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Mit einem guten Wort erinnern

Norilsker Chronograph

Es gibt Menschen, deren Namen man in Norilsk nie vergessen wird.

Stahl und Nickel

Am 11. April 1800 wurde im Kiewer Gouvernement Boris Cherssonskij geboren. Hinter den Polarkreis geriet der Begründer der Dynastie Norilsker Bauplaner, als er bereits 50 Jahre alt war. Wiederholte Verhaftung und Ausweisung in die Region Krasnojarsk zwangen den ehemaligen Leiter der technischen Abteilung der Lysswensker Fabrik im Ural auf den Weg. Der Volkskommissar für Metallhütten-Industrie – Tewosjan – schickte ihn zum Nördlichen Hütten-Kombinat, um dort Aufgaben zu erledigen. Anstelle von Tscherepowjez kam Cherssonskij mit Hilfe von Awraamij Sawenjagin nach Norilsk, der sich aus den in die Region Krasnojarsk Verbannten Spezialisten für das Norilsker Kombinat aussuchte. Über Cherssonskijs Möglichkeiten wusste der stellvertretende Volkskommissar für innere Angelegenheiten sehr gut Bescheid. Bis zu seiner Verhaftung im Jahre 1938 arbeitete der Absolvent des Kiewer Polytechnischen Instituts als Ober-Ingenieur des Stalingrader Metallhüttenwerks und war für die Produktion besonderer Stahl-Qualitäten verantwortlich. Diese Aufgabe fiel mit einer beruflich bedingten Reise zu Fabriken in Deutschland und der Tschechoslowakei zusammen. Als Belohnung für seine erfolgreich erledigte Arbeit erhielt der Ober-Ingenieur von Sergo Ordschonikidse einen PKW und als einer der ersten Zehn den Orden des roten Arbeiter-Banners.

Am Norilsker Kombinat arbeitete Boris Cherssonskij 20 Jahre. Er war Leiter der Wasserkühlungs- und Abflamm-Abteilung im Nickelwerk, Senior-Ingenieur des Projekts, Ober-Ingenieur des Planungskontors im Verlaufe von zehn Jahren. Mit seinem Namen und seinen Taten sind die Erschließung der Talnacher Fundstätten, die Erarbeitung des grundlegenden technisch-wirtschaftlichen Programms für die Entwicklung des Kombinats verbunden.

Boris Cherssonskik verstarb am Vorabend seines 90. Geburtstags in Wolgograd.

Vorletzter Versuch

Am 12. April 1932 telegrafierte Iwan Sarembo, Leiter des Norilsker Transport-Gewerbe-Kontors, das sich Norilsker Großunternehmen nannte, seinem Vertreter Doronin in Irkutsk bei Wostoksoloto (Unternehmen „Ost-Gold“; Anm. d. übers.), dem das Kontor unterstellt war: „Ich verlange die Erfüllung aller Anforderungen. Komm mit dem ersten Schiff zurück. Ich denke nicht, dass der Trust dich ohne meine Einwilligung entfernen wird. Das wäre eine Superschande. Geh mit diesem Telegramm zum Regionskomitee. Verlang dort eine vollständige Versorgung mit Stiefeln, Filzstiefeln und Handschuhen, um nachher nicht wieder welche aus Tuch nähen zu müssen. Nimm auch 120 gute Pferde“.

Es gelang Sarembo nicht, die „Norill-Angelegenheit“ so anzuschieben, wie er es gern gewollt hätte. In diesem Jahr wurde das Norilsker Bauprojekt nämlich aufgrund fehlender Geldmittel im Lande bis 1935 eingestellt. Der Leiter des Norilsker Bauvorhabens leitete zwischen 1930 und 1932 eine Zeit lang das Ost-Gold-Unternehmen. Er arbeitete im östlichen Kasachstan, anschließend beim Bergbau- und Verarbeitungskombinat in der Stadt Marganez im Gebiet Dnjepropetrowsk. In diesem Jahr ist es 125 Jahre her, seit Iwan Sarembo geboren wurde.

