De Lama ist großartig, einzigartig. Es lohnt sich, hier wenigstens einmal zu verweilen, um sein „Herz in diesem Bergen zu lassen“ und die Hände in den kalten See zu tauchen, der seine Geheimnisse bewahrt. Und beider Gesellschaft der Menschen, die kein leichtes Leben geführt, die Geschichte des alten Norilsk aus den Zeiten der Stalinistischen Repressionen bewahrt haben, verstärken sich die Eindrücke der Reise an diesen Ort noch um ein Vielfaches.
Mitte August verbrachten Einwohner aus Norilsk und Dudinka, Mitglieder der
Gesellschaft der Opfer politischer Repressionen, drei glückliche Tage am Lama –
von denen jeder einzelne die Zeilen des Norilsker Dichters David Kugultinow
auswendig konnte:
„Jene Tage, an denen ich gesund und jung war,
Hast du mir genommen,
Sie fortgetragen, fortgetragen, Norilsk, Norilsk –
Du einzigartige Stadt!
Dein Frost verzehrt mich im Schlaf…“
Zu Beginn der Reise besuchten ihre Teilnehmer traditionsgemäß das Denkmal der umgekommenen baltischen Offiziere. Die Geschichte der Entstehung dieses Denkmals ist bekannt, aber es wird nicht unnütz sein, sie noch einmal wiederaufleben zu lassen.
Im Jahre 1940, nach der Angliederung der baltischen Republiken an die UdSSR, lud die sowjetische Regierung die Offiziere des Generalstabs des Baltikums in die Militär-Akademie ein, wo sie sich mit den Statuten der Roten Armee bekannt machen sollten. Am 28. Juni 1941 wurde eine turnusmäßig in der Hauptstadt eintreffende Partie Esten, Letten und Litauer verhaftet und sofort in den äußersten Norden des Landes verschickt: Über Krasnojarsk mit Lastkähnen nach Dudinka, und dann weiter mit der Schmalspurbahn bis fast ins Nirgendwo. Die Anklage besagte: „Misstrauensverdacht“. 41 Offiziere gerieten an den Lama – zum Bau der Vitamin-Fabrik. Zu jener Zeit litten die Menschen, die in den Norden verschleppt wurden, an Skorbut, und am Lama waren dringend Arbeitskräfte erforderlich: zur Herstellung von Heil-Kwass aus Tannennadeln, der bei diesen Erkrankungen half. Die Namen der Offiziere, die in den geheimen, schrecklichen Listen der Opfer des Regimes verschwanden, hätte möglicherweise niemand erfahren, wenn es da nicht Iwan Terentjewitsch Sidorow gegeben hätte, der am Lama seine Strafe verbüßte und die Touristenstation „Lama“ erbaute. Nach dem Arrest hinterließ er seine Erinnerungen an das Leben am Lama-See und das Schicksal der unschuldig umgekommenen Menschen; er war s auch, der sich um die Bestattungen der 14 Offiziere kümmerte, zu deren Gräbern Menschen aus unterschiedlichen Städten und Ländern kommen, um sich vor ihnen zu verneigen – die Enkelkinder der Verstorbenen, aber auch Leute, denen das alles nicht gleichgültig ist6. 1990 errichteten die Balten hier ein Denkmal aus Bruchstein in Form einer Dreieckspyramide mit einem Kreuz. Daneben, an der Stelle der Baracke wurde eine Lärchensäule mit einer Metallplatte und hölzernen Skulpturen aufgestellt.
Die Schweigeminute an dem Memorial dauerte ein wenig länger – am Lama läuft die Zeit überhaupt ganz anders.
- Wir sind also jetzt hierhergekommen, und zusammen mit euch fällt es uns leicht: ein Kutter, Essen, warme Kleidung. Ich mag mir nicht vorstellen, wie hier einst Menschen lebten, die überhaupt nichts hatten, außer undenkbar harter Zwangsarbeit – und das 12 Stunden am Tag, - teilt Jelisaweta Dobronrawina ihre Gefühle mit, deren Eltern „aus nationalen Beweggründen“ nach Norilsk verschleppt wurden. – Diese Offiziere retteten die Gulag-Insassen, unsere Gefangenen, unter ihnen auch meine und anderer Leute Verwandten, vor dem Skorbut. Und sie litten selber. Hier möchte man sich erheben und nachdenken und schweigen, und sogleich umfängt einen eine spürbare Reinheit in der Seele.
