Auf der Gedenkstätte „Norilsker Golgatha“ entsteht ein weiteres Denkmal – zu Ehren der japanischen Polithäftlinge in Norilsk. Die Idee für dieses Projekt ist Frau Sachiko Watanabe zuzuschreiben, Tochter des im Norillag umgekommenen Yoshio Watanabe; sie traf dieser Tage aus dem Land der aufgehenden Sonne in Begleitung des Professors für Wirtschaft der Obirin-Universität, Herrn Shigetada Kawanishi , und der Dolmetscherin Maria Rebrowa in unserer Stadt ein.
„Das Recht zu überleben“ – die wichtigste Botschaft des Denkmals
Satschiko Watanabe ist eine hagere, kleine Frau, standhaft, wie es in ihrem Land üblich ist, betont ruhig und ohne Emotionen. Doch selbst ihre japanische Gelassenheit lässt sie im Stich, als die Rede vom Schicksal ihrer Eltern ist.
Für Frau Watanabe ist dies bereits der dritte Aufenthalt in Norilsk. 1990 besuchte sie gemeinsam mit ihrer Mutter zum ersten Mal unsere Stadt, in der ihr Vater ums Leben kam, und hielt sich am Massengrab auf dem alten Friedhof am Schmidt-Berg auf.
Bei ihrem zweiten Aufenthalt im Jahre 2004 erfüllte Sachiko Watanabe den letzten Willen ihrer Mutter: sie verstreute einen Teil ihrer Asche am Fuße des Schmidt-Berges, um auf diese Weise die Seelen der Eltern miteinander zu vereinen. Ziel ihrer diesjährigen Visite - die Errichtung eines Denkmals auf der Gedenkstätte „Norilsker Golgatha“ zu Ehren aller hier umgekommenen Landsleute. Für das Monument hat sie persönliche Geldmittel aufgewendet sowie Geld, das von mit der Idee sympathisierenden Japanern gesammelt wurde.
Plan des neuen Denkmals auf dem „Norilsker Golgatha“
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollte Japan der Sowjetunion Süd-Sachalin und die Kurilen-Inseln übergeben. Allein auf Süd-Sachalin, wo auch die Familie Watanabe lebte, gab es etwa 450.000 Japaner. Yoshio Watanabe, Absolvent der Tokioter Universität, war einer der leitenden Beamten in der Gouvernementsregierung der Insel. Die Evakuierung der japanischen Bevölkerung begann vor dem Eintreffen der Sowjet-Truppen, aber Yoshio blieb auf Sachalin, um die Übergabe des Besitzes vorzubereiten. Als er seine Ehefrau und die dreijährige Tochter aus Toyohara (so wurde Juschno-Sachalinsk genannt) begleitete, sagte er, dass er in 10 Tagen wieder mit ihnen zusammentreffen würde.
Familie Watanabe. Süd-Sachalin. 1944
Dieses Wiedersehen kam nicht zustande, er wurde verhaftet und kam im August 1946 als Häftling ins Norillag. Anfangs arbeitete er beim Bau des Wärme-Kraftwerks, anschließend, bereits wieder als freier Mann, in Walka als Diensthabender an der Pumpstation. Einigen Angaben zufolge starb er im Zentral-Krankenhaus des Lagers an Lungenentzündung; nach den Erinnerungen von gefangenen Landsleuten endete sein Leben im September, als der erste Schnee fiel; er rutschte während der Arbeit aus und fiel unter eine Lok. Nach Informationen des Norilsker Museums wurden Yoshio Watanabe und noch mindestens 70 weitere japanische Staatsbürger auf dem Friedhof am Schmidt-Berg beerdigt.
Zu dieser Zeit erwartete Yoshio Watanabes Frau jedes Schiff, das mit repatriierten Japaner eintraf, um wenigstens etwas über das Schicksal ihres Mannes zu erfahren. Auf dem Schiff „Koannare“, das im Jahre 1956 eintraf, befanden sich Kriegsgefangene aus Norilsk. Einer von ihnen kannte ihren Ehemann, und er sagte der Frau dann auch, dass sie nicht länger auf ihn zu warten brauchte.
