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Legenden des vorigen Jahrunderts

Norilsker Chronograph

Es ist kein Geheimnis, dass das hohe professionelle und moralische Niveau der ingenieur-technischen Gedankengänge, des Gesundheitswesens, der Kultur in unserer Stadt in den unfreien 1930er bis1950er Jahren von legendären Persönlichkeiten geschaffen wurde.

Ohne Fanfaren

Am 11. Dezember 1944 erhielt das Technische Informationsbüro des Norilsker Kombinats 24 Arten technischer Zeitschriften für die Jahre 1942-1943, die in den USA, Kanada und England herausgegeben worden waren. „Canadian Mining and Metallurgical Bulletin“, „Chemical and Metallurgical Engineering“, Journal of Geology“ (so geschrieben in der Zeitung von 1944 – Autor) und alle anderen übersetzte der legendäre Aleksej Garri ins Russische.

In der Literarischen Kurz-Enzyklopädie steht über ihn geschrieben, dass der sowjetische Schriftsteller, Teilnehmer des Bürgerkriegs in der Kavallerie-Brigade von Grigorij Kotowskij, in Paris geboren wurde. Im Druck seit 1920. Der bedeutendste Erzähl-Zyklus „Feuer. Kotowskijs Epopöe“ wurde zum ersten Mal 1934 herausgebracht, über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten mehrmals neu aufgelegt, obwohl der Autor Ende der 1930er Jahre „wegen antisowjetischer terroristischer Aktivitäten“ zu acht Jahren verurteilt wurde (in der Enzyklopädie wird präzisiert, dass dies infolge einer Verleumdung geschah und der Schriftsteller später rehabilitiert wurde).

In Norilsk steht der Name Garri im Zusammenhang mit der Herausgabe des Bulletins der technischen Information, im Wesentlichen ein echtes wissenschaftliches Journal, in dem der ehemalige Leiter der Abteilung „Neue Nachrichten“, der internationale Journalist und Arktis-Experte Berater, Übersetzer und Redakteur war. Außerdem gilt er als Gründer der wissenschaftlich- technischen Bibliothek des Norilsker Kombinats und Entwickler eines Schemas zur Klassifizierung technischer Literatur. Von 1947 bis 1949 erfüllte er die Pflichten ihres Leiters mit der Zusatzformulierung „vorübergehend“, weil er eine Haftstrafe verbüßt hatte. Als die Welle neuerlicher Verhaftungen einsetzte, entließ man Garri „wegen der Unmöglichkeit einer Weiterbeschäftigung“ und schickte ihn in die Siedlung Atschinsk, Region Krasnojarsk.

Garris Rückkehr in die große Literatur ist Anfang des Jahres 1950 einzuordnen. Nacheinander kommen die Romane „Häschen“, „In der entlegenen Taiga“, „Die letzte Karawane“, „Schlacht in der Tundra“ heraus. Die letzten beiden, wenn man der offiziellen Version Glauben schenken darf, wurden bereits in Moskau geschrieben, wohin der Schriftsteller nach Stalins Tod zurückkehrte. In den letzten Jahren arbeitete er an einem Roman über einen Wissenschaftler der Chemie mit dem Titel „Ohne Fanfaren“. Das Buch wurde 1962 veröffentlicht, zwei Jahre nach Aleksej Garris Tod. Auf der Grabplatte wurde er zweite (echte?) Nachname des Schriftstellers – Bronstein – nicht eingraviert. Aber schließlich war es der erste – Ehrlich, John-Jakob – den er bei seiner Geburt in Paris entweder 1898 oder 1902 erhielt, wie es im Fragebogen steht, oder 1903…

Unter ungeklärten Umständen

Am 12. Dezember 1912 wurde in Feodossia Stepan Werebrjussow geboren, der zukünftige Polar-Flieger – noch eine Legende aus dem Norilsk der 1940er Jahre. Die Mehrheit der Norilsker jener Zeit erinnerten sich an ihn in sommerlicher-polarer Ausrüstung und Pelzstiefeln und berichteten, dass man Werebrjussow nie mit jemand anderem verwechseln konnte.