In diesem Jahr bezeichneten sie bei der Gesellschaft der Opfer politischer Repressionen die traditionelle Reise, die dank der Unterstützung der Norilkser Verwaltung stattfand, „Reise des Gedenkens“.
Jelisaweta Obst, Vorsitzende der Norilsker Gesellschaft der Vereinigung zum Schutz der Opfer politischer Repressionen“:
- Es gibt nur noch wenige in unserer Vereinigung. Von 200 realen Lagerinsassen – sind es nur noch fünf, und auch di gehen mit uns schon nirgends mehr hin – das Alter… Die anderen sind Sondersiedler und „Kinder ehemaliger Gefangener und Sondersiedler“. Aber wir leben auch weiterhin ein aktives Leben. Unsere Sache ist es, nicht einfach nur zu bewahren, sondern die Erinnerung auch an die Vergangenheit auch an unsere Kinder, Enkel und die feinfühligen und Norilsk liebenden Städter weiterzugeben. Daher beabsichtigen wir, zu der „Reise des Gedenkens“ die Jugend heranzuziehen. Im Geschichtsunterricht wenden wir uns an Schüler und Studenten, doch das reicht noch nicht. Wenn die jungen Leute mit uns fahren, streifen sie die Geschichte persönlich – atmen sie ein, empfinden sie, versetzen sich in sie hinein.
Walentina Beilman(n) und Jelisaweta Obst
Eine weitere Ausgabe für uns sind – Hilfe für Rehabilitierte sich, wie es heißt, an die „neuen sozial-ökonomischen Bedingungen“ zu gewöhnen. Soziale Unterstützung, materielle Hilfe – auch daran nehmen Kombinat und Stadt in vielerlei Hinsicht teil. Praktisch über jedes Schicksal, das in die Geschichte des Norillag eingeschrieben wurde, hat man Material gesammelt. Einen riesigen Arbeitsaufwand in dieser Hinsicht betreibt das Museum der Geschichte der Erschließung und Entwicklung des Norilsker Industriegebiets: basierend auf Erinnerungen von Häftlingen des Norillag erblickten dutzende Kapitel in den berühmten Büchern „Über die Zeit. Über Norilsk. Über sich selbst“ das Licht der Welt. Man wird uns nicht vergessen. Danke.
Jedes Jahr reisen die Aktivisten, gemeinsam mit einer einträchtigen Gesellschaft aus Einwohnern von Dudinka und Sondersiedlern der Taimyrer Siedlungen an ihren geliebten Lama. „Der schwere Weg unserer verurteilten Verwandten verlief in irgendeiner Form durch unsere Stadt, - sagen diese guten alten Frauen, die schon über 80 Jahre alt sind. –Mit den Repressierten aus Dudinka und dem Taimyrgebiet sowie ihren Kindern sind unsere Schicksale gleichermaßen miteinander verbunden, wir sind – Verwandte“.
Nach den Worten der Vorsitzenden der gesellschaftlichen Vereinigung „Zum Schutz der Opfer politischer Repressionen“ in Dudinka, Walentina Wladimirowna Beilman(n), leben heute in der Taimyr-Region etwas mehr als 200 Rehabilitierte. 33 von ihnen sind unmittelbare Teilnehmer an den traurigen geschichtlichen Ereignissen.
Walentina Wladimirowna (Mädchenname Sabelfeld) ist deutscher Nationalität; sie erzählte uns die Geschichte ihrer Familie. Ihre Mutter und ihr Vater gerieten 1941 im Alter von 15 und 16 Jahren mit den Eltern nicht aus freiem Willen ins Taimyr-Gebiet – sie wurden aus der Republik der Wolgadeutschen zwangsausgesiedelt. Im August 1942 brachte ein Lastkahn sie in den Ust-Jenisseisker Bezirk, wo sie dann auch die Schwierigkeiten ihres Lebens und Überlebens begannen.
- Uns rettete der Überlebenswille der Menschen, die Tatsache, dass die mit allen Mitteln gegen die Widrigkeiten ankämpften. Stellen Sie sich doch einmal vor: meine Eltern wurden im Frühherbst 1942 direkt auf nacktem Gestein und Sand ausgesetzt. Der erste Schnee war bereits gefallen, und es gab weder Zelte noch Bretter… Die jungen Leute gruben Höhlen in den Schnee, bauten Erd-Hütten. Die Menschen lebten den ganzen Winter hindurch in den Bergen am Ufer des Jenissei, buchstäblich an den Wänden ihrer kümmerlichen Behausungen festfrierend. Am Morgen wurden die Leichen hinausgebracht; vor allem in der ersten Zeit starben viele Leute. Zudem wurden die Menschen in den ersten beiden Jahren vom Skorbut dahingerafft.