Erster Torwart der Landes-Auswahlmannschaft

Am 13. April 1912 wurde Walerij Bure in Moskau geboren. 1917, als die Firma “Pawel Bure” aufhörte in Russland zu existieren, war er gerade fünf Jahre alt. Mit 16 gab er die Theaterschule auf, beschäftigte sich intensiv mit Schwimmen und trat in die Moskauer Wasserball-Auswahl-Mannschaft ein; später dann in die Landes-Auswahl-Mannschaft und wurde in der Geschichte des Sowjet-Sports ihr erster Torwart. Mit 27 bezeichnete man Walerij Bure als Terroristen und schickte ihn für zehn Jahre zuerst auf die Solowki-Inseln und von dort 1939 ins Norillag.

Im Lager wurde der ehemalige Torwart der Landes-Auswahl-Mannschaft bald darauf von der harten Arbeit freigestellt, und man übertrug ihm die Aufgaben eines Feldschers (Bure war vor seiner Verhaftung am medizinischen Institut gewesen, hatte dort aber nicht lange studiert). Zustatten kam ihm auch sein Unterricht an der Theaterschule. Die Teilnahme an Theater-Aufführungen auf beiden Seiten des Stacheldrahtes und auch einfach in der Laiengruppe des Lagers erleichterten dem Häftling das Leben ganz erheblich. In Norilsk hegte man damals eine ganz besondere Einstellung zum Sport und zu Sportlern, vor allem gegenüber den herausragenden. Bure spielte Fußball, Tennis und trainierte Schwimmer.

Die Lagerstrafe des Sportlers endete 1946. Zu der Zeit war er bereits verheiratet, der erste Sohn wurde geboren. Walerij Bure wählte sich die erste Schönheit und Berühmtheit von Norilsk (Ludmila Popowa sang auf der Bühne des Hauses der Ingenieure und Techniker). Nach seiner Freilassung arbeitete Bure weiter in der Abteilung des Haupt-Energetikers, und mit dem Anlaufen der Kupferhütte und bis zu seiner Abreise aus Norilsk Anfang 1957 verbrachte er seine Berufsjahre zunächst im Kupfer-Elektrolyse-Werk und dann in der Metallhütte als Meister. Hier zeigte sich noch ein weiteres Talent Bures – das eines Rationalisators. Nach Moskau kehrte der rehabilitierte Walerij Bure mit Frau und zwei Söhnen zurück. In der Hauptstadt widmete er sich ganz dem Sport, wobei er aufgrund der Erfolge seiner beiden Söhne in der Schwimmdisziplin den Titel eines verdienten Trainers der UdSSR verliehen bekam. Seine Leidenschaft übertrug er nicht nur auf seine Söhne, sondern auch auf die Enkel, die beiden berühmten Hockeyspieler Pawel und Walerij. Bure der Ältere verstarb 1974.

Unter dem Damokles-Schwert

Am 14. April 1901 wurde in Uslowaja, Gebiet Tula, Abraamij Sawenjagin geboren – sowjetischer Staats- und Parteifunktionär, dessen Namen 1957 das Norilsker Bergbau- und Metallhüttenkombinat trug. Ein Viertel Jahrhundert – nach Beendigung der Bergbau-Akademie – widmete Sawenjagin dann der Organisierung von Bauprojekten und Betrieben, neuen Fachbereichen der Wissenschaft und Industrie. Von 1933-1937 war er Direktor des Magnitogorsker Metallhütten-Kombinats. Von 1938-1941 – Direktor des Norilsker Kombinats. In den drei Jahren unter Sawenjagin wurden hinter dem Polarkreis die Grundsteine nicht nur für das Norilsker Kombinat, sondern auch für „Norilsk Nickel“ gelegt.

