Unsere Geschichte, WTR, 19.01.2016 – 7:53
„Viele Mädchen mit Kindern im Buch starben. Eine schoss sich in den Bauch, um sich nur nicht ergeben zu müssen“. Das erstaunliche Schicksal einer Ukrainerin, die die besten Jahre ihres Lebens im Kampf für die Heimat opferte.
- … 1941 trat ich der Organisation ukrainischer Nationalisten (OUN) bei. Das kam ganz von allein so. Ich wuchs in “Prosvita“ (ukrain. Ortschaft, „Blüte“, Lichtblick“; Anm. d. Übers.) auf . 1940 verhafteten sie in unserem Dorf 18 junge Männer und 4 Mädchen. All meine Klassenkameraden ließen in der Ukrainischen Aufständischen Armee ihr Leben.
Die Front rückte näher, ich machte eine medizinische Ausbildung. Der Unterricht fand für 56 Mädchen in der Ortschaft Selez statt. Abgehalten wurde er von Doktor „Sawka“ aus Tscherwonograd. Ich verließ meinen Arbeitsplatz bei der Bank in Sokal und fuhr nach Hause.. Am folgenden Tag überfielen NKWD-Mitarbeiter unser Dorf . Sie gingen der Frontlinie voran, stürmten mit jeweils 20 Mann in jedes Haus. Zwei unserer Jungs befanden sich in der Nachbarschaft. Sie wurden in ihren Betten erschossen. Sie nahmen den Hafer für die Pferde, Klamotten mit – alles für die Rote Armee…
Jelena Andruschtschak, 91 Jahre alt, war Mitglied der Organisation ukrainischer Nationalisten. Geboren wurde sie in der Ortschaft Jastrubitschi, Radechowsker Bezirk, Gebiet Lwow am 6. April 1924 in der Familie Stepan und Maria. Nach dem Abschluss von sechs Volksschulklassen half sie den Eltern im Haushalt und auf dem Hof. Sie besuchte das landwirtschaftliche Zentrum der Taras-Schewtschenko-Gesellschaft „Prosvita“. Der OUN trat sie 1941 bei. Sie durchlief einen zweiwöchigen Lehrgang. Zwei Jahre lernte sie an der Handelsschule in der Stadt Sokal, im Nachbarbezirk.
Fünf Monate arbeitete sie dort in der „Ukrainbank“. Im Jahre 1943 ging sie in den Untergrund. Sie absolvierte Kurse in medizinischer Notfall-Hilfe für Nationalisten-Mädchen. Sie leitete selber zweiwöchige Lehrgänge für Krankenschwestern. Ihr Pseudonym lautete „Orisja“. Aufgrund von Jelenas Aktivitäten wurden ihre Eltern und ihre ältere Schwester Jekaterina mit der Familie nach Bjelogorsk im Amurgebiet, an der chinesischen Grenze, 1952 wurde sie verhaftet, abtransportiert.
Sie erhielt eine Verbannungsstrafe von 25 Jahren. Sie verbüßte 5 Jahre: in Norilsk, Region Krasnojarsk, Russland, wo sie als Hilfsarbeiterin beim Bau tätig war, und in Mordowien nähte sie wattierte Jacken. Teilnehmerin des Norilsker Aufstands (der von Mai bis August 1953 im Konzentrationslager in der Stadt Norilsk stattfand). Nach Josef Stalins Tod fielen die Gefangenen mit kriminellem Hintergrund unter eine Amnestie, die Politischen – waren davon ausgenommen. Die meisten von ihnen besaßen eine „banderowsker Haftfrist“ (wie es für Bandera-Anhänger üblich war; Anm. d. Übers.) – nämlich 25 Jahre. In Norilsk befanden sich ungefähr 50 000 Häftlinge. Sie wehrten sich gegen das menschenunwürdige Regime und das Verhalten ihnen gegenüber. Die Begleitwache provozierte ebenfalls eine Rebellion, indem sie anfing, auf die Leute zu schießen. Während der Unterdrückung des Aufstands kamen 150 Menschen ums Leben. Doch es kam auch zu Unruhen in anderen Konzentrationslagern Russlands. – „Kraina“).