… Meine damals noch minderjährigen Eltern und ihre Altersgenossen errichteten Baracken; die Jugendlichen wurden in Brigaden zusammengefasst; nach und nach lernten sie auch das Fischen und Jagen. Später gründeten meine Eltern dann eine Familie, vier Kinder wurden geboren. Ich erinnere mich, wie die Frauen in unserer Siedlung Kasanzewo Baumstämme aus dem Wasser herausfischten, die den Jenissei hinabtrieben, sie mühselig ans hohe Ufer hinaufzogen und trocknen ließen, und wie die Männer sie zersägten und Bretterbuden bauten. Von der heimatlichen Siedlung sind mittlerweile nur noch ein paar Häuser übrig geblieben. Meine Eltern liegen dort auch begraben, wir besuchen ihre Gräber oft.
…Die Zeit des Stalin-Regimes ist wohl die einzige Zeit, in der Menschen aufgrund ihrer Nationalität in die Verbannung geschickt wurden, - beginnend mit dem Jahr 1933 trafen im Taimyr-Gebiet die ersten Sondersiedler aus dem fernen Osten ein: Koreaner, Chinesen; ihren seltenen Nachnamen begegnet man bis heute in den Siedlungen.
…Mama wollte die UdSSR nicht , aber diejenigen aus den Reihen meiner Verwandtschaft, die seinerzeit nach Deutschland ausgewandert sind… Ehrlich gesagt, ich vermag nicht zu sagen, ob sie im Ausland glücklich sind, ob sie dort ein angenehmes Leben haben… Ich denke, wenn ihre Kinder sie heute nach Russland zurückholen würden, dann würden sie alles stehen und liegen lassen und herkommen, um hier in der Heimat zu sterben. Und außerdem, wissen Sie, wenn man jene Zeit zurückholen könnte, als die Eltern noch am Leben waren, dann ich ihnen noch viel mehr Fragen gestellt. Aber das Thema war tabu, und sie hatten Angst davor es zu berühren. Seit der Kindheit sprachen wir zuhause Deutsch, hielten uns an alle Traditionen. Ich versuche auch heute noch, all das an meine eigenen Kinder zu vermitteln. Ich bin überzeugt, dass das wichtig und würdig ist.
Das Wichtigste aber ist wohl, dass Walentinas Eltern keinerlei Zorn gegen das Land und da herrschende Regime hegten. Unter Tränen der Ergriffenheit erinnerte ihre Mutter sich der Zeit, als sie die kahle, kalte Erde für sich erschlossen und zu ihrer zweiten Heimat machten. „Erst 1958, damals war ich 7 Jahre alt, beschloss unsere Familie als erste in der Siedlung in Urlaub zu fahren. In Freiheit. Die Eltern weinten, denn sie wussten überhaupt nicht, wie das war – ohne Wachbegleitung -, und wohin und auf welchem Weg, durch welche Ortschaften. Und die anderen Bewohner der Siedlung weinten, als sie uns noch ein Stück begleiteten, - weil sie Angst hatten, dass wir nie wieder in den Hohen Norden zurückkehren würden… Aber wir kamen wieder“.
Die vergangenen gut zwanzig Jahre hat Walentina mit ihrer Familie in Dudinka gelebt. Sie hat einen wunderbaren Ehemann, eine stabile Familie und eine Arbeit, die sie liebt.