Pilot wurde Stepan Werebrjussow nicht nur deswegen, weil dies zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts der Beruf N° 1 war. Auf seine Wahl hatte wohl der Vater Einfluss genommen, Mathematiklehrer am Jungen-Gymnasium in Feodossia, der ein Buch über Flüge in den Kosmos geschrieben hatte.

Übrigens Stepan nannte man Werebrjussow den Jüngeren zu Ehren des Großvaters, einem auf der Krim bekannten Archäologen.

Mit 20 Jahren beendete Werebrjussow die Fliegerschule in Simferopol und absolvierte danach einen Vorbereitungskurs an der Basis der Höheren Fallschirmspringer-Schule in Moskau. Er nahm eine Tätigkeit als Fluglehrer in Poltawa auf und anschließend als Flugzeugführer der Maxim Gorki-Sonderagitations-Fliegerstaffel, die aus Geldmitteln der Leser sowjetischer Zeitungen und Zeitschriften aufgebaut worden war. 1935 existierte die Staffel bereits seit zwei Jahren, aber am 18.Mai stürzte ihr Flaggschiff, die ANT-20 „Maxim Gorki“ ab. Einen Tag zuvor, am 17. Mai, war damit als Korrespondent von „Paris Soir“ der französische Flieger und Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry geflogen… Werebrjussow war fast ein Jahr lang Pilot eines Flugzeugs mit der Bezeichnung „Iswestia“ der Marke „Stahl-2“ ( in der Staffel gab es auch noch „Krokodil“, „Ogonjok“ und andere).

Zur Norilsker Fliegergruppe wurde der Polarflieger (die Bezeichnung war auf Vorschlag der politischen Abteilung der Hauptverwaltung des Nordmeer-Seeweges verliehen worden) 1941 aus Igarka versetzt. Eben dieser Werebrjussow war es, der am 1.Mai 1942 in Dudinka den ersten Elektrolyt-Nickel des Norilsker Kombinats entgegen nahm und ihn binnen 24 Stunden in Krasnojarsk ablieferte. schwere Schneesturm kam er innerhalb von 96 Stunden vor Inbetriebnahme des zweiten Abschnitts des Wärmekraft- und Fernheizwerks aus Krasnojarsk angeflogen – mit einem Schieberiegel unter dem Flugzeugrumpf und Keilen zur Sicherung der Ankerwindungen des Generators, ohne die eine Erprobung nicht möglich gewesen wäre, wobei er zum Schluss im Blindflug in der Siedlung landete, direkt neben der Pumpstation.

Man nimmt an, dass Werebrjussow bezüglich seiner Versetzung nach Norilsk Abraamij Sawenjagin zu Dank verpflichtet sein muss, der dem erfahrenen und kühnen Piloten auch nach seiner Abfahrt nach Moskau noch mehrfach einen Auftrag erteilte. 1945 schickte ihn der stellvertretende Volkskommissar für innere Angelegenheiten nach Deutschland, von wo Stepan Werebrjussow nicht mehr zurückkehrte… Nach den Erinnerungen seines Sohnes war der Flugtermin der 10. Mai, dem zweiten Tag nach dem errungenen Sieg – niemanden verwunderte es…

- Am Abend zuvor erzählte mir der Vater davon, dass er aus Deutschland irgendeinen Wissenschaftler mitbringen sollte. Daran erinnerte ich mich später, als ich Granins „Sie nannten ihn Ur“ las. Damals dachte ich: die eilige Abberufung, die Verleihung des Major-Titels, von der Sawenjagin dem Vater, halb im Scherz, vor seiner Abfahrt berichtete, und seine Erwähnung des Wissenschaftlers – gibt es da nicht einen Zusammenhang mit Timofejew-Ressowskij, mit dem Abtransport der Einrichtung und Ausstattung des deutschen Instituts, in dem er arbeitete?

Den Tod Stepan Aleksandrowitschs bringt sein Sohn ebenfalls in Verbindung mit „Sie nannten ihn Ur“, wobei er die Vermutung hegt, dass irgendjemand den bekannten Biologen nicht ausgerechnet an Sawenjagin ausliefern wollte.