Acht Jahre lebte sie mit den Eltern in Bjelogorsk, aber in Sonderansiedlung. Sie lernte den Verfolgten Michail Ganjak aus der Gegend von Starosamborsk kennen, der zwei Jahre jünger war als sie. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er eine Strafe in Workuta verbüßt. Sie wurde von ihm schwanger. Als der Ehemann davon erfuhr, verließ er Jelena. 1963 wurde Tochter Nadjeschda geboren. Mit dem 15 Monate alten Töchterchen, den Eltern und der Familie ihrer Schwester kehrte sie 1965 in die Ukraine zurück. Sie ließ sich in der Ortschaft Selez, Sokalsker Bezirk im Gebiet Lwow nieder, wo sie bis heute lebt.
Vierundzwanzig Jahre lang arbeitete sie in einer Näherei. Sie verfügt über eine Rente von 1250 Hrywnja. Außerdem bekommt sie als Repressionsopfer noch 150 Hrywnja vom Bezirk dazu. Sie lebt mit ihrer Tochter Nadjeschda zusammen und hat zwei Enkelkinder in Lwow. Im April wird sie Urgroßmutter. Die Akte „Orisja“ und ihre Autobiographie, die von der Bezirksleiterin der Organisation Ukrainischer Nationalisten vor der Verhaftung geschrieben wurde, wurde im vergangenen Jahr im Mai gefunden. In der Umgebung von Schowkini (Nachbargebiet des Sokalsker Bezirks – „Kraina“) machten Historiker das Archiv der Organisation Ukrainischer Nationalisten und der Ukrainischen Aufständischen Armee mit den Akten von 70 Untergrundkämpfern, Verhör-Protokollen und Todesbeschreibungen von 15 Aufständischen aus. Ungefähr 300 Dokumente aus den Jahren 1945-1950 waren in einer Milchkanne aufbewahrt worden. Michail Paracjuk war es, der auf den Ort hinwies – in seiner Kindheit hatte der Vater ihm von dem Geheimnis erzählt. Von allen im Archiv erwähnten Personen ist „Orisja“ die einzige, die heute noch am Leben ist.
-… Einmal brachten sie den Eltern einen verwundeten Burschen ins Haus. Seine rechte Hand hing nur noch an Haut und Sehnen. In der Wunde hatten ich Würmer breitgemacht, weil er lange Zeit im Wald gelegen hatte. Ich reinigte die zerfetzte Hand, Papa behaute ein Holzbrett und legte ihm eine Schiene an. Und dann schickte ich ihn zu Doktor „Sawka“ ins Nachbardorf. Ein paar Monate später sah ich diesen Burschen wieder. Er winkte mir zu – sie war wieder funktionsfähig.
In den Dörfern gab ich Kurse, brachte den Mädchen die grundlegenden Regeln der Organisation Ukrainischer Nationalisten sowie die zehn Gebote eines Nationalisten bei. Sie überbrachte „Gribsy“ (geheime Briefe. – „Kraina)). Von unserem Leiter trug ich sie nach Wolhynien. In jeder Ortschaft gab es jemanden, der mich erwartete; ich kannte die Adresse der Person und sein Pseudonym. Er sagte mir, wohin ich als nächstes gehen und wen ich weiter fragen sollte. Den nächsten heimlichen Brief über die polnische Grenze überbrachte ich nicht weit von hier. Man kleidete mich so um, dass ich wie ein ganz armes Mädchen aussah. Ich sagte, dass meine Schwester ein Mädchen geboren hätte und ich sie sehen wolle. Sie ließen mich gehen. Den Brief trug ich in der Sohle meiner Schnürschuhe. Auf dem Rückweg nahm ich das ebenfalls geheime Antwortschreiben mit. Der Grenzsoldat durchsuchte mich von Kopf bis Fuß und trat sogar einen Schritt zurück – so ärmlich sah ich aus. Und dann ließ er mich nach Hause gehen.
1947 wurde ich zum ersten Mal verhaftet. Sie ergriffen mich, während ich gerade in einem Dorf einen Auftrag ausführte, und sie wollten wissen, was ich dort machte. Ich erinnerte mich, dass nicht weit entfernt der Onkel unseres Mädchens Nastja Schukewitsch wohnte. Ich dachte mir aus, dass ich zum Onkel gehen und mich als Nastja ausgeben wollte. Sie brachten mich zur Untersuchung, dann ließen sie den Onkel holen. Er sagte, dass er mich zum ersten Mal sähe. Später begriff er dann, wer sich als seine Verwandte ausgegeben hatte. Da schmierte er dem Ermittlungsrichter Honig um den Bart und meinte, dass er anfangs Angst gehabt hätte, das zuzugeben. Nach einer Woche entließen sie mich.