Und hier noch eine weitere Geschichte einer repressierten Familie. Gemäß § 58 wurde in Norilsk der Vater der Norilskerin Galina Semjonowna Mustatowa (uf dem Foto links) ausgesiedelt. Sie war drei Jahre alt, als sie mit der Mutter, dem jüngeren Schwesterchen und dem alten Großvater in Viehwaggons aus der Ukraine in den Fernen Osten geschickt wurde – als Familie eines Volksfeindes. Bis auf das kleinste Detail erinnert sie sich an diesen schrecklichen Umzug: wie sie an den Flussübergängen auf Leiterwagen umstiegen, wie die Freundin der Mutter versuchte, ihnen ihr Federbett mitzugeben, man es ihr jedoch nicht erlaubte, wie im Waggon irgendjemandes Kind starb. „Die rötlich schimmernde Suppe mit darin schwimmenden Fischkonserven“ erschien ihr damals das schmackhafteste Essen der Welt zu sein; aber der liebste Leckerbissen waren mit Salz bestreutes Brot und gekochtes Wasser. „Bis heute“, sagt sie, „mag ich das gerne essen!“. Erst im Alter von zehn Jahren erfuhr die kleine Galina, was Zucker ist…
Im Amur-Gebiet, wo sie nach langer Fahrt eintrafen, musste die Mutter auf einer Farm schwere Arbeit leisten: sieben Jahr ohne freie Tage und Urlaub! Den Großvater transportierten sie in die Taiga ab.
…Neben Ukrainern trieb man in ihre Ortschaft auch Letten und Russen; mit vereinter Kraft brachten sie eine elende Sowchose auf die Beine. Schon 1961, nach dem die Rehabilitation des Vaters, Semjon Schum, bekannt geworden war, gelang es Galina einen Ausweis zu bekommen. „Mama kehrte in die Ukraine zurück, und meine Freundin und ich machten uns auf den Weg nach Norilsk, wo mein Vater seine Strafe verbüßt hatte und erschossen worden war, - erzählt sie. – In Norilsk blieben wir dann auch: mir gefällt hier alles – die Stadt, die Reisen an den Lama, die Brandung am See, die Natur, die Menschen…!“
Nach Beendigung der pädagogischen Fachschule arbeitete Galina Semjonowna ganze 43 Jahre lang im Bildungssystem, in einem Kindergarten. Es heißt, dass sie heute sogar besser lebt, als früher, und nicht müde wird, die heutige Jugend zu loben. Das bedeutet, dass sie ein glücklicher Mensch, dass sie angekommen ist.
Wendet man dem Lama den Rücken zu, sieht man zwei Gipfel vor sich. Der eine ist der Pawel, der andere heißt Jelena – und sieht aus, als hätte er eine leicht gebrochene Schulter. Zu Sowjet-Zeiten befand sich hier ein Pionierlager. Am Fuße des einen Riesen wohnten die Jungen, und ihr Rufzeichen lautet „Pawel“; am Fuße des anderen waren die Mädchen untergebracht – mit dem Rufzeichen „Jelena“. Kinder wie Erwachsene sammelten Tannennadeln für die „Witaminka“-Werke; zwischen den Bergen fließt ein Flüsschen mit dem gleichen für die GULAG-Insassen nützlichen und rettenden Namen.
…Bis heute kann man an den zerstörten Häuschen des Lagers diesen oder jenen Haushaltsgegenstand finden: verrostete Blechschüsseln, uralte kleine Öfen. Der Direktor des „Lama“ fand einen alten Ofen, völlig intakt, aus dem Jahre 1934 – mit der Aufschrift „Kaganowitsch-Fabrik“. Er stellte das Fundstück bei sich zuhause auf – ein Museumsexponat, nichts anderes.
In diesem Jahr lud die Gesellschaft der Rehabilitierten zur Teilnahme an der „Reise des Gedenkens“ junge Leute aus örtlichen öffentlichen Organisationen ein. Insbesondere junge Menschen aus dem orthodoxen sportiv-patriotischen Jugend-Zentrum „Nord“.
- Die werktätige Jugend reiste mit uns, - erzählt Jelisaweta Obst. – Die jungen Leute sahen, für wen und weshalb Gedenkstätten eingerichtet wurden, wo sie sich befinden und wie die Begräbnisstätten aussehen, um was für Leute es sich gehandelt hat; sie erfuhren von dem schweren Leben derer, die unschuldig in den Hohen Norden verschleppt wurden. Das gegenseitige Vordringen, von dem ich geträumt hatte, trat tatsächlich ein, und es kam beinahe sofort, mit den ersten Stunden des Beisammenseins – für die Alten ist es wichtig, dass sie alles an jemanden weitergeben , und für die Jugendlichen war es interessant. In den zwei Erholungstagen am Lama lasen die Jugendlichen von Anfang bis Ende die „Memorial“- Sammelwerke durch (Verfasserin Swetlana Slessarjewa, Direktorin des Norilsker Museums. Übrigens, viele unschätzbar wertvolle Ausgaben sind schon nicht mehr aufzutreiben, und es wäre nicht schlecht, diese Rarität noch einmal aufzulegen. – M.K.), die wir ihnen geschenkt hatten.