Die Schaffung des Denkmals war das Ergebnis der Zusammenarbeit von Frau Watanabe mit dem Museum zur Geschichte des Norilsker Industriegebiets. Urheber des Projekts – der Norilsker Architekt Michail Wolgin. Man kann sagen, dass die Realisierung dieser Idee sich ihrer Vollendung nähert: die Erlaubnis zur Errichtung des Denkmals liegt vor, die Projektierung ist abgeschlossen, die Arbeiten zur Herstellung des Monuments laufen bereits. Es handelt sich dabei um eine Stele von ungefähr 180 Zentimetern Höhe mit einer Granitplatte, auf der in russischer und japanischer Sprache der Satz eingemeißelt werden soll: „Das Recht zu überleben“. Auf der Rückseite, ebenfalls in beiden Sprachen, wird stehen: „Wir, die Überlebenden, hören die Stimmen der umgekommenen japanischen Kriegsgefangenen, die durch Stürme und Schneegestöber zu uns herangetragen werden, und wir werden alles tun, damit die grausamen Schicksalsprüfungen, die auf ihr Los entfielen, sich niemals wiederholen“. Es ist geplant, das Denkmal im Oktober einzuweihen, zum Tag des Gedenkens an die politischen Gefangenen. Watanabe-san kann leider nicht herkommen, weil es hier zu der Zeit für sie einfach zu kalt ist, aber sie hofft trotzdem, bald ihren nächsten Besuch antreten zu können.
Frau
Sachiko Watanabe:
- Wie mir die Mitarbeiter des Norilsker Museums erzählten, gab es hier hin Norilsk unter den Gefangenen etwa 350 Japaner, von den 128 ums Leben kamen. Diejenigen, die zurückkehrten, haben sich an Norilsk als einen der schrecklichsten Orte erinnert. Als ich zum ersten Mal hierher, in diese Stadt, kam, in der mein Vater starb, in der er litt, empfand ich sogar Hass auf Norilsk. Bei meinem zweiten Besuch lernte ich Norilsker kennen, sie waren mir bei der Erreichung meines Ziels, meiner Absicht behilflich. Jetzt habe ich in dieser Stadt Freunde. Ich habe dieses Denkmal zu meinem wichtigsten Ziel gemacht, weil heute in der ganzen Welt religiöse und ethnische Konflikte ausgetragen werden – und das ist nicht richtig. „Das Recht zu überleben“ ist der Satz, der in den Stein gemeißelt werden wird, und damit möchte ich der Welt sagen, dass sich derartige Tragödien niemals wiederholen dürfen und dass ich das zum Gedenken an meinen Vater getan habe. |
Auf der Exposition des Norilsker Museums zur Geschichte der Familie Watanabe
Lidia
Schtschipko, Leiterin der Abteilung für Kultur- und Bildungsarbeit des
Museums der Geschichte der Erschließung und Entwicklung des Norilsker
Industriegebiets:
- Wir haben im Museum eine kleine Exposition über die Geschichte der Familie Watanabe zusammengestellt: hier finden sich Berichte über die vorangegangenen Besuche von Mutter und Tochter bei uns, Familien-Fotos, Reliquien, wie beispielsweise eine Statuette, vor der die Verwandten um Yoshios Rückkehr nach Hause beteten. Frau Watanabes diesjähriger Besuch in Norilsk ist sehr wichtig für sie, denn obwohl sie nicht mehr jung ist, hat sie ihren Plan zu Ende geführt. Mit diesem Denkmal will sie der Welt ihr Missfallen am Krieg und dem Leid der Menschheit kundtun. Und in der heutigen internationalen Situation, bei den heutigen politischen Ereignissen ist dies auch ganz besonders aktuell. |
Michail Wolgin: - Dieses Denkmal ist auf japanische Weise lakonisch, ruhig und einfach. Wenn viele andere Stelen auf der „Golgatha“-Gedenkstätte wie ein erstickter Schrei wirken, so ist die neue nach dem buddhistischen Glauben – unerschütterlich. Ich habe das Denkmal ursprünglich größer, kühner gesehen, doch nachdem wir alles Überflüssige abgeschliffen hatten, schien es Frau Watanabe besser zu gefallen, und die Korrekturen wirkten sich auch auf die umgebende Atmosphäre aus. Inzwischen ist in Norilsk bereits die Platte aus schwarzem karelischen Granit eingetroffen. In den nächsten Tagen erfolgt das Gießen der Stele. |
Swetlana Gunina
Fotos: Wladimir Makuschkin
„Sapoljarnaja Prawda“, 25.09.2014