Der Leiter „Oles“ holte mich als Maschinenschreiberin in die Bezirksorganisation. Seine Frau war gestorben. Er wollte, dass ich bei ihm leben sollte. Ich lehnte ab. Und so jagte er mich fort, nachdem er mir auch die Waffe weggenommen hatte. Aber mit ihm hatte ich keinerlei Perspektiven gesehen. Ich hörte ständig nur: dort haben sie eine schwangere von uns umgebracht – und dort auch. Viele Mädchen mit Kindern im Bauch kamen ums Leben. Eine schoss sich selber in den Leib, um sich nur nicht ergeben zu müssen. Eine andere wurde in ihrem Versteck gefasst, man fuhr sie nach Radechow zur Erschießung. Dort wurden die Leute öffentlich hingerichtet. Die Leute erzählten, dass sie bereits eine Leiche war, während das Kind in ihrem Leib sich noch bewegte.
„Oles“ nahm an meiner statt die „Stalewa“ („die Stählerne““ – Red.). Ein paar Monate später wurden beide ermordet.
Zu Hause habe ich mich in Verschlägen versteckt. Papa hatte hergerichtet. 1950 rannte ich nach Hause – die Hütte stand offen. Im Dorf höre ich Stimmen: „Verteilt alles!“ Ich begriff, dass die Eltern abtransportiert werden sollten.
Ich begab mich zu der Stelle, wo der Aufständische „Gefaist“ verscharrt lag. Sie befand sich unter dem Ofen. Jemand hatte mir eine geheime Nachricht geschrieben: „Geh und ergib dich, der Kampf wird weitergehen“. Ich schrieb: „Ich habe meine Familie, meinen Besitz verloren, aber meine Ehre – die werde ich nicht verlieren“.
Zum Thema: Der nationale Kampf in der West-Ukraine – Kurzlehrgang der
Organisation ukrainischer Nationalisten und Ukrainischen Aufständischen Armee.
Teil 3: der Krieg gegen die UdSSR.
Kaum einer der Unseren ist noch am Leben. Einer hat sich ergeben, der andere –
ist umgekommen. Sie verhafteten den Burschen, der meinen Zufluchtsort kannte.
Ich musste fliehen. Ich vereinbarte mit dem Ehemann einer Verwandten, dass ich
bei seiner Mutter unterkommen könnte. Aber er gab mich preis. Ich kroch auf den
Dachboden. Zwei Stunden später klopft es ans Fenster. Allerdings war mir danach
leichter ums Herz, weil mein Leben im Untergrund nun beendet war. Denn das Ganze
war zur Qual geworden: es gab keinen Ort mehr, wo ich mich hätte verstecken
können.
Sie holten mich vom Dachboden. Ich versuchte zu fliehen, in der Hoffnung, dass sie mich erschießen. Aber sie fingen an mich zu schlagen. „Acht Jahre!“ – und an die Wand – “Acht Jahre!” – und an die Wand. Sie schleuderten mich hin und her, wie einen Sack. Doch ich war warm angezogen, deswegen prallte ich überall weich ab – wie ein Ball. Ich nannte meinen Nachnamen, denn es bestand keine Notwendigkeit ihn zu verbergen: die Eltern hatten sie ja schon verhaftet.
Mit einem Fuhrwerk brachten sie mich nach Radechow. Dort mieteten sie ein Taxi – und dann ging es nach Lwow zur Ermittlungsbehörde. Sie steckten mich in eine Kiste, ähnlich einem Schrank. Eine Woche stand ich darin, Sitzen war verboten. Sie brachten mich nicht zum Verhör, weil über mich bereits alles vorgefertigt war: meine Autobiographie, irgendjemandes Bericht und sogar meine Antwort von der Begräbnisstelle „meine Ehre werde ich nicht verlieren“. Aber sie wollten mich provozieren. Und das taten sie folgendermaßen. Die Unseren ließen sie in Fahrzeuge einsteigen, als ob sie sie in ein anderes Gefängnis bringen wollten. Unterwegs wurden sie angeblich von Aufständischen überfallen, die unsere Uniform trugen. Einen Häftling griffen sie im Wald auf, und dort sollte er dann auf jemanden Hinweise geben – mit wem er zusammenarbeitete, wer sein Chef war. Viele zerbrachen daran. Aber ich wusste das. Beim Tagesdienst flüsterte ein NKWD-Mitarbeiter das einem anderen zu. Und der erwidert: „Ja, das weiß sie wohl“. Und ich schreie aus meiner Kiste heraus: „Ich weiß das, ich weiß das“.