***
Zum ersten Mal in ihrem Leben kamen die Koreaner Dima und Wanja an den Lama.
Beide sind knapp über zwanzig, beide sind in Russland geboren und zur Schule
gegangen. Ein halbes Jahr zuvor waren sie aus dem Gebiet Krasnodar ins
Taimyr-Gebiet gekommen; sie arbeiten in Norilsk. Gegenüber der Geschichte und
ihren Trägern verhielten sie sich mehr als
respektvoll. Die Großmütterchen bezeichneten sie als wohlerzogene und folgsame
Helfer und sogar als „Söhnchen“… Die Jungs trugen die Sachen und Eimerchen der
alten Leute, führten die alten Mütterchen durch den Bach. Die jungen Leute
staunten aufrichtig: wie konnten so alte Leute trotz allem so einen tapferen
Geist, Humor, Standhaftigkeit und Herzensgüte bewahren… „Wir waren verblüfft,
dass sie keine Anzeichen von Verbitterung zeigten, - sagen Wanja und Dmitrij, -
und außerdem haben wir verstanden, wie eng wir mit ihnen verbunden sind, wie
viele gemeinsame Wurzeln wir haben, auch eine gemeinsame Vergangenheit und
Zukunft – und eine Erde für alle…“
Alina (auf dem Foto in der Mitte), Mitglied des orthodoxen
sportiv-patriotischen
Jugend-Zentrums „Nord“.
Alles an dieser Reise war wunderbar. Mein Mann Andrej und ich durchstreiften die Tundra und sahen zum allerersten Mal eine derart monumentale Natur und einen so großartigen Hohen Norden. Er ähnelt dem des Festlands, doch er ist noch viel mächtiger; und der Ort wird ganz real als Zentrum einer gewissen Kraft wahrgenommen. Wir spazierten zwischen Wasserfällen von nie gesehener Schönheit, und bisweilen kam es uns so vor, als ob wir St8immen hörten… Entweder waren das die ewig hier verbliebenen unschuldig Verfolgten oder tödlich abgestürzte Alpinisten – man erzählt sich hier über sie eine uns bekannte Legende. Aber am meisten versetzte uns die Geschichte dieses Ortes in Erstaunen, die mit der Historie unseres Landes und den Zeiten des Terrors zusammenhängt.
Die Gäste waren zufrieden mit der Reise, der Reisegesellschaft, dem Wetter, der Qualität und Menge der hier wachsenden Pilze, des Beisammenseins am Lagerfeuer unter dem Klang der Gitarre – ein großes Dankeschön an die kreative und unermüdliche Tatjana Schajbulatowa.
„Was mögen Sie am Lama am liebsten?“, - fragten sie einander häufig und antworteten darauf mit Vergnügen selber, während sie sich nicht genug an den Sonnenuntergängen, den Gräsern sattsehen, den Duft der Tundra einatmen das Plätschern der Wellen oder die Stille genießen konnten. Nach einer von zahlreichen Legenden ist der Lama – das „Ohr der Erde“. Er sieht, hört, versteht all unsere Sorgen, all unseren Kummer und nimmt sie auf, indem er sie gleichzeitig als belebemde Kraft zurückgibt, die Hoffnung wiederbringt, Ruhe und Gleichmut verleiht. Und was brauchen wir alle noch mehr?
Die Antwort, die mir am intensivsten in der Erinnerung geblieben ist, gab der Direktor der Touristenstation „Lama“ Valerij Below. Als er in den Spiegel des Sees sah, der sich mehrmals stündlich verändert, brachte er folgende Schlüsselworte hervor: „ Der Lama rückt alles an seinen Platz“. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Übrigens baten alle Teilnehmer der „Reise des Gedenkens“ darum, ihm ihre tiefe Verneigung und Dankbarkeit entgegen zu bringen. Die Touristenbasis war hervorragend auf den Besuch der Gäste vorbereitet, und das Personal, darunter auch das Zimmermädchen Walentina, das uns zu den Wasserfällen brachte, hat für seine Arbeit eine „Eins plus“ verdient, weil sie unser ganzes nicht einfaches Kontingent so nett empfangen und untergebracht hat.
Marina Kalinina
Fotos: Aleksander Charitonow
„Polar-Zeitung“, 29.08.2014