Die Mitstreiterin Sawenjagins beim Atomprojekt, die Ehefrau des politisch verfolgten Journalisten Jewgenij Rjatschikow- Susanna Karpatschewa – erzählte, dass das Damokles-Schwert der GPU bereits in Magnitka über Awraamik Sawenjagin gehangen hatte, als der Reihe nach die mit ihm zusammenarbeitenden Sekretäre des Gebietskomitees Chitarow und Lominadse repressiert wurden. Nachdem ihre Parteileiter abgelöst worden waren, beschuldigte man Sawenjagin der Mittäterschaft mit den Schädlingen und sammelte über ihn kompromittierendes Material. Nichtsdestoweniger ist er der einzige unter den Stellvertretern des Volkskommissars für Schwerindustrie, der nicht verhaftet wurde, sondern eine Arbeitszuweisung in Norilsk erhielt. Vor ihm stand nun eine Überlebensaufgabe: wenn du die Produktion in Gang bringst, wirst du überleben. Schaffst du das nicht – dann bist du ein Schädling.

- Abraamij Pawlowitsch verstand es, die gekränkten, niedergeschlagenen und ängstlichen Mensch aufzurichten, sie zu begeistern, das geistige Potential von hunderten von Gefangenen zu nutzen, indem er ihnen Respekt entgegenbrachte und ungewöhnliche Methoden der Daseinsvorsorge anwandte, und bereits nach einem Jahr nahm die Versuchsfabrik auf ewigem Frostboden, bei grimmigem Frost und endlosem Schneegestöber seinen Betrieb auf, - erinnerte sich Susanna Maichailowna.

Der erfolgreichen Organisation der Nickel-Produktion wurde Sawenjagin zum stellvertretenden Volkskommissar für innere Angelegenheiten ernannt. In seine Führung wurde faktisch die technische Leitung der Industrie- und Bau-Unternehmen des GULAG übertragen, die in Ausübung ihrer Straf-Funktion, schlecht mit den Produktionsaufgaben zurechtkam.

… Warum vertraute Stalin ihm den Posten des stellvertretenden Volkskommissars des NKWD an – und weshalb auch noch den des stellvertretenden Minister der Atom-Industrie, die damals Erste Hauptbehörde genannt wurde? Vielleicht war er überzeugt von seines außergewöhnlichen organisatorischen Fähigkeiten und seinen hervorragenden Kenntnissen als Ingenieur? Oder brauchte Stalin möglicherweise die wechselseitige Konfrontation zwischen Sawenjagin und Berija, welcher ungeheure Macht erworben hatte?

Für lange Jahre

Am 15. April 1902 wurde in Charbin Georgik Popow geboren, später Facharzt für Infektions-Krankheiten, Norilsker von 1939-1960, der viel für unser Gesundheitswesen tat – und ganz zu Anfang als Häftling des Norillag.

Vor seiner Verhaftung 1938 war Georgij Popow einer der Leiter des Malaria-Bekämpfungsdienstes in Moskau. Man beschuldigte ihn dass er angeblich dazu beigetragen habe, Infektionskrankheiten in der Hauptstadt verbreitet zu haben.

Im Norillag wurde dem Doktor, der selber erkrankte, eine Baracke mit Ruhr-Kranken zugewiesen. Nach dem Sieg über die Epidemie und Arbeiten am Lagerpunkt von Ambarka organisierte er die Einrichtung eines klinischen Laboratoriums. 1941 wurde er zum Oberarzt des Zentralen Lager-Krankenhauses ernannt und später in dem nebenan errichteten Infektionskrankenhaus. Unter seinen Kollegen, Gefangenen und Verbannten, gab es nicht wenige Ärzte mit Erfahrung aus Moskauer und Leningrader Kliniken, welche für viele Jahre das hohe Niveau des Norilsker Gesundheitswesens bestimmten.

Georgij Popow verließ Norilsk 1960, als er bereits rehabilitiert war. Sein ganzes Leben, bis zu seinen letzten Tagen, schrieb der Doktor an der Geschichte des Norilsker Gesundheitswesens und verfasste Gedichte. In einem dieser Gedichte, das seinem Freund und Kollegen Ilja Schischkin gewidmet ist, finden wir folgende Zeilen: „ … Wir glauben: mit guten Worten erinnern sich die Kranken uns, // Mit denen unser Leben am Polarkreis verrann“.

Leitung der Rubrik: Valentina Watschajewa

„Polar-Bote“, 09.04.2015


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