Foto von Jelena Andruschtschak aus der Kriminalakte
Die Aufnahme geriet an die Ukrainische Aufständische Armee und war 60 Jahre lang
In einem Versteck im Gebiet Schoschkino vergraben.
Es wurde im vergangen Jahr gefunden und ans Lwower Museum „Gefängnis in der
Lonskaja“ übergeben.
Es gab ein Dekret, dass Leute im Untergrund sich ergeben und ein Schuldgeständnis abgeben sollten. Und tatsächlich war es so, dass sie denjenigen, der das auch tat, mitsamt seiner Familie laufen ließen. Aber sie mussten die anderen verraten. Mei Gewissen ließ das nicht zu. Sie brachten mich zu einem Vorgesetzten namens Kowaltschuk. Sie fragen, weshalb ich nicht gestehe. Und ich antworte, dass ich ihnen nicht traue. „Sie – Sie sind ein Kriecher und Speichellecker der Deutschen“, - sagt er. Und ich erwidere: „Nein. Ich habe in Sokal gesehen, wie unsere Leute das deutsche Gefängnis überfallen und politische Gefangene befreit haben. Wenn wir Speichellecker gewesen wären, weshalb hätten uns die Deutschen dann ins Gefängnis werfen sollen?“ – „Also was ist…“ – Kowaltschuk. „Also auf Wiedersehen“ , - unterbrach ich ihn und verließ das Kabinett. Der Begleitsoldat hinter mir her.
In Norilsk arbeitete ich auf dem Bau. Wenn 42 Grad Frost herrschten, stellten sie uns von der Arbeit frei. Wir schleppten Ziegelsteine, reichten Mörtel weiter. Norilsk wurde von Ukrainern errichtet. Russland wurden von unseren Leuten erbaut.
Zu essen bekamen wir Wassersuppe und Grütze. Die Baracke war beheizt. Das diensthabende Mädchen erhitzte Wasser , damit man sich waschen konnte; es verteilte auch das Essen. Nachts stickten wir. Allerdings nur mit weißen Fäden, denn farbige gab es nicht.
Das Schreiben und Erhalten von Briefen war mir verboten. Aber die anderen Mädchen schrieben sich mit Kameraden aus dem Nachbarlager. Ich bat sie darum zu fragen, ob es dort nicht einen Fjodor Kruk aus Jastrubitschi gäbe. Das war der Mann meiner Tante. Bereits am folgenden Tag antworteten sie, dass er dort wäre. Ich ließ die Adresse meiner Eltern an ihn übermitteln. Er schrieb ihnen, und so stellte ich mit ihnen eine Verbindung her. Sie befanden sich im Amur-Gebiet. Sie arbeiteten, erhielten Lohn. Mir wurde leichter ums Herz.
Ich brauchte ein Gebiss. Die Eltern schickten 350 Rubel. Aber jemand klaute das Geld. Da schrieb ich eine Beschwerde. Das Geld bekam ich zurück. Und sie verpassten mir sehr schöne Zähne.
Unser Lager war für politische Gefangene. Und nicht weit davon saßen – Rückfällige. Als wir zusammen den Schnee von den zugewehten Gleisen räumten, vergewaltigten sie die Mädchen auf dem Abort.
Wir kommen von der Arbeit und sehen am Stacheldraht – eine rote Fahne mit schwarzem Band. Wir vermuteten, dass Stalin gestorben sei. Wir warfen einander Blicke zu. Das Gerücht erfreute uns nicht, denn es gab unter uns geheime Mitarbeiter, Spitzel – es waren Russen. Die waren so dumm, dass sie 25 Jahre bekommen hatten und trotzdem um Stalin weinten.
Sofort fingen wir mit den Vorbereitungen für einen Aufstand an. Schriftverkehr mit dem Männerlager gab es immer. Die Briefe ließ man auf der Baustelle unter einem Ziegelstein zurück. Also, alle weigerten sich zur Arbeit zu gehen. Man warf die Abort-Kübel hinaus und entfernte die Gitter. Revolution. Der Begleitsoldat beobachtete, aber er prügelte niemanden. Aber sie hörten auf uns Essen zu bringen. Wir hungerten zwei Wochen lang. Später kam Beria (Lawrentij Beria – der General-Kommissar der Staatssicherheit der UdSSR. – „Kraina“). Wir schickten von jeder Nation zwei Leute zu einem Treffen mit ihm. Wir stellten 36 Forderungen auf. Sie trafen davon nur eine einzige Entscheidung und – ließen uns die Häftlingsnummern von der Kleidung entfernen.
