Nach langjähriger mühseliger Arbeit hat die Staatsangehörige des Landes der Aufgehenden Sonne – Sachiko Watanabe – ihr Lebensziel erreicht. Im fernen verschneiten Russland, in Norilsk, wurde ein Denkmal zu Ehren der japanischen Kriegsgefangenen und Internierten eingeweiht, die nach dem zweiten Weltkrieg nicht in ihre Heimat zurückkehrten und ihre letzte Ruhestätte fern der Heimat fanden.
Sachiko Watanabe forderte 11 Jahre lang, dass sie jetzt, an diesem frostigen Oktobertag an dem hinter dem Polarkreis eingeweihten Gedenkstein eine rituelle Girlande aus Papier-Kranichen anbringen könnte. Nachdem sie erfahren hatte, dass ihr Vater Joshio Watanabe seine Gefangenschaft in Norilsker Lagern verbracht hatte und dort verstorben war, setzte sich die Tochter des Japaners, der nicht nach Hause zurückgekehrte, das Lebensziel, nicht nur den Todesort ihres Vaters zu besuchen, sondern auch das Gedenken an ihn und seine anderen Landsleute zu verewigen.
Sachiko Watanabe kam insgesamt viermal nach Norilsk. All die Jahre sammelte sich in Japan Geld für den Gedenkstein, führte Gespräche mit Gleichgesinnten in Russland, in unserer Stadt – mit denen, die an der edelmütigen Sache aufrichtig mitwirkten.
Nahestehende und Freunde halfen ihr, Verwandte derer, die nach dem Krieg nicht mehr nach Hause zurückkehren konnten. Aktive Hilfe leisteten auch die Mitarbeiter des Museums der Geschichte der Erschließung des Norilsker Industriegebiets, Akteure aus Kultur und Kunst, Baumeister, Spezialisten auf verschiedenen Gebieten, Vertreter der örtlichen Behörden.
Der Aufstellungsort des Gedenksteins wurde nicht zufällig gewählt. Im Gedenkkomplex „Norilsker Golgatha“ stehen bereits mehrere Zeichen des Gedenkens von Vertretern verschiedener Völker und Staaten, deren Landsleute nach unterschiedlichen Angaben für immer in dieser Erde blieben. Die Besonderheit der tragischen Ereignisse der Zeit des Totalitarismus, unter anderem auch der Norilsker, liegt darin, dass es bereits nicht mehr möglich ist, genaue Angaben über Zahl, Ort und Umstände des Todes zahlreicher Umgekommener exakt zu ermitteln.
Doch dank einiger Archiv-Dokumente und Aussagen einiger weniger Augenzeugen und Teilnehmer der Ereignisse jener Jahre gelang es, eine der Massen-Begräbnisstellen von Häftlingen des Norillag festzustellen. Der Fuß des Schmidt-Berges wurde dann letztendlich auch zum Symbol des großen Leids, das nicht nur unser Land in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ereilte, sondern auch die Völker zahlreicher anderer Staaten.
Auf dem „Norilsker Golgatha“ steht eine orthodoxe Kapelle für alle in dieser Erde ruhenden orthodoxen Gläubigen; im Laufe mehrerer Jahre entstanden hier Zeichen des Gedenkens des europäischen Volkes, der Polen, Esten, Letten und Litauer. Nun ist Norilsk, neben Sachalin, Tschita, Wladiwostok und einigen anderen Städten, auch zum Ort der Erinnerung an die Bürger Japans geworden, die nicht nach Hause zurückkehrten.
Sachiko Watanabe dankte in ihrer Ansprache am „Norilsker Golgatha“ allen, die ihr tausende Kilometer von Zuhause entfernt dabei halfen, ihr Projekt zur Vollendung zu bringen. Dabei nannte sie ebenso Vertreter der schaffenden Berufe von Norilsk – Architekten und Künstler, wie auch Produktionsarbeiter – Mitarbeiter der Polargebietsfiliale von „Norilsk Nickel“, einfache Arbeiter, die das Denkmal unter schwierigen Witterungsbedingungen errichteten.
Nach den Worten der Mitwirkenden an dem Projekt gestaltete sich die Aufstellung des Denkmals für die Staatsbürger Japans etappenweise als äußerst schwierig. Viel Zeit verging für die endgültige Entscheidung, wie sein Aussehen gestaltet werden und wie groß es sein sollte; später ergaben sich dann Probleme bei der Lieferung, der sicheren Handhabung und Aufstellung der einzelnen Elemente. Doch insgesamt gesehen gelang es, alle Schwierigkeiten zu meistern, wofür Sachiko Watanabe jedem einzeln ihren Dank aussprach.
- Ich möchte, dass das heute eingeweihte Monument nicht nur ein Denkmal für meinen Vater ist, sondern für alle fern der Heimat umgekommenen Japaner, - sagte Sachiko Watanabe während der Zeremonie. – Nachdem sie von dem Ziel meiner Reise ins ferne Russland gehört hatten, kamen viele mir nicht bekannte Menschen zu mir, brachten Geld, spendeten mir ihren Segen und brachten ihre Bereitschaft zur Unterstützung zum Ausdruck. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Nachfahren von nicht aus dem Krieg heimgekehrten Vätern und Großvätern. Deswegen möchte ich, dass die wichtigste Bestimmung meines Lebens das Gedenken an jenes Leid ist, welches der Krieg unseren Völkern gebracht hat. Ich möchte, dass all diese Schrecken niemals in Vergessenheit geraten, dass sie sich niemals wiederholen. Ich denke, dass mich darin alle unterstützen werden.
Und wie zur Bestätigung des Gesagten traten die Norilkser an Sachiko Watanbe heran – junge Menschen, aber auch jene, die sich noch an die an ihren Verwandten begangenen Repressionsmaßnahmen erinnern, um diese mutige und zielstrebige Frau aus dem Land der aufgehenden Sonne zu umarmen.
Fotos: Denis Koschewnikow
Text: Denis Koschewnikow
„Polar-Bote“, 08.10.2015