Stepan Werebrjussow verstarb am 9. Oktober in der Ortschaft Damgarten, allerdings nicht in der Luft, sondern auf der Erde – durch einen Motorrad-Unfall. Wie im Nekrolog geschrieben stand: …“unter ungeklärten Umständen“. Nach dem Tod des Piloten kam zu den beiden Ehren-Orden eines Polarforschers noch der Nam für ein Schiff hinzu. Die „Amur“ wurde nach ihrer Renovierung in „Stepan Werebrjussow“ umbenannt und fuhr als Passagierschiff auf dem Jenissei.

Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht

Am 14. Dezember 1939 wurde der Befehl über die Organisierung des Zentralen Krankenhauses des Norillag unterzeichnet, dessen Akademie alle bekannten Mediziner des Norillag der vierziger und fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts durchliefen. Gerade sie waren es, die viele Jahre das hohe professionelle und moralische Niveau des Norilsker Gesundheitswesens definierten. Heute gibt es schon keinen mehr von denen, die damals anfingen in dem Krankenhaus zu arbeiten, welches nach der Liquidierung des Lagers die Bezeichnung zweites städtisches Krankenhaus erhielt (das erste war das ehemalige Krankenhaus für nicht gefangene Mitarbeiter).

Unter dem Namen Zentrales Lager-Krankenhaus wurde das dreigeschossige Gebäude an der Fabrik_Straße übergeben, das ursprünglich als Hotel erbaut worden war. Darin entfalteten sich drei Abteilungen: eine therapeutische (der Sitz von Sachar Ilitsch Rosenblum), eine chirurgische, wo anfangs Boris Igorewitsch Kawteladse tätig war, und ab 1943 der berühmte Viktor Aleksejewitsch Kusnezow; die dritte war die Infektionsstation; sie wurde geleitet von Georgij Aleksandrowitsch Popow – übrigens der erste Oberarzt am Zentralen Lager-Krankenhaus (vor Kusnezow). Außerdem gab es eine Leichenhalle – das wissenschaftliche Zentrum, welches von Pawel Jewdokimowitsch Nikischin geleitet wurde.

Das Krankenhaus verfügte über eine Zentralheizung, Wannen und Duschen – auf jeder Etage, eine wissenschaftliche Bibliothek und, was das Wichtigste war, Menschen, für die der sinn des Lebens die Arbeit war.

- Es gab nicht genügend mittleres medizinisches Personal, - erinnerte sich später Georgij Popow, - und Pawel Jewdokimowitsch Nikischin organisierte dreimonatige Kurse für Krankenschwestern. Die Oberschwestern am Krankenhaus waren die Ehefrauen von Soldaten, die vor ihrer Inhaftierung ihre Ausbildungskurse beendet hatten. Richtiger gesagt – deren Witwen: Oschlajas Mann war Chef der militärisch-wirtschaftlichen Verwaltung der Roten Armee gewesen, und der Mann der Barskaja hatte die Verwaltung im Stab derselben Roten Arbeiter- und Bauern-Armee geleitet. Beide wurden erschossen. Über die Angehörigen von Winarskaja und Fliss wusste ich nichts.

Nach Popows Worten wurden die Ärzte und das mittlere medizinische Personal des Zentralen Lager-Krankenhauses aus den allgemeinen Baracken in separate Räumlichkeiten verlegt, wo sie schlafen konnten.

- Vom frühen Morgen bis in die späte Nacht bei den Kranken zu sein – das musste sich ja auf die Qualität der Behandlung auswirken. Die Verpflegung war beispielhaft geregelt. Der Chef-Koch Anatolij Aleksandrowitsch Pyschkin hatte in Leningrad eine Kantine geleitet, und noch früher, während des Ersten Weltkrieges, war er Koch in einem Sanitätswaggon der Gräfin Scheremetjewa gewesen… In der Erinnerung geblieben ist noch, wie Anatolij Aleksandrowitsch eine sich am Lama-See erholende Kommission mit Fischsuppe aus Nelma-Lachsen und Leber in Madeira-Soße bewirtete.

Valentina Watschajewa

„Polar-Bote“, 10. Dezember 2015


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