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Er ist gefährlich, weil…

Norilsker Chronograph

Wie kann man ein Land denn lieben,
Wenn man bei allen gefangen ist?
Am breiten blauen Fluss, Bei Schlaflosigkeit und Schneesturm.
Und beim getrockneten Blut der Sehnsucht,
Von dem in den Augen Kreise entstehen,
Und am stramm gespannten Stacheldraht,
Und bei den kleinen, verkümmerten Birken,
Unwegsamkeit von Tundra und Taiga,
Unzählige Werst.

Unter der Bank von Kresty

Am 1. Oktober 1912 wurde der Autor dieser Zeilen geboren, die er 1942 in Norilsk schrieb – Lew Gumiljew.

Der Sohn der beiden berühmten russischen Poeten, der in Ungnade gefallenen Anna Achmatowa und des erschossenen Nikolaj Gumiljew, wurde 1939 ins Norillag gebracht und 1943 freigelassen, wobei man ihn verpflichtete bis zum Ende des Krieges im Kombinat zu arbeiten. Als Techniker und Geologe wurde Gumiljew zuerst an den Chantai-See geschickt, anschließend nach Nischnaja Tunguska. Ein Jahr darauf erwirkte er seine Verschickung an die Front und gelangte mit dem 1386. Regiment der Kleinkaliber-Flak-Artillerie bis nach Berlin.

Nach dem Krieg fing man damit an, Gumiljew den Jüngeren nun schon auf allgemein akademischem Niveau zu verfolgen. Das Ergebnis war die nächste Verhaftung.

- Während der Verhandlung sagte der Richter: „Sie sind gefährlich, weil Sie gebildet sind, - sie bekommen zehn Jahre“. All das zog sich bis zu Chruschtschow hin, bis zum 20. Parteitag, nach dem ich rehabilitiert wurde. Insgesamt wurde ich sechsmal verhaftet. Viermal drückte ich mich, zweimal brummten sie mir dann doch eine Strafe auf, - schrieb der Gelehrte Ende der 1980er Jahre, nachdem er ausgerechnet hatte, dass 28 Jahre seines Lebens in den Wind geschrieben worden waren: 14 Jahre Lagerhaft und noch einmal so lange in Acht und Bann.

In der ihm verbleibenden Zeit (L.N. starb 1992) SCHLOSS Gumiljew die weißen Flecken zwischen dem äußersten Westen und dem Fernen Osten, wobei er sich die Geschichte des Kontinents „mehr oder weniger gleichmäßig“ vorstellte. Und er erklärte, weshalb historische Ereignisse stattfinden und sich die Völker verändern – die einen tauchen auf, die anderen verschwinden.

Lew Gumiljew bekräftigte, dass er die Idee von der Ethnogenese „unter der Bank in Kresty gefunden“ habe. „Dort konnte man tagsüber nur unter der Bank liegen, andernfalls musste man sitzen, und ich befand mich in einem äußerst kritischen Zustand…“.

Der Verfasser der Theorie der Ethnogenese war nicht nur Gelehrter, sondern auch Dichter. Seine Gedichte schrieb Lewuschka, wie seine Freunde ihn nannten, ebenfalls im Norilsker Lager. Als er im Getreidelager arbeitete, wo ihm Papier und Tinte zustanden, übertrug er beispielsweise das Herbstmärchen „Asmodejs Besuch“ auf Papier, dessen Zeilen im Lead-Stil geschrieben waren.

In Sachen Sinaida Reich

Am 4. Oktober 1953 wurde der Ende 1952 (zusammen mit Georgij Schschenow, Edda Urussowa und anderen Verbannten) von der Arbeit freigestellte Schauspieler und Leiter des Inszenierungsbereichs des Norilsker Dramen-Theaters, Vitalij Golowin, erneut am Theater eingestellt, nun aber als Souffleur und Schauspieler.

Vitalij Golowin war der Sohn des bekannten Sängers am Bolschoi-Theater – Dmitrij Golowin. 1943 verurteilten sie den jüngeren Golowin zu 8 Jahren nach § 58-10, wobei man ihn auf diese Weise mit dem Mord an der Ehefrau Meierholds (und vorher Jessenins) – Sinaida Reich, in Verbindung brachte.

Vor seiner Verhaftung studierte Vitalij gleichzeitig an zwei höheren Lehreinrichtungen: dem Schtschepkin-Theater-Institut, an der Schauspieler-Fakultät, und an der Fakultät für Komposition des Staatlichen Moskauer Konservatoriums. Er war an Aufführungen des Kleinen Theaters beteiligt, außerdem war er mit seinem Vater als Begleiter auf Gastrollen durch die Sowjetunion unterwegs… Ins Lager schickten sie nach dem Sohn auch den Vater und sogar den Onkel. Seine Haftstrafe verbüßte Vitalij Golowin im … Musik- und Dramaturgie-Theater in Workuta.

1951, als die Welle der erneuten Verhaftungen einsetzte, verschleppten sie ihn nach Norilsk, wo er bis Mitte der 1950er Jahre lebte. Es ist bekannt, dass Vitalij Dmitrijewitsch Teilnehmer und Leiter der örtlichen literarischen Vereinigung. Er schrieb sowohl Gedichte als auch Prosa. Nach seiner Rückkehr nach Moskau arbeitete er als Regisseur beim Zentralen Fernsehen.

