Oma es nicht einmal erlaubt hätte, wenn man schlecht über Stalin geredet hätte“. Die Mitarbeiter des heutigen Atschinsker Museums gaben zu, dass es sich bei der Frau um Stalins Enkelin gehandelt hätte, dass sie jedoch keine Anstalten gemacht hätte, dies zu beweisen und auch keine Ansprüche auf ihre verwandtschaftlichen Rechte erhoben hätte. Sie wollte lediglich die persönlichen Sachen des Führers sehen.

Heute werden Stalins Artefakten in den Beständen des Atschinsker Museums verwahrt, man kann sie nur noch mit Sondererlaubnis zu sehen bekommen. Und in den 1950er und 1960er Jahren hätten sie ihrer Retterin einen schlechten Dienst erweisen oder … sie reich machen können. Einmal kamen ein Mann und eine Frau zu ihr nach Hause. An der Türschwelle verkündeten sie, dass sie von den verwahrten Reliquien wüssten. Der Frau wurde angst und bange. Aber das eingetroffene Paar erzählte, dass es aus Georgien angereist sei, aus dem Dorf Gori, in dem Stalin geboren und aufgewachsen war. Und sie baten sie ganz herzlich darum, ihr die Sachen doch auszuhändigen. Ljubow Wasiljewna weigerte sich. Da bot man ihr 5.000 Rubel an (das monatliche Familienbudget der Aleksejewychs betrug zu der Zeit 100 Rubel) – im Gegenzug zu irgendeinem der verwahrten Gegenstände. „Stalin bedeutet für uns – alles“, meinte die Frau und fing an zu weinen, - erinnert sich die Museumsdirektorin. – „Für uns auch“, - antwortete ich… Mein Mann hielt das nicht aus; er zog sich an und ging hinaus. Ihm folgte das rätselhafte Paar… Später erzählten die Ehemann noch lange seinen Bekannten, wie schade es ihm gewesen war, diesen hölzernen Federhalter oder den alten Aschenbecher für 5000 Rubel herauszugeben“.

Übrigens, was den Aschenbecher betrifft – es gibt Zeugnisse, nach denen Stalin gerade in Sibirien zum ersten Mal Pfeife rauchte. Allerdings können die Museumsmitarbeiter selbst dies nicht bestätigen. „Was wir nicht wissen, das wissen wir nicht, - sagen sie einstimmig, - wir haben nie ein Wort bezüglich der Pfeife gehört, aber man sagt, dass er Kartoffeln gern hatte, wenn sie auf Kohle gebacken worden waren; an die Pfeife erinnert sich niemand“. Allerdings bestätigen mehrere Quellen, dass Stalin, als er nach Sibirien abfuhr, noch Papirossi rauchte; zurückgekehrt sei er aber mit einer Pfeife. Es heißt, dass ortsansässige Schamanen ihm das Pfeife-Rauchen beibrachten.

Ein Genius der Eigenwerbung

Aleksej Babij, Vorsitzender der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation:

- Bis heute sind die krankhafte, unmäßige Aufmerksamkeit und Sorge der Stalinisten und vermeintlichen Liberalen in Bezug auf diese Gestalt nicht vergangen. Stalin – ist nicht gerade die bedeutendste Persönlichkeit in der Geschichte der Sowjetunion. Es ist so ein „Kleiner Zaches-Zinnober“, dem man Zauberhärchen in den Kopf gesteckt hat, und die Errungenschaften, die jemand zuwege gebracht hat, schreiben sie ihm zu, aber die Verbrechen, die er beging, wälzen sie auf andere ab. Die Menschen glaubten daran, manche glauben es immer noch – die Magie arbeitet weiter. Um es in der modernen Sprache auszudrücken: Stalin ist ein hervorragender Meister der Eigenwerbung. Darin war er ein Genie, unsere heutigen Herrscher sind davon noch ganz schön weit entfernt.

Vera Rakowa

Fotos: aus dem Museumsarchiv

„Argumente und Fakten Jenisej“, 19.09.2013


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