Wir verkünden zum zweiten Mal einen Aufstand. Wir hissten mitten im Lager eine schwarze Fahne mit rotem Band, was im Kampf vergossenes Blut bedeutete. Wir schrieben „Freiheit oder Tod!“ und hoben gruben aus. Denn wir waren der Meinung, dass sie uns alle erschießen würden.
In der dritten Woche schickten sie Straftrupps. Sie fingen an aus Schläuchen mit Wasser zu spritzen. Das war im Sommer, am Tag des Iwan Kupal. Aber dort herrschten nur wenige Grad plus. Wir standen schweigend da. Dann sagte der Leiter: „20 Minuten sind vorbei, das reicht“. Das Wassersprengen wurde eingestellt. Aber sie stürzten sich mit kleinen Äxten auf uns. Nagelneuen, glänzenden. Und wen sie gerade trafen, der wurde zerhauen. Viele Verkrüppelte fielen in die Grube. Aber niemand kam um. Und im Nachbarlager metzelten sie die Jungs mit Panzern nieder.
Sie fingen an uns aufzuteilen: einige kamen ins Gefängnis, andere in ein Regimelager, wieder andere in die Lagerzone. In Abhängigkeit davon, wer welche Funktion während des Aufstands innegehabt hatte (die Gefängnisverwaltung sonderte 2920 Aktivisten aus. 45 von ihnen wurden als Organisatoren verhaftet, 365 steckten sie ins Gefängnis, 1500 verlegten sie ins Konzentrationslager Magadan. – „Kraina“). Ich hatte mich mit hauswirtschaftlichen Dingen beschäftigt und kam in ein Regime-Lager. Dort war alles genauso, es gab nut keine geheimen Mitarbeiter.
Danach verlegten sie mich nach Mordwinien. In der Fabrik nähten wir Überzieher und Wamse.
Jelena Andruschtschak sitzt rechts unten - mit Freundinnen während der
Verbannung, 1956. Sie arbeitete dort in einer Näherei.
Im Jahre 1956 kam es zu Massen-Entlassungen. Jeweils 50 Personen am Tag ließ die Kommission zu sich kommen. Sie behielten nur diejenigen dort, die wegen Mord einsaßen. Ich benötigte eine Bürgschaft. Papa ging zum Notar und schickte sie. Drei Monate später fuhr ich zu den Eltern. Ich habe als Alleinstehende acht Jahre in der Verbannung gelebt.
Ich lernte den Verfolgten Michail Ganjak aus dem Starosamborsker Gebiet kennen, er war zwei Jahre jünger als ich. Bis zu dem Zeitpunkt hatte er seine Strafe in Workuta abgesessen. Ich wurde von ihm schwanger. Ich dachte wir würden gemeinsam das Leben verbringen. Aber er wollte nicht arbeiten. Später stellte sich heraus, dass er seine Beichte geschrieben hatte. Er ließ mich im Stich, als ich schwanger war. Er ging zu einer anderen, um dort sein Brot zu essen. Bereits wieder in der Ukraine las ich in der Zeitschrift „Oktober“ die Nachnamen von 150 Nationalisten, die gebeichtet hatten. Er war auch darunter.
1963 wurde Tochter Nadjeschda geboren. Über das Heiraten dachte ich dann schon nicht mehr nach.
Sie ließen meine Familie und mich frei, wir kehrten in die Ukraine zurück. Fünf Wochen warteten wir auf den Container aus Belogorsk. Papa hatte dort Schiefer und Möbel gekauft. Als sie alles abluden, stöhnten die Leute verwundert, denn bis dahin hatten sie gedacht, dass wir Opas mit Rucksäcken wären. Das Buffet (Küchenschrank. – „Kraina“) steht heute noch im Haus.
Ich vermutete, dass meine Tochter mich zutiefst verurteilte. Ich hatte das Schicksal der Eltern und meiner leiblichen Schwester zugrunde gerichtet, die damals Kinder und eine glückliche Familie besessen hatte. Nadja sagt, dass sie mich während der Revolution der Würde nur allzu gut verstanden hat.
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Lesja Meschwa, Fotos: Jaroslaw Timtschischin, veröffentlicht in der Zeitschrift „KRAINA“
Argument, 19.01.2016