Mit unserem Ataman

Am 2. Oktober 1915 bekam der Student des Tomkser Technologischen Instituts, Aleksander Sotnikow, eine offizielle Erlaubnis-Bescheinigung für die Nutzung von Bodenschätzen in den Norilsker Bergen, wo er noch im August Erkennungsmarken für Kohle und Erz aufgestellt hatte. Der Enkel Kiprian Michailowitsch Sotnikows – Aleksandr Aleksandrowitsch Sotnikow, der gemeinsam mit Bruder Pjotr die „Norilsker Sache“ begründete, organisierte nach Beendigung des zweiten Kurses eine Expedition in die Norilsker Berge, um dabei die Fundstätten für Steinkohle, Kupfererz und Graphit zu untersuchen. Außer Erkennungspfählen hieb er schmale Öffnungen in den Oberlauf des Kohlen-Bächleins und sammelte eine Menge geologisches Material. Es gelang dem Absolventen der mittleren polytechnischen Lehranstalt (und Kurs-Kamerad von Nikolaj Urwanzew in der Bergbau-Abteilung des Instituts) nicht, sein Studium zu Ende zu bringen. Im Dezember berief man ihn in die Armee ein, und im Mai 1916, bei Abschluss der Irkutsker Militärfachschule, schickte man Junker Sotnikow als Unter-Offizier in den Dienst der Krasnojarsker Kosaken-Division, und bald darauf wurde er eine der Hauptfiguren im Jenisseisker Gouvernement in Zeiten des Bürgerkriegs.

Den Militärdienst verließ Sotnikow nach dem 18. November 1918, als die Macht in Sibirien an Admiral Koltschak überging und das Sibirische geologische Komitee geschaffen wurde, welches für den Sommer des Jahres 1919 die Durchführung einer geologischen Forschungsexpedition in Sibirien beabsichtigte.

Noch vor der Einstellung beim See-Amt als zweiter Leiter für hydrographische Arbeiten verkündete Sotnikow auf einer Versammlung in Krasnojarsk, unter Teilnahme von Vertretern des Oberhaupts der Sibirischen Regierung, der staatlichen und privaten Schifffahrtsgesellschaften, die Möglichkeit für eine schnelle und effektive Förderung von Kohle in Norilsk. Die Ankündigung versprach Erfolg und setzte sich in Form eines Referats, welches später in einer separaten Broschüre veröffentlicht wurde, sowie vor allem in einer Expedition nach Potapowskoje, Dudinka und die „Noril-Berge“ fort. Nach der Vorstellung Sotnikos war die Gewährleistung der Expedition Bergbau-Ingenieur Urwanzew anbefohlen. An der am 20. Juni 1919 beginnenden und Mitte Oktober endenden geologischen Erforschung der Erz-Fundstätten nahm Sotnikow als Topograph teil - mit Aufgabenstellung von der Leuchtturm- und Lotsen-Direktion, eine Stelle für den Ausbau des Hafens zu bestimmen. Nach seiner Rückkehr nach Krasnojarsk reiste Urwanzew mit dem Material zum Tomsker Sibirischen Geologischen Komitee, während Sotnikow sich mit einem Rechenschaftsbericht über seine hydrologisch- topographischen Tätigkeiten auf den Weg nach Omsk – zur Leuchtturm- und Lotsen-Direktion machte. Nach einem Telegramm des Seefahrt-Ministers vom 2. Dezember, begab er sich zusammen mit dem Direktionsleiter nach Irkutsk. Während sie beinahe drei Wochen unterwegs waren, kamen die Bolschewiken an die Macht, die versprachen, anfangs lediglich Koltschak-Straftrupps und Angehörige der Gegenaufklärung zur Verantwortung zu ziehen. Und wenngleich die neue Macht die Arbeit der Expedition anerkannte und deren Fortsetzung befürwortete und Sotnikows „Vergehen“ nach Meinung der Historiker darin bestand, dass er nicht den Eid brach und die Kosaken auf Verlangen des Krasnojarsker Exekutivkomitees nicht entwaffnete, entging er doch nicht der Verhaftung. Auf ihrer Divisionsversammlung unter Mitwirkung von Ataman Sotnikow beschlossen die Kosaken einen Aufruf an die Bevölkerung des Jenisseisker Gouvernements zu richten, in dem sie ihrerseits von der Sowjetmacht die Nichteinmischung in ihr Leben und eine Garantie für absolute Sicherheit forderten. Natürlich beantworteten die Sowjets diesen Aufruf mit Repressalien. Sotnikow leitete den Kosaken-Aufstand, der schon bald niedergeschlagen wurde. Am 23. Mai 1920 ordnete ein Kollegium der Gouvernements-Tscheka an: „ Sotnikow ist zu erschießen, sein Besitz zu konfiszieren“.

Ende der 1930er Jahre besinnt sich die Sibirische Geologische Expedition auch auf Nikolaj Urwanzew.Man verhaftet den Erstankömmling von Norilsk und der Nördlichen Erde und verurteilt ihn 1938; allerdings wurde das Urteil in 15 Jahre Umerziehungs- und Arbeitslager umgewandelt - aus Mangel an Tatbeständen. Zwei Jahre später gab es eine neue Haftstrafe – 8 Jahre, von denen er 3 im Norillag verbrachte. Urwanzew wurde in den 1950er Jahren rehabilitiert, Sotnikow – in den 1990ern.

Valentina Watschajewa

“Polar-Bote“. 1. Oktober 2015


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